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Im Fokus: Prostatakarzinome
Individuelle Prostatakrebsvorsorge im Jahr 2008
Früherkennung und aktive Surveillance
«Nicht jedes früh erkannte Prostatakarzinom muss behandelt werden, aber das behandlungsbedürftige muss früh erkannt werden!», lautet die Kernaussage der individuellen Vorsorge. Der Hintergrund: Das Prostatakarzinom kann nur dann kurativ behandelt werden, wenn es in einem organbegrenzten, meist noch asymptomatischen Stadium entdeckt wird. Im folgenden Beitrag wird der aktuelle Wissensstand zur Therapieindikation analog der PSA-Werte als wichtigstem Tumormarker aufgezeigt.
FRANZ RECKER
Das Prostatakarzinom stellt als zweithäufigste Todesursache maligner Genese beim Mann ein zunehmendes gesundheitspolitisches Problem dar. Dieser Krebs liegt nach dem Bronchialkarzinom an zweiter Stelle in der Ursachenstatistik (Tabelle 1). In der Schweiz sterben jährlich 1600 Männer durch das Karzinom. Die Besonderheit dieses Karzinoms besteht darin, dass sich eine Prävalenz von Prostatakarzinomzellen in 20 bis 40% der Autopsien findet, mit abnehmender Häufigkeit von Norden nach Süden Europas. Die Wahrscheinlichkeit, an einem Prostatakarzinom zu erkranken, macht aber «nur» knapp ein Viertel der Fälle aus (insgesamt 8 bis 10%) (Abbildung 1). Die Erkrankungswahrscheinlichkeit hängt vom Volumen des Tumors ab. Nach den Arbeiten von Stamey und Kollegen (1) führt ein Tumorvolumen von > 0,5 ccm zu einer klinischen Manifestation. Die unter «natural history» des Krankheitsverlaufs auftretenden Morbiditäten sind beispielsweise die unter biochemischer Kastration auftretende Adynamie, Libidoverlust und Hitzewallungen. Die lokale Progression des Tumors führt zu einer Obstruktions-/Inkontinenz-Symptomatik mit palliativen Prostataresektionen (2, 3).
Pro Screening: Fünf Studien zur Evidenz der Therapie
Da die Ergebnisse der grösseren prospektiv randomisierten Studien (ERSPC und PLCO) ausstehen, kann eine generell verbindliche Aufforderung zum Screening nicht gemacht werden (4, 5). Nach vorhandener Datenlage wird jedoch eindeutig die individuelle Aufklärung empfohlen mit Angabe des Risikos,
der Therapieoptionen inklusiver möglicher Nebenwirkungen. Die erste prospektiv randomisierte Untersuchung, die skandinavische SPCG-4-Studie, welche Prostatektomie mit konservativer Therapie verglich, zeigte eine Reduktion der Mortalität um 40% in der Prostatektomiegruppe (6). Dieses Resultat ergab sich schon zu einem Zeitpunkt von durchschnittlich 8,2 Jahren, welcher als ein kurzer Zeitraum für die vermeintlich lange «natural history» des Karzinoms anzusehen ist. Zu beachten ist hier auch, dass hochaggressive Karzinome mit Gleason-Score 9 und 10 ausgeschlossen worden waren. Auch die Metastasierungsraten, Gesamtmortalität und lokale Progressionsraten waren in der therapierten Gruppe statistisch signifikant niedriger. Eine nähere Betrachtung zeigt, dass in der Prostatektomiegruppe 65% der Karzinome pathologisch schon organüberschreitend waren und 20% der Männer ein lokales Rezidiv entwickelten. Die überwiegende diagnostische Entdeckung dieser Tumore durch rektales Abtasten, vor TUR-P-Histologien (pT1a, pT1b), aber ohne PSA-(= prostataspezifisches Antigen-)Diagnostik, legt nahe, dass bei einem Grossteil der Tumore eine frühzeitigere Identifizierung hilfreich gewesen wäre. Als Level-B-Evidenz des therapeutischen Vorgehens, welche für das Screening spricht, ist beispielhaft der Rückgang der Prostatakarzinommortalität in den USA zirka zehn Jahre nach Einführen des PSA-Tests anzuführen. Der Rückgang der Mortalitätsraten ist der grösste, verglichen mit den Raten anderer Tumorentitäten (Kolon, Lunge) und betrifft vor allem die Altersgruppen, die sich einem PSA-Test unterziehen.
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Tabelle 1:
Verteilung der Mortalität an malignen Erkrankungen 2002 und 2006 (USA)
Im Alter von 60 bis 79 Jahren ist Krebs die häufigste Todesursache
Alter Jahr 1. Bronchus-Ca 2. Kolorektal-Ca 3. Prostata-Ca
60–79 Jahre
2002
2006
n = 57 470 n = 55 424*
n = 15 429 n = 14 514*
n = 14 428 n = 13 109*
Bronchus-Ca Prostata-Ca Kolorektal-Ca
> 80 Jahre
2002
2006
n = 16 626 n = 17 985*
n = 15 630 n = 15 330*
n = 7821 n = 8014*
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US Mortality Public Use Data Tape 2000, National Center for Health Statistics, Center for Disease Control and Prevention 2002, Cancerstatistics 2003 *US Mortality Public Use Data Tape 2005, National Center for Health Statistics, Center for Disease Control and Prevention Cancerstatistics 2006, CA Cancer J Clin 2006; 56: 106–130
Abbildung 1:
Epidemiologie des Prostatakarzinoms
Männer ≥ 50 Jahre Autoptische Prävalenz: 40%
Franks LM J Pathol Bacteriol 1954 Sakr WA J Urol 1993 Stamatiou K Prostate Cancer Prost. 2006
Etzoni et al. (7) sehen in zwei mathematischen Modellrechnungen, die auf den NCI- und SEER-Daten beruhen, einen Stage-Shift vom fortgeschrittenen zum lokalisierten Tumor als Hauptursache des Rückgangs der Sterblichkeit (National Cancer Institute, Surveillance Epidemiology and End Results, USA). Die Vorverlegung der Diagnose mithilfe des PSAScreenings erklärt zu 45 bis 70% die Mortalitätsreduktion in den USA. Ein zusätzlicher Einfluss durch Therapieoptimierung, Alimentation und AttributionBias (= Andersklassifikation von Todesursachen) sind von geringerer Bedeutung. Der Benefit der Operation im Vergleich zur konservativen Behandlung bei einer Screeningpopulation von 50 bis 70 Jahren geht auch aus der Aufarbeitung von D’Amico und Moul (9) hervor (Evidenzlevel B). Die Autoren haben in Anlehnung an die Daten von Albertsen (8) – der den Tod durch Prostatakarzinom (respektive infolge des Karzinoms nach GleasonScore und Alter bei Diagnosestellung) unter konservativer Therapie beschrieb –
die Ergebnisse nach Prostatektomie und Strahlentherapie aufgearbeitet. Wesentlich ist, dass alle pathologischen Präparate von derselben Gruppe geprüft wurden, die auch die Daten der Albertsen-Studie lieferte. Es zeigte sich innerhalb von zehn Jahren ein deutlicher Benefit durch die Operation für ▲ «intermediate risk» (Gleason 6, 7)-Tu-
more von 50% (vs. 5% vs. 16%; konservativ bzw. Strahlentherapie) und ▲ «high risk» (Gleason > 7)-Tumore von 70% (vs. 20% vs. 30%; konservativ bzw. Strahlentherapie). Die Strahlentherapie war den Ergebnissen der Operation unterlegen. Im Gegensatz dazu profitierten Patienten mit «low risk»-Tumoren (Gleason 2 bis 4) nicht von einer initialen Therapie. Unter konservativem Prozedere zeigte diese Gruppe ein 15-Jahres-Überleben von 95%, sodass kein oder nur ein marginaler Benefit durch eine Prostatektomie oder Radiotherapie zu erwarten gewesen wäre. Eine weitere Level-B-Studie aus Tirol unterstützt den Benefit des Screenings in Bezug auf das Überleben. Nachdem seit
1992 die Inzidenz der neu entdeckten Karzinome in Tirol im Vergleich zu Restösterreich um den Faktor 1,5 bis 1,8 erhöht gelegen ist, zeichnet sich in den letzten Jahren nach Einführung des PSATests ein stärkerer Rückgang der Mortalität (im Vergleich zu Restösterreich) ab (10). Es wurde mehrfach kritisiert, dass der Rückgang initial zu früh aufgrund eines zu erwartenden «lead time»-Effekts beobachtet wurde (evtl. durch Therapie hochaggressiver Tumore). Die Tendenz der Mortalitätsreduktion hält jedoch auch in den letzten Jahren an.
Kontra Screening: drei Studien
Die am meisten zitierte Studie von LuYao und Albertsen (11) als Beweisführung gegen die Relevanz des Screenings vergleicht retrospektiv die Regionen Seattle und Connecticut. In Seattle wurde ein wesentlich aktiveres Prostatakarzinomscreening als in Connecticut vorgenommen, was innerhalb eines Zeitraumes von elf Jahren aber nicht zu einer Mortalitätsreduktion geführt hat. Diese Studie offenbart zwei Fehlerquellen: 1. Die eingeschlossene Population mit
55% der Männer über 70 Jahren (Minimum 68 Jahre; medianes Alter 73 Jahre) ist aufgrund der relativ geringen Lebenserwartung für eine Screeningpopulation zu alt. Die Teilnehmerselektion, insbesondere im Hinblick auf das Gesamtüberleben, verwundert, zumal der Autor in einer anderen Publikation über die langsame «natural history» des organbegrenzten Karzinoms bei > 70-Jährigen berichtet. 2. Die fünffach höhere PSA-Testrate in Seattle war ausserdem nur von einer unwesentlich höheren Therapierate in kurativer Intention als in Connecticut gefolgt: Prostatektomie in 1,3% (vs. 0,2%, Radiotherapie 1,8% vs. 0,8%). In diesem zu alten Kollektiv konnte bei fehlendem Therapievolumen kein Unterschied im Endpunkt Mortalität erwartet werden. Ein früherer Endpunkt (z.B. Metastasierungsrate) wurde nicht gewählt. Die von Concato 2006 publizierte, retrospektive multizentrische «nested case control study» (12) verneint ebenfalls
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Tabelle 2:
Aspekte des Aufklärungsgesprächs über Risiko, Therapie und Nebenwirkungen, genaue Abklärung (vgl. auch Abbildung 2)
Zeitpunkt:
Risikohinweis: Benefit: Nebenwirkungen bei:
ohne familiäre Anamnese: 50–70 Jahre mit familiärer Anamnese: 45–70 Jahre (Lebenserwartung > 10 Jahre) häufigster Tumor beim Mann (8%) zweithäufigste Todesursache maligner Genese beim Mann (3%) Ergebnis Level-A- und -B-Evidenz: Überlebensvorteil Prostatektomie (Erektile Dysfunktion 30–80%, Inkontinenz < 5%) Radiotherapie (Erektile Dysfunktion 20–60%, gastrointestinal < 5%) Abbildung 2: Algorithmus zur weiteren Abklärung nach PSA-Test und digital rektaler Untersuchung Abklärungsempfehlungen, wenn Patient Vorsorge bejaht (informed consent): 1. DRU; 2. PSA inkl. freiem PSA PSA PSA PSA PSA PSA < 1 ng/ml 1–1,9 ng/ml 2–2,9 ng/ml 3,0–3,9 ng/ml ≥ 4,0 ng/ml Auffällige rektale Palpation, unabhängig von PSA Ratio F/T > 12% F/T PSA
≤ 12%
(Risiko: TU in
kleiner Prostata) PSA
wiederholen
nach
3
21
1
Jahr(en)
Transrektale Sonografie und Biopsie
Stiftung Prostatakrebsforschung Prof. F. Recker Kantonsspital Aarau
einen Effekt des Screenings. Auch hier ist festzuhalten, dass das mediane Alter mit 72,5 Jahren für eine Screeningpopulation nicht geeeignet ist. Nur 42% der therapiebedürftigen Männer erhielten eine kurative Therapie. Ausserdem ist die Nachbeobachtungszeit von vier bis neun Jahren für den Endpunkt Mortalität zu kurz und somit irrelevant. Der frühere Endpunkt Metastasierungsrate wurde nicht evaluiert. Wählt man diesen Parameter, so konnten beispielsweise Kopec et al. eine Metastasenreduktion von 35% nachweisen (13). Zusammenfassend kann ausgesagt werden, dass die verfügbaren Studien, die sich gegen ein Prostatakarzinomscreening aussprechen, mit einem irrelevanten, zu alten Kollektiv, zu kurzen Nachbeobachtungszeiträumen und insuffizienten Endpunkten durchgeführt worden sind.
Die PSA-Vorsorge
Die in früheren Jahren propagierte «PSA-Grauzone» mit PSA-Werten von 4 bis 10 ng/ml existiert nicht. 30 bis 36% der Tumore zwischen 4 und 10 ng/ml sind schon pathologisch organüberschreitend (14). Wenn man sich mit einem Patienten für eine Früherkennung des Karzinoms entscheidet, hat die weitere Abklärung mit Prostatabiopsie direkt ab einem Cutoff von 4,0 ng/ml oder aber auffälliger rektaler Palpation zu erfolgen. (Abbildung 2). Eine abwartende Haltung ist nicht gerechtfertigt. Ein hoher Anteil des freien PSA (z.B. 21%) darf nicht zu einer Protrahierung der Biopsieindikation führen, da zum Beispiel eine vergrösserte innere benigne Transitionalzone der Prostata mit hoher freier PSA-Ausschüttung das Karzinom der peripheren Prostatazone mit erniedrigtem freien PSA-Anteil überdecken kann. Bei
«urologisch jungen Männern» mit kleiner Prostata gibt es Hinweise, dass im PSARange 3 bis 4 ein erniedrigter Anteil des freien PSA auf ein relevantes Karzinom hindeutet (15, 16). Eine Festlegung eines starren «Prozent-Cutoffs» ist hier schwierig. Unterhalb eines Prozentsatzes (bis zu 11 bis 14%) kann eine frühzeitigere Abklärung jedoch durchaus sinnvoll sein. Vorraussetzung der Vorsorgeuntersuchung ist die ausführliche Aufklärung des Mannes im relevanten Alter zwischen 50 bis 70 Jahren. Bei familiärer Disposition zu Prostatakarzinom gilt dies bereits für die über 45-Jährigen. Zu besprechen sind: 1. das Risiko 2. die Therapiemöglichkeiten (Opera-
tion/Strahlentherapie) 3. die zu erwartenden Nebenwirkungen
(nach Operation: Erektionsstörungen in 20 bis 70%, welche auf Viagra®, Cialis®, Caverject® ansprechbar sind; erhaltenem Orgasmus, auch bei Masturbation des schlaffen Gliedes; Stressinkontinenz in < 5%) (nach Strahlentherapie: Erektionsstörungen in 20 bis 50% innerhalb von 5 Jahren, Miktionsstörungen in 5 bis 10%, gastrointestinale Störungen in 5%). Ist ein Patient nicht zu einer therapeutischen Konsequenz bei positiver Biopsie bereit, so entfällt die Grundlage der Vorsorge. Die Blutabnahme zur PSA-Bestimmung hat vor der rektalen Palpation zu erfolgen. Ein Geschlechtsverkehr innerhalb von 36 Stunden zuvor sollte genauso ausgeschlossen sein wie ein Harnverhalt innerhalb der letzten acht Tage. Die Bestimmung des komplexierten PSA-Werts bringt gegenüber dem totalen PSA-Wert keine Vorteile hinsichtlich Diagnosesicherheit. Die Wiederholung der Vorsorgeuntersuchung richtet sich nach dem PSA-Level (Abbildung 2). Liegt der Wert unter 1,0 ng/ml, so reicht eine Wiederholung der Untersuchung alle drei Jahre, da die Verdopplungszeit eines Tumors in diesem Range zwei bis fünf Jahre beträgt. Bei PSA-Werten zwischen 1,0 und 1,9 ng/ml ist eine zweijährliche Messung zu empfehlen. Die obere Altersgrenze zur Früherkennung des Prostatakarzi-
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noms stellt zurzeit das biologische Alter von zirka 70 Jahren dar, da eine Lebenserwartung von mindestens zehn Jahren vorhanden sein muss. In unklaren Fällen ist der prospektiv validierte Charlson-Comorbidity-Index (17) hilfreich zur Ermittlung von Lebenserwartung respektive Evaluierung vorliegender Grunderkrankungen.
Bedeutung der PSA-Velocity
In Zukunft scheint der PSA-Verlauf zunehmend an Bedeutung zu gewinnen. Ergebnisse aus der Innsbrucker Screeningstudie dokumentieren, dass ein PSA-Anstieg von mehr als 0,6 ng/ml/Jahr mit einem hohen Risiko eines GleasonScores von ≥ 7 verbunden ist. Der mittlere initiale Basis-PSA-Wert betrug in dieser Studie 2,2 ng/ml. Ähnliche Ergebnisse sind aus der Re-Screening-Runde der Sektion Rotterdam der ERSPC-Studie vorhanden. Sie beschreiben einen PSA-Anstieg von 0,46 ng/ml/Jahr für Tumore niedriger Malignitätsstufe und 0,96 ng/ml/Jahr für hochaggressive Tumore. Für eine Umsetzung dieser Daten in die tägliche Praxis ist es jedoch noch zu früh. Sie zeigen aber die Tendenz, dass in Zukunft ein PSA-Test schon im Alter von 40 bis 45 Jahren vorstellbar ist. Abhängig vom Wert sind die Kontrollintervalle zu wählen. Ein jeweiliger Anstieg über bestimmte Cutoffs beschreibt dann die Entwicklung eines Karzinoms wesentlich besser als ein einmal erhobener statischer Wert.
Bedeutung des PSA bei «aktiver Surveillance» mit kurativer Intention
Betrachtet man die pathologische Aufarbeitung der Prostatektomiepräparate, so sind 2,3 bis 25% der Tumore aufgrund des geringen Tumorausmasses von < 0,5 ccm beziehungsweise dem niedrigen Gleason-Grading als «klinisch insignifikant» einzustufen. Dies bedeutet: Diese Tumore würden mit grosser Wahrscheinlichkeit zu Lebzeiten des Mannes kein Mortalitätsrisiko darstellen. Verschiedene Gruppen haben retrospektiv und prospektiv versucht, dieses Patientenklientel prätherapeutisch zu erfassen. Epstein stellte die Kriterien auf, dass:
1. kein Gleason-Pattern > 3 2. maximal zwei Biopsien mit maximal
50% befallen und 3. die PSA-Dichte (PSA/Prostatavolu-
men) < 0,1 sein müsste, um ein insignifikantes Karzinom vorherzusagen. Der PSA-Velocity-Wert (PPV) betrug in seiner Studie immerhin 84% (Tabelle 3). Die Ausrichtung der «active surveillance»-Strategie ist es, diese Patientengruppe kontrolliert zu beobachten und bei Progression kurativ anzugehen. Roemling et al. (19) haben ähnliche Selektionskriterien, die allesamt erfüllt sein müssen, beschrieben: 1. T1a-, T1c- oder T2a-Tumore 2. Gleason-Score ≤ 6 3. PSA-Wert zwischen 5 bis 8 ng/ml und 4. PSA-Dichte < 0,1 ng/ml. Schroeder et al. (18) stellen ein Nomogramm zur Verfügung, mit dessen Hilfe die Wahrscheinlichkeit eines «indolenten Karzinoms» anhand des prätherapeutischen PSA-Werts, des Tumoranteils der Biopsie, des Volumens der Prostata und des Gleason-Pattern vorhergesagt werden kann. Wesentlich ist die Verlaufsbeobachtung dieser Männer mit Indikationsstellung zur Behandlung in kurativer Intention mit initialer PSA-Bestimmung halbjährlich und Biopsie jährlich. Als Auslöser (Triggerpoint) einer Prostatektomie respektive Strahlentherapie werden angesehen: 1. Patienten mit Therapiewunsch 2. PSA-Verdopplungszeit von < 4 Jahren 3. Progression des Gleason-Scores bei
Re-Biopsie nach zwölf Monaten oder 4. lokale Tumorprogression (20).
Zusammenfassung
Zur Vorsorgeuntersuchung gehört der PSA-Test und die rektale Untersuchung. Bevor eine «PSA-Kaskade» im Rahmen der Prostatakrebsvorsorge jedoch ausgelöst wird, muss der Patient nicht nur über das Risiko des Prostatakrebses, sondern auch über die eventuellen Therapieschritte inklusive Nebenwirkungen informiert werden. Männer in der Altersgruppe der 50- bis 70-Jährigen, bei familiärer Vorgeschichte ab 45 Jahren, sind anzusprechen. Bei Bejahung der Abklärung hat direkt ab einem PSA-Wert von 4,0 ng/ml oder
Tabelle 3:
Bedingungen zur Vorhersage latenter, klinisch irrelevanter Karzinome
max. 2/8 Biopsien betroffen +
Tumoranteil pro Biopsie < 50% +
< Gleason 4/5 +
< 0,10 PSA-Dichte (PSA/Prostatavolumen) –––––––––––––––––––––––––––––––––
➜ PPV: 84%
Epstein JI et al., JAMA 1994, 271: 368 Epstein JI et al., J Urol 1994, 152: 1721 Carter HB et al., J Urol 2003 157: 2206
auffälliger digital rektaler Untersuchung
eine weitere bioptische Abklärung zu er-
folgen. Die früher beschriebene «PSA-
Grauzone» von 4 bis 10 ng/ml mit abwar-
tender Haltung existiert nicht, da sie in
Studien vermehrt zu organüberschrei-
tenden, nicht mehr kurativ angehbaren
Stadien geführt hat. Ausserdem darf ein
erhöhter Anteil des freien PSA oberhalb
des Cutoffs von 4,0 ng/ml nicht zu
einer Protrahierung der Biopsieindika-
tion führen. Bewegt sich der PSA-Wert
zwischen 2 und 3,9 ng/ml, sind jährliche
Bestimmungen bis zum biologischen
Alter von 70 Jahren sinnvoll. Bei Werten
zwischen 1,0 bis 1,9 ng/ml genügt eine
Bestimmung alle zwei Jahre. Liegt der
Wert unter 1,0, kann wahrscheinlich in
dreijährigen Abständen der PSA-Wert
bestimmt werden. Eine besondere Risi-
kogruppe besteht bei PSA-Werten von
3 bis 4 ng/ml und reduziertem freien An-
teil von zirka ≤ 12%. Hier scheint eine
Indikation zur frühzeitigen Biopsie gege-
ben.
Zirka 2 bis 25% der initial entdeckten Kar-
zinome können klinisch irrelevant sein
und lassen sich durch Vorhersagemo-
delle mittels PSA-Dichte, Gleason-Score
und Tumorbefall der Biopsien präthera-
peutisch bestimmen. Sie können einer
«active aurveillance»-Strategie (lediglich
kontrollierte Beobachtung) zugeführt
werden. Diese Patienten werden kontrol-
liert beobachtet mit initial halbjährlicher
PSA-Bestimmung und jährlicher Prostata-
biopsie.
▲
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Prof. Dr. med. Franz Recker Chefarzt Urologische Klinik Kantonsspital Aarau 5001 Aarau E-Mail: franz.recker@ksa.ch
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