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Ernährung bei AnorexieKachexie-Syndrom
Klinisches Management bei Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust
Von Gewichtsverlust und Appetitlosigkeit sind 50 bis 80% der Krebspatienten betroffen (1). Eine Mehrzahl der Patienten leidet unter Anorexie und Kachexie, sodass vom Anorexie-Kachexie-Syndrom (ACS) gesprochen wird. Dieser Artikel beschreibt das klinische Management, heute verfügbare und in der Entwicklung befindliche pharmakotherapeutische Möglichkeiten bei Patienten mit fortgeschrittenen Krebsleiden.
AURELIUS OMLIN, FLORIAN STRASSER
Das ACS betrifft neben Krebspatienten auch Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz, Niereninsuffizienz, Aids oder COPD, und zwar zu einem noch grösseren Teil (2, 3). Die Unmöglichkeit, sich normal zu ernähren, ist häufig mit Gewichtsverlust verbunden. Dies wird von Krebspatienten als sehr belastend erlebt (4). Neben der psychosozialen Belastung der Patienten werden bis zu 20% der Todesfälle von Krebspatienten direkt mit dem ACS in Verbindung gebracht (5).
Ernährungstherapie bei Krebspatienten
Das Spektrum der Ernährungstherapie bei malignen Tumoren umfasst Massnahmen bei Patienten
Das Anorexie-Kachexie-Syndrom (ACS)
International bestehen noch keine einheitlichen Definitionen (8). Für das Screening werden folgende Punkte herbeigezogen: ▲ Appetitlosigkeit (> 3/10 auf einer visuellen/numeri-
schen Analogskala) oder ▲ dokumentierter Gewichtsverlust (> 2% pro 2 Monate oder > 5% pro 6 Monate) oder ▲ reduzierte orale Nahrungszufuhr (Patient nimmt subjektiv weniger als 75% der normalen Menge oder weniger als 20 kcal/kg Körpergewicht pro Tag zu sich) (9).
▲ mit neu entdecktem Krebsleiden ▲ unter Chemo- und Strahlentherapie (auch im
Rahmen einer Hochdosistherapie und Stammzelltransplantation) ▲ mit fortgeschrittenen Tumorleiden ▲ mit schwerer Kachexie am Ende des Lebens ▲ mit überlebtem Tumorleiden, die nachbetreut werden. Anorexie, frühes Sättigungsgefühl oder Geruchsund Geschmacksveränderungen können als Symptome in allen Situationen auftreten. Zu beachten ist, dass Patienten und meist auch Angehörige bei schweren Ernährungsproblemen belastet sind (6). Teile der im Folgenden vorgestellten Konzepte können ebenfalls auf Patienten unter adjuvanten Therapien angewandt werden. Für Details in speziellen Krankheitsstadien und -situationen wird auf die Arbeit der American Cancer Society verwiesen (7).
Auswirkungen des AnorexieKachexie-Syndroms
Ein ACS wirkt sich in vier Hauptbereichen aus. Dabei können Empfehlungen für eine verbesserte Bewertung beziehungsweise ein verbessertes Verständnis wie folgt gegeben werden: 1. Körperzusammensetzung/Ernährungsstatus
Nicht selten wird bei Krebspatienten im fortgeschrittenen Stadium ein stabiler Gewichtsverlauf dokumentiert, der jedoch durch Flüssigkeitseinlagerungen (Aszites, Pleuraergüsse, Beinödeme) bedingt sein kann. Dies ist im Rahmen der klinischen Untersuchung zu erfassen (3).
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2. Aktivitätszustand und körperliche Funktion In der Regel werden Patienten hinsichtlich ihres Aktivitätszustands grob eingeschätzt in «guter», «mässiger» oder «schlechter Allgemeinzustand». Es lohnt sich jedoch, im Gespräch mit dem Patienten zu erfassen, ob die Aktivitäten des täglichen Lebens (sich ankleiden, Körperpflege oder Nahrungsaufnahme) oder instrumentelle Aktivitäten des täglichen Lebens (Einkaufen, Verkehrsmittel benützen, Telefonieren etc.) eingeschränkt sind (10).
3. Weitere assoziierte Symptome (z.B. Dyspnoe, Depression) Patienten mit fortgeschrittenem ACS können aufgrund des zunehmenden Verlusts an Atemhilfsmuskulatur unter Dyspnoe leiden. Andererseits kann jedoch auch Dyspnoe ein Grund für die reduzierte orale Nahrungszufuhr sein, denn die Patienten leiden unter verstärkter Atemnot durch das Essen. Assoziierte Symptome für Schmerz, Müdigkeit, Übelkeit, Depression, Atemnot, Angst, allgemeines Wohlbefinden, Appetit und Schwindel können mit der ESAS (= Edmonton-Symptom-AssessmentSkala) der Wichtigkeit entsprechend erfasst werden (11). Mit der numerischen Skala von 0 (= fehlend) bis 10 (= maximal ausgeprägt) gelingt dies relativ einfach.
4. Psychosozio-spirituelle/existenzielle Belastung von Patient und Angehörigen Häufig wird unterschätzt, dass die Angehörigen unter der Appetitlosigkeit und dem Gewichtsverlust des Krebspatienten mitleiden. Sie betreiben manchmal einen grossen Aufwand, um gewünschte Speisen zu kochen oder einzukaufen. Patienten wie Angehörige interpretieren Appetitlosigkeit und zunehmenden Gewichtsverlust häufig mit einer Progression der Erkrankung und mit dem Sterben. Einfache Fragen wie beispielsweise: «Sind Sie durch den Gewichtsverlust belastet?» oder «Machen sich Ihre Angehörigen Sorgen wegen Ihres Gewichtsverlustes?» können hilfreiche Einstiegsmöglichkeiten für ein
Gespräch über Ernährung sein (6). Metaphern können unter Umständen herbeigezogen werden, um die Situation zu veranschaulichen, so zum Beispiel die Möbelfabrik: Die Produktion ist eingeschränkt, nicht wegen eines Mangels an Holz und Rohmaterial (= Kalorien), sondern aufgrund von Defekten in den Maschinen (= Krebserkrankung), die verhindern, dass das Rohmaterial zu Möbeln (Muskelmasse) verarbeitet werden kann (12).
Assessment des AnorexieKachexie-Syndroms
Bei positivem Screeningresultat und nach Abschätzung der Auswirkungen des ACS können verschiedene Assessmentinstrumente eingesetzt werden, um die Problematik vertieft abzuklären. Wichtig ist zu verstehen, ob eine primäre oder eine sekundäre Anorexie-Kachexie vorliegt.
Primäres ACS Das primäre ACS ist charakterisiert durch einen katabolen Zustand mit gestörten neurohumoralen Regelkreisen auf der Basis eines chronisch entzündlichen Zustands (13). In Zukunft können möglicherweise, basierend auf Tiermodellen, verschiedene Subtypen des primären ACS unterschieden werden, die weitere Möglichkeiten für gezielte Therapieoptionen eröffnen würden (14).
Sekundäres ACS Viele Ursachen können bei Krebspatienten zu reduzierter oraler Nahrungsaufnahme führen (15). Systematische Untersuchungen über die Häufigkeit sekundärer Ursachen wurden kürzlich vorgestellt (16, 17). Funktions- oder Integritätsstörungen des Gastrointestinaltraktes – von oral bis anal – stellen die häufigsten Gründe für ein sekundäres ACS dar. Mukositis, Dysgeusie und Dysphagie bis hin zu chronischer, zum Teil opiatassoziierter Obstipation sind Beispiele der zahlreichen Ursachen, die bei Patientenbefragungen für eine reduzierte orale Nahrungszufuhr gefunden werden. Wichtig zu erwähnen ist, dass eine Grosszahl dieser sekundären Ursachen potenziell korrigierbar und somit viel einfacher behandelbar sind als das komplexe und direkt durch den Krebs
verursachte primäre ACS. Weitere sekundäre Ursachen können sein: verminderte Absorption von Nährstoffen (beispielsweise bei Pankreasinsuffizienz), schlecht eingestellte Schmerzzustände, ein unerkanntes hypoaktives Delirium und nicht zuletzt Diätfehler im Sinne einer zu gesunden Ernährung (nur Gemüse, Säfte oder Früchte) sowie soziale Gründe (niemand kocht) oder finanzielle Belastungen.
Vertiefte Abklärung und Entscheidungsfindung Noch fehlen nicht nur international gültige Definitionen für klinisch wichtige Aspekte des ACS, es müssen in Zukunft auch die Assessmentinstrumente für eine vertiefte Abklärung bei einem Patienten mit fortgeschrittenem Krebsleiden, der Gewicht verliert, erarbeitet werden. Neben der Evaluation von primären und sekundären Anteilen des Syndroms gilt es zum Beispiel, die Tumordynamik mit einzubeziehen, die anhand von Tumormarkern und Bildgebung abgeschätzt werden kann. Zudem wird die orale Nahrungszufuhr durch ein Ernährungsprotokoll (vorzugsweise über 3 Tage) erhoben und in Bezug auf Energie- und Eiweisszufuhr analysiert. Zur Erfassung des Ernährungsstatus können Laborwerte wie zum Beispiel Albumin herbeigezogen werden. Spurenelemente und Vitamine werden selten routinemässig bestimmt. Bei Patienten mit Bronchuskarzinom, welche regelmässig Vitamine und Spurenelemente einnahmen, wurde in einer retrospektiven Arbeit eine höhere Lebensqualität und ein längeres Überleben nachgewiesen als bei Kontrollpatienten (18). Für die Behandlung von Dysgeusie mit Zink liegen Studien mit unterschiedlichen Schlussfolgerungen vor (19, 20). Die Verschreibung von Vitamin- und Spurenelementpräparaten während der Chemotherapie wird aufgrund der antioxidativen Wirkungen und der damit möglichen Interaktionen mit den Chemotherapeutika kontrovers beurteilt (7). Nicht zuletzt gehört zur vertieften Abklärung auch das Gespräch über Belastungen des Patienten und der Angehörigen aufgrund des ACS wie beschrieben.
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Tabelle 1:
Prioritätendiskussion anhand des «P-Modells»
▲ Priorität des zu behandelnden Problems ▲ Preis der Intervention (Nebenwirkungen, Zeitaufwand) ▲ Probabilität (Wahrscheinlichkeit, dass die Intervention den Zustand bessert) ▲ Prognose (wie viel Zeit bleibt dem Patienten, was ist über die Krankheitsdynamik bekannt?) ▲ Prävention (Verhindern künftiger Komplikationen durch die Intervention u.a.) ▲ Präferenz des Patienten
scher Organe (z.B. Leber, Hirn), kann eine parenterale Ernährung sinnvoll sein (25). Liegt jedoch eine fortgeschrittene Tumorsituation mit aktivierter Entzündung und kataboler Stoffwechsellage vor, so wird die Kalorienzufuhr unabhängig vom Applikationsweg keine Gewichtszunahme erreichen können, zudem müssen erhebliche Nebenwirkungen in Kauf genommen werden (26).
Tabelle 2:
Interventionen bei ACS
▲ Behandlung des primären ACS (tumorspezifische Massnahmen) ▲ Behandlung von sekundären, potenziell korrigierbaren Ursachen ▲ Ernährungsberatung, Supplemente oder parenterale Ernährung in ausgewählten Fällen ▲ Verbesserung der körperlichen Aktivität ▲ Psychosoziale Beratung ▲ Behandlung assoziierter Symptome (z.B. Depression, Atemnot)
Prioritätensetzung und Zielvereinbarung Bei fortgeschrittenen Krebsleiden treten Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust häufig nicht allein auf, vielmehr erschweren weitere Probleme, wie beispielsweise schlecht kontrollierte Schmerzen oder zunehmende Müdigkeit, die Situation. Die fortschreitende Krankheit bedingt Gespräche über weitere Therapiemöglichkeiten, aber auch über den nahenden Tod, und setzt den Patienten und die Angehörigen psychosozialen, unter Umständen auch existenziellen Belastungen aus (6). Eine gemeinsam mit dem Patienten und den Angehörigen definierte Liste von Problemen kann in solchen Situationen die Planung des weiteren Vorgehens erleichtern. Nichtsomatische Probleme wie Trauer oder Angst sollten durchaus Platz auf einer solchen Prioritätenliste haben (21). In schwierigen Situationen – wenn die einzelnen Probleme betreffend Priorität zu gewichten sind – kann sich das sogenannte P-Modell als hilfreich erweisen (Tabelle 1). Wenn Interventionen eingeleitet werden, sollen wenn immer möglich mit dem Patienten die Ziele (z.B. vermehrter Appetit, täglicher Stuhlgang), der Zeitraum, in dem diese erreicht werden sollen, sowie der Behandlungsplan besprochen werden. Optimal ist es, ein
multidisziplinäres Team einzubeziehen (aus Pflegefach, Ernährungsberatung, Physiotherapie, Psychoonkologie), sodass auf verschiedenen Ebenen Massnahmen in die Wege geleitet werden können (Tabelle 2) (22). Die Pharmakotherapie stellt nur eine Säule der Therapieoptionen des ACS dar.
Ernährungstherapie Ernährungstherapeutische Massnahmen allein können den Gewichtsverlust bei Krebspatienten in den allermeisten Fällen nicht rückgängig machen, was aufgrund der komplexen Pathophysiologie nachvollziehbar erscheint (23). Individuelle Ernährungsberatung kann jedoch zu einer verbesserten oralen Nahrungszufuhr und proportional zu verbesserter Lebensqualität führen (24). Wenn die Kalorienzufuhr erhöht werden soll, sind erstens die Ernährungsberatung mit Fokus auf Verbesserung der Energie- und Eiweisszufuhr und zweitens die orale Ergänzungsnahrung Methoden der Wahl. Bei Patienten mit intakter Funktion des Gastrointestinaltrakts kann das Konzept der «cognitive control» hilfreich sein, das heisst: Patienten haben gelernt zu essen trotz reduziertem oder fehlendem Hungergefühl («Essen mit dem Kopf»). In ausgewählten Fällen, zum Beispiel bei chronischer inoperabler maligner Darmpassagestörung ohne Beteiligung kriti-
Pharmakotherapeutische Möglichkeiten
In der Folge werden einige häufig verwendete und in Studien untersuchte Medikamente besprochen.
Kurzfristige Effekte durch Kortikosteroide Kortikosteroide wurden in mehreren Studien untersucht, wobei eine Verbesserung des Appetits und der oralen Nahrungszufuhr sowie der Lebensqualität teilweise nachgewiesen werden konnte. Da Dosis und Art der Steroide in den verschiedenen Studien unterschiedlich waren, kann wenig ausgesagt werden über die optimale Dosierung und Dauer einer Steroidtherapie. Allgemein kann eine kurzfristige Verbesserung des Appetits und des Wohlbefindens für zwei bis vier Wochen erreicht werden. Anschliessend überwiegen jedoch die Nebenwirkungen (proximal betonte Myopathie, diabetogene Stoffwechsellage, erhöhtes Risiko für Infektionen), und der positive Effekt der Steroide nimmt rasch ab. Somit können Steroide nur für den kurzfristigen Einsatz, beispielsweise vor wichtigen Lebensereignissen, und nach sorgfältiger Patienteninformation empfohlen werden (27).
Progestine für Appetitverbesserung Synthetische Progesteronderivate, sogenannte Progestine (Megestrolacetat oder Medroxyprogesteronacetat), wurden in vielen Studien untersucht und führten reproduzierbar und dosisabhängig zu Appetitstimulation und Gewichtszunahme bei Patienten mit fortgeschrittenem Krebsleiden. Die pathophysiologische Erklärung beruht hypothetisch auf dem Einfluss auf die proinflammatorischen Zytokine und den Fettmetabolismus. Bei niedrigen Dosierungen kann insbesondere eine Appetitverbesserung, bei
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höherer Dosis auch eine Gewichtszunahme (vor allem Fett) erreicht werden. Vor Einsatz von Progestinen muss das Nebenwirkungsprofil abgeschätzt werden, wobei insbesondere die thromboembolischen Ereignisse (bis zu 5%), arterielle Hypertonie und Nebennierenrindensuppression (28) nicht ausser Acht gelassen werden dürfen. Sind behandelbare sekundäre Ursachen ausgeschlossen, können bei persistierender Appetitlosigkeit Progestine eingesetzt werden (27).
Thalidomid Aufgrund der pathophysiologischen Grundlage wurde eine positive Wirkung von Thalidomid auf das primäre ACS vermutet. Wegen der Nebenwirkungen (Neuropathie, kognitive Einschränkung, Obstipation) werden die Resultate einer ersten kleinen Studie, die einen positiven Effekt in Bezug auf eine Stabilisierung des Gewichts zeigten, von weiteren Studien abhängig gemacht (29).
Prokinetika Prokinetika können insbesondere bei Patienten mit vorwiegend beeinträchtigter oberer gastrointestinaler Motilität von Nutzen sein. Positive Effekte wurden insbesondere bei frühem Sättigungsgefühl (early satiety) oder chronischer Nausea nachgewiesen. Es konnte jedoch noch keine systematische Verbesserung des Appetits oder der oralen Kalorienzufuhr nachgewiesen werden (30).
Fischöl oder Omega-3-Fettsäuren Fischöl enthält unter anderem EPA (Eicosapentaensäure), was zu einer Suppression der Akutphaseproteinproduktion inklusive deren Mediatoren (Interleukin-6) führen kann (31). In einer plazebokontrollierten Studie mit 60 Patienten, die entweder Kapseln mit Fischöl oder Plazebo erhielten, konnte keine Verbesserung von Appetit oder oraler Nahrungszufuhr nachgewiesen werden (32). In einer weiteren plazebokontrollierten Studie fand sich insgesamt kein Vorteil für die Produkte mit Omega-3-Fettsäuren im Vergleich mit anderen Nahrungssupplementen. Interessanterweise konnte aber bei Patienten mit erhöhten Blutspiegeln eine leichte Gewichtszu-
nahme unter Omega-3-Fettsäure-Zufuhr dokumentiert werden, was zumindest einen dosisabhängigen Effekt vermuten lässt (33). Eine Kombinationsstudie von EPA mit Progestinen führte in der Kombination nicht zu einer Verbesserung von Gewicht oder Appetit, verglichen mit Progestinen allein (34). Eine kürzlich publizierte plazebokontrollierte, doppelblinde Arbeit mit 518 Patienten, die 2 g oder 4 g EPA oder Plazebo erhielten, konnte ebenfalls keinen statistisch signifikanten Vorteil betreffend Gewicht oder Nahrungszufuhr im Vergleich zu Plazebo dokumentieren (35). Zusammengefasst kann der generelle Gebrauch von EPA-haltigen Nahrungssupplementen nicht begründet werden. Selektionierte Patienten können aber allenfalls davon profitieren. Möglicherweise könnten dabei Blutspiegelbestimmungen hilfreich sein.
Zyklooxygenaseinhibitoren Aufgrund des bei vielen Tumorpatienten nachgewiesenen schwelenden Entzündungszustands wurden Studien mit Zyklooxygenaseinhibitoren durchgeführt. Die Resultate von kleinen Studien rechtfertigen jedoch nicht den breiten Einsatz von nichtsteroidalen Antirheumatika. In einer Studie mit 73 Patienten, randomisiert auf Progestine und Plazebo versus Progestine und Ibuprofen, zeigte die Kombinationstherapie jedoch eine vielversprechende Stabilisierung des Gewichtsverlusts und eine Verbesserung der Lebensqualität (36). Der breite Einsatz von Zyklooxygenaseinhibitoren kann
nicht empfohlen werden, und es sind Nebenwirkungen, namentlich Niereninsuffizienz und gastrointestinale Blutungen, in der Beurteilung vor Einsatz einer solchen Therapie mit einzubeziehen.
Cannabinoide Trotz ihres appetitstimulierenden Potenzials konnte in einer kürzlich vorgestellten Arbeit mit 240 Patienten keine Verbesserung des Appetits oder der Lebensqualität durch den Einsatz von Cannabisextrakten erreicht werden (37). Möglicherweise führen Cannabinoide – wie pathophysiologisch vermutet werden kann – zu einer zentralen Appetitstimulation, hemmen jedoch die periphere gastrointestinale Motilität, was den positiven Effekt der Appetitstimulation wieder aufheben würde. Es bleibt abzuwarten, ob in Zukunft Patientengruppen identifiziert werden können, die von einer Therapie mit Cannabinoiden profitieren (38).
Ausblick auf neue Substanzen Melatonin hat in zwei Studien zwar eine Gewichtsstabilisierung erreicht, jedoch keine Verbesserung des Appetits oder der oralen Nahrungszufuhr (27). Ein natürliches Magenhormon, Ghrelin, hat in Tiermodellen zu Gewichts- und Muskelmassenzunahme geführt. Resultate einer ersten Phase-I/II-Studie mit i.v.Ghrelin wurden am ASCO 2006 vorgestellt. Ziel der Studie war zunächst, die Sicherheit und Verträglichkeit der Ghrelinbehandlung zu untersuchen. Dazu erhielten 21 Patienten einmal wöchentlich
Merkpunkte
Management des Anorexie-Kachexie-Syndroms
▲ Mit einem einfachen Screening (Gewichtsverlust, Appetitverlust, reduzierte orale Nahrungszufuhr) können ACS und dessen Auswirkungen erfasst werden.
▲ Die primäre Ursache des ACS beruht auf dem Tumor und den von ihm sezernierten Produkten sowie einer Begleitentzündung und führt zu komplexen metabolischen und neuroendokrinen Veränderungen.
▲ Die Behandlung des primären ACS erfolgt mit tumorspezifischen antineoplastischen Massnahmen. ▲ Sekundäre potenziell behandelbare Ursachen sollten immer erhoben und der Patient einer ursa-
chenzentrierten Therapie zugeführt werden. ▲ Die Behandlung des ACS erfordert einen multidisziplinären Ansatz mit Verbesserung der körperli-
chen Aktivität, Ernährungsberatung, psychosozial-existenzieller Beratung und nicht zuletzt medikamentösen Massnahmen in ausgewählten Fällen.
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Ghrelin i.v. für zwei Wochen. Nahrungsaufnahme und nahrungsabhängige Symptome unterschieden sich nicht von den Tagen, an denen Patienten Ghrelin erhielten, und jenen, an denen sie mit Plazebo behandelt wurden (double crossover-design). Ghrelin wurde jedoch gut toleriert und konnte ohne Nebenwirkungen sicher appliziert werden (39). In weiteren Studien wird es nun darum gehen, Appetit und/oder Gewichtszunahme nach Ghrelingabe zu untersuchen. Die Resultate werden mit Spannung erwartet.
Es bleibt abzuwarten, ob verbesserte An-
sätze zur Klassifikation von Anorexie und
Kachexie bei Krebspatienten sowie die
Subtypisierung der primären Anorexie
und Kachexie Grundlagen für neue Stu-
dien und in der Folge gezielter Interven-
tionen sein können. Verschiedene Stu-
dien untersuchen Substanzen mit
potenziell positiver Wirkung auf Appetit
und Gewicht, beispielsweise Oxandro-
lon, MC4-Rezeptorantagonist, Antimyo-
statin-Antikörper, TNF-alpha-Inhibitoren,
ATP und andere.
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Dr. med. Florian Strasser (Korrespondenzadresse) Leiter Onkologische Palliativmedizin Kantonsspital 9007 St. Gallen E-Mail: florian.strasser@kssg.ch
und
Dr. med. Aurelius Omlin Onkologische Palliativmedizin Kantonsspital 9007 St. Gallen
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