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Neue Therapien
49. Jahrestreffen der American Society of Hematology (ASH), Atlanta, 8. bis 11. Dezember 2007
Indolente und aggressive Lymphome/CLL
CLL: Ziel in Richtung kurative Therapie
Entwicklungen in der Behandlung der chronischen lymphatischen Leukämie (CLL) standen im Fokus eines CLL-Symposiums: Biologische und genetische Marker zur Risikoabschätzung und als Therapiegrundlage sowie die Bedeutung der MRD-Negativität als Grundlage für eine mögliche kurative Behandlung sind Gegenstand ak-
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tueller Therapiestudien. Dabei haben Therapien mit Alemtuzumab (MabCampath ) bisher unerreicht gute Remissionen gezeigt.
Wie Dr. med. Susan O’Brien, Houston/USA und Dr. med. Martin Dyer, Leicester/UK erläuterten, gilt die CLL bis heute als unheilbare indolente Erkrankung mit langsamem Verlauf. Das Durchschnittsalter bei Diagnose beträgt 65 bis 70 Jahre, ein grosser Teil der Patienten ist zu diesem Zeitpunkt asymptomatisch.
First-line-Therapien: vielversprechende neue Ansätze
In einer Studie der französischen GCFLLC/MW-Studiengruppe konnte kein Unterschied im Überleben bei unbehandelten Patienten im Vergleich zu Patienten unter Chlorambucil gezeigt werden (1). Darauf basierend ist ein «watch and wait» bei Patienten im frühen Erkrankungsstadium und ohne Progressionszeichen nach wie vor eine gängige Therapieoption, so die Referenten. Die Bedeutung früher Kombinationstherapien ist derzeit Gegenstand mehrerer laufender Studien. Durch neue biologische und genetische Analysen ist heute eine präzisere Risikoabschätzung der CLL möglich geworden. Diese ermöglicht in zunehmendem Masse eine risikoadaptierte Behandlung (8–10). Als bisheriges Therapieziel galt das Erreichen einer kompletten Remission (CR). Mit modernen First-line-Therapien kann jedoch neuerdings bei einem beträchtlichen Teil der Patienten die CLL bis unter die molekulare Nachweisgrenze eliminiert werden (sogenannte MRD-Negativität, MRD = minimal residual disease), was möglicherweise eine wichtige Voraussetzung für Langzeitremissionen dar-
stellt und die Überlebenschance der Patienten zu verbessern scheint (13). Prospektive kontrollierte Studien sind erforderlich, um die Korrelation von MRD-Negativität und verzögerter Progression der Erkrankung zu verifizieren und deren therapeutische Bedeutung endgültig zu klären. Aufgrund guter Ansprechraten und verlängerter Remissionszeit galt seit Ende der Neunzigerjahre die Fludarabin-Monotherapie als Standard bei unbehandelter CLL (2). Später wurden in drei grossen randomisierten Studien mit der Kombination von Fludarabin und Cyclophosphamid (FC) noch höhere Ansprechraten sowie ein progressionsfreies Überleben (PFS) von drei bis vier Jahren erreicht, und FC wurde zum «Goldstandard» erklärt (3–5). Die weitere Kombination mit Rituximab und FC (FCR) lieferte bislang vielversprechende Resultate – mit CR-Raten von bis zu 73% und einem PFS von median nahezu sechs Jahren (6). Ein direkter Vergleich von FC und FCR ist derzeit Gegenstand laufender Studien. In einer kürzlich publizierten First-line-Studie erwies sich Alemtuzumab mit einem Gesamtansprechen von 83% (CR 24%) und einem medianen PFS von 15 Monaten gegenüber Chlorambucil überlegen (7). Laut Dyer eröffnen sich mit Alemtuzumab neue therapeutische Ansätze: Unter dieser Therapie könnten bisher unerreicht gute Remissionen im Knochenmark erzielt werden, sogar bei vorliegender p53-Mutation. Die Wirksamkeit der Kombination von Alemtuzumab und FC (FCA) für Hochrisikopatienten wird derzeit in laufenden Studien untersucht.
Prognostische Marker als Therapiegrundlage
Die Entwicklung risiko- und altersadaptierter Therapiestrategien auf der Basis prognostischer Faktoren stellt derzeit die grösste Herausforderung in der klinischen Forschung bei CLL dar. Neben den bisherigen Faktoren wie Ausbreitungsstadium bei Diagnose, Verdoppelungszeit der Blutlymphozyten oder Serumb2-Mikroglobulin-Konzentration konnten mittlerweile verschiedene weitere Risikofaktoren identifiziert werden, die nachweislich mit einer schlechteren Prognose einhergehen, so Dr. med. Stephan Stilgenbauer, Ulm/D und Dr. med. Mark Weiss, New York/USA. Dazu zählen der IgVH-Mutationsstatus, die molekularen Expressionsmarker CD38 und ZAP70 sowie die genetischen FISH-Anomalien (17p- und 11q-Deletion).
Schlechteste Prognose bei 17p-Deletion In einer der (gemäss Weiss) wohl bedeutendsten CLL-Studien des letzten Jahrzehnts zeigten Döhner und Kollegen eindrucksvoll, dass die verschiedenen FISHAnomalien mit einem unterschiedlich langen Überleben assoziiert sind (8). Dabei weist die 17p-Deletion die ungünstigste Prognose auf, gefolgt von der 11qDeletion (Abbildung 1). Laut Stilgenbauer scheinen die FISH-Anomalien die ersten Marker zu sein, die mit der Biologie und klinischen Präsentation der CLL am ehesten korrelieren. So wird bei Patienten mit besonders grossen Lymphomen («bulky disease») in den meisten Fällen auch eine 11q-Deletion gefunden. Gemäss den Daten von Kröber und Kollegen ist das Risiko eines unmutierten VH-Status mit dem einer 11q-Deletion vergleichbar (9). Im Gegensatz zum VH-Mutations-Status sind die genomischen FISH-Aberrationen jedoch nicht stabil und können sich mit fortschreitender Erkrankung verschlechtern, so Stilgenbauer.
Gesamtüberleben bisher unbeeinflusst Weiss kritisierte, dass mit aggressiveren Chemotherapien zwar generell höhere
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Ansprechraten und längere Remissionen erreicht werden, bislang jedoch kein Überlebensvorteil durch die eine oder andere Therapie nachgewiesen werden konnte. In der CLL4-Studie der DCLLSGGruppe wurde beispielsweise mit dem FC-Regime als First-line-Therapie verglichen mit Fludarabin eine signifikant höhere Gesamtansprechrate erzielt. Das PFS wurde um mehr als das Zweifache verlängert (3). Beim Gesamtüberleben zeigten sich aber keine Unterschiede. Obwohl die Krankheitsprogression bei 11q-Deletion und unmutiertem VH-Status mit einer Fludarabin-Kombinationstherapie (FC und potenziell auch FCR) verbessert werden kann, zeigten die deutsche CLL4- und die amerikanische Intergroup-Studie, dass Patienten mit einer 17p-Deletion von einer solchen nicht oder nur sehr kurzfristig profitieren können (3, 10). So beträgt das Gesamtüberleben bei Patienten mit 17p-Deletion nach fludarabinbasierter First-line-Therapie im Schnitt nur 1,5 Jahre. Diese Hochrisikogruppe benötigt daher dringend alternative Behandlungsstrategien, wie beispielsweise Alemtuzumab, allogene Stammzelltransplantation oder auch andere Wirkstoffe wie Flavopiridol oder Lenalidomid, welche derzeit noch in Entwicklung stehen, so Stilgenbauer.
Abbildung 1: FISH-Anomalien als prognostischer Wert für das Überleben von CLL-Patienten (8).
Alemtuzumab auch bei 17p-Deletion effektiv
Die deutsche CLL2H-Studie zur Therapie fludarabinrefraktärer Patienten mit Alemtuzumab zeigte auch bei 17p-Deletion gutes Ansprechen (11) (Abbildung 2). Im Gegensatz zu den Studien mit fludarabinbasierten Therapieregimen war bei der Therapie mit Alemtuzumab die Remissionsdauer gegenüber den anderen Hochrisikogruppen nicht verkürzt. Dass Alemtuzumab bei Patienten mit 17p-Deletion effektiv ist, wurde auch durch andere Studien bestätigt (7, 12). Die so erreichten Remissionen sind allerdings noch vergleichsweise relativ kurz, sodass laut Stilgenbauer eine Konsolidierungsbehandlung anzustreben wäre. Daneben bietet die allogene Stammzelltransplantation nach dosisreduzierter Vorbehandlung alternative Perspektiven, wie die CLL3X-Studie von Dreger und Kollegen zeigte.
Abbildung 2: Ansprechraten von Alemtuzumab bei fludarabinrefraktären Patienten (max. Anz. Vorbehandlungen = 5), stratifiziert nach genetischen Risikofaktoren (11).
MRD-Negativität: neues Ziel in Richtung Kuration
In der Therapie der CLL findet derzeit ein Paradigmenwechsel statt – weg von der Palliation hin in Richtung kurative Behandlung. Dabei dürfte die sogenannte MRD-Negativität, das heisst die Elimination der minimalen Resterkrankung (MRD = minimal residual disease), eine entscheidende Rolle spielen. Wie Dr. med. Alessandra Ferrajoli, Houston/USA, erklärte, kann bei Patienten mit einer Komplettremission (CR) der Anteil von Tumorzellen im Knochenmark nach wie vor bei bis zu 5% liegen, da gemäss den aktuellen Kriterien des National Cancer Institutes für eine CR bis zu 30% Lymphozyten in der Knochenmarkbiopsie zulässig sind. Für die Prognose dürfte je-
doch gerade die MRD-Elimination ein wichtiger Faktor sein. Die beiden sensitivsten Methoden zum Nachweis sehr niedriger MRD-Level sind die Vier-Farben-Durchflusszytometrie (neu auch Fünf-Farben-Durchflusszytometrie) und die ASO-PCR (Allel-spezifische Oligonukleotid-Polymerase-Kettenreaktion). Patienten, welche MRD-Negativität erreichen, können mit einem längeren progressionsfreien Verlauf und einer höheren Gesamtüberlebenszeit rechnen. Am eindrücklichsten zeigte dies die Studie von Moreton und Kollegen, bei der 91 Patienten mit fludarabinrefraktärer oder rezidivierter CLL bis zur «best response» mit Alemtuzumab therapiert wurden (13). Die Ansprechrate lag bei 54%, wovon 35% eine CR erreichten. Bei 20% wurde
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Abbildung 3: Moreton-Studie. Gesamtüberleben bei F-refraktären oder relapsierten CLL-Patienten in Abhängigkeit vom MRD-Status (CR = komplette Remission, PR = partielle Remission).
MRD-Negativität erreicht (gemessen mit Vier-Farben-Durchflusszytometrie), was mit einem signifikant längeren Überleben korrelierte. In der Gruppe der MRDnegativen Patienten wurde die mediane Überlebensdauer nach fünf Jahren noch nicht erreicht. Dagegen betrug das mediane Überleben bei Patienten mit positivem MRD-Status nur gerade 19 Monate (Abbildung 3). Mehrere Studien weisen auch darauf hin, dass eine Konsolidierung mit Alemtuzumab nach einer fludarabinbasierten Induktionstherapie zu einer deutlichen Verbesserung der CR-Rate führt und eine minimale Resterkrankung damit teilweise eliminiert werden kann (14–16). So zeigten zum Beispiel Montillo und Kollegen bei Respondern auf eine fludarabinbasierte Induktionstherapie eine Erhöhung der CR-Rate von 35% (nach Induktion) auf über 79% (nach Konsolidierung mit Alemtuzumab) (15). Problematisch ist jedoch in Abhängigkeit vom gewählten Therapieregime teilweise eine erhöhte Komplikationsrate, wobei insbesondere vermehrt Grad-3- bis -4-Infekte auftreten können. Laut Ferrajoli kann allerdings bei MRDnegativen Patienten vorerst noch nicht von Heilung gesprochen werden, da auch bei diesen Patienten früher oder später wieder CLL-Zellen nachweisbar sind. Die beiden Referenten waren sich einig, dass die vorliegenden Studiendaten noch nicht generalisierbar seien und der MRD-Status ausserhalb klini-
scher Studien derzeit noch nicht zum
Therapieentscheid herangezogen wer-
den kann. Erst müsse die optimale Kon-
solidierungstherapie mit Alemtuzumab
klarer definiert sein (Dosis, Route, Dauer,
Intervalllänge zwischen Initialtherapie
und Konsolidierungsbeginn) sowie der
MRD-Nachweis standardisiert werden
(17). Für beide Referenten steht fest: Das
Erreichen der MRD-Negativität kann
zwar noch nicht mit einer Heilung gleich-
gesetzt werden – doch die Richtung
stimmt.
▲
Gerhard Emrich
Quelle:
Satellitensymposium «Great Debates in CLL – Facing Today’s Controversies and Tomorrow’s Challenges», anlässlich des 49th Annual Meeting of the American Society of Hematology, 7. Dezember 2007, Atlanta, organisiert von Imedex, LCC.
Referenzen:
1. Dighiero G et al.: Chlorambucil in indolent chronic lymphocytic leukemia. French Cooperative Group on Chronic Lymphocytic Leukemia. NEJM 1998; 338: 1506–1514.
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3. Eichhorst B et al.: Fludarabine plus cyclophosphamide versus fludarabine alone in first-line therapy of younger patients with chronic lymphocytic leukemia. Blood 2006; 107: 885–891.
4. Catovsky D et al.: Assessment of fludarabine plus cyclophosphamide for patients with chronic
lymphocytic leukaemia (the LRF CLL4 Trial): a randomised controlled trial. Lancet 2007; 370: 230–239.
5. Flinn IW et al.: Phase III trial of fludarabine plus cyclophosphamide compared with fludarabine for patients with previously untreated chronic lymphocytic leukemia: US Intergroup Trial E2997. J Clin Oncol 2007; 25: 793–798.
6. Keating MJ et al.: Early results of a chemoimmunotherapy regimen of fludarabine, cyclophosphamide, and rituximab as initial therapy for chronic lymphocytic leukemia. J Clin Oncol 2005; 23: 4079–4088 (Update 2007).
7. Hillmen P et al.: Alemtuzumab compared with chlorambucil as first-line therapy for chronic lymphocytic leukemia. J Clin Oncol 2007; 25: 5616– 5623.
8. Döhner H et al.: Genomic aberrations and survival in chronic lymphocytic leukemia. NEJM 2000; 343: 1910–1916.
9. Kröber A et al.: V(H) mutation status, CD38 expression level, genomic aberrations, and survival in chronic lymphocytic leukemia. Blood 2002; 100: 1410–1416.
10. Grever MR et al.: Comprehensive assessment of genetic and molecular features predicting outcome in patients with chronic lymphocytic leukemia: results from the US Intergroup Phase III Trial E2997. J Clin Oncol 2007; 25: 799–804.
11. Stilgenbauer L et al.: Subcutaneous Campath1H (Alemtuzumab) in Fludarabin-refractory CLL: Interim Analysis of the CLL2H Study of the German CLL Study Group (GCLLSG). ASH 2004; Abstract 478.
12. Lozansky G et al.: Alemtuzumab is an effective therapy for chronic lymphocytic leukemia with p53 mutations and deletions. Blood 2004; 103: 3278– 3281.
13. Moreton P et al.: Eradication of minimal residual disease in B-cell chronic lymphocytic leukemia after alemtuzumab therapy is associated with prolonged survival. J Clin Oncol 2005; 23: 2971–2979.
14. O’Brien S et al. Alemtuzumab as treatment for residual disease after chemotherapy in patients with chronic lymphocytic leukemia. Cancer 2003: 98: 2657–2663.
15. Montillo M et al.: Alemtuzumab as consolidation after a response to fludarabine is effective in purging residual disease in patients with chronic lymphocytic leukemia. J Clin Oncol 2006; 15: 2337– 2342.
16. Wendtner CM et al.: Consolidation with alemtuzumab in patients with chronic lymphocytic leukemia (CLL) in first remission-experience on safety and efficacy within a randomized multicenter phase III trial of the German CLL Study Group (GCLLSG). Leukemia 2004; 18: 1093–1101.
17. Rawstron AC et al.: International standardized approach for flow cytometric residual disease monitoring in chronic lymphocytic leukaemia. Leukemia 2007; 21: 956–964.
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