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KONGRESSBERICHT
40. Jahreskongress der American Society of Clinical Oncology (ASCO), New Orleans, 5. bis 8. Juni 2004
News vom ASCO 2004: Patient Care
Auf dem diesjährigen Jahreskongress der American Society of Clinical Oncology (ASCO) wurde ein wachsendes Interesse am Hauptthema «Patient Care» deutlich, dem 280 Beiträge gewidmet waren. In diesem Bericht werden die meisten mündlichen Präsentationen zur Thematik (aus «Oral Session» und «Best of ASCO») zusammengefasst und kommentiert.
ROMAN INAUEN, FLORIAN STRASSER
«Patient Care» wird von der ASCO in fünf Gruppen unterteilt: Cancer In Older Patients, Cancer-Related Complications, End-of-Life Care, Quality Of Life Management und Supportive Care. Die European Association of Medical Oncology (ESMO) gruppiert diese Bereiche in Geriatric Oncology, Palliative Care, Psychosocial Oncology und Supportive Care. Im Schweizer Institut für Angewandte Krebsforschung (SIAK) bearbeiten zwei Arbeitsgruppen die Bereiche «Symptom Control & Palliative Cancer Care» sowie «Elderly Patients». Supportive-Care-Themen werden ferner in den «krankheitsorientierten Projekt- und Arbeitsgruppen» bearbeitet.
Androgenblockade: an die Knochen denken
In einer Studie von Krupski et al. (Abstract 8000) wurden insgesamt 4494 Patienten mit einer kompletten Androgenblockade bei Prostatakarzinom über neun Jahre verfolgt und ein Risikoprofil hinsichtlich Osteoporose und Knochenfrakturen erstellt. Kaukasier hatten interessanterweise generell ein signifikant erhöhtes Risiko für alle Frakturtypen. Ein Alter über 85 Jahre (p = 0,03) und Knochenmetastasen (p = 0,001) waren mit einer signifikanten Erhöhung pathologischer Frakturen verbunden; die Dauer der Androgenblockade (p < 0,001), ein Alter über 81 Jahre (p = 0,05) und kardiovaskuläre Ko-Morbidität (p = 0,001) waren mit nichtpathologischen Frakturen assoziiert. Die Autoren folgern, dass die Androgenblockade ein grösseres Komplikationsrisiko darstellt als bisher angenommen (pathologische Frakturen 16%; Osteoporose/Osteopenie 30%; nichtpathologische Frakturen 42%).
Mammakarzinom: Folgen der Chemoadjuvanz
Eine kanadische Gruppe beschrieb 2003, dass Patientinnen mit adjuvanter Chemotherapie bei Mammakarzinom signifikant häufiger unter Müdigkeit (Fatigue) und menopausalen Symptomen (p < 0,0001) sowie mässig bis schwerer kognitiver Dysfunktion leiden (p < 0,008) als eine gesunde Vergleichsgruppe (J. Clin. Oncol. 2003; 22, 4175– 4183). Auf dem ASCO-Kongress wurden die 1- beziehungsweise 2-Jahres-Verlaufsdaten vorgestellt (Abstract 8001): Die betroffenen Brustkrebspatientinnen zeigten im Follow-up eine signifikante Verbesserung in allen gemessenen Bereichen (Kognition, p < 0,0003; Lebensqualität und Müdigkeit, je p < 0,0001) und hatten grundsätzlich weniger endokrinologisch assoziierte Beschwerden (p < 0,03) als im Therapiezeitraum. Ausnahme: Es persistierte ein signifikanter Unterschied bezüglich der Müdigkeit während mindestens eines Jahres und der menopausalen Symptome während zweier Jahre (je p < 0,0001). Der Vergleich mit Patientinnen unter Tamoxifentherapie (50,6%) ergab, dass sich bei diesen die menopausale Symptomatik (p < 0,008) und die Müdigkeit (p = 0,06) weniger verbesserten, die kognitive Funktion (p = 0,03) dagegen ausgeprägter. Die Referenten betonten, dass postmenopausale Symptome wie auch die Müdigkeit für die Lebensqualität der Patientinnen nicht zu unterschätzen seien, und forderten entsprechende weitere Studien.
SCLC: Neutropenieprophylaxe
Die febrile Neutropenie ist eine Hauptkomplikation bei Patienten mit kleinzelligem Bronchialkarzinom (SCLC). Neben
G-CSF (Filgrastrim) sind auch Antibiotika (AB) zur Prävention wirksam und kosteneffektiv. In einer multizentrischen, randomisierten Phase-III-Studie wurde der Stellenwert einer kombinierten Primärprophylaxe (AB plus G-CSF) untersucht (Timmer-Bonte, J. et al.: Abstract 8002). Insgesamt 171 Patienten, entweder solche mit «SCLC-limited disease», aber schlechten prognostischen Faktoren (= performance status [PS] 2–3, Alter > 60 Jahre oder einer kombinierten Radio-/ Chemotherapie nicht zugänglich), oder Patienten mit «extensive disease», wurden randomisiert. Sie erhielten eine primäre Prophylaxe mit AB allein (= Ciprofloxacin 500 mg plus Roxithromycin 150 mg, 2 x/Tag, Tag: 4–13) oder die ABKombination plus G-CSF (Filgrastim 5 (/kg/Tag, Tag 4–13). Die Chemotherapie bestand aus Cyclophosphamid (1000 mg/m2, Tag 1), Doxorubicin (45 mg/m2, Tag 1) und Etoposid (100 mg/m2, Tag 1–3), i.v., alle drei Wochen, fünf Zyklen. Durch Kombination von AB und G-CSF konnte die Inzidenz der febrilen Neutropenie im ersten Zyklus signifikant, um 50 Prozent, gesenkt werden. Es wurde diskutiert, dass insbesondere bei Patienten mit «extensive disease» das Alter einen wichtigen Risikofaktor darstellt.
Docetaxel: Prophylaxe der Nageltoxizität
In einer multizentrischen Fallkontrollstudie (Scotte, F. et al., Abstract 8003) wurden die Effektivität und Sicherheit einer Anwendung von gekühlten Handschuhen zur Prävention von Onycholyse und Handtoxizität bei Behandlung mit Docetaxel untersucht. 45 Patienten, welche Docetaxel (75 mg/m2, 1 h i.v., alle 3 Wochen) isoliert oder in Kombination erhielten, trugen während 90 Minuten (15 min
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vor, während und 15 min nach der Therapie) den gekühlten Handschuh an der rechten Hand, die linke diente als Kontrolle. Die Dokumentation der Onycholyse und Handtoxizität erfolgte in jedem Zyklus mittels Fotografie und eines standardisierten Assessments: An der behandelten Hand traten signifikant weniger Onycholysen (Grad 0: 89% vs. 49%; Grad 1–2: 11% vs. 51%) und Handtoxizität (Grad 0: 73% vs. 41%; Grad 1–2: 27% vs. 59%) auf. 5 Patienten (11%) zeigten im behandelten Areal eine Kälteintoleranz. Es bleibt offen, ob die häufig praktizierte Prophylaxe mit Eiswasser nicht ebenso wirksam ist wie der (teurer vermarktete) Kühlhandschuh.
Terminalstadium: Hydrierung
E. Bruera et al. (Abstract 8004) gingen in einer plazebokontrollierten, multizentrischen, internationalen Studie der Frage nach, ob eine parenterale Hydratation bei terminalen Patienten die Hauptsymptome Halluzinationen, Myoklonus, Fatigue und Sedation verbessern kann. Hierzu wurden 51 Patienten mit milder bis mässiger Dehydratation (definierte Kriterien) und einer oralen Einnahme von weniger als 1000 ml/Tag randomisiert. Sie erhielten entweder eine Hydratation in Form von 1000 ml einer normalen Infusionslösung s.c./i.v. oder Plazebo (100 ml Infusionslösung) über vier Stunden an zwei Tagen. Neben den genannten Hauptsymptomen wurden der Allgemeinzustand zu Beginn und am Ende des zweiten Tages sowie der Behandlungserfolg durch Patient und Arzt beurteilt. Im 1000-ml-Arm zeigte sich eine signifikante Verbesserung der Hauptsymptome (73% vs. 49%; p = 0,005). Die Patienten wiesen eine signifikante Verbesserung der Myoklonien (83% vs. 47%; p = 0,03) und Sedation (83% vs. 33%; p = 0,005) auf. Keine Signifikanz bestand hingegen bezüglich Halluzinationen und Fatigue. Diese Studie unterstützt die Indikation der moderaten s.c./i.v.-Flüssigkeitstherapie bei terminalen Patienten, wenn damit potenziell die kognitive Funktion verbessert werden kann.
Parenterale Opiate und respiratorische Funktion
In einer prospektiven Studie von S. B. Legrand et al. (Abstract 8005) wurde die
Ventilationsfunktion bei Krebspatienten untersucht, welche zur Schmerzeinstellung parenteral Opioide erhielten. Es wurden 23 nicht O2-bedürftige Patienten mit normaler kognitiver Funktion eingeschlossen und täglich die Messgrössen end-tidales CO2, O2-Sättigung, Atemfrequenz, Vitalparameter und Deliriumscale während der Titration und nach Schmerzeinstellung erhoben, zusätzlich erfolgte am Studienende noch eine Spirometrie. Bei allen Patienten persistierte die O2-Sättigung (≥ 92%); das mittlere end-tidale CO2 betrug 33 mmHg vor und 35 mmHg nach Opioidtitration (p = 0,33); bei keinem Patienten war das CO2 ≥ 50 mmHg. Die parenterale Opioidtitration zur Schmerzeinstellung ist weder mit einer Hypoxämie noch mit einer CO2-Retention assoziiert. Diese Studie zeigt, dass es in der Opiattherapie keine obere, sichere Dosierung gibt, sondern dass bei (fast) jedem Patient individuell und sicher auftitriert werden kann bis zur optimalen Dosis.
Aprepitant gegen Nausea und Erbrechen
In einer randomisierten, plazebokontrollierten Studie mit insgesamt 866 Mammakarzinom-Patientinnen unter adjuvanter Chemotherapie (Cyclophosphamid i.v. mit oder ohne Anthrazyklin) wurde der Effekt von Aprepitant (Emend®) zur Verhinderung von Übelkeit und Erbrechen (bei moderat emetogener Chemotherapie) untersucht (D. Warr et al., Abstract 8007). Die Patienten im Plazeboarm erhielten 8 mg Ondansetron, 2 x/Tag, 20 mg Dexamethason und Plazebo am Tag 1, gefolgt von 8 mg Ondansetron 2 x/Tag und Plazebo am Tag 2 und 3. Die Verumgruppe bekam 8 mg Ondansetron 2 x/Tag, 12 mg Dexamethason und 125 mg Aprepitant am Tag 1, gefolgt von Plazebo und 80 mg Aprepitant am Tag 2 und 3. Wegen Interaktionen von Aprepitant und Dexamethason wird Letzteres in der Kombination tiefer dosiert. Die Patientinnen mit Aprepitant hatten ein signifikant höheres komplettes Ansprechen (= kein Erbrechen, keine Rescuemedikation: 50,8% vs. 42,5%; p= 0,015), insbesondere weniger Erbrechen (75,7% vs. 58,7%; p < 0,001). Ebenso wurden die allgemeinen körperlichen Funktionen durch die Chemotherapie signifikant we-
niger gestört (63,5% vs. 55,6%; p= 0,019); die Verträglichkeit war mit der Standardtherapie vergleichbar. Ausnahme: Aprepitant hatte keine signifikante Verbesserung der Nausea zur Folge (54% vs. 50%; p = nicht signifikant). Die Ursache ist unklar. (Folge der Ondansetron-Gabe nur am Tag 1 in der Verumgruppe?) Es wurde diskutiert, dass Dexamethason nur am Tag 1, nicht aber – wie an vielen Orten üblich – am Tag 2 und 3 gegeben wurde. Diese Studie unterstützt den Einsatz von Aprepitant mindestens als Reservemedikament bei moderat-emetogener Chemotherapie.
Genetische Marker für krebsassoziierte Fatigue
An der grossen Plenarsitzung wurde als
Premiere die Verknüpfung von geneti-
schen Markern und Symptomen disku-
tiert. Sloan et al. untersuchten bei 494
Patienten mit metastasiertem kolorekta-
lem Karzinom, ob eine Assoziation zwi-
schen genetischen Markern, in diesem
Falle Folatgenen, und der Lebensqua-
lität besteht. Nach Evaluation von drei
Genen (DPYD, MTHFR und TYMS) wurde
ein klinisch und statistisch signifikanter
Unterschied mit tieferem Fatigue-Score
beim A/A-Allel des DPYD*5 (p = 0,008)
nachgewiesen. Bei Vorhandensein des
Markers TYMS TSER konnte ein signifi-
kanter Unterschied bezüglich allgemeiner
Lebensqualität (p = 0,007), der Fatigue
(p = 0,02) und Lebensauffassung (p = 0,007)
gefunden werden, nicht aber beim
MTHFR-Gen.
Obwohl die Studie nur eine kleine Pati-
entenanzahl und nur Patienten mit kolo-
rektalem Karzinom und nur wenige ge-
netische Marker umfasst, ermutigen
diese Resultate, die Assoziation zwi-
schen genetischer Struktur und Lebens-
qualität (insbesondere Fatigue) weiter zu
untersuchen.
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Dr. med. Roman Inauen, Fachbereich Innere Medizin
Dr. med. Florian Strasser Onkologie und Palliativmedizin Fachbereich Onkologie/Hämatologie
Departement Innere Medizin Kantonsspital St. Gallen
E-Mail: florian.strasser@kssg.ch
Literatur: www.asco.org
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