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Update
Die Antikörpertherapie in der Onkologie heute
Substanzen, Studienresultate, Indikationen Der klinische Einsatz von monoklonalen Antikörpern gewinnt zunehmend an Bedeutung im Alltag des Onkologen. Während die Therapie anfangs eher auf die Gruppe der Lymphome und Leukämien beschränkt blieb, gibt es nun gute Daten, dass ein Einsatz in der Therapie solider Tumoren, so bei Mamma- und Kolorektalkarzinomen, bei HNO-Tumoren wie beim nichtkleinzelligen Bronchialkarzinom, sinnvoll sein kann. Überzeugend ist hier weniger der Einsatz in der Monotherapie als vielmehr die Gabe in der Kombination mit etablierten Behandlungsstandards.
MARCUS SCHUERMANN
Positiv beeinflusst von der Kombination werden sowohl die initialen Ansprechraten als auch der Zeitpunkt bis zum Wiedereinsetzen der Tumorprogression. Die Verträglichkeit ist im Allgemeinen gut, erfordert aber im Einzelfall ein kontinuierliches Monitoring in Hinblick auf Langzeitfolgen (wie z.B. prolongierte Lymphopenien oder kardiale Funktionseinschränkung). Aufgrund zahlreicher initiierter PhaseIII-Studien sind in absehbarer Zukunft weitere Neuzulassungen wie auch Indikationserweiterungen für die Schweiz zu erwarten.
Rasante Entwicklungen in knapp zwei Dekaden
Ziel jeder Tumortherapie ist die weit gehende Zerstörung von Tumorzellen ohne wesentliche Mitschädigung anderer Gewebe. Monoklonale Antikörper besitzen allein durch ihre hohe Bindungsspezifität und durch ihre den natürlichen Antikörpern analoge Grundstruktur prinzipiell gute Voraussetzungen für eine solch hochselektive Tumorzellbekämpfung (1). Von der ersten Beschreibung einer In-vitro-Erzeugung eines monoklonalen Mausantikörpers in menschlichen Myelomzellen im Jahr 1975 (2) dauerte es allerdings beinahe 20 Jahre bis zur erstmaligen Zulassung als Therapeutikum in der Klinik. Gebahnt wurde diese Entwicklung im Wesentlichen durch die Einführung gentechnologischer Verfahren zur Herstellung humanisierter Antikörper in den Achtzigerjahren sowie durch die verbesserten Möglichkeiten
der Zellkultivierung in grosstechnischem Massstab Anfang der Neunzigerjahre. Im Jahr 1997 wurde die Zulassung für den monoklonalen Antikörper Rituximab (MabThera®) erteilt. Seitdem ist die Zahl zugelassener Antikörper rapide gestiegen.
Grundlagen für den klinischen Einsatz
Die wichtigsten Determinanten für eine effektive Immuntherapie sind durch die Spezifität des Antikörpers, seine Affinität und Immunreaktivität gegeben (3, 4). Auf Seiten des Antigens dagegen entscheiden Dichte, Lokalisation sowie Heterogenität der Expression. Im Fall konjugierter Antikörper sind darüber hinaus das gewählte Toxin, das Radionuklid mit seinen Strahlenqualitäten und die jeweilige Bindungsstabilität an den Antikörper bestimmend. Auch auf der Seite des Tumors sind gewisse Voraussetzungen zu erfüllen, die den Einsatz begründen (3). Im Wesentlichen spielen hier das Volumen (Tumorlast), die Proliferationsrate, die regionale Blutversorgung und die örtlichen Hypoxie- oder Nekroseverhältnisse die ausschlaggebende Rolle. Seitens der Zugänglichkeit bieten hämatologische und lymphatische Kompartimente generell gute Voraussetzungen. Hier spielen der (gegenüber soliden Tumoren) erniedrigte interstitielle Druck und die allgemein bessere intra- und extravasale Zugänglichkeit eine Rolle, weswegen der Einsatz bei Neoplasien dieser Gewebe favorisiert ist. Insbesondere in Rezidiv-
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situationen ist hier eine gute Ansprechrate trotz vorangegangener Therapie zu verzeichnen. Bei soliden Tumoren ist der Einsatz aufgrund der immunologisch ungünstigen Zugangsverhältnisse und der vielfältigen EscapeMechanismen in der Regel begrenzt. Ein Einsatz zur Elimination von Mikrometastasen, sei es in der adjuvanten Therapie oder in der Konsolidierungstherapie nach vorausgegangener Induktion (was aufgrund dieser theoretischen Annahme im Vordergrund stünde), ist derzeit nicht einzuschätzen. Einsätze in diesem Bereich sind momentan Gegenstand klinischer Prüfungen.
Anwendung bei malignen Lymphomen und Leukämien
Überlegungen zum Einsatz ergeben sich aus der hohen Spezifität für linienspezifische Zielantigene leukämischer und lymphatischer Neoplasien, der guten intraund extravasalen Zugänglichkeit bei niedrigen interstitiellen Druckverhältnissen und der insgesamt geringen allgemeinen Toxizität. Ein zusätzlicher Vorteil besteht im kombinierten Einsatz mit Chemotherapeutika und der gegebenen Einsatzmöglichkeit bei chemoresistenten Zellklonen. Zielantigene sind prinzipiell alle linienspezifischen B- und T-Zellantigene, wobei sich Antikörper gegen die Antigene CD20 (Pan-B-Zell-spezifisch), CD52 (Lymphozyten, Monozyten) und CD33 (Monozyten, myeloide Vorläufer) als wirksam erwiesen haben.
Rituximab Die weitestgehende Erfahrung besteht mit dem monoklonalen Antikörper Rituximab (IDEC-C2B8, MabThera®). Die Monotherapie mit Anti-CD20-Antikörpern in der Primärtherapie aggressiver Lymphome vermag Remissionsraten zwischen 50 und 65 Prozent zu erzielen, vergleichbar mit der CHOP-Standardtherapie (5). In der Kombinationstherapie follikulärer Lymphome zeigt die Kombination aus CHOP und Rituximab darüber hinaus eine zusätzliche Verbesserung im Hinblick auf Ansprechen und Remissionsdauer (6). Bei nichtfollikulären niedrigmalignen Lymphomen sowie bei der CLL ist die Ansprechrate der Monothera-
pie aber bedeutend schlechter, abgesehen vom Mantelzelllymphom. Drei grosse Studien haben in jüngster Zeit den Vorteil der Kombination konventioneller Therapie mit dem Einsatz von Rituximab unterstrichen. Die Studie der ECOG zeigt eine nahezu verdoppelte Dauer des progressionsfreien Intervalls bei indolenten Lymphomen mit Rituximab plus CVP (Cyclophosphamid, Vincristin, Prednison) gegenüber Standardtherapie allein (30 vs. 15 Monate) bei einer Gesamtansprechrate von 81 Prozent (7). Bei aggressiven Lymphomen führt die Kombination mit CHOP (Cyclophosphamid, Doxorubicin, Vincristin, Prednison) in 85 Prozent zur kompletten Remission, im Vergleich zu 65 Prozent mit dem alleinigen CHOP-Standard, was einen signifikanten Vorteil für das Überleben bedeutet. (8). Auch für das prognostisch ungünstigere Mantelzelllymphom liess sich der Vorteil der kombinierten Immunchemotherapie in einer kleineren deutschen Studie belegen (34% Komplettremissionsrate gegenüber nur 7% mit dem CHOP-Schema [9]). Kombinationen mit anderen zytostatischen Regimes, unter anderem die Kombination mit dem FCM (Fludarabin, Cyclophosphamid, Mitoxantron)-Schema, mit Thalidomid oder Pentostatin in der Behandlung von Lymphomsubgruppen sind Gegenstand klinischer Studien.
Alemtuzumab Der gegen das CD52-Antigen gerichtete humanisierte Antikörper Alemtuzumab (MabCampath®) ist bisher für die Behandlung der rezidivierenden und Fludarabin-vorbehandelten chronisch lymphatischen Therapie (CLL) zugelassen. In der Zulassungsstudie wurden bis zu 33 Prozent an Remissionen bei vorbehandelten CLL-Patienten erreicht (10), bei lang anhaltender Senkung der Tumorlast und entsprechend niedriger Rezidivrate. Ein wirksamer Einsatz ist ferner bei Patienten mit seltener T-Zell-Prolymphozytenleukämie T-PLL) beschrieben: 60 Prozent erzielten eine komplette Remission (CR), 16 Prozent eine partielle Remission (PR) bei signifikant verlängertem Gesamtüberleben (11). Das CD52-Antigen findet sich auf zirka 95 Prozent aller peripheren Blutlympho-
zyten und Monozyten wie Makrophagen. Gravierende Nebenwirkungen sind daher im Wesentlichen durch die Elimination der gesunden Antigenträger determiniert. Neben passagerer Knochenmarksuppression kommt es gehäuft zu Lymphopenie-assoziierten opportunistischen Infektionen, deren Ursache eine bis zu einem Jahr anhaltende CD4-Zelldepletion sein kann. Hierzu zählt auch die häufig unter MabCampath-Gabe beobachtete CMV-Reaktivierung, die eine Behandlung mit Ganciclovir erfordert.
Radiokonjugierte Anti-LymphomAntikörper Um die Möglichkeiten Antikörper-gestützter Therapie zu optimieren, wurde die Entwicklung von Radioimmunkonjugaten forciert, mit denen eine gezielte Bestrahlung von Tumorzellen möglich ist (Radioimmuntherapie). Diese neue Therapiemodalität könnte für die Gruppe der indolenten Lymphome bedeutsam werden. An den monoklonalen rein murinen Antikörper Ibritumomab gekoppeltes Yttrium-90 (Ibritumomab-Tiuxetan/ Zevalin®) vermag im Vergleich zum nicht gekoppelten monoklonalen Antikörper eine wesentlich höhere Gesamtansprechrate von insgesamt 80 gegenüber 56 Prozent beim CD-20-positiven Lymphom zu erwirken (12). Der Antikörper ist in der myeloablativen und nichtmyeloablativen Behandlung rezidivierender Lymphome derzeit in klinischer Testung. Die Nebenwirkungen sind, abgesehen von der radiogen-bedingten zusätzlichen Myelotoxizität mit ausgeprägter Thrombopenie, mit denen von nichtradioaktiven Antikörpergaben vergleichbar. Die Dosierung liegt bei 0,4 mCi/kg und wird nach vorangegangener Gabe von 250 mg Rituximab appliziert. Die Therapie erfordert nach der Infusion keine weitere Abschirmung des Patienten und kann seit Frühjahr diesen Jahres auch in der Schweiz durchgeführt werden. Die ausgezeichnete Wirksamkeit erlaubt einen Einsatz bei therapierefraktären Fällen nach vorangegangenem Einsatz von Rituximab. Eine Parallelentwicklung ist die Kopplung von Jod-131 an den murinen Anti-CD20-Antikörper (131-I-Tositumomab/Bexxar® [13]). Die Ansprechraten sind ähnlich wie unter Zevalin. Nachteilig
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sind jedoch die längere Halbwertszeit des Jodstrahlers (8 Tage) sowie seine Eigenschaften als ␥-Strahler mit geringerer lokaler Dosisdichte .
Anwendung bei epithelialen Tumoren
Im Gegensatz zu Leukämien und Lymphomen bieten solide Tumoren schlechtere Voraussetzungen für Antikörperbasierte Therapien (4). Ursachen sind die schlechtere Tumordurchblutung, schlechtere Penetration bei erhöhtem interstitiellen Druck, die Abschirmung durch umgebende Basalmembran und Interzellularkontakte. Daneben spielt auch die Wirkungsabschwächung im Vorfeld durch Bindung an lösliche Tumorantigene eine Rolle. Monoklonale murine oder chimäre Antikörper gegen verschiedene tumorspezifische beziehungsweise tumorassoziierte Antigene wurden entwickelt und getestet (CEA, MUC-1, TAG-72), zeigten jedoch bislang keinen klinischen Erfolg. Grössere Erfahrung besteht ferner gegenüber Edrecolomab (muriner AK gegen das 17-1A-[EpCAM]Epitop) in der adjuvanten Therapie des operierten Kolonkarzinoms. Da kein signifikanter Einfluss auf die Rezidivfreiheit erreicht werden konnte, wurde auf die Zulassung verzichtet. Erfolgreicher sind erst Antikörper gegen Mitglieder der EGF-Rezeptorfamilie. Der
1998 in die Klinik eingeführte Antikörper Trastuzumab (Herceptin®) besitzt bereits eine Monoaktivität von zirka 15 Prozent im Fall metastatischer HER2-überexprimierender Mammakarzinome. Ein weiterer Antikörper, Cetuximab (Erbitux®), gegen den epidermalen Wachstumsfaktor (EGF) folgte und ist seit Ende 2003 in der Schweiz im Einsatz.
Herceptin Der Transmembranrezeptor HER2 ist ein Mitglied der hiernach benannten Familie der HER-Wachstumsfaktorrezeptoren. Starke Expression ist vor allem bei Mammakarzinomen in etwa 25 bis 30 Prozent aller Fälle nachweisbar und Basis zellulärer Überexpression, zum Teil in Kombination mit Genamplifikation. Der humanisierte Antikörper Trastuzumab (Herceptin®) bindet mit hoher Affinität an die N-terminale Domäne, er vermag allerdings nur die Aktivität von HER2-Dimerkomplexen mit anderen Rezeptoren an der Oberfläche zu unterbinden. Dieser Tatbestand limitiert den klinischen Einsatz auf eine Gruppe von Patientinnen mit HER2-überexprimierenden Karzinomen (immunhistochemischer Nachweis einer Expression vom Typ Grad 3 oder Grad 2 bei zusätzlich nachgewiesener Genamplifikation in der FISH-Analyse). Einer initialen Loadingdose von 4 mg/kg folgt die wöchentliche Gabe von 2 mg/kg bis zum Erreichen der er-
Kasten: Die Antikörperstruktur
Die Grundstruktur bildet ein Molekül von zirka 150 kD, bestehend aus zwei jeweils identischen schweren Ketten (etwa 50 kD) und je zwei leichten Ketten (zirka 25 kD), welche durch Disulfidbrücken miteinander in der Form eines gelenkigen Y verbunden sind. Antikörper besitzen damit einen modularen Aufbau, der auch auf der Genebene repräsentiert ist. N-terminal besitzt jeder Antikörper eine variable Region, sowohl auf der Seite der leichten wie auch der schweren Kette. Die Vielfältigkeit der Erkennung wird durch Rekrutierung aus einer Vielzahl vorhandener variabler Gene und zusätzlich durch somatische Hypermutation (innerhalb dreier hypervariabler Regionen) sichergestellt. Leichte Kette: Der variablen Region folgt eine konstante Region vom Typ oder und definiert den Antikörperisotypen. Schwere Kette: Der variablen Region folgen drei konstante Regionen (CH1, CH2, CH3). Man unterscheidet reine Maus- (murine) von chimären und humanisierten Antikörpern. Die chimären Antikörper entstehen durch das Zusammenfügen der meist murinen Gensegmente der hypervariablen Regionen an die konstanten Regionen der für einen humanen Antikörper kodierenden Genabschnitte. Vermieden wird damit die hohe Immunogenität konstanter muriner Antikörperanteile, die zur Bildung von HAMA (humanen Anti-Maus-Antikörpern) mit nachfolgender klinischer Hypersensitivierungsreaktion führt. Konjugierte Antikörper existieren derzeit als Radioimmunkonjugate (in der Regel mit 131Jod oder 90Yttrium gekoppelt). Die Kopplung an Immunotoxine (z.B. Ricin, Diphterietoxin, Pseudomonas Exotoxin A) oder an Zytostatika, z.T als Prodrug angekoppelt, die erst in der Zielzelle aktiviert werden, ist derzeit noch in früher klinischer Erprobung. Gleiches gilt für den Einsatz bispezifischer Antikörper (Abbildung).
neuten Progression. Nebenwirkungen sind im Wesentlichen eine erhöhte Kardiotoxizität vor allem in Kombination mit der zeitgleichen Gabe von Anthrazyklinen oder Taxanen (14). Dies erfordert in jedem Fall ein sorgfältiges Erfragen kardialer Vorerkrankungen der Patientin, da die Komplikationsraten in dieser Subgruppe auch in der Monotherapie erhöht sind (15). Die klinische Wirksamkeit wurde sowohl für die Gabe als Monotherapeutikum als auch für den Einsatz in Kombination mit klassischen Zytostatikakombinationen in mehreren Phase-III-Studien gezeigt. Nach Publikation der Erstzulassungsstudie (14) ist der Einsatz von Trastuzumab vergleichsweise schnell erfolgt und ist heute Bestandteil der ersten Behandlungslinie im Fall metastasierender HER2/neu überexprimierender Karzinome. Eine weitere Studie (M77001) konnte kürzlich einen deutlichen Überlebensvorteil für den Kombinationsarm mit HerceptinDocetaxel zeigen (30,5 vs. 24,5 Monate) und damit die Überlegenheit gegenüber der Monotherapie mit Docetaxel allein (16). Von grossem Interesse sind die Ergebnisse vier grosser Studien, die derzeit den Einsatz in der adjuvanten Therapie überprüfen (NSABP B-31, N9831, BCIRG 006 und Herceptin-Adjuvant-Studie HERA). Die Rekrutierung in zumindest einer Studie (HERA) ist abgeschlossen, die Ergebnisse sind abzuwarten. Neu in der klinischen Entwicklung ist der Antikörper rhumAb2C4 (Omnitarg™). Vorteile zeichnen sich hier in der Wirkweise ab, da eine Inhibition nicht nur der homodimeren HER2/neu-Rezeptoren erfolgt, sondern in erster Linie der ligandenabhängigen heterodimeren HER2Rezeptoren, womit vor allem die hierdurch aktivierte intrazelluläre Signalkaskade unterbunden werden kann (17). Ein antiproliferativer Erfolg ist damit auch bei Tumoren mit niedriger HER2Expression (17) zu erwarten.
Epidermale Wachstumsfaktoren als Target Der EGF-Rezeptor (EGFR) aus der Familie der HER-Wachstumsfaktor-Rezeptoren ist eine ligandaktivierbare Tyrosinkinase, die eine zentrale Rolle bei der Regulation von Wachstum und Differen-
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zierung spielt. Aberrante Regulation (verstärkte EGFR-Signalwirkung) ist ein Kennzeichen vieler epithelialer Tumoren und damit ein gutes Ziel einer Antikörper-gerichteten Therapie. Klinisch am weitesten fortgeschritten ist der Einsatz von Cetuximab (Erbitux®). Es handelt sich um einen chimären IgG1monoklonalen Antikörper gegen den extrazellulären (N-terminalen) Teil des EGF-Rezeptors. Die bisherige klinische Prüfung erstreckte sich bislang auf die Gruppe der Tumoren im Kopf- und Halsbereich, auf nichtkleinzellige Bronchialkarzinome, Nierenzellkarzinome und auf die Gruppe der Kolorektalkarzinome, die sich durch eine vergleichsweise hohe EGFR-Expression (70–100%) auszeichnen. Einer initialen Loadingdose von 400 mg/m2 folgt die wöchentliche Gabe von 250 mg/m2 bis zum Erreichen der erneuten Progression. Nebenwirkungen sind hauptsächlich die für die Gruppe aller EGFR-Antagonisten bekannten akneartigen Hautveränderungen, Durchfälle und Asthenie, welche jeweils durch Auslass reversibel sind. Im klinischen Einsatz besitzt der Antikörper zwei Studien zufolge eine Monoaktivität um 10 Prozent (18, 19), etwa vergleichbar mit jener von Herceptin bei metastasierendem Mammakarzinom. Die klinische Wirksamkeit in der Kombinationstherapie ist bedeutend ausgeprägter. In der der Zulassung zugrunde liegenden Studie (EMR 62202-007 bzw. BOND-Studie [20]) konnte zum Beispiel gezeigt werden, dass Erbitux in Kombination mit Irinotecan bei über der Hälfte der Patienten mit metastasierendem Darmkrebs zu einer Remission respektive Stabilisierung des Krankheitsverlaufes führte. Das Ansprechen zeigt sich dabei auch im Fall der Vorbehandlung mit Irinotecan, sodass die Überwindung von Chemotherapieresistenzen gleichwohl möglich ist. In einer Phase-III-Studie zur kombinierten Behandlung von HNO-Tumoren (Erbitux in Kombination mit Bestrahlung) führt die Zugabe des Antikörpers geradezu zu einer Verdopplung der mittleren Überlebenszeit der Patienten (von 28 auf 54 Monate [21]). Ermutigende Ergebnisse in der First-line finden sich auch bei der Behandlung von NSCLC-Patienten mit nachgewiesener EGFR-Überexpression. Die Ansprechrate in der Kombina-
muriner mAK
VL VH
CH1 CL
CH2 Fc-Teil
CH3
chimärer mAK
humanisierter mAK
CDR1 CDR2 CDR3
Ag 1
Ag 2
S-S Fab F(ab‘)2
ScFv
bispezifischer mAK
Modularer Aufbau natürlicher und gentechnisch hergestellter monoklonaler Antikörper (analog Ref.
3). Begriffe:
CDR:
Complement Defining Region
Fc-Teil:
C-terminale miteinander kompexierte Domänen der schweren Kette. Legt die Anti-
körperklasse fest. Fc interagiert mit verschiedenen Rezeptoren auf Zellen des Im-
munsystems und vermittelt sowohl die komplementabhängige wie zellvermittelte
Antwort.
Fab-Fragment: Papain-spaltbares Fragment aus leichter und den 2-N-terminalen Domänen der
schweren Kette
ScFv:
Antikörperteilfragment, bestehend aus den jeweiligen beiden Antigen-bindenden
Determinanten (erste Domäne der jeweiligen leichten und schweren Kette, VL + VH),
gentechnisch über ein flexibles Verbindungspeptid aneinandergekoppelt und sta-
bilisiert.
Bispezifische Gentechnisch zusammengestellte Fragmente mit zwei unterschiedlichen Bindungs-
Antikörper:
stellen, meist als scFvs hergestellt. Binden einerseits an Oberflächenantigen der
Zielzelle, mit dem zweiten Arm an eine immunologische Effektorzelle und setzen
damit z.B. ko-stimulatorische Signale zur T-Zell-Aktivierung. Herstellung bislang
aufwändig, daher Einsatz bislang nur in kleinen Studien möglich.
tion mit Cisplatin und Vinorelbin erhöht sich einer kleineren Studie von 57 Patienten zufolge möglicherweise von 32 auf 56 Prozent (22). Weitere Studien zum Wirksamkeitsnachweis in der Erstlinientherapie sind derzeit für alle genannten Tumorentitäten aufgelegt. Der kürzlich für orale EGFR-Inhibitoren publizierte Zusammenhang zwischen positiver Ansprechrate und dem Nachweis somatischer Mutationen im Bereich der EGFR-Kinasedomäne (23, 24) stellt generell erneut die Frage nach definierbaren Patientensubpopulationen für den Einsatz von EGFR-Inhibitoren. Einer ersten kleineren Bestimmung zufolge haben EGFR-Mutationen jedoch im Fall des Einsatzes des monoklonalen Antikörpers Cetuximab keinen Einfluss auf das klinische Ansprechen (25). Weitere EGF-inhibierende monoklonale Antikörper wie ABX-EGF oder
EMD72000, zum Teil völlig humanisierte Antikörper, zeigen in den ersten vorliegenden Phase-II-Untersuchungen ähnliche Ansprechraten und Nebenwirkungsprofile (26). Insgesamt zeigt sich bereits jetzt schon in der Kombination mit klassischer Chemotherapie oder Strahlentherapie eine deutliche Effektivitätssteigerung, ohne dass eine erkennbare Toxizitätssteigerung nachweisbar ist.
Antikörper gegen Angiogenesefaktoren Bevacizumab (rhu.mAb-VEGF, Avastin®) ist ein rekombinanter, humanisierter Antikörper, der biologisch aktive Formen des VEGF (vaskulärer endothelialer Wachstumsfaktor) bindet (27). Die Dosierung liegt im Bereich 5 mg/kg, die Halbwertszeit beträgt bei intravenöser Gabe 7 bis 21 Tage. Der klinische Einsatz im Rahmen einer
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Tabelle: Monoklonale Antikörper im klinischen Einsatz beziehungsweise in fortgeschrittener klinischer Erprobung
Produkt
Herceptin® (Trastuzumab)
Erbitux (Cetuximab)
ABX-EGF (Panitumumab)
Avastin™ (rhuMAb-VEGF) Bevacizumab
cG250 MabCampath® (Alemtuzumab) Mylotarg® (Gemtuzumab Ozogamicin) Mabthera® (Rituximab) Bexxar® (J 131 Tositumomab) Zevalin™ Y 90 (Ibritumomab Tiuxetan)
Zielantigen HER2
EGF-R
EGF-R
VEGF
MN-Antigen CD52 CD33
CD20 CD20 CD20
Indikationen Entwicklung Mammaca./ Kolorektalca., NSCLC, Ovarialca. CRC/ NSCLC, H&N, Ovarialca. Kolorektalca., Nierenzellca., NSCLC Kolorektalca., Nierenzellca., NSCLC, Mammaca. Nierenzellca. NHL B-Zell, CLL AML
NHL B-Zell, CLL NHL GlaxoSmithKline NHL B-Zell
Zulassung in der Schweiz ja
ja
nein
erwartet
nein ja nein
ja nein ja
Zulassungsstudie erfolgte erstmals beim metastasierenden kolorektalen Karzinom. Hier zeigte sich die Kombination mit einer Irinotecan-haltigen Chemotherapie gegenüber der alleinigen Chemotherapie in der First-line-Behandlung als überlegen im Hinblick auf das mittlere Überleben (20,3 vs. 15,6 Monate), sodass allein aufgrund dieser Datenlage eine schnelle Zulassung in den USA erfolgte (28). In der Schweiz steht die Zulassung kurz bevor. Weitere Kombinationsstudien, beispielsweise mit 5-FU/FA oder Capecitabin, sind gegenwärtig in der Prüfung. Auch im adjuvanten Bereich ist eine Phase-III-Studie in Kombination mit dem FOLFOX- oder XELOX-Schema initiiert. Beide Schemata haben sich gegenüber der bisherigen Therapie mit 5-FU/FA in Bezug auf das Rezidiv- und krankheitsfreie Überleben als vorteilhaft erwiesen (siehe Ergebnis der MOSAICund X-ACT-Studien [29, 30]). Weitere Einsatzgebiete beim Brust- und Prostatakrebs sowie beim Nierenzellkarzinom sind Gegenstand klinischer Prü-
fungen. Weniger erfolgreich verlief die kli-
nische Prüfung beim nichtkleinzelligen
Bronchialkarzinom in Kombination mit
Carboplatin und Paclitaxel. Trotz des bes-
seren Gesamterfolges des Kombinations-
armes kam es in einer Phase-II-Studie zu
mehreren Hämophthyse-bedingten schwe-
ren Blutungen, vornehmlich bei zentral
lokalisierten Plattenepithelkarzinomen (31).
Weitere Studien unter Ausschluss dieser
histologischen Untergruppe sind derzeit
initiiert, um den Einsatz von Avastin wei-
tergehend zu prüfen.
▲
Professor Dr. med. Marcus Schuermann Leitender Arzt – Onkologie Aeskulap-Klinik Brunnen Gersauerstrasse 8 6440 Brunnen
E-Mail: Marcus.Schuermann@aeskulap.com
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«Prix Galien Suisse» für Gefitinib
Das neue Lungenkrebs-Medikament Iressa® (Gefitinib), das in der Schweiz bereits seit mehr als einem Jahr verfügbar ist, hat Ende Oktober in Zug den «Prix Galien Suisse» erhalten. Mit dem Preis werden alljährlich eines oder mehrere innovative Medikamente oder Diagnostika von einer unabhängigen Jury ausgezeichnet. Der Preis gilt in der Pharmaindustrie als die höchste Auszeichnung für pharmazeutische Forschungs- und Entwicklungsarbeit.
Bei dem Medikament zur Behandlung des fortgeschrittenen nichtkleinzelligen Bronchuskarzinom handelt es sich um eine neuartige Substanz, einen Tyrosin-
kinase-Inhibitor des epidermale Wachstumsfaktor-Rezeptors (EGFR-TKI). Der Wirkstoff Gefitinib dringt in Tumorzellen ein und blockiert intrazellulär ein spezifisches Enzym, sodass die Weiterleitung von Signalen in der Zelle unterbunden ist. Das weitere Wachstum, die Teilung und Verbreitung der Tumorzellen werden so gezielt gehemmt; zudem wird der Mechanismus des natürlichen Zelltods wieder aktiviert. Damit kann die Erkrankung stabilisiert und deren Fortschreiten verzögert werden.
In einer neuen Untersuchung entdeckte Dr. Thomas J. Lynch, Boston, einen der Gründe für das Therapieansprechen unter Gefitinib. Eine Gruppe betroffener
Patienten wies Mutationen im Gen des EGFR auf. Möglicherweise kann man diese Erkenntnis nutzen, um zukünftig für die Indikation von Gefitinib noch geeignetere Patienten zu bestimmen. Die Studienergebnisse haben die Jury unter Leitung von Prof. Jean-Michel Dayer, Genf, wesentlich bei ihrer Entscheidung beeinflusst. Mit dem «Prix Galien Suisse 2004» ist Iressa® für die Teilnahme an der Ausschreibung des internationalen Prix Galien 2006 nominiert.
Weitere Infos: Rolf Zwygart AstraZeneca AG Tel. 041-725 75 75
30 ONKOLOGIE 4/2004