Transkript
Im Fokus: Kolorektalkarzinom
Perspektiven zur Prävention
Diätetik, Nahrungsergänzung, Medikamente und Lebensführung
Aktuell wird geschätzt, dass die Inzidenz von kolorektalen Karzinomen durch präventive Massnahmen um bis zur Hälfte verringert werden könnte. Da wohl auch künftig Patienten nur begrenzt an Screeningprogrammen teilnehmen, ist es umso wichtiger, potenzielle Präventionsmassnahmen durch eine realistische (!) Patienteninformation und -führung zu proklamieren.
TOBIAS SILZLE UND FRANK SEIBOLD
In der Entstehung spontaner kolorektaler Karzinome (KRK) spielen exo- und endogene Faktoren zusammen. Aus klinischen Studien sind eine Reihe protektiver Faktoren wie auch Risikofaktoren für die Entstehung eines KRK bekannt. Hier sollte motivierend wirken, dass sich viele der zur KRK-Prävention empfohlenen Verhaltensweisen mit denen zur Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen decken. Chemopräventive Ansätze bieten zurzeit allerdings keine verlässliche Alternative zur Teilnahme an Screeningprogrammen.
Ernährung und Nahrungsergänzung
Durch unterschiedliche Evidenzgrade abgesicherte Empfehlungen zur KRK-Prävention sind in der Tabelle zusammengefasst. Besondere Aufmerksamkeit verdient die Rolle von Ernährungsfaktoren in der KRK-Prävention. Es wird ein hoher Anteil an pflanzlichen Bestandteilen (Obst, Gemüse, nicht hochraffinierte Getreideprodukte) empfohlen, bei einer geringen Zufuhr von Fleisch und tierischen Fetten. Die dadurch erreichbare Risikoreduktion wird mit bis 40 bis 50 Prozent angegeben (1). Umstritten ist allerdings, welche einzelnen in einem solchen Ernährungsregime vermehrt enthaltenen Faktoren (Vitamine, Spurenelemente, so genannte sekundäre Pflanzeninhaltsstoffe wie Flavonoide) für die Risikoreduktion verantwortlich sind. Für viele Faktoren existieren einzelne Studien, die bei Supplementierung eine Risikoreduktion angeben; wegen des Fehlens valider prospektiver Daten kann eine gezielte Substitution einzelner Faktoren (noch) nicht empfohlen werden. Drei Substanzen sind in letzter Zeit aufgrund zunehmenden Wissens um ihre mo-
lekularen Wirkmechanismen in der Karzinogenese und aufgrund von Interventionsstudien in den Fokus geraten: Folsäure und Kalzium sowie NSAR (Überblick bei [2]).
Folsäure Folsäure hat zwei für die Karzinogenese relevante biochemische Funktionen. Wegen Verschiebungen im Basenpool kann ein Folsäuremangel mutagen wirken. Zum anderen dient Folsäure als Donor von Methylgruppen für die Methylierung von DNA-Basen. An bestimmten Positionen methylierte Gene werden vermindert oder gar nicht transkribiert, sodass eine dysregulierte Aktivierung von Protoonkogenen eine mögliche Folge eines Folsäuremangels ist (Überblick bei [3]). Für KRK-Patienten konnte ein signifikant geringerer Folsäurestatus (Ernährungsgewohnheiten, Folsäurespiegel in Plasma und Erythrozyten) nachgewiesen werden sowie eine Hypomethylierung der DNA in Adenomen (4). Mehrere epidemiologische Studien belegen eine signifikante Reduktion des KRK-Risikos unter Folsäuresubstitution (5). Der protektive Effekt von Folsäure auf das Wiederauftreten von Adenomen nach Polypektomien ist Gegenstand noch laufender prospektiver, plazebokontrollierter Studien (z.B. 6). Von einem Ausgleich des Folsäurestatus könnten besonders Träger eines mit einer niedrigen Enzymaktivität einhergehenden, weit verbreiteten Polymorphismus (C-677T) des Gens für die Methylentetrahydrofolatreduktase profitieren, für die ein erhöhtes KRK-Risiko im Fall eines erniedrigten Folsäurespiegels beschrieben wurde. Eine signifikante Risikosenkung wurde auch für Patienten berichtet, die einen Verwandten ersten Grades mit KRK aufweisen (2).
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Im Fokus: Kolorektalkarzinom
Kalzium Bereits vor 20 Jahren wurde die Hypothese vorgelegt, dass Kalzium intraluminal sekundäre Gallensäuren, die unter anderem auch bei hohem Fleischkonsum vermehrt gebildet werden, binden und so den von dieser Substanzklasse ausgehenden und die Karzinogenese fördernden mitogenen Stimulus auf das Darmepithel mindern kann. Aufgrund der Rolle von intrazellulärem Kalzium als «Second Messenger» kann eine erhöhte Kalziumzufuhr über verschiedene Signaltransduktionswege antimitogen und differenzierungsfördernd auf transformiertes intestinales Epithel wirken (3). Zur protektiven Rolle einer hohen Kalziumaufnahme gibt es epidemiologische Hinweise aus der Nurses Health Study und der HealthProfessionals Follow-up Study (7). In prospektiven, doppelblinden, plazebokontrollierten Studien wurde der Effekt einer Kalziumsubstitution bei Patienten nach Polypektomie auf das Wiederauftreten von Adenomen in zwei Studien untersucht. Hier liess sich jeweils eine moderate Risikosenkung (RR etwa 0,85) nachweisen (8, 9).
Medikamente: ASS und selektive COX-2-Hemmer
Mehrere epidemiologische Studien belegen eine Risikoreduktion der KRK-Entwicklung um etwa 40 bis 50 Prozent unter regelmässiger NSAR-Einnahme (4). Drei randomisierte, prospektive Interventionsstudien bei Patienten nach Entfernung adenomatöser Polypen oder Karzinomresektion (10–12) belegen einen moderaten chemoprotektiven Effekt einer niedrigen Dosis von ASS (81–325 mg) innerhalb von einem bis drei Jahren auf das Wiederauftreten von Adenomen, wobei nur in einer Studie (12) ein signifikanter Unterschied zu verzeichnen war (Überblick bei [13]). Vergleichbare Daten wurden für die selektiven COX-2-Hemmer Refocoxib und Celecoxib berichtet (14). Aus mehreren Gründen rechtfertigen die zum jetzigen Zeitpunkt vorliegenden Daten nicht, ASS oder selektive COX-2Hemmer zum routinemässigen Einsatz in der Prävention des KRK für Personen mit durchschnittlichem Risiko zu empfehlen (15): Schätzungen zufolge müssten etwa 1250 Personen über 10 bis 20 Jahre mit ASS behandelt werden, um einen KRK-
Tabelle: Prävention des kolorektalen Karzinoms
Empfehlungen zur Lebensweise ▲ ausreichende körperliche Bewegung ▲ Reduktion von Übergewicht (BMI < 26 kg/m2) ▲ Verzicht auf Nikotinskonsum ▲ Alkoholkonsum auf < 20 g/Tag beschränken ▲ Ernährung mit hohem Anteil an Obst, Gemüse und nicht hochraffinierten Getreideprodukten, geringem
Anteil an Fleisch und tierischen Fetten
Chemoprävention ▲ bisher sind noch für keine Substanzklasse Empfehlungen aufgrund randomisierter, prospektiver Studien
möglich ▲ Substanzen, für die Hinweise aus Interventionsstudien bestehen, und für die in Zukunft mit validen
Empfehlungen gerechnet werden kann: – Acetylsalicylsäure – Selektive COX-2-Hemmer – Folsäure – Kalzium
bedingten Todesfall zu vermeiden, zur
Verhinderung eines KRK immerhin noch
500 bis 1000 für mehr als fünf Jahre. Die
in diesen Behandlungszeiträumen zu er-
wartenden, potenziell letalen Nebenwir-
kungen (gastrointestinale Blutungen, hä-
morrhagische Insulte) reduzieren den
klinischen Benefit erheblich.
▲
PD Dr. med. Frank Seibold (Korrepondenzadresse) und
Dr. med. Tobias Silzle Klinik für Gastroenterologie
Inselspital Bern E- Mail: frank.seibold@insel.ch
Literatur:
1. Mason JB: Nutritional chemoprevention of colon cancer. Semin Gastrointest Dis 2002, 13: 143–53.
2. Courtney ED, Melville DM, Leicester RJ: Review article: chemoprevention of colorectal cancer. Aliment Pharmacol Ther 2004, 19: 1–24.
3. Lamprecht SA, Lipkin M: Chemoprevention of colon cancer by Kalzium, vitamin D and folate: molecular mechanisms. Nat Rev Cancer 2003, 3: 601–614.
4. Pufulete M, Al Ghnaniem R et al: Folate status, genomic DNA hypomethylation, and risk of colorectal adenoma and cancer: a case control study. Gastroenterology 2003, 124: 1240–1248.
5. Giovannucci E: Epidemiologic studies of folate and colorectal neoplasia: a review. J Nutr 2002, 132: 2350–2355.
6. Baron JA, Cole BF et al: A randomized trial of aspirin to prevent colorectal adenomas. N Engl J Med 2003, 348: 891–899.
7. Wu K, Willett WC et al: Kalzium intake and risk of colon cancer in women and men. J Natl Cancer Inst 2002, 94: 437–446.
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10. Benamouzig R, Deyra J et al: Daily soluble aspirin and prevention of colorectal adenoma recurrence: one-year results of the APACC trial. Gastroenterology 2003, 125: 328–336.
11. Baron JA, Cole BF et al: A randomized trial of aspirin to prevent colorectal adenomas. N Engl J Med 2003, 348: 891–899.
12. Sandler RS, Halabi S et al: A randomized trial of aspirin to prevent colorectal adenomas in patients with previous colorectal cancer. N Engl J Med 2003, 348: 883–890.
13. Asano TK, McLeod RS: Nonsteroidal Antiinflammatory Drugs and Aspirin for the Prevention of Colorectal Adenomas and Cancer: A Systematic Review. Dis Colon Rectum 2004, published online 2. April 2004.
14. Rahme E, Barkun AN et al: The cyclooxygenase-2-selective inhibitors rofecoxib and celecoxib prevent colorectal neoplasia occurrence and recurrence. Gastroenterology 2003, 125: 404–412.
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