Transkript
Im Fokus: Kolorektalkarzinom
Palliative Symptomkontrolle bei Kolorektalkarzinom
Management bei Ileus und Verstopfung
Aus der Vielzahl von multidimensionalen Belastungen bis zum Tod von Patienten mit einem unheilbaren Kolorektalkarzinom ist die Palliation von Verstopfung und Darmverschluss häufig ein Problem. Die hier besprochenen spezifischen Massnahmen basieren auf der routinemässigen Erfassung und Behandlung von Symptomen und Syndromen, einer auf palliativer Entscheidungsfindung ausgerichteten Kommunikation und Kenntnissen der terminalen Betreuung (1).
FLORIAN STRASSER
Neben den häufigsten Symptomen und Syndromen in der Palliation – Schmerz, Anorexie/Kachexie, Atemnot, Delirium, Depression, Angst, familiäre Belastung, etc. – erfordern bei Patienten mit Kolorektalkarzinom die Verstopfung beziehungsweise der Ileus gezieltes Vorgehen.
Verstopfung versus Ileus
Anamnestisch sind eine schwere Verstopfung und die Symptomatik eines beginnenden Ileus schwer zu unterscheiden. Bei beiden Syndromen kann der Patient über abdominales Unwohlsein, konstante oder kolikartige abdominale Schmerzen, Nausea, Erbrechen, trockenen Mund, veränderte Stuhlgewohnheiten oder weitere Symptome der Dehydration klagen.
Verstopfung
Verstopfung ist nicht als Symptom, wie Schmerz oder Atemnot, sondern als Syndrom zu verstehen (wie ein Knochenbruch Schmerzen oder Hypoxämie Atemnot verursachen kann). In Anbetracht des paradoxen Durchfalls oder der Dehydrierung muss die Diagnose von Verstopfung nicht nur die Anzahl der Stuhlentleerungen, sondern auch das Stuhlvolumen, die Stuhlqualität und die Medikamentenanamnese beinhalten. Die Dokumentation der Menge von Stuhlmaterial (Scoring pro Quadrant 0 bis 3) im Kolon mit einem Röntgenbild des Abdomens wurde validiert. Die mit Verstopfung assoziierten Symptome sind nicht spezifisch für die Diagnose; sie können aber relevant sein, um Behandlungseffekte zu monitorisieren. Zu den Beschwerden gehören Übelkeit, Blähungsgefühle, Bauchschmerzen, Flatulenz, Ge-
fühl einer unvollständigen Entleerung oder Völlegefühl im Rektum, Verlust von Appetit, frühes Sättigungsgefühl, Mundgeruch. Manchmal manifestiert sich Verstopfung mit Harnverhalt oder Verwirrung. Die Ursachen der Verstopfung können in vier Gruppen aufgeteilt werden: 1. Verminderte Aktivität, fortgeschrittenes Alter,
Schwierigkeiten, eine Toilette (mit adäquater Privatsphäre) zu erreichen 2. Anatomische Hindernisse des Darmes (inkl. des Darmsphinkters) 3. Verminderte orale Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme. Dehydratation ist häufig bei Patienten mit verringerter Aktivität (Kachexie), erhöhtem Alter, kognitiver Verschlechterung (Opiat-Toxizität bei «total pain»), Depression oder medikamentösen Therapien (Diuretika). 4. Verschlechterte Funktion des intestinalen neuromuskulären Systems. Ursachen sind der erhöhte Opiatgehalt im Darm (endogen oder exogen), Hyperkalzämie und Hypokaliämie; Einnahme von Kalium, Kalziumantagonisten, Anticholinergika (trizyklische Antidepressiva, Phenothiazine, Scopolamin, Antiparkinsonmittel), 5HT3-Antagonisten, Sympathikomimetika (Clonidine), Eisen, autonome Dysfunktion (medikamentös oder paraneoplastisch), Neuropathie, Nervenschädigungen (medikamentös [Vinca-Alkaloide], direkte Tumorinfiltration), entzündliche Prozesse sowie eine Hypothyreose. Zu beachten ist ferner: Verstopfung ist eine unabdingbare Nebenwirkung jeder Opiattherapie. Es gibt keine Toleranzentwicklung wie bei den Nebenwir-
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Im Fokus: Kolorektalkarzinom
kungen Nausea und Schläfrigkeit. Die Relation Opiatdosis und Schweregrad der Verstopfung ist schwach. Es darf keine Opiattherapie ohne Laxativaprophylaxe und Instruktion des Patienten verabreicht werden. Empfohlen werden eine Kombination von zwei oralen Laxativa (osmotische Substanzen oder Salzlösungen und ein Reizlaxans) und bei Bedarf regelmässige Einläufe. Bei der häufigen Dehydratation sind Quellstoffe (Fiber-Produkte) ungünstig. Laktulose kann mehr Blähungen verursachen als andere osmotische Laxanzien. Natürliche Mittel sind oft erfolgreich. Entscheidend ist aber weniger die Substanzwahl als die Erkennung des Syndroms und die sorgfältige Monitorisierung der oralen und rektalen Therapie. Die ursachenspezifische Therapie kann sehr erfolgreich sein mit Elektrolytkorrektur (K, Ca), Medikamentenrotation (Opiatrotation), sowie Prokinetika (Metoclopramid 20 mg 2 x tgl., Domperidon 10 mg sublingual 3 bis 4 x tgl.).
Darmverschluss (Ileus)
Als Risikofaktoren für Subileus werden schwere Verstopfung, Dehydratation sowie transiente entzündliche Ödeme beschrieben. Die Symptomatik ist oft unspezifisch; beim Vollbild des Ileus treten schwerere Schmerzen und Erbrechen auf. Die Entscheidungsfindung der Therapie bei Patienten mit malignem Ileus (2) erfolgt individuell und interdisziplinär unter Berücksichtigung des Krankheitsverlaufs, der Prognose, der antineoplastischen Optionen, des Allgemeinzustandes und der Präferenzen des Patienten (Feuer, D.J. et al.: The Cochrane Library 4, 2001). Negative prognostische Faktoren für einen klinischen Benefit durch eine Operation (17 Faktoren aus retrospektiven Studien, Ripamonti C., Bruera E.: Int J Gyn Cancer 2002; 12: 135) umfassen die Ausdehnung des Tumors peritoneal (diffuse intraperitoneale Karzinomatose, Aszites mit häufiger Parazentese, multiple kleinere Obstruktionen) und systemisch (Metastasierung, krebsassoziierte Syndrome), das Ausmass der Malnutrition (klinisch, Labor) sowie die abdominalen vorhergehenden Therapien (Radiotherapie, Chirurgie, Vinca-Alkaloide). Der Stellenwert von Metallstents für Patienten mit singulärer lokalisierter Ob-
struktion bezüglich Symptomkontrolle, Komplikationen oder Lebensqualität ist bei Patienten mit fortgeschrittenem Krebsleiden noch nicht etabliert. Die Dekompression mit Gastrostomie ist dagegen oft eine gute Palliation, auch bei Patienten mit kurzer Lebenserwartung. Die medikamentöse Symptomkontrolle umfasst die Palliation von konstanten und kolikartigen (viszeralen) Schmerzen, Nausea/Erbrechen, Dehydratation und Anorexie/Kachexie. Die meisten Patienten brauchen ein Opiat (WHO-Klasse III) mit subkutaner oder parenteraler (ev. rektaler) Verabreichung. Vorläufige Daten suggerieren, dass Fentanyl und Methadon weniger als andere Opioide die intestinale Motilität hemmen. Zusätzlich werden zur Analgesie Anticholinergika (Scopolaminbutylbromide, Buscopan 40 bis 120 mg/Tag s.c. i.v.; kontinuierlich oder als repetitiver Bolus à 10 bis 20 mg) eingesetzt. Zur Kontrolle von Nausea und Erbrechen werden gleichwertig antisekretorische (Anticholinegika, Octreotide) und antiemetische Substanzen (Neuroleptika oder Antihistaminika) verwendet. Neuroleptika (Haloperidol 5 bis 15 mg/ Tag sc, Chlorpromazin 50 bis 100 mg 3 /Tag sc) und Antihistaminika (Dimenhydrinat 50 bis 100 mg sc) wurden ungenügend vergleichend untersucht. Prokinetika können bei Subileus vorsichtig eingesetzt werden. Haloperidol wird mit Morphin, Buscopan und Sandostatin in der gleichen subkutanen Infusion verabreicht. Octreotid (Sandostatin) inhibiert via gastrointestinale Hormone die gastrale, pankreatische, biliäre und intestinale Sekretion, die gastrointestinale Motilität sowie den splanchnischen Blutfluss und
erhöht die Absorption von Wasser und
Elektrolyten. Randomisierte klinische
Studien belegen die positiven Effekte
von Octreotid auf Nausea und Erbrechen
mit einem Vorteil gegenüber Anti-
cholinergika (Mercadante S. et al.: Supp
Care Cancer 2000; 8: 188–91). Die Ent-
wicklung eines Subileus zum Ileus
scheint gehemmt zu werden (Merca-
dante S. et al.: JPSM 1997; 13: 352–355).
Empfohlen wird 0,2 bis 0,9 mg/Tag Oc-
treotid kontinuierlich s.c. oder i.v. oder
2 x 0,15 mg als Bolus s.c./i.v. mit Steige-
rung auf 2 bis 3 x 0,3 mg.
Eine Cochrane Review berichtet über
einen Trend, dass Kortikosteroide (6 bis
16 mg Dexamethasone i.v.) einen (Sub-)-
Ileus rückgängig machen können (Feuer
D.J., Broadley K.E.: The Cochrane Library
4, 2001). Die Palliation der Dehydrierung
(Flüssigkeit s.c., 500 bis 1500 ml/24 h)
kann Nausea und Erbrechen bei Ileus
positiv beeinflussen. Zur Symptomkon-
trolle von Anorexie und Malnutrition
wird auf weiterführende Literatur verwie-
sen (3).
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Dr. med. Florian Strasser Onkologie und Palliativmedizin Fachbereich Onkologie/Hämatologie
DIM Kantonsspital St.Gallen E-Mail: florian.strasser@kssg.ch
Quellen/weiterführende Literatur:
1. Doyle, D., Hanks, G., Cherny, N., Sir Calman, K. (eds.): Oxford Textbook of Palliative Medicine. 3rd Edition. Oxford University Press, Oxford 2004.
2. Ripamonit, C., Twycross, R., Baines, M. et al.: Supp Care Cancer 2001; 9: 223–233.
3. Strasser, F., Stanga, Z., Rousset, C., Papalini, M., Zürcher, T.: Palliation von Appetitverlust und Mangelernährung. Palliative-Ch 2004; 1: 6–15.
Tabelle: Hinweise zur Beurteilung des Schweregrades der Verstopfung
Stuhlbewegungen Veränderungen der Stuhlgewohnheiten, irreguläre Darmentleerungen, Schwierigkeiten der Entleerung, Durchfall, Anzahl der Stuhlentleerungen der letzten Wochen, Darmgeräusche.
Stuhl Volumen, Qualität, Lokalisation von Rektum oder Kolon (Inspektion, rektale Untersuchung, Palpation, Abdomen-Röntgen). Abdominale Untersuchung zur Diagnose von Blähung, palpable fäkale Massen, Impaktion proximal (leeres Rektum oder distal).
Laxativa
Dosis und Typen von Laxativa in den letzten Wochen, orale und rektale Formulierung.
Symptome
Übelkeit, Blähungen, Tenesmen, schmerzhafte Stuhlentleerungen, Flatulenz, Gefühl von inkompletter Entleerung etc.
Entscheidend ist eine hohe klinische Verdachtsdiagnose. Es können atypische Symptome im Vordergrund stehen wie Übelkeit, abdominales Völlegefühl oder Überfluss-Durchfall.
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