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Im Fokus: Kolorektalkarzinom
Früherkennung durch Screening
Die verschiedenen Verfahren bei normalem und hohem Risiko Früherkennungsmassnahmen versprechen beim kolorektalen Karzinom (KRK) eine hohe Erfolgsrate hinsichtlich der Senkung von Inzidenz und Mortalität. Dabei hängt ein erfolgreiches Screening vom situationsgerechten Einsatz der zur Verfügung stehenden Methoden ab. Im Folgenden werden die Verfahren in Bezug auf Effektivität und limitierende Faktoren vorgestellt und die Anwendung bei Patienten mit normalem und erhöhtem Risiko beschrieben.
TOBIAS SILZLE UND FRANK SEIBOLD
Mehrere Faktoren machen das KRK zu einer für Screeningprogramme in paradigmatischer Weise geeigneten Erkrankung: Das KRK ist häufig, bei früher Diagnosestellung potenziell heilbar, und es verläuft unbehandelt tödlich. Neben Mamma- und Bronchialkarzinomen ist das KRK die dritthäufigste Tumorerkankung bei beiden Geschlechtern und die zweithäufigste krebsbedingte Todesursache. In der Schweiz muss pro Jahr mit rund 3500 Neuerkrankungen und rund 1900 KRK-bedingten Todesfällen gerechnet werden (1). Trotz der Fortschritte in (neo)adjuvanter Chemo- und Radiotherapie ist eine Heilung nur chirurgisch in frühen Tumorstadien möglich. Aufgrund der sehr häufig verzögerten Diagnose in bereits fortgeschrittenem Tumorstadium verstirbt auch hierzulande noch fast jeder zweite Patient nach KRK-Diagnose an seinem Tumorleiden. Den fortgeschrittenen Tumorstadien geht eine lange, klinisch meist stumme Phase voraus, während der potenziell kurable Tumoren diagnostiziert werden könnten. Die meisten der sporadisch auftretenden KRK entstehen im Rahmen der Adenom-Karzinom-Sequenz durch die sukzessive Akkumulation genetischer Schäden aus zunächst gutartigen adenomatösen Polypen. Durch die auf etwa zehn Jahre geschätzte Dauer dieses Prozesses ist die Chance der Früherkennung bei asymptomatischen Patienten gegeben. Zusätzlich ermöglicht das Screening die Prävention des KRK durch endoskopische Abtragung von Adenomen als prämaligne Läsionen. Folgende Screeningmethoden stehen zur Verfügung:
▲ Fäkale okkulte Bluttestung (FOBT) ▲ Sigmoidoskopie ▲ Kolonoskopie.
Fäkal okkulter Bluttest (FOBT)
Der FOBT ist neben der digitalen Palpation das älteste im Rahmen des KRK-Screenings eingesetzte Verfahren, welches zudem am einfachsten durchzuführen und am kostengünstigsten ist. Er macht sich die Tatsache zunutze, dass Karzinome und Adenome einer gewissen Grösse bluten können. Die durch den Test erzielbare Mortalitätssenkung ist durch eine mögliche frühe Diagnose des KRK in therapierbaren Stadien zu erklären. Der FOBT ist das einzige Screeningverfahren, dessen Wirksamkeit hinsichtlich der Mortalitätssenkung durch insgesamt vier grosse, prospektive, randomisierte Studien aus Grossbritannien (2, 3), Dänemark (4, 5), Schweden (6) und aus den USA (7, 8) belegt ist. Diese Studien schliessen fast 300 000 Probanden mit einem Follow-up von bis zu 18 Jahren ein (Tabelle 1 [9]). Eine Metaanalyse zeigt, dass die KRK-Mortalität durch FOBT um 16 bis 23 Prozent gesenkt werden kann (10). Entscheidend für den Erfolg ist die wiederholte Testung über mehrere Jahre: Die Überlegenheit des jährlichen gegenüber dem zweijährlichen Screening geht aus der Minnesota-Studie hervor. Hier zeigte sich für den jährlichen FOBT eine Mortalitätssenkung von 23 Prozent nach 13 Jahren beziehungsweise 33 Prozent nach 18 Jahren gegenüber lediglich 6 und 21 Prozent für den zweijährigen Turnus. Auch die Daten aus der Fünen-Studie, bei der ge-
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samthaft sieben Tests angeboten wurden, unterstreichen den Nutzen einer repetitiven Testdurchführung. Die gesamte Screeninggruppe wies eine Mortalitätsreduktion von 18 Prozent auf, während bei der Probandengruppe, die an allen sieben Untersuchungen teilnahm, eine Mortalitätsreduktion von 33 Prozent erzielt werden konnte. Schwer wiegender Nachteil des Tests ist seine geringe Sensitivität, die für KRK etwa 30 bis 50 Prozent und für Adenome nur etwa 15 Prozent beträgt. Deswegen ist die Aussagefähigkeit eines einmalig negativen FOBT gering; und es besteht die Gefahr, dass Arzt und Patient sich in falscher Sicherheit wiegen. Aufgrund der geringen Sensitivität muss jedes positive Testergebnis kolonoskopisch abgeklärt werden. Eine Wiederholung des FOBT ist in diesem Fall nicht sinnvoll. Die niedrige Sensitivität verbietet auch den Einsatz des FOBT bei Abklärung symptomatischer Patienten oder im Screening von Hochrisikogruppen. Zahlreiche diätetische Störfaktoren können zu falsch-positiven (z.B. Einnahme von NSAR, Verzehr von Meerrettich, rotem Fleisch) oder falsch-negativen Resultaten (z.B. Vitamin C) führen. Allerdings scheinen diätetische Vorschriften keinen signifikanten Einfluss auf die Aussagefähigkeit des Tests zu haben (11).
Abbildung 1: Fahrplan für ein risikogruppengerechtes Screening:
Anamnese
Warnsymptome für KRK: Leistungsknick Gewichtsabnahme Blut im Stuhl
Veränderung der Stuhlgewohnheiten
kein Screening gezielte Abklärung
Positive Anamnese für: adenomatöse Polypen/KRK Verwandte 1. Grades mit Adenom/KRK < 60 Jahre chronisch-entzündliche Darmerkrankung familiäre Tumorsyndrome (FAP, HNPCC etc.) Erhöhtes KRK-Risiko: Risikoadaptierte endoskopische Screeningprogramme Patienten mit durchschnittlichem Risiko: Beginn des Screenings mit 50 Jahren Patienteninformation individuelle Verfahrensauswahl Jährlicher FOBT Sigmoidoskopie (3–5-jährlich) +/-jährlicher FOBT Kolonoskopie (im Screening 10-jährlich) positiv Nachweis distaler Polypen Polypektomie bei Nachweis von Polypen Adenom Einschluss in Nachsorgeprogramme Karzinom Therapie Endoskopische Screeningverfahren Endoskopische Screeningverfahren sind deutlich sensitiver als der FOBT und ermöglichen eine (allerdings nur durch FallKontroll-Studien belegte) deutlich höhere Mortalitätssenkung. Zudem bieten sie die Möglichkeit der endoskopischen Polypenabtragung. Durch die Entfernung prämaligner Neoplasien lässt sich die KRK-Inzidenz nachweislich verringern. Sigmoidoskopie In den USA und Grossbritannien wird die Sigmoidoskopie als Screeningmethode häufig eingesetzt. Mit dem Sigmoidoskop kann das Kolon bei idealen Untersuchungsbedingungen bis zur linken Flexur eingesehen werden. Die Sigmoidoskopie bedarf keiner intensiven Patientenvorbereitung hinsichtlich der Darmreinigung und kann ohne Sedation bei insgesamt kurzer Dauer durchgeführt werden. Das Komplikationsrisiko ist gering. In vier Fall-Kontroll-Studien konnte eine Mortalitätsreduktion von 60 bis 80 Prozent für Tumoren im Rektosigmoid belegt werden (12–15). Bezogen auf Karzinome im gesamten Kolon konnte eine Studie eine Reduktion der Mortalität um 50 Prozent nachweisen (12). Gross angelegte, prospektive, randomisierte Studien werden zur Zeit durchgeführt (16, 17); ihre Ergebnisse hinsichtlich der Mortalitätsreduktion sind abzuwarten. Als Screeningintervall bei unauffälligem Befund werden fünf Jahre empfohlen. Da bekannt ist, dass Patienten mit distalen Polypen in bis zu 40 Prozent der Fälle auch Polypen in proximalen Kolonabschnitten aufweisen (18, 19), ist bei Vorliegen eines distalen «Indexpolypen» die Durchführung einer kompletten Kolonoskopie indiziert. Allerdings bleiben durch alleinige Sigmoidoskopie isolierte KRK proximal der linken Flexur unentdeckt. Epide- miologisch wird seit längerer Zeit ein Trend zum vermehrten Auftreten rechtsseitiger KRK beschrieben (20). Dies und die Tatsache, dass erfahrungsgemäss bei Routineuntersuchungen eine Beurteilung des distalen Kolons bis zur linken Flexur nur in etwa 25 Prozent der Fälle gelingt (21), werden als limitierende Faktoren für den Einsatz der Sigmoidoskopie angesehen. Kolonoskopie Durch die Notwendigkeit, auch isolierte proximale Neoplasien zu entdecken, ist der Einsatz der Kolonoskopie als Screeningmethode begründet. Sie bietet als einzige die Möglichkeit der Diagnose und endoskopischen Therapie im gesamten Kolon. Der diesbezügliche Vorteil eines kolonoskopischen Screenings wird durch einige Studien nahe gelegt. Unter knapp 3200 asymptomatischen Patienten fanden sich bei 128 Probanden 6 ONKOLOGIE 2/2004 Im Fokus: Kolorektalkarzinom Tabelle 1: Übersicht über die zur Effektivität des FOBT vorliegenden randomisierten Studien Referenzen Testhäufigkeit Probanden Studiendauer Testtyp Follow up (Jahre) Compliance Minnesota-Studie (USA) Nottingham-Studie 7, 8 2, 3 Jährlich oder zweijährlich Zweijährlich 50–80 Jahre 45–74 Jahre Jährliches Screening: 15 570 Screeninggruppe: 76 466 Zweijährliches Screening: 15 870 Kontrollgruppe: 76 384 Kontrollen: 15 394 1975–82 und 1986–1992 1981–95 Rehydrierung Keine Rehydrierung 18 11 Jährlich: mindestens 1-mal: Mindestens 1-mal: > 90%
> 90%,
Alle Untersuchungen: 38%
Alle Untersuchungen: 46%
Fünen-Studie 4, 5 Zweijährlich 45–75 Jahre Screeninggruppe: 30 967 Kontrollgruppe: 30 966
Seit 1985 Keine Rehydrierung 13 Mindestens 1-mal: 67% Alle Untersuchungen: 46%
Göteburg-Studie 6 Zweijährlich 45–75 Jahre Screeninggruppe: 34 144 Kontrollgruppe: 34 164
Seit 1982 Rehydrierung 18 Erste Untersuchung: 63% Zweite Untersuchung: 60% Mindestens 1-mal 68%
Sensitivität für KRK Positiver prädiktiver Wert
Relative Mortalitätsreduktion
Zweijährlich: Mindestens 1-mal: > 90% Alle Untersuchungen: 60% 92% 2,2% mit Rehydrierung 5,6% ohne Rehydrierung Jährlicher Test: 33% Zweijährlicher Test: 21%
64% 1. Untersuchung 9,9% 2. Untersuchung 11,9% 13%
46% 1. Untersuchung 17,7% 2. Untersuchung 8,4–16,3% 18%
81% 1. Untersuchung 5% 2. Untersuchung 4,2% Keine Angaben
fortgeschrittene proximal lokalisierte Polypen, von denen die Hälfte keinen distalen Indexpolypen aufwies (22). Diese Datenlage wurde in einer weiteren retrospektiven Studie bestätigt (23). Randomisierte Studien bezüglich der Mortalitätsreduktion durch ein kolonoskopischen Screening liegen allerdings noch nicht vor. Einige Fall-Kontroll-Studien belegen eine Reduktion der KRK-Inzidenz nach kolonoskopischer Polypektomie um 75 bis 90 Prozent (24, 25) und eine Reduktion der KRK-bedingten Mortalität um 77 Prozent nach sieben Jahren und 59 Prozent nach 19 Jahren (26). Als Screeningintervall werden zehn Jahre empfohlen, da fünf Jahre nach unauffälliger Kolono-
Abbildung 2: Prävalenz des Kolorektalkarzinoms in der Bevölkerung je nach Risikogruppe: 78% der Fälle treten sporadisch, d.h. bei durchschnittlichem Risiko, auf. (IBD = Inflammatory bowel disease, HNPCC = Hereditary non-polyposis-colicancer, FAP = Familiäre adematöse Polyposis).
sporadisch 78%
skopie fortgeschrittene Adenome in weniger als 1 Prozent und keine Karzinome gefunden wurden (27). Nachteil der Kolonoskopie gegenüber der Sigmoidoskopie sind die deutlich aufwändigere Vorbereitung zur Darmreinigung, die längere Untersuchungsdauer und die höhere Komplikationsrate.
Neuere Screeningmethoden
In Anbetracht der Grenzen etablierter Screeningmethoden existieren verschiedene Ansätze für neue Testverfahren (28). Neben immunochemischen FOBT sind Stuhltests zum Nachweis von mit der Adenom-Karzinom-Sequenz assoziierten
IBD 1% HNPCC 5% FAP 1%
pos. Familienanamnese 15%
Mutationen in abgeschilferten Epithelien prinzipiell viel versprechende Ansätze. Allerdings kann eine Anwendung ausserhalb von Studien derzeit nicht empfohlen werden. In den Medien grosse Beachtung findet die «virtuelle Kolonoskopie» im Rahmen einer CT-Untersuchung. Erste Daten zeigen, dass diese Methode auch im Screening asymptomatischer Probanden eine ähnliche Sensitivität für Adenome > 1 cm wie die Endoskopie aufweist (29). Allerdings ist auch die virtuelle Kolonoskopie mit einem hohen Aufwand hinsichtlich der Patientenvorbereitung verbunden, und im Fall des Polypennachweises muss kolonoskopiert werden, sodass unter Umständen eine Doppelbelastung der Patienten resultiert. Die Sensitivität für kleine Polypen liegt zudem unter jener der Kolonoskopie, weswegen die Methode zum jetzigen Zeitpunkt nicht für das routinemässige Screening empfohlen werden kann.
Praktische Empfehlungen zum Screening
Risikogruppengerechtes Screening: Die Wahl des Screeningverfahrens hinsichtlich Beginn, eingesetzter Methoden und Screeningintervallen richtet sich nach dem Risiko für die Entwicklung eines KRK. Hier wird zwischen Patienten mit durchschnittlichem Risiko und Hoch-
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Tabelle 2: Screeningmethoden für das KRK und Empfehlungen für Patienten mit durchschnittlichem Risiko
Effizienzbeleg im Rahmen randomisierter Studien Ungefähre Senkung der Mortalität
Geschätzte Sensitivität Geschätzte Spezifität Patientenvorbereitung
Fäkaler okkulter Bluttest (FOBT) ja
ca. 16% (30% bei Patienten mit hoher Compliance für repetitive Testung) 40% für unrehydrierte Proben 96–98% für unrehydrierte Proben evtl. Diätvorschriften
Sigmoidoskopie nein
60–80% für KRK im Rektosigmoid 50% für das gesamte Kolon ca. 90% für einsehbare Abschnitte 99% Einlauf kurz vor Untersuchung
Kolonoskopie nein
ca. 75%
ca. 90% für das gesamte Kolon 99% Darmreinigung
Empfehlungen
Gastrointestinal Consortium (30) American College of Gastroenterology (31) Deutsche Gesellschaft für Verdauungsund Stoffwechselkrankheiten (32)
jährlich ab 50 Jahren (J) jährlich ab 50 J jährlich ab 50 J
alle 5 Jahre ± FOBT jährlich ab 50 J alle 10 Jahre ab 50 J alle 5 Jahre ± FOBT jährlich ab 50 J alle 10 Jahre ab 50 J alle 5 Jahre ± FOBT jährlich ab 50 J alle 10 Jahre ab 55 J
risikopatienten unterschieden. Wie aus Abbildung 2 zu entnehmen, treten 78 Prozent der KRK sporadisch in der Bevölkerung mit durchschnittlichem Risiko auf, die restlichen in Risikogruppen.
Patienten mit durchschnittlichem Risiko
Beginn des Screenings: Gesamthaft zeigt das KRK eine altersabhängige Inzidenz: 90 Prozent der Fälle treten nach dem 50. Lebensjahr auf. Früher auftretende Tumoren finden sich fast ausschliesslich bei Patienten der unten beschriebenen Risikogruppen. Weil die Spezifität von Screeninguntersuchungen entscheidend von der Prävalenz der Erkrankung im überwachten Kollektiv abhängt, soll für Patienten mit durchschnittlichem Risiko das Screening erst mit vollendetem 50. Lebensjahr begonnen werden. So ist es möglich, die Rate falsch-positiver Screeninguntersuchungen, die mit erheblichem personellen, finanziellen und nicht zuletzt emotionalen Aufwand für die Patienten einhergehen, tief zu halten. Tabelle 2 gibt einen Überblick über die weit gehend deckungsgleichen Empfehlungen verschiedener internationaler Fachgesellschaften (30–32). Prinzipiell können die Durchführung eines regelmässigen FOBT, die Sigmoidoskopie mit und ohne FOBT und die Kolonoskopie empfohlen werden (Abbildung 1). Für alle drei Vorgehensweisen wurde der Nachweis der Kosteneffektivität erbracht, ohne die Überlegenheit eines Verfahrens gegenüber dem ande-
ren in dieser Hinsicht zu zeigen. Allerdings liegen diesen Daten die Verhältnisse in den USA zu Grunde (33). In der Praxis kommt es darauf an, im individuellen Gespräch die Vor- und Nachteile der einzelnen Methoden zu diskutieren und ein Vorgehen auszuwählen, das sowohl hinsichtlich gebotener Sicherheit als auch der mit dem Screening verbundenen Unannehmlichkeiten dem einzelnen Patienten gerecht wird. Nur für den jährlichen FOBT kann aufgrund prospektiver Daten eine evidenzbasierte Empfehlung ausgesprochen werden. Um sein Potenzial voll auszuschöpfen, gilt es, Patienten zum jährlichen Test zu ermuntern und positive Testbefunde konsequent kolonoskopisch abzuklären. Ein Screening der Bevölkerung mit FOBT ist vor allem aus gesundheitsökonomischen Gründen sinnvoll, bietet aber dem einzelnen Patienten wegen der geringen Sensitivität eventuell zu wenig Sicherheit. Ein alleiniges Screening mittels FOBT wird man deshalb nur Patienten empfehlen, die zu endoskopischen Untersuchungen nicht bereit sind. Die komplette Kolonoskopie besitzt die höchste Sensitivität für das Auffinden eines KRK. Im Gegensatz zu Deutschland, wo diese Untersuchung seit Herbst 2003 von den Krankenkassen in zehnjährigem Turnus als Screeningmethode bezahlt wird, wird in der Schweiz die präventive Kolonoskopie nicht übernommen. Wahrscheinlich würde ein breites Screening der Bevölkerung auch zu Engpässen in der Verfügbarkeit der Kolonoskopie führen.
Besondere Risikogruppen
Für Patienten mit einem Angehörigen ersten Grades, der an einem KRK erkrankt ist, verdoppelt sich das KRK-Risiko und kann bis auf das Sechsfache ansteigen, wenn mehrere erstgradige Verwandte betroffen sind. Für Patienten, bei deren erstgradigen Verwandten nach dem 55. Lebensjahr (LJ) ein KRK oder adenomatöser Polyp diagnostiziert wurde, wird empfohlen, ab dem 40. LJ mit dem Screening (FOBT und Kolonoskopie in zehnjährigen Abständen) zu beginnen. Wurde der Indextumor des Verwandten früher diagnostiziert (< 55. LJ), so soll zehn Jahre vor Diagnose des Indextumors mit dem Screening begonnen werden. Eine Reihe genetischer Erkrankungen, vor allem familiäre adenomatöse Polyposis coli (FAP) und hereditary-non-polyposis-coli-cancer (HNPCC), geht mit einem hohen Risiko für KRK einher, sodass Patienten aus betroffenen Familien in adaptierte Screeningprogramme eingeschlossen werden müssen. Allerdings sollten solche Patienten in Zentren betreut werden, die eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von Gastroenterologen, Humangenetikern und Psychologen gewährleisten. Auch Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (inflammatory bowel disease, IBD) weisen ein deutlich höheres Risiko für KRK auf. Dauer, Ausdehnung und Aktivität der Erkrankung gelten dabei als wesentliche risikodeterminierende Faktoren (34, 35). Konsequente Überwachung durch Screeningprogramme senkt nachweislich die KRK-
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von Polypen mit geringerem Risiko der
Tabelle 3: HNPCC: Amsterdam- und Bethesda-Kriterien
malignen Transformation auszeichnet. Konnte beim Indexpatienten einer Fami-
Amsterdam-I-Kriterien 1. Mindestens drei Familienmitglieder mit histologisch gesichertem KRK 2. Ein Betroffener Verwandter 1. Grades der beiden anderen
lie eine Mutation identifiziert werden, so sollten Angehörige genetisch auf das Vorliegen der identifizierten Mutation
3. Mindestens zwei konsekutive Generationen betroffen
getestet werden. Bei negativem Ergeb-
4. Mindestens ein Betroffener < 50 Jahre bei Diagnose des KRK 5. Ausschluss einer FAP
nis erübrigen sich weitere Screeninguntersuchungen, bei Nachweis einer
Amsterdam-II-Kriterien Wie oben, jedoch unter Miteinbeziehung folgender HNPCC-assoziierter Malignome:
Mutation oder fehlender Klärung des Mutationsstatus muss nach dem zehnten
Endometriumkarzinom Dünndarmkarzinom Hepatobiliäres Karzinom bei fehlender Virusgenese Urothelkarzinom der ableitenden Harnwege.
Lebensjahr mit jährlichen Sigmoidoskopien/Kolonoskopien begonnen werden. Beim Nachweis von Polypen in der Sigmoidoskopie hat eine Kolonoskopie mit
Bethesda-Kriterien 1. Amsterdam-Kriterien 2. Zwei synchrone oder metachrone KRK und/oder HNPCC-assoziierte Malignome 3. Zwei erstgradige Verwandte mit KRK und/oder HNPCC-assoziierten Malignomen und/oder kolorektalen
Adenomen 4. KRK oder Endometriumkarzinom < 45 Jahre 5. Histologisch undifferenziertes KRK im rechten Hemikolon < 45 Jahre 6. KRK mit Siegelringzellen < 45 Jahre
Biopsien zur Statuserfassung zu erfolgen. Die Indikation zur Kolektomie besteht beim Nachweis mehrerer Adenome > 1 cm oder Adenomen mit villösen Anteilen (bzw. High-grade-Dysplasien oder profuser Polypose). Patienten mit wenigen kleinen (< 5 mm) Adenomen können
7. Adenome < 40 Jahre
endoskopisch in jährlichem Turnus über-
wacht werden, um die Kolektomie
während der Adoleszenz zu vermeiden.
bedingte Mortalität von Colitis-ulcerosa- im Adenomatöse-polyposis-coli (APC)- Wegen des erhöhten Risikos für das Auf-
Patienten. Wie sporadische KRK entste- Gen (Überblick bei [36]). Drei Viertel aller treten von Adenomen im obere GI-Trakt
hen die Karzinome bei IBD aus dysplasti- Patienten erkranken im Rahmen eines fa- gehören ab dem 30. LJ auch regelmässige
schen Vorläuferläsionen. Dysplasien miliären Leidens, ein Viertel im Rahmen Ösophago-Gastro-Duodenoskopien zum
finden sich nicht nur in polypoiden von Neumutationen. FAP-assoziierte Kar- Screeningprogramm.
Schleimhautproliferaten, sondern auch in zinome machen etwa 1 Prozent aller KRK Hereditary non-polyposis-coli-cancer
makroskopisch relativ unauffälligen Be- aus. Die Diagnose wird klinisch durch (HNPCC): Etwa 5 Prozent aller KRK tre-
zirken, sodass systematisch möglichst den endoskopischen und histologischen ten im Rahmen von HNPCC-Syndromen
viele Biopsien empfohlen werden müs- Nachweis von > 100 adenomatösen Po- auf. Diese Tumoren unterscheiden sich
sen. Der Nachweis von High-grade-Dys- lypen gestellt. Das KRK-Risiko beträgt von sporadischen KRK durch ein frühzei-
plasien macht aufgrund der hohen Rate 100 Prozent nach dem 45 LJ. Daneben tiges Auftreten vor dem 50. LJ, Bevorzu-
synchroner Karzinome die prompte Kol- existiert eine mildere Verlaufsform (at- gung des Colon ascendens und trans-
ektomie notwendig. Hinsichtlich Low- tenuierte FAP, aFAP), die sich durch spä- versum (etwa 65% der KRK proximal der
grade-Dysplasien wird diskutiert, ob die teres Auftreten einer geringeren Anzahl linken Flexur) und häufigem Vorlie-
prompte Kolektomie geboten ist oder
ob engmaschige Kontrollen gerechtfertigt sind. Für Colitis-ulcerosa-Patienten
merksätze
wird bei linksseitiger Kolitis der Beginn des kolonoskopischen Screenings 15 Jahre nach Diagnosestellung in ein- bis zweijährigen Abständen empfohlen. Bei Pankolitiden soll das Screening bereits ab dem achtem Jahr nach Diagnosestellung beginnen. Für Kolitiden im Rahmen eines M. Crohn gelten analoge Empfehlungen.
▲ Screeningmassnahmen bei KRK sind wegen der Häufigkeit, Letalität und potenziellen Heilbar-
keit der Krankheit ausserordentlich sinnvoll. ▲ Aufgrund der altersabhängigen Prävalenz sind Screeningmassnahmen für Patienten mit durch-
schnittlichem Risiko erst ab dem 51. Lebensjahr sinnvoll. ▲ Die Wahl des Verfahrens (jährlicher FOBT, 5-jährliche Sigmoidoskopie mit oder ohne jährlichem
FOBT oder 10-jährliche Kolonoskopie) ist eine individuelle Entscheidung, die das Sicherheits-
bedürfnis des Patienten und seine Bereitschaft, Unannehmlichkeiten in Kauf zu nehmen, berück-
sichtigen muss. ▲ Endoskopische Screeningverfahren sind unter Sicherheitsaspekten zu bevorzugen (Kolonoskopie
Erbliche Tumorerkrankungen Bei der familiären adenomatösen Polyposis (FAP) handelt es sich um eine autosomal-dominant vererbte Erkrankung, verursacht durch Keimbahnmutationen
als sensitivste Methode bei allerdings fehlendem Effektivitätsnachweis nach den Kriterien der
Evidence based Medicine und ungeklärter Kostenfrage). Sie senken nachweislich auch die KRK-
Inzidenz. ▲ Die alleinige Testung auf okkultes Blut im Stuhl ist die Minimalvariante des Screenings. Um
effektiv zu sein, muss sie jährlich über einen längeren Zeitraum durchgeführt werden.
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gen von synchronen oder metachronen
Tumoren (36). Genetische Grundlage
sind Keimbahnmutationen in DNA-mis-
match-repair-Genen. Die Diagnose ei-
nes HNPCC-Syndroms wird anhand ver-
schiedener Kriterienkataloge gestellt
(siehe Tabelle 3). Auch beim HNPCC soll
versucht werden, die bei einem Index-
patienten der Familie vorliegenden
Mutationen zu identifizieren, um den Ein-
schluss nicht betroffener Familienmit-
glieder in Screeningprogramme zu ver-
meiden. Betroffene Patienten sollten ab
dem 20. bis 25. Lebensjahr oder ab zehn
Jahren vor Auftreten des am frühesten in
der Familie diagnostizierten Tumors ko-
lonoskopisch gescreent werden. Wegen
der Häufigkeit von Tumoren proximal der
linken Flexur scheidet die Sigmoidosko-
pie als Screeningmethode aus. Bei Dia-
gnose eines KRK oder eines fortgeschrit-
tenen Polypen (> 1 cm, villöse Anteile,
High-grade-Dysplasie) besteht die Indi-
kation zur subtotalen Kolektomie und
konsekutiver Überwachung des verblei-
benden Rektumstumpfes. Im Gegensatz
zur FAP besteht nach aktueller Daten-
lage keine Indikation zur prophylakti-
schen Kolektomie.
▲
PD Dr. med. Frank Seibold (Korrepondenzadresse) und Dr. med. Tobias Silzle
Klinik für Gastroenterologie Inselspital Bern
E-Mail: frank.seibold@insel.ch
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10 ONKOLOGIE 2/2004