Transkript
KOLUMNE
Plädoyer für ein Machtwort im Gesundheitswesen
von Mechtild Willi Studer, Mitglied des Redaktionellen Beirats der Zeitschrift «Managed Care»
Mechtild Willi Studer
In der schweizerischen Gesundheitspolitik besteht klarer Handlungsbedarf. Die Staatsausgaben steigen stetig; zugleich führen politisch erzwungene Steuerreduktionen und Mindereinnahmen aufgrund der angespannten Wirtschaftslage dazu, dass die Einnahmen sinken. Die Einnahmenseite ist schwierig zu beeinflussen; deshalb ist, wie jeder aus dem eigenen Privathaushalt weiss, auf der Ausgabenseite Sparen unabdingbar. Nicht zuletzt auch, weil es unverantwortlich ist, der künftigen Generation nebst anderen gravierenden Problemen noch einen immensen Schuldenberg zu hinterlassen. Wie können wir vernünftig – das wollen wir ja alle sein – sparen? Dafür bestehen Tausend und mehr Rezepte, viele alte und wenig neue. Alle wollen offensichtlich sparen – nur nicht im eigenen Bereich. Und genau da besteht ein erstes grosses Problem: Lobbyieren, will heissen die Verteidigung eigener Pfründe, ist mittlerweile bei allen Interessengruppen «in». Auch kleinere und finanziell eher schwache Gruppen haben erkannt, dass sie mit einer starken PR-Abteilung das politische
System beeinflussen können. Keine gute Ausgangslage bietet ausserdem die aktuell grosse Divergenz im politischen System, die keine Hoffnung zulässt, dass sich die Probleme im Gesundheitswesen im Konsens lösen lassen. So sehr ich die demokratischen Prozesse zur Willensbildung schätze – im Gesundheitswesen braucht es zum nachhaltigen Sparen meiner Meinung nach ein politisches Machtwort, und zwar auf höchster Ebene. Im Zentrum sollte dabei stehen: Wozu und für wen braucht es das Gesundheitswesen? – Es regelt und gewährleistet die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung! Sparentscheidungen sollten also weniger die Interessen der Akteure als jene der Bevölkerung berücksichtigen. Fokus der Sparbemühungen muss sein: Worauf ist die «gesunde» Bevölkerung zu verzichten bereit? Dazu gibt es bereits Hinweise, die es weiter zu verfolgen gilt. Ich denke da an die jährliche repräsentative Bevölkerungsbefragung des GfS-Forschungsinstituts im Auftrag der Interpharma. Wenn hier beispielsweise 78 Prozent der Befragten finden, dass es in erster Linie mehr Pflegepersonal brauche, so heisst das zwar nicht, dass im Pflegebereich nicht gespart werden darf; aber es heisst, dass Sparmassnahmen in diesem Bereich in jedem Fall genau zu prüfen und deren mögliche Folgen für Patientinnen und Patienten vom Betrieb sauber nach aussen zu kommunizieren sind. Wenn sich (wie es dem Jahresbericht der Beschwerdestelle für das Alter Region Zürich/Schaffhausen zu entnehmen ist) Klagen über schlechte Betreuung und Pflege häufen, so ist das alarmierend. In dieser Situation das Personal noch mehr unter Druck zu setzen, ist fatal.
Es ist leider unrealistisch, zu glauben, die Akteure würden freiwillig Kooperationen eingehen und sich für eine enge Zusammenarbeit entscheiden. Es braucht zumindest eine staatliche Förderung und Verankerung des Managed-Care-Gedankens auf Bundesebene, so wie sie (wenn auch noch wenig ausgereift) in der letzten verworfenen KVG-Revision vorgesehen war. Ich glaube, wir kommen nicht umhin, die Verteilung der Aufgaben und Kompetenzen auf Bundes-, Kantons- und Kommunalebene neu zu überdenken. Unabhängig getroffene Einzelentscheidungen können wir uns nicht mehr leisten. Ich plädiere deshalb für ein in den Grundsätzen staatlich gesteuertes Gesundheitswesen, das den Bedürfnissen der Bevölkerung und den staatlich festgesetzten Prämissen (selbst die entstehen ja demokratisch) Priorität einräumt vor den Interessen einzelner Gruppen.
Mechtild Willi Studer, Leiterin Pflegedienst a.I. an einer
Akut- und Rehabilitationsklinik; Mitglied des Redaktionellen Beirats
der Zeitschrift «Managed Care»
Kontaktadresse: Mechtild Willi Studer
Schlossanlage Altes Gerichtshaus
8934 Knonau E-Mail: mws@mechtildwilli.ch
30 Managed Care 6 ● 2004