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EDITORIAL
Integrierte Versorgung – das Erfolgsrezept der Zukunft?
Ueli Bodmer
Das Gesundheitswesen steht im Spannungsfeld zwischen steigender Nachfrage bei zunehmendem Angebot und einer Verknappung der zur Verfügung stehenden Ressourcen. Deshalb wird der Ruf nach vermehrter Steuerung laut. Die Entwicklung von Managed-Care-Systemen hat auch in der Schweiz gezeigt, dass nach einer langen Phase der Ausdifferenzierung nun die Frage nach der institutionenübergreifenden Integration ansteht. Zusammen mit meinen Kollegen im Vorstand von medswiss.net bin ich, stellvertretend für mehr als 1300 erfahrene Netzwerkärztinnen und -ärzte, überzeugt: Durch eine institutionenübergreifende Integration der Patientenbehandlung in Versorgungsnetzen würden sich die Kostentreiber Föderalismus und fehlendes nationales Gesundheitsprogramm sowie Fragmentierung und falsche Finanzanreize günstig beeinflussen lassen. Heute behindern folgende Realitäten die Entwicklung hin zu mehr Integration: ■ Das dualistische Finanzierungssystem im stationären und das Einzelleistungsprinzip im ambulanten Bereich setzen bei allen Beteiligten falsche ökonomische Anreize. ■ Der Kontrahierungszwang und der morbiditätsunabhängige Risikoausgleich verhindern einen Wettbewerb unter den Versicherern und Versorgungsnetzen um die Gunst der – teuren – mehrfach und chronisch Kranken. ■ Angesichts der Machtpolitik der namhaften Versicherer erweisen sich partnerschaftliche Integrationsideen als schwierig. ■ Die universitäre Lehre und Forschung berücksichtigt die Aspekte der Praxisrelevanz und -tauglichkeit
zu wenig, gerade im Bereich
der für die Steuerung bedeu-
tenden Primärversorgung.
■ Durch das Solidaritäts-
prinzip und das Versiche-
rungsobligatorium fehlt es
den Patienten und gesunden
Versicherten im Grundversicherungsbereich an ei-
Ueli Bodmer
ner bedarfsgerechten Wahl-
möglichkeit.
Integrierte Versorgungsnetzwerke werden sich nur
dann bewähren und nachhaltig weiterentwickeln,
wenn sie im Sinne einer Win-Win-Situation allen Ak-
teuren im Gesundheitswesen Vorteile verschaffen.
Die dazu nötigen Instrumente und Voraussetzungen
sind in der Theorie längst bekannt. Sie finden sich
unter anderem in der «Vision 08», einem Projekt von med-swiss.net1.
Damit in Zukunft nun auch die praktische Umset-
zung möglich wird, braucht es den Mut aller betei-
ligten Verantwortlichen, sich im Gesundheitswesen
endlich der Machtpolitik zu entsagen und sich einer
nationalen Gesundheitspolitik mit fundierten Ziel-
vorstellungen zuzuwenden.
Integration verlangt einen fundamentalen Wandel
der Denkweise und des Handelns. Sollte dieser Wan-
del gelingen, so darf von integrierter Versorgung als
Erfolgsrezept gesprochen werden.
Dr. med. Ueli Bodmer Facharzt für Allgemeine Medizin
Vorstand med-swiss.net Dachverband der Schweizer Ärztenetzwerke
E-Mail: ubodmer@bluewin.ch
1 Dieses Projekt wird unter dem Titel «Netzwerke – von der Vision zur Realität» am 23. September 2004 an einer Podiumsveranstaltung in Zürich der breiten Öffentlichkeit vorgestellt (16 Uhr, Hotel Marriott, Zürich).
Managed Care 6 ● 2004 1