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EDITORIAL
Rechtliche Rahmenbedingungen mit Bedacht anpassen
Christoph Andreas Zenger
Die Beiträge in diesem Heft beleuchten rechtliche Probleme des Zugangs, des Leistungseinkaufs, der Selbstbestimmung der Versicherten, des Datenschutzes und der Weitergabe von Preisvorteilen, die sich im Rahmen von Managed-Care-Modellen stellen. Weitere wichtige Themen wie beispielsweise Haftung oder Rationierung kämen hinzu. Längst nicht alle Fragen sind beantwortet. Dies ist nicht weiter erstaunlich: Das geltende Recht ist nicht auf Managed Care zugeschnitten. Es behandelt die Leistungserbringung, die Leistungsfinanzierung und die Leistungsbeanspruchung als drei grundsätzlich getrennte Funktionen. ManagedCare-Modelle versuchen, die drei Funktionen zu integrieren. Darin liegt der grosse Vorzug und die Innovativität der Managed-Care-Modelle schweizerischer Prägung. Doch besteht wirklich hinreichende Klarheit darüber, was eine solche Umorientierung bedeutet? Konsequenz ist auch die Reintegration von drei grundverschiedenen ethisch-politischen Anliegen, nämlich der Qualitätssicherung in der Krankenversorgung, der Kostenkontrolle in der Finanzierung und der Balance zwischen Selbstbestimmung und Solidarität unter Versicherten und Patienten. Die Reintegration ermöglicht eine bessere Steuerung, gewiss, aber nicht eine politisch-ethische Steuerung, sondern eine Steuerung nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten: In ManagedCare-Modellen werden die drei Anliegen, die im herkömmlichen Modell politisch gelöst sind, weit gehend depolitisiert und zu technischen Manage-
mentproblemen konkur-
rierender Organisationen
umdefiniert.
So berechtigt der Wunsch
ist, die rechtlichen Rah-
menbedingungen für Managed-Care-Modelle zu ver-
Christoph Andreas Zenger
bessern, so wichtig ist es,
dies mit Bedacht zu tun.
Es vertrüge sich nicht mit den öffentlichen Aufga-
ben der sozialen Krankenversicherung, Managed-
Care-Organisationen tel quel den Wettbewerbs-
regeln zu unterstellen; insofern ist es verständlich,
dass sich die WEKO mit einer Stellungnahme
zurückhält (siehe Seite 13). Es wäre aber auch pro-
blematisch, unbesehen alle geltenden rechtlichen
Regeln zu beseitigen, welche sich für Managed-
Care-Organisationen als Hemmnis erweisen. Denn
dann ergäben sich für die neue Versicherungsform
grössere Handlungsspielräume als für die traditio-
nelle, sodass sich in kürzester Zeit keine Anbieter
für die Letztere mehr finden würden. Heute halten
Managed-Care-Organisationen die Qualitätssiche-
rung und die Selbstbestimmung und Solidarität
hoch, weil ihre Mitglieder, Angestellten und Kun-
den jederzeit wieder in das traditionelle System ab-
wandern können. Würde die Abwanderungsgefahr
wegfallen, so wären unter dem Druck der Wirt-
schaftlichkeit radikale Abstriche zu erwarten. Dies
kann weder im Interesse der Allgemeinheit noch im
Interesse derjenigen sein, die sich in der Schweiz
seit Jahren für Managed Care engagieren.
Dr. iur. Christoph Andreas Zenger Dozent an der Universität Bern
E-Mail: christoph.zenger@oefre.unibe.ch
Managed Care 4 ● 2004 1