Transkript
KOLUMNE
EU-Erweiterung
und die öffentliche Gesundheit
von Regula Ricˇ ka, Mitglied des Redaktionellen Beirats der Zeitschrift «Managed Care»
Regula Ricˇka
Am 1. Mai 2004 erhöht sich die Zahl der Einwohnerinnen und Einwohner in der Europäischen Union (EU) um 75 Millionen Menschen. Mit den zehn neuen Ländern wächst die Bevölkerung der EU auf 450 Millionen Bürgerinnen und Bürger an. Die Teilung von Europa ist somit überwunden und macht der Perspektive eines Europa in politischer Stabilität und Wohlstand Platz. Privat und beruflich freue ich mich an diesem historischen Friedensprojekt. In meinem tschechischen Freundeskreis begrüsst man die gesetzlichen Vereinfachungen, welche der EU-Beitritt zur Folge hat. Die Erwartungen und die Hoffnung auf eine nachhaltige politische Stabilität und wirtschaftliche Prosperität sind gross. Sie sind aber auch von Ängsten begleitet, zum Beispiel vor ökonomischem Druck, hohen Leistungsanforderungen sowie vor dem Abbau staatlicher Leistungen im Gesundheits- und Sozialwesen. Um ein modernes Europa aufzubauen, fördert die EU Forschungsund Integrationsprogramme. Ein europäisches Verständnis von Demokratie, Kultur, Wirtschaft, Umwelt
oder Gesundheit wird in europaweiten Expertennetzwerken mitentwickelt. Die Entwicklungen der öffentlichen Gesundheit (Public Health) sind das Thema, das ich beruflich verfolge. Die EU fördert ein Programm «Öffentliche Gesundheit» und führt ein Gesundheitsforum. Rechtsgrundlage für das Programm ist der Artikel 152 Absatz 4 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft. Das Programm umfasst verschiedene «Fördermassnahmen, die den Schutz und die Verbesserung der menschlichen Gesundheit zum Ziel haben, unter Ausschluss jeglicher Harmonisierung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten». Das Aktionsprogramm im Bereich der öffentlichen Gesundheit ist für den Zeitraum von 2003 bis 2008 mit 312 Millionen Euro ausgestattet. 2004 sollen sich die operationellen Mittel in einem ausgewogenen Verhältnis auf die drei Hauptziele des Programms, Gesundheitsinformation, Gesundheitsgefahren und Gesundheitsfaktoren, verteilen. Im Programm «Gesundheitsbezogene Lebensführung» soll die psychische Gesundheit der EU-Bevölkerung verbessert werden. Daten aus Studien der Weltgesundheitsorganisation, der Weltbank und der Universität Harvard über die globale Krankheitsbelastung zeigen, dass psychische Erkrankungen, einschliesslich Suizid, in der Rangliste der Krankheitsbelastungen an zweiter Stelle stehen. Die volkswirtschaftliche Belastung durch psychische Erkrankungen und deren nachteilige Folgen für die weltweite Produktivität sollen in der EU nicht mehr länger missachtet werden. Psychische Gesundheit wird als ein Zu-
stand erfolgreicher Leistung der mentalen Funktionen verstanden, der zu produktiven Aktivitäten und erfüllenden Beziehungen zu anderen Menschen führt und es erlaubt, sich Veränderungen anzupassen und Probleme zu bewältigen. Dieses umfassende Verständnis ermöglicht es den Ländern, gesundheitspolitisch auf die gesellschaftlichen Veränderungen zu reagieren. Als Projektverantwortliche einer Nationalen Strategie Psychische Gesundheit engagiere ich mich für die internationale Netzwerkarbeit im Bereich der psychischen Gesundheit. Die Schweiz kann sich als WHOMitglied gut in diese Entwicklung einbringen und auch davon profitieren. Nutzen wir diese Chance!
Regula Ricˇka, PhD, mph,
Gesundheits- und Pflegewissenschaftlerin;
Mitglied des Redaktionellen Beirats der
Zeitschrift «Managed Care»
Managed Care 4 ● 2004 25