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RECHTSFRAGEN
Anreize selbstdispensierender Ärzte, Vergünstigungen auszuhandeln – oder: Was Managed Care bewirken kann
Vergünstigungen auf Arznei-
mittel sind nur in sehr be-
schränktem Rahmen erlaubt
und müssen weit gehend an
die Kostenträger weitergege-
ben werden. Was bedeutet
das für selbstdispensierende
Ärzte im traditionellen Versi-
cherungsmodell und für sol-
che in Managed-Care-Syste-
men?
Christoph Tagmann1
D ieser Beitrag befasst sich einerseits mit der Frage, ob und wieweit Ärzte2 im (ambulanten) Selbstdispensations-(SD-)Kanal geldwerte Vorteile an die Kostenträger weitergeben müssen. Andererseits fragt er nach den Anreizen für Ärzte in traditionellen Versicherungsmodellen und in ManagedCare-Organisationen (MCO), unter diesen Umständen überhaupt noch Vergünstigungen auf Arzneimittelpreise auszuhandeln.
Zulässigkeit geldwerter Vorteile
Bevor die Frage des Umfangs der Weitergabepflicht beantwortet werden kann, ist zu klären, wieweit geldwerte Vorteile im SD-Kanal überhaupt zulässig sind. Es ist daher kurz auf Artikel 33 des Heilmittelgesetzes (HMG) einzugehen (siehe Kasten 1). Der Sinn und Zweck von Artikel 33 HMG besteht darin, dafür zu sorgen, dass die Verschreibung bezie-
hungsweise Abgabe von Arzneimitteln ausschliesslich nach medizinischer/pharmazeutischer Indikation und nicht aufgrund finanzieller Anreize erfolgt. Unzulässig im Sinne der Absätze 1 und 2 von Artikel 33 HMG sind damit geldwerte Vorteile, welche das Verschreibungs- und Abgabeverhalten von Medizinalpersonen beeinflussen können (korruptives Verhalten).3 Artikel 33 HMG regelt die Beziehung zwischen Personen und Organisationen4, welche Arzneimittel verschreiben oder abgeben (also Leistungserbringern wie ([SD-]Ärzten, Spitälern, Apotheken, Drogerien5), und Dritten (Pharmaunternehmen, Grossisten sowie allen anderen Personen und Institutionen, die als Zwischenhändler in direktem Geschäftskontakt mit den Leistungserbringern stehen). In sachlicher Hinsicht bezieht sich Artikel 33 HMG auf alle Arzneimittel, das heisst sowohl auf die Arzneimittel der Spezialitätenliste (SL)6 als auch auf die Nicht-SL-Produkte7. Grundsätzlich sind geldwerte Vorteile8, die unentgeltlich, das heisst ohne entsprechende Gegenleistung, erfolgen, unzulässig. Allerdings sind nach Artikel 33 geldwerte Vorteile von bescheidenem Wert zulässig (Art. 33 Abs.3 lit. a HMG).9 Erlaubt sind zudem betriebswirtschaftlich gerechtfertigte und handelsübliche Rabatte, die sich direkt auf den Preis auswirken (Art. 33 Abs. 3 lit. b HMG). Wie die Begriffe «betriebswirtschaftlich gerechtfertigt» und «handelsüblich» zu verstehen sind, ist nicht restlos geklärt.10 Allgemein und insbesondere auch für den hier relevanten SD-Absatzkanal können als betriebswirtschaftlich ge-
Christoph Tagmann
1 Lic. iur. Fürsprecher Christoph Tagmann ist Leiter Recht beim Sekretariat der Wettbewerbskommission. Die nachfolgenden Ausführungen stellen jedoch seine persönliche Meinung dar. Der Autor dankt insbesondere Frank Stüssi, Referent beim Sekretariat der Wettbewerbskommission, für die wertvollen ökonomischen Anregungen und die sorgfältige Durchsicht des vorliegenden Beitrages.
2 Der männliche Begriff umfasst jeweils auch die weibliche Form.
3 Die Zulässigkeit eines geldwerten Vorteils ist in jedem Einzelfall zu prüfen. Zuständig ist in erster Linie Swissmedic.
4 Durch den Begriff «Organisationen» ist klargestellt, dass die Spitäler (private und öffentliche) vom Geltungsbereich von Art. 33 HMG ebenfalls erfasst sind. Offen ist jedoch, ob Art. 33 HMG in öffentlichen Spitälern auch im stationären Bereich Anwendung findet, da umstritten ist, ob infolge der Trennung zwischen Einkauf und Abgabe von Medikamenten eine Beeinflussung der Verschreibung bzw. Abgabe von Medikamenten überhaupt möglich ist. Vgl. hierzu insbesondere das Gutachten der Weko vom 1.9.2003, RPW 2003/3, S. 623 ff., sowie verschiedene parlamentarische Vorstösse (Motion Leuthard vom 4.10.2001; Interpellation Maury Pasquier vom 21.3.2002; Postulat Robbiani vom 6.6.2002; Postulat Günter vom 27.11.2002), die vom Bundesrat jedoch allesamt abgelehnt wurden. Demgegenüber wurden die beiden Standesinitiativen der Kantone GE vom 17.6.2003 und VS vom 18.6.2003 anlässlich der parlamentarischen Beratungen vom 17.3.2004 angenommen. Damit werden sich die eidgenössischen Räte mit der Anwendung von Art. 33 HMG in öffentlichen Spitälern im stationären Bereich (nochmals) auseinander setzen müssen.
5 Vgl. Art. 35 Abs. 2 KVG. 6 Der überwiegende Teil (rund drei Viertel) der in der
Schweiz über die obligatorische Grundversicherung vergüteten Arzneimittel sind SL-Produkte, vgl.: PharmaMarkt Schweiz, Ausgabe 2003, S. 12.
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rechtfertigte Rabatte Vergünstigungen verstanden werden, welche die Unternehmen ihrem optimalen Kosten-Nutzen- beziehungsweise InputOutput-Verhältnis näher bringen.11 Nach der etwas engeren Definition
7 Darunter sind rezeptfreie Arzneimittel zu verstehen (so genannte OTC-Arzneimittel der Kategorien C und D), aber auch rezeptpflichtige Arzneimittel, die teilweise nicht durch die Grundversicherung (allenfalls aber durch die Zusatzversicherung) vergütet werden (so genannte RxArzneimittel der Kategorien A und B).
8 Die Botschaft zum HMG erwähnt zum Beispiel Superboni, Reisen, Einladungen, Geschenke, Gratismuster usw. (Botschaft, BBl 1999 III 3518).
9 In Anlehnung an die Rechtsprechung zu den geringfügigen Vermögensdelikten (Art. 172ter StGB) ist von einer Obergrenze von 300 Franken auszugehen (vgl. Amtl. Bull. SR 2000, 612).
10 Vgl. hierzu z.B. die Empfehlungen des BSV vom 21.12. 2001, 15.3.2002, 11.7.2002 und 20.12.2002; die Publikation von Urs Saxer, «Korruption im Arzneimittelhandel – zum Vorteilsverbot gemäss Art. 33 HMG und dessen Koordination mit Art. 56 Abs. 3 KVG» in: AJP 12/2002, S. 1463 ff.; das Gutachten der Weko vom 1.9.2003, RPW 2003/3, S. 623 ff.; sowie die Publikation von Swissmedic betreffend die Zulässigkeit von Rabatten im Rahmen von Art. 33 Abs. 3 lit. b HMG vom 7.12.2003.
11 Vgl. Gutachten der Weko vom 1.9.2003, RPW 2003/3, S. 623 ff.
12 Vgl. hierzu z.B. die Empfehlungen des BSV vom 21.12. 2001, 15.3.2002, 11.7.2002 und 20.12.2002 sowie die Publikation von Swissmedic betreffend die Zulässigkeit von Rabatten im Rahmen von Art. 33 Abs. 3 lit. b HMG vom 7.12.2003.
13 Vgl. hierzu die Empfehlung des BSV vom 15.3.2002, wonach als «handelsübliche» Rabatte Vergünstigungen verstanden werden, welche bei bestimmten Produkten oder Produktegruppen im Einzelfall während längerer Zeit gewährt worden sind, betriebswirtschaftlich gerechtfertigte Rabatte übersteigen und nicht gegen Art. 33 HMG verstossen. Nicht alle Vergünstigungen, die bisher gewährt wurden, sind jedoch im Licht von Art. 33 HMG zulässig.
14 D.h. einen bestimmten Erfolg mit dem geringst möglichen Mitteleinsatz bzw. mit einem bestimmten Mitteleinsatz den grösstmöglichen Erfolg zu erzielen (Minimum- und Maximumprinzip). Ziel ist ein rationeller Einsatz der Ressourcen, d.h. eine optimale Ressourcenallokation.
15 Vgl. schon RPW 1998/3, S. 436 ff., insb. 443. 16 Auf die Problematik, dass die Weitergabe von Vergünstigun-
gen in der Praxis möglicherweise nur unzureichend funktioniert und die Nichtweitergabe von Vergünstigungen häufig nur schwierig nachweisbar ist, die Weitergabe somit häufig an der praktischen Durchsetzung scheitern dürfte, wird im vorliegenden Beitrag nicht weiter eingegangen. 17 Vgl. Publikation von Swissmedic betreffend die Zulässigkeit von Rabatten im Rahmen von Art. 33 Abs. 3 lit. b HMG vom 7.12.2003 mit Hinweisen auf die Botschaft (BBl 1999, S. 3214). 18 In Bezug auf die geldwerten Vorteile von geringem Wert nach Art. 33 Abs. 3 lit. a HMG ist davon auszugehen, dass diese nicht weitergegeben werden müssen bzw. können, da der mit der Weitergabe verbundene Aufwand unverhältnismässig und insbesondere bei Sachwerten (z.B. einer Flasche Wein) nicht praktikabel wäre. 19 Eine «Teilweitergabe», bei der ein Teil der Vergünstigung beim Leistungserbringer verbleiben dürfte, ist demnach nicht zulässig. Im Falle eines Arzneimittels ist davon auszugehen, dass eine Vergünstigung dann als weitergegeben gilt, wenn sie auf der Abrechnung an den Patienten bzw. den Versicherer sichtbar ausgewiesen wird, vgl. dazu die Empfehlung des BSV vom 21.12.2001. 20 Für Swissmedic stellt diese Überschneidung von Art. 33 Abs. 3 lit. b HMG und Art. 56 Abs. 3 KVG nur scheinbar eine redundante Regulierung dar, da Sinn und Zweck der beiden Bestimmungen unterschiedlich ist: Im Bereich des KVG steht die Wirtschaftlichkeit (Kosteneindämmung) im Vordergrund, im Bereich des HMG die von finanziellen Anreizen unabhängige Verschreibung bzw. Abgabe von Medikamenten an Patienten (Gesundheitsschutz, Korruptionsbekämpfung); vgl. Publikation von Swissmedic vom 7.12.2003. 21 Vgl. Urs Saxer, a.a.O., S. 1476.
von Swissmedic sind darunter insbesondere Vergünstigungen zu verstehen, die dazu beitragen, dass ein Wirtschaftsakteur einen Markt erschliessen, sich den Marktbedingungen anpassen und seine Produkte preislich wettbewerbsfähig machen kann. Noch enger ist die Definition in den Empfehlungen des BSV, nach welchen Preisnachlässe als betriebswirtschaftlich gerechtfertigt gelten, wenn ihnen eine wirtschaftliche Gegenleistung des Empfängers gegenübersteht.12 Unbestrittenerweise fallen darunter zum Beispiel spezielle Zahlungskonditionen (Skonti), die Abgeltung des reduzierten logistischen Aufwandes beim Verkäufer (Grossmengenlieferung [Mengenrabatte], reduzierte Lieferhäufigkeit oder Lagerhaltung durch den Käufer) sowie die Abgeltung anderer Dienstleistungen (z.B. Datenaufbereitung) des Käufers. Der Begriff «handelsüblich» verweist demgegenüber auf die Verkehrssitte, das heisst auf das, was in einem bestimmten Bereich «gang und gäbe» ist beziehungsweise seit geraumer Zeit getan oder beobachtet wird. «Handelsüblich» sind demnach Vergünstigungen (Rabatte), die sich über einen gewissen Zeitraum hinweg in einer bestimmten Branche (Markt), hier zum Beispiel im SD-Kanal für ein bestimmtes Arzneimittel beziehungsweise eine bestimmte Arzneimittelgruppe, herausgebildet haben.13 Die Möglichkeit, geldwerte Vorteile zu gewähren, stellt einen wichtigen Wettbewerbsparameter dar, der dem Grundsatz des wirtschaftlichen Handelns14 Rechnung trägt. Deshalb ist ein generelles Vergünstigungsverbot, das den Preiswettbewerb beeinträchtigt, aus wettbewerbsrechtlicher Sicht auch im Gesundheitsbereich nicht angebracht.15
Weitergabe geldwerter Vorteile16
Soweit ein geldwerter Vorteil nach Absatz 3 des Artikels 33 HMG zulässig ist, stellt sich die Frage, ob und in welchem Umfang dieser Vorteil an den Versicherer beziehungsweise Versicherten (Prämienzahler) weitergegeben werden muss. Aus welcher gesetzlichen Grundlage sich die Pflicht zur Weitergabe von Ver-
Kasten 1:
Versprechen und Annehmen geldwerter Vorteile (Art. 33 HMG)
1. Personen, die Arzneimittel verschreiben oder abgeben, und Organisationen, die solche Personen beschäftigen, dürfen für die Verschreibung oder die Abgabe eines Arzneimittels geldwerte Vorteile weder gewährt noch angeboten noch versprochen werden.
2. Personen, die Arzneimittel verschreiben oder abgeben, und Organisationen, die solche Personen beschäftigen, dürfen für die Verschreibung oder die Abgabe von Arzneimitteln geldwerte Vorteile weder fordern noch annehmen.
3. Zulässig sind jedoch: a. geldwerte Vorteile von bescheide-
nem Wert, die für die medizinische oder pharmazeutische Praxis von Belang sind; b. handelsübliche und betriebswirtschaftlich gerechtfertigte Rabatte, die sich direkt auf den Preis auswirken.
günstigungen ergibt, ist in Lehre und Praxis umstritten. Nach Swissmedic lässt sich die Weitergabepflicht unmittelbar aus Absatz 3 Buchstabe b des Artikels 33 HMG, wonach sich Vergünstigungen direkt auf den Preis auswirken müssen, ableiten.17 Die Pflicht zur Weitergabe von Vergünstigungen besteht nach dieser Auffassung für sämtliche Vergünstigungen auf Arzneimittel nach Absatz 3 Buchstabe b des Artikels 33 HMG18, unabhängig davon, ob es sich um SLoder um Nicht-SL-Produkte handelt. In quantitativer Hinsicht gilt sie unbeschränkt und vollumfänglich, das heisst der gesamte geldwerte Vorteil ist an den Kostenträger weiterzugeben.19 Für diejenigen Arzneimittel, deren Kosten durch die obligatorische Grundversicherung getragen werden, ergibt sich die Weitergabepflicht auch aus dem Artikel 56 Absatz 3 KVG (siehe Kasten 2).20 Gemäss Saxer21 dagegen besteht im ambulanten Bereich eine (quantitativ vollumfängliche) Weitergabepflicht lediglich für die handelsüblichen Rabatte (und auch hier nur bei im KVG geregelten SL-Arzneimitteln), nicht aber für die betriebswirtschaftlich gerechtfertigten Rabatte.
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Kasten 2:
Wirtschaftlichkeit der Leistungen (Art. 56 Abs. 3 KVG)
3. Der Leistungserbringer muss dem Schuldner der Vergütung die direkten oder indirekten Vergünstigungen weitergeben, die ihm:
a. ein anderer in seinem Auftrag tätiger Leistungserbringer gewährt;
b. Personen oder Einrichtungen gewähren, welche Arzneimittel oder der Untersuchung oder Behandlung dienende Mittel oder Gegenstände liefern.
Dies deshalb, weil den betriebswirtschaftlich gerechtfertigten Rabatten eine wirtschaftliche Gegenleistung des Leistungserbringers gegenüberstehe, indem dieser Aufgaben übernehme, welche im Rahmen der Preisberechnungsvorgaben für SLProdukte gewöhnlich dem Zulieferer zugerechnet würden. Die blosse Aufgabenverschiebung innerhalb der Vertriebskette habe auf den Endpreis keine Auswirkungen. Eine darüber hinausgehende Verpflichtung zur Weitergabe von Vergünstigungen existiert Saxers Meinung nach weder in qualitativer noch in quantitativer Hinsicht (auch nicht gestützt auf Art. 33 Abs. 3 lit. b HMG), das heisst alle anderen nach Artikel 33 HMG zulässigen Rabatte dürfen beim Leistungserbringer verbleiben.
Wozu Vergünstigungen aushandeln?
Der Anreiz, im ambulanten SDKanal Vergünstigungen auf Arzneimittelpreise auszuhandeln, hängt insbesondere vom Umfang der Weitergabepflicht (siehe oben) und von der Vergütungsform ab. Im ambulanten Bereich ist die Vergütung nach Einzelleistungen («fee-for-service») vorherrschend (traditionelles Versicherungsmodell). Daneben wer-
22 Namentlich infolge der geringen Preiselastizität der Nachfrage, der Informationsasymmetrie zwischen Ärzten und Patienten sowie dem Versicherungsschutz.
23 Eine eingehende Kosten-Nutzen-Analyse in Bezug auf die Wahl der Leistungserbringer und ihrer Leistungen ist den Patienten aufgrund der herrschenden Informationsasymmetrie nur sehr beschränkt möglich. Dagegen ist eine solche Kosten-Nutzen-Analyse in Bezug auf die Wahl zwischen verschiedenen Versicherungsmodellen mit unterschiedlichen Leistungspaketen und unterschiedlicher Prämienhöhe viel eher möglich. Aus wettbewerbsrechtlicher Sicht verstärkt die Einführung von MCO daher den Wettbewerb auf Versicherungsebene.
den aber, im Rahmen von ManagedCare-Modellen, auch neue Vergütungsformen erprobt. Die Einzelleistungsvergütung schafft den Anreiz, möglichst viele medizinische Leistungen zu erbringen. Soweit der Erlös aus der Abgabe von Medikamenten das Einkommen des abgebenden Arztes mehrt, besteht demnach ein Anreiz, Vergünstigungen auszuhandeln. Jedoch existiert ein geringer Anreiz, die Vergünstigungen an den Versicherer beziehungsweise den Patienten weiterzugeben. Wenn der Arzt die Vergünstigungen an den Versicherer weitergibt, verliert er nämlich einerseits seinen persönlichen Anteil am Erlös. Andererseits kann er, weil zwischen den Ärzten praktisch kein Preiswettbewerb herrscht22, nicht von einer grösseren Nachfrage der Versicherten durch die tieferen Preise seiner Leistungen profitieren. Mit der Weitergabepflicht erlöscht im traditionellen Versicherungsmodell also der Anreiz, Vergünstigungen auszuhandeln. Mit einer «Teilweitergabepflicht» (z.B. 30% der ausgehandelten Vergünstigung verbleiben beim Arzt, 70% werden an den Versicherer bzw. Versicherten weitergegeben) könnte dieser Anreiz wieder hergestellt werden.
Veränderte Anreize in MCO
In Managed-Care-Modellen treten an die Stelle der traditionellen Einzelleistungsvergütungen neue Vergütungsformen, zum Beispiel Kopfpauschalen, Bonus-Malus-Systeme oder Globalbudgets. Die Ärzte werden in die Versicherungsfunktion mit eingebunden, indem ein mehr oder weniger grosser Teil des Kostenrisikos von den Versicherern auf die Ärzte übertragen wird. Diese Veränderung der finanziellen Anreizstruktur führt dazu, dass die Ärzte einen Zusatzverdienst nicht dann erzielen, wenn sie möglichst viele medizinische Leistungen erbringen, sondern dann, wenn sie effizient Ressourcen beanspruchen. Die Ärzte in MCO sind also daran interessiert, ihre Leistungen möglichst kosteneffizient zu erbringen, indem sie zum Beispiel vergünstigte Medikamente abgeben. Sie profitieren von
den ausgehandelten Vergünstigungen, indem diese zu tieferen Behandlungskosten und damit zu einem besseren Betriebsergebnis der MCO führen, was sich in Abhängigkeit von der verwendeten Vergütungsform in einem höheren Verdienst des einzelnen Arztes niederschlagen kann. Zudem besteht zwischen den MCO und den übrigen Leistungserbringern ein gewisser Preiswettbewerb.23 Ärzte in MCO profitieren deshalb von Verträgen mit Versicherern, die zu tieferen Prämien und geringerer Kostenbeteiligung der Versicherten führen. Dadurch steigt die Attraktivität ihrer MCO gegenüber herkömmlichen Leistungserbringern und hiermit vermutlich die Nachfrage der Versicherten nach dem entsprechenden Versicherungsmodell.
Schlussfolgerungen
Zusammenfassend kann somit fest-
gehalten werden, dass die Zulässig-
keit von geldwerten Vorteilen sowie
der Umfang der Weitergabepflicht
umstritten ist. Im Rahmen der tradi-
tionellen Versicherungsmodelle dient
die Aushandlung von Rabatten auf
Arzneimittel mangels Preiswettbe-
werb lediglich der rein persönlichen
finanziellen Vorteilsverschaffung des
selbstdispensierenden Arztes. Soweit
die Weitergabepflicht greift, beste-
hen hier deshalb praktisch keine
Anreize, Rabatte überhaupt auszu-
handeln; nur eine «Teilweitergabe-
pflicht» könnte Abhilfe schaffen.
Dagegen wird in Managed-Care-Mo-
dellen die Aushandlung von Vergüns-
tigungen als Wettbewerbsinstrument
eingesetzt und kommt den Versiche-
rern (bzw. dem Patienten) zugute.
Hier stellt sich die Problematik der
Nichtweitergabe von Vergünstigun-
gen nicht. Die Weitergabepflicht wird
weit gehend obsolet.
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Autor:
lic. iur. Christoph Tagmann
Fürsprecher Leiter Recht Sekretariat der Wettbewerbskommission Monbijoustrasse 43
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