Transkript
RECHTSFRAGEN
Rechte und Pflichten der
Versicherten in Managed-Care-Modellen
In Versicherungsmodellen
mit eingeschränkter Wahl
der Leistungserbringer
(Managed-Care-Modellen)
haben die Versicherten
nicht nur besondere Pflichten,
sondern auch einige wichtige
Rechte.
Béatrice Despland
D ie Managed Care ist in ihren gängigsten Formen, HMO und Hausarztmodell, keine neue Errungenschaft des KVG1. Bereits im Rahmen des KUVG konnten die Versicherer besondere Formen der Krankenversicherung anbieten, auf der Basis einer am 1. Januar 1990 in Kraft getretenen Änderung der Verordnung V über die Krankenversicherung. Die Kassen machten ihre Zustimmung zu den entsprechenden Bestimmungen allerdings von
1 Gemeint ist hier das Krankenversicherungsgesetz (KVG) vom 18. März 1994, das am 1. Januar 1996 in Kraft getreten ist; zuvor wurde die Krankenversicherung im Kranken- und Unfallversicherungsgesetz (KUVG) vom 13. Juni 1911 geregelt.
2 siehe zu diesem Thema: Anne Rilliet Howald: Les réseaux de soins coordonnés ou le «managed care»: vers une nouvelle organisation des soins de santé?. In: Cahiers genevois et romands de sécurité sociale, No 20, 1998, S. 57–87.
3 Botschaft des Bundesrats vom 6. November 1991 über die Revision der Krankenversicherung, BBl 1992 I 77, S. 79–80.
4 siehe insbesondere: Ariane Ayer, Thierry Clément Christian Hänni: La relation patient-médecin: état des lieux. Rapport IDS (Institut de droit de la santé), No 1, 2003.
5 RKUV 1/1999, S. 43. (Internet: www.bsv.admin.ch/publikat/rkuv/d)
6 Eine Kritik dieser Entscheidung, sowie eines Urteils des EVG betreffend die Autonomie der Krankenversicherer, findet sich in: Daniel Staffelbach: Regelungsfreiheit der Krankenversicherer, in: AJP/PFA 7/2000, S. 890.
der Durchführung wissenschaftlicher Untersuchungen abhängig, die zeigen sollten, wie sich diese neuen Formen der Krankenversicherung auswirken2. Am 18. März 1994 hat das Parlament mit der Annahme des KVG die besonderen Versicherungsformen definitiv ins Gesetz aufgenommen. Die «besonderen Formen der Krankenversicherung» (HMO, Hausarztmodell) – als Massnahmen mit dem Ziel, die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen zu verringern oder das Angebot zu beschränken3 – werden meist aus ökonomischer Sicht betrachtet. Umso dringlicher scheint es, an dieser Stelle die Sicht der versicherten Person und ihre Rechte und Pflichten zu reflektieren.
Besondere Versicherungsformen: welche Formen sind zulässig?
Das KVG nennt in seinem Artikel 41, Absatz 4, nur ein allgemeines Prinzip: «Die Versicherten können» – um in den Genuss einer Prämienermässigung (Art. 101c KVV) und allenfalls einer Aufhebung des Selbstbehaltes und der Franchise (Art. 99 KVV) zu kommen – «ihr Wahlrecht im Einvernehmen mit dem Versicherer auf Leistungserbringer beschränken, die der Versicherer im Hinblick auf eine kostengünstigere Versorgung auswählt.» Grundsätzlich ist eine solche Beschränkung der freien Wahl der Leistungserbringer (Art. 41 Abs. 4 KVG) mit der Bundesverfassung zu vereinbaren.4 Sind die Versicherer also auch frei, Versicherungsformen anzubieten (und die Versicherten frei, sie zu wählen), welche nicht die Wahl der Leistungserbringer, sondern die Art der vergüteten Leistun-
Béatrice Despland
gen beschränken? Zu dieser Frage hat der Bundesrat in seinem Entscheid vom 7. Dezember 19985 mehrere wichtige Grundsätze festgehalten; der Entscheid betraf die Beschwerde eines Versicherers, dem das Eidgenössische Departement des Innern die Genehmigung einer Versicherungsbestimmung verweigert hat, welche die Medikamentenwahl auf die kostengünstigsten Präparate beschränkte. In seinem Entscheid hat der Bundesrat Versicherungsformen, in denen zwecks Prämienreduktion nur Generika vergütet werden, als zulässig bezeichnet.6 Eine Beschränkung auf die kostengünstigsten Medikamente sei dagegen nicht verfassungskonform, wegen möglicher Auswirkungen auf die Wirksamkeit der Behandlung.
Leistungsvergütung
Gemäss Artikel 41 Absatz 4 KVG (in fine) sind in den besonderen Versicherungsformen «die gesetzlichen Pflichtleistungen in jedem Fall versichert». Lässt sich daraus schliessen, dass das Gesetz jeder Person, die ein
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Kasten:
Aufklärungs- und Beratungspflicht des Versicherers
Der Artikel 27 des am 1. Januar 2003 in Kraft getretenen Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) auferlegt dem Versicherer die folgenden Pflichten:
Aufklärung und Beratung
1. Die Versicherungsträger und Durchführungsorgane der einzelnen Sozialversicherungen sind verpflichtet, im Rahmen ihres Zuständigkeitsbereiches die interessierten Personen über ihre Rechte und Pflichten aufzuklären.
2. Jede Person hat Anspruch auf grundsätzlich unentgeltliche Beratung über ihre Rechte und Pflichten. Dafür zuständig sind die Versicherungsträger, denen gegenüber die Rechte geltend zu machen oder die Pflichten zu erfüllen sind. Für Beratungen, die aufwändige Nachforschungen erfordern, kann der Bundesrat die Erhebung von Gebühren vorsehen und den Gebührentarif festlegen.
3. Stellt ein Versicherungsträger fest, dass eine versicherte Person oder ihre Angehörigen Leistungen anderer Sozialversicherungen beanspruchen können, so gibt er ihnen unverzüglich davon Kenntnis.
Managed-Care-Modell gewählt hat, einen minimalen Schutz garantiert, unabhängig davon, ob sie die Verpflichtungen, die sie eingegangen ist, einhält? Das Eidgenössische Versicherungsgericht (EVG) hat das verneint. Die betroffene Person ist, mit Ausnahme begründeter Fälle (z.B. Notfälle), verpflichtet, den Hausarzt zu konsultieren, bevor sie eine Behandlung bei einem Dritten (Arzt oder Institution) beansprucht. Das Urteil des EVG lässt den Schluss zu, dass dieser Grundsatz sowohl für die versicherte Person gilt, die einen Chiropraktoren aufsucht7, als auch für jene, die vom Schularzt direkt zum Spezialisten und dann zum Physiotherapeuten geschickt wird8. Wenn der Versicherte sich nicht daran hält, kann er verpflichtet werden, die gesamten Kosten, deren Übernahme der Versicherer verweigert hat, selber zu tragen.
Das EVG sieht in einer solchen Verweigerung des Versicherers keinen Widerspruch, weder zur Gesetzesvorgabe noch zum Verhältnismässigkeitsprinzip. Im letztgenannten Punkt ist die Position des EVG nicht befriedigend. Durch Anwendung des Verhältnismässigkeitsprinzips könnte dem «Schweregrad» des Fehlverhaltens des Versicherten Rechnung getragen werden. Wenn eine Person in einem bestimmten Fall den vertraglichen Verpflichtungen nicht nachkommt, könnten die Leistungen reduziert werden, während die vollständige Leistungsverweigerung (eine schwerwiegende Massnahme, welche die Aufhebung des Tarifschutzes nach sich zieht) jenem Versicherten vorbehalten bliebe, der die Vertragsbedingungen wiederholt verletzt9. Es kann also festgehalten werden, dass das Recht des Versicherten auf Leistungsvergütung gemäss dem KVG und der Präzisierung durch das EVG nur dann gilt, wenn er seine vertragliche Verpflichtung strikt beachtet; sogar dann, wenn sich die Behandlung als angemessen, wirksam und wirtschaftlich im Sinn des KVG erweist und wenn die Einwilligung des Hausarztes später eingeholt werden könnte. Sofern der Hausarzt die Überweisung an einen Spezialisten oder ein Spital verweigert, kann der Versicherte, der diese Verweigerung als unbegründet erachtet, vom Versicherer eine beschwerdefähige Verfügung verlangen, die es ihm erlaubt, die Entscheidung anzufechten.
Versichererwechsel
Der Wechsel von der ordentlichen Versicherung in eine Versicherung mit eingeschränkter Wahl der Leistungserbringer ist jederzeit möglich (Art. 100b Abs. 2 KVV). Dagegen ist der Übertritt von einem solchen Modell in eine andere Versicherungsform (z.B. die Rückkehr in die ordentliche Versicherung) nur auf den Beginn eines Kalenderjahres möglich (Art. 100b, Abs. 3 KVV), wobei die gesetzlich vorgeschriebenen Fristen einzuhalten sind. Die Besonderheit der Versicherungsmodelle mit eingeschränkter Wahl der Leistungserbringer besteht darin, dass der Versi-
cherte sich nicht immer selbst für den Versicherungswechsel entscheidet, sondern dass der Wechsel manchmal auch deshalb erfolgt, weil der Versicherer das Modell aus ökonomischen Gründen aus seinem Angebot streicht.
Information des Versicherten
Eine Studie über die Auswirkungen des KVG10 hat gezeigt, dass bei der Information der Versicherten durch die Versicherer im Bereich der besonderen Formen der Krankenversicherung Lücken bestehen. Die Pflichten des Versicherers sind im Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil der Sozialversicherungen (ATSG) festgeschrieben, das am 1. Januar 2003 in Kraft getreten ist. Wird diese verbesserte Gesetzesgrundlage die Situation verbessern? Die Bun-
7 siehe insbesondere: Konsultation eines Chiropraktoren ohne Konsultation des Hausarztes (Urteil vom 20. Dezember 1999): BGE 125 V 437.
8 RKUV 2 + 3/2003, S. 74. 9 siehe zu diesem Thema: Daniel Staffelbach: Regelungs-
freiheit der Krankenversicherer. In: AJP/PFA 7/2000, S. 891. 10 Wirkungsanalyse KVG: Information der Versicherten. Forschungsbericht Nr. 4/01, BSV 2001.
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desgerichtsurteile (die zu fällen das EVG sicher angerufen werden wird) werden zeigen, wie weit die im Artikel 27 ATSG festgeschriebenen Verpflichtungen (siehe Kasten) gehen und was sie bewirken. Auch im Kontext der medizinischen Behandlung spielt es eine wichtige Rolle, welche Information der Patient erhält. Informiert einwilligen im Sinne des informed consent heisst nicht nur, die Risiken der Behandlung zu kennen, sondern auch, bei der Entscheidung ökonomische Aspekte (übernimmt der Krankenversicherer die Kosten oder nicht?) berücksichtigen zu können. In der Versicherungsform des Typs «Ma-
11 Sachverhalt im Urteil des EVG vom 20. Dezember 1999 (Fussnote 7) siehe RKUV 2/2000, S. 74.
12 siehe zu diesem Punkt: Gebhard Eugster, Krankenversicherung. In: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht, S. 194, Fussnote 872.
13 siehe insbesondere: Bruno Kissling: Von Managed Care zu «Care Managing» (Bericht aus dem Vorstand, März 2003). PrimaryCare 2003: 199–202.
naged Care» ist zudem der Informationsfluss wichtig. Wenn der Versicherte hier Pflichten hat gegenüber dem Leistungserbringer (insbesondere falls er dieser Versicherungsform im Verlauf einer Behandlung beitritt11), so sind auch die Ärzte verpflichtet, bei jeder Entscheidung betreffend Überweisung (an einen Kollegen oder an ein Spital) den Hausarzt zu informieren. Diese Aufgabe darf nicht der versicherten Person auferlegt werden.12
Handlungsbedarf
Die Angehörigen der Gesundheitsberufe (Health Professionals) haben immer wieder betont, dass Managed Care nicht auf ein auf dem finanziellen Controlling basierendes Versicherungsmodell reduziert werden könne, wie die Versicherer das oft tun. Ein solcher Ansatz wird die Unmündigkeit und die Marginalisierung der versicherten Personen aufrechterhal-
ten oder sogar verstärken13. Es sind
deshalb noch erhebliche Anstrengun-
gen aller betroffenen Partner – und
insbesondere des Versicherten/Patien-
ten – erforderlich, damit die von
Managed Care initiierten und weiter-
entwickelten Prozess wirklich den
Versicherten/Patienten zugute kom-
men.
■
Autorin:
Béatrice Despland
Stv. Direktorin Institut de droit de la santé
Université de Neuchâtel Avenue du 1er-Mars 26
2000 Neuchâtel E-Mail: beatrice.despland@unine.ch
Übersetzung aus dem Französischen: Rita Schnetzler
La version française de cet article est accessible par internet sur le site www.ManagedCareInfo.net
Daten- und Geheimnisschutz:
Informationelle Selbstbestimmung
der Patientinnen und Patienten sicherstellen
Die zunehmende Vernetzung
im Gesundheitswesen er-
leichtert den Datenaustausch
zwischen allen Beteiligten.
Was technisch möglich ist,
ist aber nicht zwangsläufig
rechtlich zulässig.
Bruno Baeriswyl
M it den neuen Informationsund Kommunikationstechniken lassen sich Daten schnell und einfach austauschen. Der wirtschaftliche Nutzen des Datenaustausches erscheint so eklatant, dass
dabei oftmals die rechtlichen Rahmenbedingungen «vergessen» gehen. Der Datenaustausch zwischen den Beteiligten in der Gesundheitsversorgung findet dort seine Grenzen, wo die Grundrechte derjenigen Personen betroffen sind, über welche Daten bearbeitet werden. Konkretisiert werden diese Rechte in den Datenschutzbestimmungen und in verschiedenen spezifischen Geheimhaltungsvorschriften. Insbesondere der Austausch von personenbezogenen Daten1 ist heute in den Datenschutzgesetzen (DSG) klar geregelt. Die personenbezogenen Daten aus dem Gesundheitswe-
1 Alle Angaben, die sich auf eine bestimmte oder bestimmbare Person beziehen (Art. 3 lit. a DSG Bund).
Bruno Baeriswyl
sen gelten als sehr sensitive, so genannt besonders schützenswerte Da-
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ten2. Dennoch werden die Regelungen in der Praxis sehr divergent ausgelegt, was auf die unterschiedlichen Interessen der beteiligten Kreise im Gesundheitswesen zurückzuführen ist. Auch bei den Geheimhaltungsvorschriften wird immer weniger das Interesse der betroffenen Personen gewichtet. Diese Entwicklungen gehen zu Lasten des Schutzes der Persönlichkeitsrechte der Patientinnen und Patienten.
Informationelle Selbstbestimmung
Sollen die Patientinnen und Patienten im Mittelpunkt einer effizienten und wirtschaftlichen Gesundheitsversorgung stehen, so ist deren Selbstbestimmung ein hoher Stellenwert beizumessen. Sie deckt sich mit der informationellen Selbstbestimmung3, wie sie in unserer Rechtsordnung geschützt wird: In der Bundesverfassung (BV) ist das Recht auf Privatheit einerseits durch die Bestimmung über die persönliche Freiheit4 und andererseits durch die Bestimmung über den Schutz vor Missbrauch persönlicher Daten5 abgedeckt. Die informationelle Selbstbestimmung wird in den einzelnen Datenschutzgesetzen konkretisiert. Das eidgenössische Datenschutzgesetz6 ist auf die Bundesorgane7 und die privatrechtlichen Institutionen anwendbar, während die kantonalen Gesetze8 in der Regel auf die kantonalen und kommunalen Einrichtungen angewendet werden sowie auf private Institutionen, die mit öffentlichen Aufgaben betraut sind.
2 Art. 3 lit. c DSG Bund 3 Der Begriff der informationellen Selbstbestimmung, den
das deutsche Verfassungsgericht in Konkretisierung des Rechts auf Datenschutz erstmals verwendete (BverfGE 65,43 in: EuGRZ 1983, S. 577 ff.), ist heute auch in der Schweiz gebräuchlich (BGE 120 II 121). 4 Art. 10 Abs. 2 BV 5 Art. 13 Abs. 2 BV 6 Bundesgesetz über den Datenschutz vom 19. Juni 1992 (DSG Bund) 7 Zu den Bundesorganen gehören auch die Krankenkassen, soweit sie die obligatorische Krankenversicherung vollziehen. 8 Eine Übersicht zu den kantonalen Gesetzen findet sich unter: www.dsb-cpd.ch/d/mitglieder.htm 9 Art. 4 Abs. 1 DSG Bund 10 Art. 17 Abs. 1 DSG Bund 11 Art. 17 Abs. 2 DSG Bund 12 Art. 4 Abs. 3 DSG Bund 13 Art. 4 Abs. 2 DSG Bund 14 Art. 5 DSG Bund 15 Art. 7 DSG Bund
Datenschutzrechtliche Grundsätze
Die Grundsätze, welche für die Datenbearbeitung beachtet werden müssen, sind in diesen Gesetzen ähnlich geregelt, da sich alle nach den verfassungsmässigen Bestimmungen zu richten haben. Die Voraussetzung für jegliche Datenbearbeitung bildet die rechtmässige Beschaffung9 dieser Daten respektive im öffentlich-rechtlichen Bereich das Vorliegen einer Rechtsgrundlage10, zum Beispiel eines Gesetzes oder einer Verordnung. Weil Gesundheitsdaten als besonders schützenswerte Personendaten gelten, ist grundsätzlich ein Gesetz notwendig11. Nach dem Prinzip der Zweckbindung dürfen Personendaten nur zu dem ursprünglich vorgesehenen Zweck bearbeitet werden12. Wird dieser Zweck geändert, muss dies entweder gesetzlich vorgesehen sein, oder die betroffene Person muss im Einzelfall einwilligen. Digitalisierte Daten lassen sich ohne besonderen Aufwand für verschiedene Zwecke verwenden, weshalb sie die Zweckbindung leicht umgehen können. Die Datenschutzgesetze verlangen zudem, dass Daten nur soweit bearbeitet werden, wie es geeignet und erforderlich ist, um die Aufgabe zu erfüllen13. Dies ist bedeutsam, wenn man bedenkt, dass mit den neuen Technologien Daten problemlos verarbeitet und auch mit andern Daten verknüpft werden können, und dass die Datenmenge tendenziell zunimmt. Weiter ist die Integrität der Daten zu beachten, das heisst die Daten müssen richtig und vollständig sein. Dies ist einerseits für die medizinische Behandlung wichtig, andererseits erhebt auch das Datenschutzgesetz diesen Anspruch14. Die Datenschutzgesetze verlangen zudem, dass die Daten vor unbefugter Bearbeitung geschützt werden (Grundprinzip der Datensicherheit)15. Neben der Verfügbarkeit der Daten sind dabei insbesondere Massnahmen zum Schutz der Vertraulichkeit, der Authentizität und der Integrität gemeint. Elektronischer Datenaustausch, digitalisierte Krankengeschichten und Telemedizin verlangen,
dass solche Schutzmassnahmen sehr aufmerksam beachtet werden.
Weitergabe von Daten
Die datenschutzrechtlichen Grundsätze gelten auch, wenn die Daten weitergegeben werden. Die Daten bekannt zu geben erfordert eine gesetzliche Grundlage, oder die betroffene Person muss wiederum im Einzelfall einwilligen. Daneben sind insbesondere die Prinzipien der Zweckbindung und der Verhältnismässigkeit zu beachten. Zahlreiche gesetzliche Mitteilungsrechte oder -pflichten ermöglichen, dass die Daten bekannt gegeben werden dürfen. Die Datenweitergabe der Leistungserbringer an die Versicherer ist beispielsweise im Bereich der obligatorischen Versicherungen in Art. 42 KVG für die Krankenversicherer und in Art. 54a UVG für die Unfallversicherer geregelt. Art. 42 Abs. 3 KVG sieht vor, dass der Leistungserbringer dem Schuldner eine detaillierte und verständliche Rechnung zu stellen hat. Diese Angaben ermöglichen es, die Vergütung zu be-
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rechnen und die Wirtschaftlichkeit der Leistung zu überprüfen. Art. 42 Abs. 4 KVG regelt weiter, dass der Versicherer eine genaue Diagnose oder zusätzliche medizinische Informationen verlangen kann. Diese Formulierung weist – auch im Hinblick auf Art. 42 Abs. 3 KVG – darauf hin, dass die genaue Diagnose nur im Einzelfall verlangt werden kann. Das Prinzip der Verhältnismässigkeit ist auch im Unfallversicherungsbereich zu beachten, auch wenn hier
Justizia auf dem Gerechtigkeitsbrunnen in Bern Copyright: BERN TOURISMUS
das so genannte Naturalleistungsprinzip gilt, wonach den Versicherer eine direkte Leistungspflicht trifft16. Welche Daten weitergegeben werden dürfen, hängt auch vom Verwendungszweck ab – dieser ist grundsätzlich einzubeziehen. Soweit sich der Zweck auch mit anonymisierten Da-
16 Eidgenössischer Datenschutzbeauftragter, 10. Tätigkeitsbericht 2002/2003, S. 54 ff.
17 Siehe unten «Spezifischer Geheimnisschutz» 18 Art. 321 Abs. 3 StGB 19 Art. 321 Abs. 2 StGB 20 Art. 33 ATSG
ten erfüllen lässt, ist es unverhältnismässig, personenbezogene Daten weiterzugeben. Dies muss insbesondere für Informationen gelten, die unter einem Spezialgeheimnis stehen17. So sind anonymisierte Daten in der Regel ausreichend, um die Wirtschaftlichkeit von Leistungen zu überprüfen. Dass diese datenschutzrechtlichen Prinzipen beachtet werden, ist eine Grundvoraussetzung für einen wirksamen Geheimnisschutz. Sie schaffen die notwendige Transparenz, damit das Recht der betroffenen Personen auf informationelle Selbstbestimmung gewahrt wird.
Spezifischer Geheimnisschutz
Der Umgang mit Daten und Informationen, die unter einem spezifischen Geheimnisschutz stehen, richtet sich grundsätzlich auch nach den datenschutzrechtlichen Rahmenbedingungen. Spezifische Geheimhaltungsvorschriften schützen Daten und Informationen in der Regel strafrechtlich. So schützt das Berufsgeheimnis der Medizinalpersonen (Art. 321 Strafgesetzbuch StGB) davor, dass medizinische Daten weitergegeben werden. Vom Berufsgeheimnis entbinden kann nur eine gesetzliche Bestimmung18, die Aufsichtsbehörde oder die betroffene Person19. Im Weiteren ist im Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) eine spezifische Geheimhaltungspflicht statuiert für alle Personen, die daran beteiligt sind, das Sozialversicherungsgesetz anzuwenden oder die Anwendung zu kontrollieren20. Auch bei diesen Geheimhaltungsvorschriften gilt, dass die Daten nur weitergegeben werden dürfen, wenn eine gesetzliche Bestimmung dies vorsieht oder die betroffene Person im Einzelfall einwilligt. Vielfach wird mit dem Behandlungsvertrag oder einem Versicherungsvertrag die Einwilligung eingeholt, dass die Daten umfassend bearbeitet werden dürfen. Damit jedoch die Einwilligung rechtsgültig ist, muss die betroffene Person die Datenflüsse nachvollziehen können, in die sie eingewilligt hat. Damit wird der
Transparenz entsprochen, die Teil des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ist.
Datenschutzfreundliche
Techniken
Es bestehen für die Praxis klare (da-
tenschutz)rechtliche Rahmenbedin-
gungen, wie mit personenbezogenen
Daten umgegangen werden muss.
Die Schwierigkeiten, diese rechtli-
chen Rahmenbedingungen in einem
neuen Informations- und Kommu-
nikationssystem einzuhalten, rühren
meistens daher, dass sie zu wenig oder
zu spät beachtet werden. Die Systeme
nachträglich datenschutzgerecht aus-
zugestalten, wie es betroffene Perso-
nen oder der Datenschutzbeauftragte
fordern, wird dann oft als zu aufwän-
dig verworfen. Die datenschutzrecht-
lichen Rahmenbedingungen lassen
sich jedoch effizient und wirtschaft-
lich umsetzen, wenn Projekten in der
Informations- und Kommunikations-
technologie von Anfang an ein Da-
tenschutzkonzept zu Grunde gelegt
wird.
Anonymisieren, Pseudonymisieren
und Verschlüsseln sind datenschutz-
freundliche Techniken, welche einen
Datenaustausch ermöglichen, der
den Datenschutz und die informa-
tionelle Selbstbestimmung der Pati-
entinnen und Patienten respektiert.
Damit wird der Patient in den Mit-
telpunkt gestellt.
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Autor:
Bruno Baeriswyl, Dr. iur.
Datenschutzbeauftragter des Kantons Zürich 8090 Zürich
E-Mail: bruno.baeriswyl@dsb.zh.ch
Weiterführende Literatur:
Bruno Baeriswyl: Datenschutz ist ein Qualitätsmerkmal. In: Schweizer Spital, Nr. 1/1998, S. 11–14.
Bruno Baeriswyl: Gefährdete Patientendaten. In: plädoyer, Nr. 6/2003, S. 37–43.
Christian Bake, Bernd Blobel, Peter Münch (Hrsg.): Datenschutz und Datensicherheit im Gesundheits- und Sozialbereich. Frechen 2004.
Lukas S. Brühwiler-Frésey: Medizinischer Behandlungsvertrag und Datenrecht. Zürich 1996.
Barbara Hürlimann, Reto Jacobs, Tomas Poledna (Hrsg.): Datenschutz im Gesundheitswesen. Zürich 2001.
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