Transkript
GESUNDHEITSPOLITIK
Taxe Santé:
Eigenverantwortung bei risikoreichem Verhalten
Um die steigenden Kosten
im Gesundheitswesen zu
bekämpfen, können das An-
gebot und der Zugang
reguliert oder die Eigen-
verantwortung gefördert
werden. Der Autor schlägt
vor, gesundheitlich risiko-
reiches Verhalten finanziell
zu belasten. Plädoyer für
eine Taxe Santé.
Herbert Bühl1
S eit 1990 wachsen in der Schweiz die Kosten des Gesundheitswesens klar stärker als das Bruttoinlandprodukt. Im Jahr 2000 beanspruchte das Gesundheitswesen 11 Prozent der wirtschaftlichen Ressourcen, 1960 waren es nur 5 Pro-
1 Herbert Bühl ist Gesundheitsdirektor im Kanton Schaffhausen und Präsident des Bildungsrates der GDK (Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektoren). Der vorliegende Artikel liegt einem Referat zugrunde, das Bühl am 1. November 2003 in Zürich gehalten hat, anlässlich der Fortbildungsveranstaltung der Alumni des Nachdiplomstudiums «Management im Gesundheitswesen» der Universität Bern. Das Referat entspricht der persönlichen Meinung des Autors und ist keine Verlautbarung der GDK.
2 Zur Entwicklung der Gesundheitskosten: Gesundheitskosten in der Schweiz: Entwicklung von 1960 bis 2000. Bundesamt für Statistik. Neuchâtel 2003.
3 Hält das Wirtschaftswachstum nicht mit der Kostenentwicklung im Gesundheitswesen Schritt, erfolgt ein Lastentransfer zwischen den Finanzierern. Der Finanzierungsanteil des Staates sank von 1971 bis 2000 von knapp 40 auf 25 Prozent, derjenige der privaten Haushalte stieg von 55 bis auf 68 Prozent, und der Anteil der Unternehmen blieb auf tiefem Niveau (1971: 5 Prozent, 2000: 6 Prozent). So betrachtet wurde im Gesundheitswesen in den letzten 30 Jahren der Sozialstaat nicht ausgebaut. Im Gegenteil, die privaten Haushalte übernehmen immer grössere Kostenanteile.
zent. Gegenwärtig ist kein Trendbruch erkennbar.2 Das Gesundheitswesen erbringt heute viel mehr Leistungen als früher, die grundsätzlich allen zugänglich sind. Der medizinisch-technische Fortschritt und die steigende Lebenserwartung treiben die Kosten an. Zudem drückt sich das Verhältnis unserer Gesellschaft zu Krankheit und Gesundheit in einem immer exzessiveren Nachfrageverhalten nach Gesundheitsdienstleistungen aus. Die bisherigen Reformen betrafen vor allem die Finanzierung des Gesundheitswesens: Welchen Anteil bezahlt der Staat und welchen der Bürger?3 In der politischen Diskussion ist immer wieder die Rede von mehr Wettbewerb, um die Kosten zu dämpfen. Mit Verlaub, Wettbewerb wirkt seit jeher als Katalysator von Innovation und Wachstum und ist langfristig kein Dämpfungsinstrument. Will man etwas gegen die Kostensteigerung unternehmen, muss man – abgesehen von allen Bemühungen um mehr Effizienz und Wirtschaftlichkeit – die Nutzung des Leistungsangebots und/oder das Angebot selbst beeinflussen. Hierzu gibt es folgende Ansätze: s Mehr Steuerung und Regulierung des Angebots und des Zugangs zu den Leistungen s Förderung der Eigenverantwortung dadurch, dass das Risikoverhalten finanziell belastet wird mit dem Ziel, die Nachfrage nach Leistungen zu verringern.
Steuerung und Regulierung des Angebots und des Zugangs
Das Angebot medizinischer Leistungen wird in der Schweiz durch zwei Massnahmen verknappt: einerseits
Herbert Bühl
dadurch, dass die Ärztezahl in der freien Praxis reguliert wird (Beispiel Zulassungsstopp) und andererseits dadurch, dass die Aus- und Weiterbildungsplätze für Ärztenachwuchs begrenzt werden (Numerus clausus und Teilsubstitution von Assistenzarztstellen durch Spitalfacharztstellen). Reguliert man den Zugang, so bedeutet dies, dass die Wahlfreiheit der Patienten eingeschränkt wird, dass Leistungen aus der Grundversicherung ausgeschlossen und dass die Anreize für die Versicherten gedämpft werden. Dazu zählen Massnahmen wie die kassenzulässigen Arzneimittel begrenzen (Spezialitäten-Liste KVG), ein obligatorisches Hausarztmodell einführen, höhere Selbstbehalte festlegen, definierte ärztliche Leistungen aus der Grundversicherung ausschliessen (Negativliste) oder zulassen (Positivliste) und bestimmte ärztliche Leistungen altersabhängig ausschliessen (Katalog). In der Schweiz sind bisher einzig die kassenzulässigen Arzneimittel begrenzt. Schränkt man den Zugang
Managed Care 3 q 2004 29
GESUNDHEITSPOLITIK
zu medizinischen Leistungen ein, wird dies in der politischen Diskussion sehr bald als diskriminierend empfunden (Stichworte Chancengleichheit, Gerechtigkeit und Zweiklassenmedizin). Dahinter stehen ethische Fragen, für die unsere Gesellschaft zurzeit keine Antworten hat: In welchem Alter soll man als Grundversicherter noch Anspruch auf ein künstliches Hüftgelenk oder einen Herzschrittmacher haben? Welchem chronisch Kranken soll ein Medikament zugute kommen, dessen Einsatz jährlich einige 100000 Franken kostet – dem Grundversicherten oder dem Zusatzversicherten?
Eigenverantwortung versus Solidarität
Eigenverantwortung wahrnehmen würde bedeuten, dass man für sein gesundheitliches Risikoverhalten finanziell geradestehen muss. In dem Moment, in welchem man sich für das Risikoverhalten entscheidet, sollen bereits die statistischen Folgekosten für den Krankheitsfall bezahlt werden. Diejenigen, die ihre Gesundheit gefährden, profitieren jedoch in der Schweiz von einer erstaunlichen Solidarität. Zwei Beispiele:
Raucherbedingte Krankheiten
Raucherbedingte Krankheiten verschlangen in der Schweiz bereits 1995 1,2 Milliarden Franken an direkten medizinischen Behandlungsund Therapiekosten, finanziert von der Allgemeinheit über Krankenkassenprämien und aus Steuergeldern. Die indirekten Kosten des Rauchens, zum Beispiel durch Produktivitätsausfälle wegen vorübergehender Arbeitsunfähigkeit oder invaliditätsbedingte Rentenleistungen, betrugen im Untersuchungsjahr 1995 weitere 3,8 Milliarden Franken. Aus der Tabaksteuer flossen lediglich 1,7 Milliarden Franken an den Staat und von dort in die AHV-Kasse. Das heisst nichts anderes, als dass die Allgemeinheit das gesundheitliche Risikoverhalten eines Bevölkerungsteils solidarisch über Steuern, Krankenkassenprämien und Lohnabgaben finanziert.
Übergewicht
Übergewicht hat in unserer modernen Gesellschaft epidemischen Charakter angenommen. Bereits jeder dritte Erwachsene wiegt zu viel. Starkes Übergewicht wird oft von Folgekrankheiten begleitet. Die Sterblichkeit ist erhöht. Die Behandlung von Übergewicht und dessen Begleiterkrankungen kostet in der Schweiz jährlich über zwei Milliarden Franken. Übergewicht hat zwar eine genetische Disposition, hinter dem persönlichen Essverhalten steht jedoch auch eine persönliche Entscheidung. Keiner wird zur Völlerei gezwungen. Mancher wäre normalgewichtig, würde er oder sie weniger (fettige, zuckrige und alkoholhaltige) Kalorien zu sich nehmen und sich mehr bewegen. Täglich fettansetzende Kalorien zu konsumieren, zum Beispiel als frittierte Snacks, in Form von Süssgetränken und Zuckerwaren, birgt gesundheitliche Risiken für die (häufig jungen) Konsumenten. Die späteren Behandlungskosten zahlt die Allgemeinheit.
Das Verursacherprinzip
Gesundheitliches Risikoverhalten wird in der Schweiz fiskalisch nicht belastet. Ganz anders im Umweltschutz: Hier gilt das Verursacherprinzip (Bundesgesetz über den Umweltschutz USG, Art. 2). Wer zum Beispiel eine Batterie kauft, zahlt mit dem Kaufpreis bereits die Kosten, die anfallen, um den schwermetallhaltigen Abfall später zu entsorgen. Überträgt man das Verursacherprinzip auf den Gesundheitsbereich, dann müsste man beim Beispiel Übergewicht auf denjenigen Lebensmitteln, die weniger der Ernährung und mehr dem dick machenden Genuss dienen, eine Krankheitsbehandlungsgebühr erheben. Dasselbe gilt für Raucherwaren, die ebenfalls mit einer entsprechenden Taxe zu belasten wären. Wer zur Kasse gebeten wird, wenn er sich gesundheitlich risikoreich verhält, wird sich überlegen, ob beispielsweise der Genuss eines Päckchens Zigaretten tatsächlich 20 Franken wert ist. So teuer wäre ein Päckchen, wenn die Raucher die Behandlung der raucherbedingten Krankheiten bereits am Kiosk bezahlen würden.
Mit einer solchen «Taxe Santé»
wäre es wohl möglich, Menschen zu
einem anderen, gesundheitsfördern-
den Umgang mit sich selbst zu moti-
vieren. Das wäre kostendämpfend.
Und wer lieber als Gourmand lebt,
müsste kein schlechtes Gewissen da-
bei haben. Den Anteil für den Doktor
hinterlegt er im gleichen Moment wie
er das Trinkgeld für den Kellner be-
zahlt. Mit einer «Taxe Santé» könnte
die sich heisslaufende politische
Diskussion um steigende Kranken-
kassenprämien, Prämienverbilligung,
Leistungskataloge, Alterszuschläge
und Zweiklassenmedizin rasch ab-
kühlen. Denn mit diesem Modell
müsste ein erheblicher Teil der Ge-
sundheitskosten nicht mehr über
Krankenkassenprämien oder aus all-
gemeinen Steuermitteln finanziert
werden. Das Modell einer «Taxe
Santé» würde uns eine ethisch einfa-
chere gesellschaftliche Diskussion
um einen Katalog von gesundheits-
gefährdenden Konsumgütern erlau-
ben, als darüber zu streiten, welche
konkreten Diagnosen bald nicht
mehr grundversichert sein sollen.
Die gesundheitspolitische Debatte
kann nicht im Rangierbahnhof der
abgestorbenen zweiten KVG-Revi-
sion weiterentwickelt werden. In
dieser ging es im Wesentlichen
darum, Finanzierungsanteile zu ver-
schieben, ohne dass für die Bürgerin-
nen und Bürger ein Anreiz entstan-
den wäre, sich anders – nämlich
gesünder – zu verhalten.
Es braucht neue Ansätze. Querden-
ken muss erlaubt sein. Die Konfe-
renz der kantonalen Gesundheitsdi-
rektoren (GDK) wäre prädestiniert,
in die Richtung einer «Taxe santé»
weiterzudenken, da sie, anders als
politische Parteien, nicht um
Wähleranteile buhlen muss.
s
Autor:
Herbert Bühl
Regierungsrat Departement des Innern
Beckenstube 7 8200 Schaffhausen E-Mail: herbert.buehl@ktsh.ch
30 Managed Care 3 q 2004