Schweizer Zeitschrift für Psychiatrie & Neurologie 02/2024
Verwendung der ICD-11 in der Psychiatrie – Empfehlungen der Fachgesellschaften Erwachsenenpsychiatrie und der Swiss Insurance Medicine
Die ICD-11, Nachfolge von ICD-10, wurde von der WHO im Januar 2022 eingeführt und liegt auch in einer deutschen Übersetzung vor. Geplant ist, dass sie in den nächsten 5 Jahren nach Publikation die aktuell gültige ICD-10 ablösen wird. ICD-11 enthält bedeutsame, für die klinische wie für die gutachterlich psychiatrische Diagnosestellung wichtige Änderungen. Die Diagnostik und Schweregradeinteilung richtet sich vermehrt auf funktionelle Einschränkungen aus und bezieht dimensionale Aspekte stärker mit ein, was seitens psychiatrischer Fachverbände und der Swiss Insurance Medicine begrüsst wird.
ICD-11 im Vergleich zur ICD-10 – Strukturelle und inhaltliche Veränderungen
Mit der ICD-11 wird gegenüber der ICD-10 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ein umfassend überarbeitetes und erweitertes Klassifikationssystem auch für psychische Störungen vorgelegt. Veränderungen und Neuerungen beziehen sich unter anderem auf die Gesamtstruktur des Systems, die Veränderung einzelner Störungen, die Neuaufnahme und Umgruppierung von Störungen sowie auf grundlegend veränderte Kodierungsregeln.
Persönlichkeitsstörungen in der ICD-11
Die Umstellung des weltweit gültigen Klassifikationssystems medizinischer Diagnosen von der ICD-10 zur ICD-11 bringt für die Klassifikation von Persönlichkeitsstörungen grundlegende Veränderungen mit sich. Die bisher gültige kategoriale Einteilung voneinander abgrenzbarer Persönlichkeitsstörungsdiagnosen, die über eine Liste von Symptomen definiert werden, wird aufgehoben zugunsten eines dimensionalen Störungsverständnisses, bei dem verschiedene Schweregrade der Beeinträchtigung von selbstbezogenen und interpersonellen Persönlichkeitsfunktionen bestimmt werden. Ein Profil von fünf maladaptiven Persönlichkeitsmerkmalen dient der Charakterisierung des klinischen Zustandsbilds. Durch den in der ICD-11 eingeführten Blick auf Störungen über die Lebensspanne hinweg ist die Altersgrenze für die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung aufgehoben.
Das neue Gebiet der Neuroonkologie nimmt Fahrt auf
Die Neuroonkologie befindet sich in einer Zeit spannender Entwicklungen auf verschiedenen Ebenen. Einerseits werden zahlreiche neue Therapieverfahren erprobt und mit dem positiven Ausgang der ersten randomisierten Studie zu einem pharmakologischen Inhibitor mutierter Isozitratdehydrogenase (IDH), Vorasidenib (PMID 37272516), könnte eine neue Therapiestrategie für Patienten mit niedergradigen IDH-mutierten Gliomen noch in diesem Jahr Einzug in die klinische Neuroonkologie halten.
Neurokutane Syndrome (Phakomatosen)
Neurokutane Syndrome (früher: Phakomatosen) sind eine heterogene Gruppe von Erkrankungen, die auf unterschiedlichen Gendefekten beruhen. Alle Vererbungsmodi kommen vor, zudem besteht teils eine recht hohe Neumutationsrate. Ein multidisziplinäres Behandlungsteam ist eine wichtige Voraussetzung für ein gutes Management dieser komplexen Krankheitsbilder. Neben den klinischen Disziplinen, Sozialberatung und anderen therapeutischen Disziplinen ist die Humangenetik und ein koordinierter Transitionsprozess wichtig für eine umfassende Betreuung.
Hirntumorerkrankungen – Palliativmedizinische Konzepte und Advanced Care Planning
Patienten mit Hirntumoren leiden nicht nur an einer aggressiven und lebenslimitierenden Krebserkrankung, sondern auch an einer neurologischen Krankheit, die mit zahlreichen einschneidenden Symptomen einhergeht. Der rasche Verlauf der Erkrankung einerseits und frühe neurokognitive und neuropsychiatrische Veränderungen sowie kommunikationseinschränkende Ausfälle wie Sprach- und Sprechstörungen andererseits erschweren eine vorausschauende Planung sowohl für die erkrankte Person als auch für die Angehörigen. Das Ziel der Behandlung eines Hirntumors sollte daher neben der Verbesserung des Gesamtüberlebens auch die Lebensqualität und die frühe palliativmedizinische Begleitung mit besonderer Berücksichtigung des Advanced Care Plannings (ACP) in den Vordergrund stellen.
Akuter ischämischer Schlaganfall bei Patienten mit Tumorerkrankungen
Krebserkrankungen und Schlaganfälle zählen zu den häufigsten Ursachen für Morbidität und Mortalität in der westlichen Welt. Patienten mit Krebs haben ein erhöhtes Risiko für zerebrovaskuläre Ereignisse mit einem häufiger schlechten neurologischem Outcome und erhöhter Mortalität (1, 2). Die zugrundeliegenden Pathophysiologien und behandelbaren Ursachen sind nur unvollständig verstanden und Gegenstand aktueller Forschung.
Neurowissenschaft der Gliome – Alte Medikamente für neue Erkenntnisse
Die Entdeckung, dass elektrische Signale zwischen Gliomzellen und Synapsen von Neuronen auf Gliomzellen das Tumorwachstum antreiben, hat in den vergangenen Jahren die «Neurowissenschaft der Krebserkrankungen» begründet. Erste randomisierte klinische Studien versuchen, die gewonnenen Erkenntnisse für Patienten zu nutzen – auch in der Schweiz. Dabei kommen vorrangig bereits für andere neurologische Indikationen zugelassene Medikamente zum Einsatz. Die rasante Entwicklung dieses Felds weckt für die kommenden Jahre die Erwartung einer Vielzahl neuartiger Behandlungskonzepte für Hirntumorpatienten.
MS State of the Art Symposium 2024 – Risikoallele für Krankheitsprogression nachgewiesen
Das State of the Art Symposium der Schweizerischen Multiple Sklerose (MS) Gesellschaft bietet alljährlich die Gelegenheit, sich über aktuelle Themen auf dem Gebiet der MS zu informieren. Prof. Dr. med. Andrew Chan, Chefarzt der Universitätsklinik für Neurologie am Inselspital in Bern, präsentierte in diesem Rahmen Einblicke in wichtige Erkenntnisse und Entwicklungen des vergangenen Jahres.
In diesem Heft
Psychiatrie: ICD-11
Fortbildung
- Verwendung der ICD-11 in der Psychiatrie - Empfehlungen der Fachgesellschaften Erwachsenenpsychiatrie und der Swiss Insurance Medicine
- ICD-11 im Vergleich zur ICD-10 - Strukturelle und inhaltliche Veränderungen
- Persönlichkeitsstörungen in der ICD-11
Neurologie: Neuroonkologie
Editorial
Fortbildung
- Neurokutane Syndrome (Phakomatosen)
- Hirntumorerkrankungen - Palliativmedizinische Konzepte und Advanced Care Planning
- Akuter ischämischer Schlaganfall bei Patienten mit Tumorerkrankungen
- Neurowissenschaft der Gliome - Alte Medikamente für neue Erkenntnisse