Schweizer Zeitschrift für Psychiatrie & Neurologie 03/2022
Frühe Traumata – gravierende Langzeitfolgen? – Auswirkungen von Misshandlung und Vernachlässigung in der Kindheit auf dem weiteren Lebensweg
Traumatische Erfahrungen in der Kindheit haben direkten Einfluss auf Selbstwirksamkeit und Aufmerksamkeits-, Beziehungs- und Selbstregulation sowie Selbstwert- und Identitätsentwicklung, was die psychotraumatologische Forschung mit ihren Fortschritten immer besser belegt. Die Schwierigkeiten führen dazu, dass Menschen zentrale Entwicklungsaufgaben nicht bewältigen können und über ihre gesamte Lebensspanne in ihrer gesellschaftlichen Teilhabe beeinträchtigt sind. In diesem Beitrag wird ein kurzer Überblick über gravierende langfristige gesellschaftliche Folgen von Vernachlässigung und Misshandlung in der Kindheit gegeben und daraus eine Schlussfolgerung für die (kinder- und jugend-)psychiatrische und -psychotherapeutische Versorgung sowie fü die traumasensible Ausgestaltung von psychosozialen Hilfssysteme abgeleitet.
Interventionen bei Traumafolgestörungen
Bei der evidenzbasierten Behandlung von Traumafolgestörungen, insbesondere der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), sind traumafokussierte Psychotherapieverfahren die Therapie der ersten Wahl. Sie gehören zu den wirksamsten Psychotherapieverfahren überhaupt. Im Zuge der Einführung neuer Diagnosekategorien für komplexe Traumafolgestörungen wurden phasenbasierte Psychotherapieverfahren entwickelt und auf ihre Wirksamkeit untersucht, die neben traumafokussierten Behandlungselementen auch nicht traumafokussierte Komponenten beinhalten. Letztere dienen vor allem dazu, durch Ressourcenförderung, Abbau dysfunktionaler Interaktionsweisen und Verbesserung der Emotionsregulation eine traumafokussierte Aufarbeitung zu ermöglichen. Eine sorgfältige Behandlungsplanung ist wichtig. Hierzu gehört eine umfassende Diagnostik und Aufklärung. Mit der Behandlung sollte erst begonnen werden, wenn die nötigen Voraussetzungen, wie beispielsweise eine sichere Umgebung, kein Täterkontakt und eine stimmige therapeutische Beziehung, gegeben sind. Bei Menschen mit Migrationshintergrund ist ein kultursensibles Vorgehen zu empfehlen. Pharmakotherapeutische Interventionen können bei einzelnen Symptomen unterstützend wirken. Die in klinischen Studien nachgewiesene Wirksamkeit einiger Antidepressiva zeigt jedoch geringe Effekte. Eine alleinige Pharmakotherapie sollte nur dann erwogen werden, wenn eine traumafokussierte Psychotherapie nicht durchführbar ist beziehungsweise von der Patientin abgelehnt wird. Sie ist nicht Therapie der ersten Wahl. Zur Behandlung der PTBS liegen ausführliche Behandlungsleitlinien mit hohem Evidenzgrad vor.
Traumasensible pädagogische Konzepte in der kinder- und jugendpsychiatrischen/ -psychotherapeutischen Milieutherapie
Immer mehr kinder- und jugendpsychiatrische Kliniken beschäftigen sich mit traumapädagogischen Konzepten. Inhaltlich haben sich diese Konzepte aus der klassischen Milieutherapie und der psychoanalytischen Pädagogik entwickelt, auch methodisch gibt es keine grundlegenden anderen Zugänge. Eine Veränderung ist die Begründung für das pädagogische Vorgehen und die Beziehungsorientierung über die Psychotraumatologie, was als sehr innovativ gilt (1), die konsequente Anwendung der Haltung auf die Fachkräfte, zur Förderung der Selbstwirksamkeit und der emotionalen Stabilität. Gerade dieser Zugang über die Beziehungsorientierung sowie die emotionale Stabilität und die Selbstwirksamkeit der Fachkräfte scheinen viele Kliniken, auch im Rahmen der hohen Anforderungen an grosse transdisziplinäre Teams, anzusprechen. In Zeiten, in denen der Dokumentationsaufwand in der Milieutherapie kontinuierlich wächst und sich viele psychosoziale Fachkräfte in Kliniken und der Sozialpädagogik sehr belastet fühlen, scheint dieser Resilienzaspekt für die Mitarbeiter immer wichtiger zu werden, um Personalfluktuationen zu verhindern und ein attraktiver Arbeitergeber für milieutherapeutische Fachkräfte zu sein. Im folgenden Beitrag werden traumasensible pädagogische Konzepte kurz umschrieben und gute Gründe für eine solche Auseinandersetzung sowie Unterschiede in der Anwendung von traumapädagogischen Konzepten in Kliniken aufgeführt.
Diagnostik und Therapie neuropathischer Schmerzen
Neuropathische Schmerzen durch eine Läsion oder Erkrankung des somatosensorischen Nervensystems wie z. B. eine postherpetische Neuralgie, eine Polyneuropathie oder ein zentraler Schmerz nach Schlaganfall sind häufig und beeinträchtigen die Lebensqualität. Die meisten Patienten klagen über einen anhaltenden oder intermittierenden spontanen Schmerz von brennender oder stechender Qualität, der von evozierten Schmerzen begleitet sein kann, insbesondere bei leichter Berührung und Kälte. Neuropathische Schmerzen sind eine therapeutische Herausforderung, da oft keine Schmerzfreiheit erreicht werden kann und ein Teil der Patienten unzureichend anspricht oder an intolerablen Nebenwirkungen leidet. Therapieziele müssen daher realistisch erörtert werden.
EAN-Guideline Neurorehabilitation nach Schlaganfall – Pharmakologische Unterstützung für die Neurorehabilitation
Eine aktuelle Guideline der European Academy of Neurology (EAN) und der European Federation of Neurorehabilitation Societies bereitet die verfügbare Evidenz zur pharmakologischen Unterstützung für frühe Neurorehabilitation nach einem ischämischen Schlaganfall auf. Auf Basis der publizierten Literatur können schwache Empfehlungen für den Einsatz von Cerebrolysin sowie Citalopram 20 mg/Tag gegeben werden. Alle anderen untersuchten Substanzen können, zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt, nicht empfohlen werden.
EAN-Guideline Cognitive Impairment nach Schlaganfall – Wenig Evidenz, wenig Empfehlungen
Die European Stroke Organisation und die European Academy of Neurology (EAN) haben eine gemeinsame Leitlinie zu kognitiver Beeinträchtigung und Demenz nach Schlaganfall erstellt. Ungeachtet des hohen Aufwands bei der Sichtung und der Bewertung der verfügbaren Daten bleibt das Ergebnis letztlich dürftig, da zu den meisten relevanten Fragestellungen qualitativ hochwertige Evidenz fehlt. Dies resultiert in bestenfalls schwachen Empfehlungen.
EAN-Guideline Narkolepsie – Noch keine Krankheitsmodifikation, aber symptomatische Therapien
Primäre Symptome der Narkolepsie sind exzessive Schläfrigkeit während des Tages, Kataplexie und REM-assoziierte Phänomene, die zusammen das Alltagsleben der Betroffenen, ihre Arbeitsfähigkeit und ihre Lebensqualität massiv beeinträchtigen. Eine neue Leitlinie der European Academy of Neurology (EAN) und anderer Fachgesellschaften ordnet die publizierte Evidenz zum Management der Erkrankung, gibt auf dieser Basis Empfehlungen und benennt den Forschungsbedarf. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt können keine krankheitsmodifizierenden, sehr wohl aber mehrere symptomatische Therapien empfohlen werden.
Epilepsietherapie- Womit behandeln und wann absetzen?
Mit der Publikation der SANAD-II-Studien ist es nun etwas klarer, welchen Antikonvulsiva bei fokaler und bei generalisierter Epilepsie der Vorzug gegeben werden sollte. Darüber und wann man es sich allenfalls leisten kann, eine Antikonvulsivatherapie abzusetzen, diskutierte Prof. Hajo Hamer, Universitätsklinikum Erlangen, Klinik für Neurologie, Epilepsiezentrum, Erlangen (D), am Neuro-Update.
In diesem Heft
Psychiatrie
Fortbildung
- Frühe Traumata – gravierende Langzeitfolgen? - Auswirkungen von Misshandlung und Vernachlässigung in der Kindheit auf dem weiteren Lebensweg
- Interventionen bei Traumafolgestörungen
- Traumasensible pädagogische Konzepte in der kinder- und jugendpsychiatrischen/ -psychotherapeutischen Milieutherapie
Neurologie
Fortbildung
- Diagnostik und Therapie neuropathischer Schmerzen
- EAN-Guideline Neurorehabilitation nach Schlaganfall - Pharmakologische Unterstützung für die Neurorehabilitation
- EAN-Guideline Cognitive Impairment nach Schlaganfall - Wenig Evidenz, wenig Empfehlungen
- EAN-Guideline Narkolepsie - Noch keine Krankheitsmodifikation, aber symptomatische Therapien