Schweizer Zeitschrift für Psychiatrie & Neurologie 04/2021
Recovery-orientierte Praxis benötigt entsprechende Haltung der psychiatrischen Fachpersonen
Das Konzept Recovery hat die psychiatrische Versorgung in unserem Umfeld seit ungefähr 20 Jahren mit neuen Aspekten bereichert oder einige wieder in den Mittelpunkt gestellt. Einer der wesentlichsten Aspekte ist die Annahme, dass alle Menschen immer wieder Schwierigkeiten, Leid und Krankheit erleben und diese zu unserem Leben gehören.
Recovery in der Psychiatrie: Zuversicht, Wahlmöglichkeiten und erweiterte Formen der Partizipation
Recovery ist in kurzer Zeit zur Leitidee zeitgemässer psychiatrischer Dienstleistungen geworden. Im Beitrag wird auf die Ursprünge des Ansatzes eingegangen, und die Auswirkungen auf die Betroffenen, die psychiatrischen Dienstleistungen und die Gesellschaft werden beschrieben. Massnahmen und Erfahrungen bei der praktischen Umsetzung in einer psychiatrischen Klinik werden ausserdem vorgestellt.
Die Bedeutung von Arbeit für die persönliche Recovery von psychisch schwer erkrankten Menschen
Ein umfassendes Verständnis der Recovery-Orientierung ermöglicht einen anderen Blick auf die berufliche (Wieder-)Eingliederung von psychisch schwer kranken Menschen in den ersten Arbeitsmarkt. Die bisherigen Bemühungen zur Integration in den ersten Arbeitsmarkt verfolgen das Ziel der Reduktion oder der Vermeidung von Rentenzahlungen der Invalidenversicherung (IV) mit Massnahmen der beruflichen Eingliederung als Mittel. Auf der Basis der Recovery-Orientierung kann dagegen gut aufgezeigt werden, dass Arbeit und die Teilhabe in einer Erwerbsgesellschaft einen wichtigen Beitrag für den Genesungsprozess von psychisch schwer kranken Menschen darstellen. Genesung ist somit das Ziel und die berufliche Eingliederung das Mittel. Diese Perspektive hat Auswirkungen auf die Zielsetzung der IV, aber auch auf alle involvierten Institutionen und Fachpersonen, die psychisch schwer kranke Menschen auf ihrem Genesungsweg begleiten.
Wie Betroffene zu Genesungsbegleitern werden: Recovery – persönlich
Recovery ist etwas zutiefst Persönliches. Der Autor beschreibt aufgrund seiner 20-jährigen Geschichte mit der Psychiatrie seinen persönlichen Recovery-Weg und was dabei besonders bedeutsam für ihn war. Er stellt wichtige Inhalte der Peer-Weiterbildung und seine jetzige Arbeit als Peer vor.
Dr. phil. Franziska Rabenschlag – Bereichsleitung Pflege der Zentren Diagnostik und Krisenintervention, psychotische Erkrankungen und Leitung Pflege Privatklinik, Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel
Mit der Erfahrung in der Psychiatrie aus verschiedenen Arbeitsfeldern ist dieses Fach für Dr. Rabenschlag auch noch nach vielen Berufsjahren Passion geblieben. Dabei war der Einstieg in die Psychiatrie damals alles andere als geplant.
Aktuelles zu Diagnostik und Therapie der Demenz
Das Thema Demenz ist im Jahr 2021 allgegenwärtig. In der Öffentlichkeit wecken Meldungen über neue Therapieoptionen Hoffnungen. Insbesondere die Zulassung des Medikaments Aducanumab in den USA hat für grosses Aufsehen gesorgt. Ob die hohen Erwartungen an dieses neue Medikament gerechtfertigt sind, wird von vielen Expertinnen und Experten noch kritisch diskutiert.
Neuropsychologische Demenzdiagnostik: Update und Ausblick mit Fokus auf den Bereich der sozialen Kognition
Kognitive Störungen gehören zu den frühesten Zeichen von neurodegenerativen Erkrankungen, weshalb der Neuropsychologie in der interdisziplinären Demenzdiagnostik eine zentrale Funktion zukommt. Das aus der neuropsychologischen Testuntersuchung resultierende kognitive Ausfallsmuster kann Hinweise auf neuroanatomische Veränderungen und damit verbunden auf die zugrunde liegende neurodegenerative Erkrankung liefern, was einen wichtigen Beitrag zur Diagnosestellung darstellt. Obwohl Störungen der sozialen Kognition im Frühstadium von verschiedenen neurodegenerativen Erkrankungen auftreten, erfassen die in der Schweiz aktuell in der klinischen Routine eingesetzten neuropsychologischen Verfahren diesen Bereich nicht. Im Zentrum dieses Artikels steht die Beschreibung von sozial-kognitiven Symptomen und den damit assoziierten neuronalen Netzwerken bei Patienten mit neurodegenerativen Erkrankungen sowie von potenziellen Instrumenten zur Erfassung in der klinischen Routine. Eingerahmt wird dieser Teil von einem kurzen Einblick in die kognitive Diagnostik in der hausärztlichen Praxis, in die interdisziplinäre Demenzdiagnostik in einer Memory Clinic sowie in die aktuellen Entwicklungen in der Neuropsychologie, einschliesslich der Digitalisierung der neuropsychologischen Demenzdiagnostik.
Biomarker bei Demenzerkrankungen: Heute im Liquor, morgen im Blut?
Die Liquormarker Amyloid-Beta 1-42, Gesamt-Tau und hyperphosphoryliertes Tau 181 sind Bestandteil des diagnostischen Instrumentariums zur Abklärung kognitiver Störungen im Alter. Sie erlauben eine frühere Diagnose der Alzheimer-Erkrankung sowie eine präzisere Differenzialdiagnose kognitiver Störungen im Alter. Aufklärung und Beratung sind sowohl vor als auch nach der Biomarkerdiagnostik erforderlich. Die Interpretation der Befunde sollte stets die sonstigen verfügbaren Befunde einbeziehen und im individuellen Gesamtkontext der Patientinnen und Patienten erfolgen. Besonders bei atypischen oder unspezifischen klinischen Bildern, bei rascher Progredienz der Symptome und bei relativ jungen Patientinnen und Patienten können die etablierten Liquormarker wesentliche differenzialdiagnostische Hinweise liefern und damit Entscheidungen zu weiterführender Diagnostik, spezifischer Behandlung und Lebensplanung der Betroffenen erleichtern. Fortschritte der letzten Jahre lassen hoffen, dass neue molekulare Biomarker entdeckt und validiert werden, die einzeln oder in Kombination die relevanten pathologischen Prozesse besser abbilden. In naher Zukunft ist zu erwarten, dass Blutbiomarker und andere kostengünstige und leicht zugängliche Marker zur Verfügung stehen und damit zu einem Wandel hin zu einem erweiterten Einsatz von Biomarkern sowohl zur Risikobestimmung als auch zur Diagnose und Prognose von kognitiven Störungen im Alter führen werden. Das wird zudem die Entwicklung wirksamer und personalisiert anwendbarer Präventionsund Behandlungsansätze beschleunigen.
Neue Entwicklungen in der magnetresonanztomografischen Bildgebung bei Demenzerkrankungen
Die magnetresonanztomografische (MRT) Bildgebung des Gehirns ist ein fester Bestandteil der Diagnostik demenzieller Erkrankungen. Da die MRT-Bildgebung ein nicht invasives Verfahren darstellt, eignet sie sich bestens für serielle Untersuchungen, die den Verlauf einer progredienten Neurodegeneration oder die Effekte einer neuroprotektiven Therapie feststellen. Neue Entwicklungen im Bereich der Gerätetechnik und in der computergestützten Diagnostik eröffnen neue Perspektiven für Ärzte und Wissenschaftler, die den Stellenwert der MRT-Bildgebung im klinischen Alltag hervorheben.
PET-Bildgebung bei Demenz – Eine Perspektive für die klinische Anwendung in der Schweiz
Die molekulare Bildgebung mittels Positronen-Emissions-Tomografie (PET) hat sich zu einem wichtigen diagnostischen Instrument zur Abklärung von Patienten mit kognitiven Defiziten entwickelt. Wir unterscheiden zwei unterschiedliche Strategien der PET-Bildgebung: Die «konventionelle» PET mittels Fluor-Deoxy-Glukose (18F-FDG) bildet den zerebralen Glukosemetabolismus ab, der einen Surrogatmarker für neuronale Degeneration darstellt. Hiermit ist bereits eine präzise Differenzialdiagnose der häufigsten neurodegenerativen Erkrankungen wie Morbus Alzheimer, frontotemporale Demenz und Lewy-Body-Demenz möglich. Neuere krankheitsspezifische PET-Tracer visualisieren direkt die pathologische Aggregation von Amyloid und Tau im Gehirn und erlauben damit eine In-vivo-Diagnose, die einer histopathologischen Diagnose sehr nahe kommt. Sowohl 18F-FDG-PET als auch Amyloid-PET sind klinisch hervorragend validiert und seit 2020 Bestandteil des klinischen Leistungskatalogs (KLV) der Grundversorgung in der Schweiz.
Therapeutische Strategien bei Demenz
Patienten, die an einer Demenz erkranken, sehen sich einem fortschreitenden Verlust des Gedächtnisses, der kognitiven Fähigkeiten und ihrer Alltagsselbstständigkeit ausgesetzt. Sie leiden häufig auch unter psychologischen und Verhaltenssymptomen. Da bisher nur moderat wirksame symptomorientierte Medikamente zur Verfügung stehen, ist der Stellenwert von Demenzprävention, nicht pharmakologischen Massnahmen und einer bedarfsgerechten Betreuung von Patienten und Angehörigen hoch. Es muss besondere Vorsicht bei der psychopharmakologischen Therapie von Menschen mit Demenz geübt werden, und anticholinerge Medikamente sollten gemieden werden. Die kürzliche Zulassung des Anti-Amyloid-Antikörpers Aducanumab in den USA könnte einen ersten Schritt hin zu einer zielgerichteten verlaufsmodifizierenden Therapie der Alzheimer-Demenz darstellen. Gleichzeitig befinden sich zahlreiche krankheitsmodifizierende und symptomorientierte Medikamente in der klinischen Prüfung.
Dr. Ansgar FelbeckerLeitender Arzt, Klinik für Neurologie, Kantonsspital St. Gallen, und Präsident der Swiss Memory Clinics
Das Steckenpferd von Dr. Felbecker ist die Demenz. Seine Hoffnung sind die Biomarker, die hoffentlich bald schon im Blut eine frühe Demenz anzeigen können. Daran arbeitet er zurzeit hart.
Wie wirksam sind COVID-19-Impfungen bei MS-Patienten?
Weitere Meldungen:
– Schlechte Blutzuckerkontrolle fördert Demenz
– Unterbruch der CGRP-Antikörper-Therapie wirft Migräniker zurück
In diesem Heft
Psychiatrie
Editorial
Fortbildung
- Recovery in der Psychiatrie: Zuversicht, Wahlmöglichkeiten und erweiterte Formen der Partizipation
- Die Bedeutung von Arbeit für die persönliche Recovery von psychisch schwer erkrankten Menschen
- Wie Betroffene zu Genesungsbegleitern werden: Recovery – persönlich
Portrait
Neurologie
Editorial
Fortbildung
- Neuropsychologische Demenzdiagnostik: Update und Ausblick mit Fokus auf den Bereich der sozialen Kognition
- Biomarker bei Demenzerkrankungen: Heute im Liquor, morgen im Blut?
- Neue Entwicklungen in der magnetresonanztomografischen Bildgebung bei Demenzerkrankungen
- PET-Bildgebung bei Demenz - Eine Perspektive für die klinische Anwendung in der Schweiz
- Therapeutische Strategien bei Demenz