Schweizer Zeitschrift für Psychiatrie & Neurologie 02/2020
Psychosen – Von der Pathophysiologie zu neuen Therapieoptionen
Psychosen sind Erkrankungen mit phasenweisem Verlust des Bezugs zur Realität, die mit ausgeprägten Störungen des Denkens (z. B. Wahn), der Perzeption (z. B. Halluzinationen) und der Emotionen (z. B. Affektverflachung) einhergehen. Die wohl bekannteste Form der Psychose ist die Schizophrenie, die zirka 1 Prozent der Bevölkerung betrifft. Aufgrund ihrer ausgeprägten psychosozialen Folgen sowie der mässigen Remissionsraten steht diese aber an weltweit achter Stelle des Indikators Disability-Adjusted Life Years, also desVerlusts an Lebenszeit durch eine Behinderung. In dieser Ausgabe stellen wir sechs aktuelle sowohl für die Klinik als auch die Forschung relevante Artikel zum Thema Psychosen vor.
Früherkennung und -intervention von Psychosen bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen
Psychosen zählen zu den psychischen Erkrankungen mit besonderer Gefährdung der psychosozialen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Chronische Psychosen, wie z. B. die Schizophrenien, liegen trotz ihres seltenen Auftretens bereits bei 10- bis 14-jährigen Jungen an neunter Stelle der Ursachen für eine Behinderung. Das unterstreicht die Notwendigkeit einer frühzeitigen Erkennung und Behandlung von Psychosen auch und vor allem bei Kindern und Jugendlichen. Im Beitrag werden die Früherkennung, die Prävention und die therapeutischen Möglichkeiten von Psychosen dargestellt.
Veränderte Schlafneurophysiologie als Frühmarker für Psychose
Seit den Anfängen der modernen Psychiatrie wurden Schlafschwierigkeiten als häufige Beschwerden bei Patienten mit einer Schizophrenie beschrieben (1). Später wurden Schlafprobleme als frühes Symptom psychotischer Episoden bezeichnet (2), welche in engem Zusammenhang mit deren Beginn und Dauer stehen (3) und mit dem Schweregrad der Symptome korrelieren (4). Die Patienten selbst berichten häufig über negative Folgen der Schlafstörungen für die eigene Alltagsbewältigung (5, 6), was auf einen starken Einfluss des Schlafs auf die von den Patienten wahrgenommene Lebensqualität hinweist (7).
Immunologische Aspekte von Psychosen
Die lateinamerikanische Zikavirusepidemie im Jahre 2015/15 zeigte mit drastischen Bildern, welch desaströse Auswirkungen Infektionen während der Embryonalzeit auf das Zentralnervensystem haben können. Dieser Artikel gibt einen Überblick über immunologische Befunde, die mit der Entstehung von Psychosen assoziiert sind, und deren immunologische Therapieformen.
Psychosen – Vorhersage des Therapieerfolgs einer antipsychotischen Behandlung
Antipsychotika sind ein wesentlicher Bestandteil der Behandlung von Psychosen. Eine sichere Vorhersage des Therapieansprechens ist zu diesem Zeitpunkt nicht möglich, da gewöhnliche klinische Studien Aussagen über Patienten im Durchschnitt, nicht aber über Patienten im Einzelnen zulassen. Darüber hinaus ist unklar, wie gross der Spielraum für eine Personalisierung der antipsychotischen Behandlung überhaupt ist. Möglicherweise bestehen die wesentlichen individuellen Unterschiede in der Anfälligkeit auf Nebenwirkungen, was zukünftige Studien klären werden.
Soteria Bern – Die kleinste Spezialklinik der Schweiz
Seit mehr als 35 Jahren bietet die Soteria Bern meist jungen Menschen ab dem 16. Lebensjahr eine alternative, stationäre und teilstationäre Behandlung psychotischer und hier vor allem schizophrener Episoden an. In einem normalen Wohnhaus in einem zentralen Berner Wohnquartier wird eine gemeindeintegrierte und daher wenig stigmatisierende Behandlung mit intensiver Milieutherapie, aber auch einer leitliniengerechten, möglichst niedrig dosierten medikamentösen Therapie durchgeführt (1).
Therapieprogramm Robin – Ein Manual und eine Smartphone-App für Jugendliche mit erhöhtem Psychoserisiko
Für Jugendliche mit einem erhöhten Psychoserisiko entwickelten Maurizia Franscini und Nina TraberWalker in der Früherkennungssprechstunde der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Zürich das Therapieprogramm Robin. Im Beitrag stellen die Entwicklerinnen das Manual und die SmartphoneApp des Therapieprogramms vor.
Multiple Sklerose – Die Entwicklung geht weiter
In den letzten Jahren kam eine Vielzahl an verfügbaren Präparaten und Therapien gegen Multiple Sklerose (MS) auf den Markt. Das ist insbesondere der intensiven Forschung zu verdanken. Im Vergleich zu anderen Gebieten der Neurologie ist der pharmakologische Fortschritt der Immuntherapie sogar als enorm zu bezeichnen.
Prognostische Faktoren beim radiologisch isolierten Syndrom
Der weitverbreitete und niederschwellige Einsatz der Magnetresonanz-(MR-)Bildgebung zur Abklärung von Erkrankungen des zentralen Nervensystems konfrontiert Radiologen zunehmend mit inzidentellen intrakraniellen Veränderungen unklarer Signifikanz. Selten erfüllen Letztere die MR-Kriterien für eine Multiple Sklerose. In diesem Falle sprechen wir bei klinisch asymptomatischen Patienten von einem radiologisch isolierten Syndrom. Obwohl die Behandlung von Patienten mit einem radiologisch isolierten Syndrom derzeit umstritten ist, sollte der Beginn einer immunmodulierenden Therapie bei Hochrisikopatienten für eine Konversion zur Multiplen Sklerose zumindest diskutiert werden. Deshalb ist die frühzeitige Erkennung radiologischer und klinischer Eigenschaften, die mit einem hohen Risiko für eine klinische Konversion in der Zukunft verbunden sind, von grosser Bedeutung.
Opportunistische Infektionen und andere seltene Nebenwirkungen im Rahmen einer immunmodulierende Therapie bei Multipler Sklerose
Die Therapie der Multiplen Sklerose (MS) hat sich in den letzten zwei Dekaden grundsätzlich mit der steigenden Verfügbarkeit hochwirksamer Therapieoptionen verändert. Damit einhergehend wandelte sich auch das Spektrum potenzieller therapieassoziierter Nebenwirkungen. Einerseits bestehen substanzspezifische Nebenwirkungen, andererseits muss bei zunehmenden immunsuppressiven Effekten prinzipiell auch mit einer Zunahme opportunistischer Infektionen oder maligner Erkrankungen gerechnet werden. Im Folgenden werden aktuell diskutierte, seltene Nebenwirkungen im Rahmen einer immunmodulierenden Therapie der Multiplen Sklerose zusammengefasst. Der Fokus liegt hierbei auf schwerwiegenden Ereignissen und solchen, die durch geeignete TherapiemonitoringMechanismen vorzeitig erkannt, therapiert und bestenfalls verhindert werden können.
Progrediente Multiple Sklerose – Aktuelle und zukünftige Behandlungsoptionen
Bislang sind die Möglichkeiten der verlaufsmodifizierenden Therapie bei progredienter Multipler Sklerose im Vergleich zur schubförmigen MS deutlich eingeschränkt. Grund dafür ist wahrscheinlich die andere Pathophysiologie in Form der Neurodegeneration (2, 3). Der Beitrag fasst die wichtigsten Daten bezüglich der Therapie der progredienten MS zusammen. Nach einem kurzen Überblick über die negativen Studien mit Immunmodulatoren werden die aktuell für die primär- und sekundär progrediente MS zugelassenen Präparate und die derzeit in Entwicklung befindlichen Substanzen mit möglicher «neuroprotektiver» Wirkung vorgestellt. Die rein symptomatische Therapie sowie Stammzelltherapien werden nicht diskutiert.
Buchtipps
In diesem Heft
Editorial - Psychiatrie
Fortbildung: Psychiatrie
- Früherkennung und -intervention von Psychosen bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen
- Veränderte Schlafneurophysiologie als Frühmarker für Psychose
- Immunologische Aspekte von Psychosen
- Psychosen - Vorhersage des Therapieerfolgs einer antipsychotischen Behandlung
- Soteria Bern - Die kleinste Spezialklinik der Schweiz
- Therapieprogramm Robin - Ein Manual und eine Smartphone-App für Jugendliche mit erhöhtem Psychoserisiko
Editorial - Neurologie
Fortbildung: Neurologie
- Prognostische Faktoren beim radiologisch isolierten Syndrom
- Opportunistische Infektionen und andere seltene Nebenwirkungen im Rahmen einer immunmodulierende Therapie bei Multipler Sklerose
- Progrediente Multiple Sklerose - Aktuelle und zukünftige Behandlungsoptionen