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SCHWERPUNKT
Zikavirus-Infektion und Schwangerschaft
5 Jahre nach der internationalen Notlage: ein Update für Gynäkologinnen und Gynäkologen
Vor 5 Jahren war es akut: Die rasante Ausbreitung des Zikavirus in Mittel- und Südamerika und der erwiesene Zusammenhang zwischen einer Zikavirus-Infektion während der Schwangerschaft und Mikrozephalie sowie weiteren Anomalien beim Fetus/Neugeborenen veranlasste die WHO dazu, den globalen Gesundheitsnotstand auszurufen. Mittlerweile sind die Fallzahlen stark rückläufig. Was haben wir gelernt?
KAROLINE AEBI-POPP
© James Gathany, Sanofi Pasteur/Flickr
Karoline Aebi-Popp
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Am 1. Februar 2016 – fast 70 Jahre nach der ersten zufälligen Entdeckung des Zikavirus in einem Wald in Uganda/Afrika – erklärte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den Zustand einer «Gesundheitlichen Notlage von internationaler Tragweite»: Nachgewiesen war, dass die mütterliche Zikavirus-Infektion in der Schwangerschaft Mikrozephalie und neurologische Komplikationen beim Kind verursacht.
Zikavirus-Infektion
Das Virus breitete sich epidemisch in fast allen Ländern Mittel- und Südamerikas sowie der Karibik mit Schwerpunkt Brasilien aus (1–3). Über das Auftreten des Zika-Virus als Ursache einer unerwarteten Epidemie ist nach Ansicht von Experten noch vieles unbekannt. Das Zikavirus gehört wie das Dengue-, Gelbfieberund FSME-Virus zum Genus Flavivirus. In den Jahrzehnten nach dem ersten Nachweis 1947 breitete sich das Virus in Afrika und Asien weiträumig aus. Der erste grosse Ausbruch der Infektion beim Menschen erfolgte auf den Yap-Inseln Mikronesiens im Jahr 2007, anschliessend kam es 2013/2014 zu einer Epidemie in Französisch-Polynesien, bei der erstmals ein vermehrtes Vorkommen des Guillain-Barré-Syndroms beobachtet wurde sowie eine Übertragung auf das ungeborene Kind belegt werden konnte (1, 2). Die Übertragung erfolgt durch Aedes-(Stegomyia-) Mücken (Aedes aegypti/albopictus). Hauptsächlich sind diese Mücken am Vormittag sowie am späten Nachmittag und in der Dämmerung aktiv. Das Virus wird vor allem durch den Stich von infizierten Moskitos (in erster Linie von Aedes aegypti) übertragen. Weiter kann das Virus sexuell, intrauterin, perinatal, durch Speichel und Bluttransfusion übertragen werden.
Verantwortlich für Mikrozephalie und schwere neurologische Störungen beim Neugeborenen: die «Zika-Mücke» (Aedes aegypti/albopict). Die Übertragung des Virus erfolgt durch die Infektion einer schwangeren Frau oder auch ihres Partners.
Reise in ein Endemiegebiet? Reiseberatung unbedingt!
Ist eine Reise in ein Zikavirus-endemisches Gebiet in der Schwangerschaft unumgänglich, ist vorgängig eine ausführliche Reiseberatung notwendig. In Kasten 1 sind wichtige Empfehlungen zur Einschätzung und Prävention des Infektionsrisikos von Schwangeren in Zusammenhang mit einer Reise aufgeführt. Dabei sind auch präventive Massnahmen des Partners, der sich in einem Endemiegebiet aufgehalten hat, wesentlich. Bei betroffenen Patientinnen, die vor einer In-vitro-Fertilisation (IVF) stehen, ist ein Schutz durch eine vorgängige Serologie erforderlich. Neben der Diskussion über das Risiko sollte insbesondere der optimale Schutz vor Mückenstichen tagsüber, abends und nachts besprochen werden (Hauptübertragungszeiten s. o.). Empfohlen werden lange, helle Shirts und Hosen, welche imprägniert
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sind, Moskitonetze und optimale Repellents (z. B. DEET), weitere Informationen sind unter www.safetravel.ch einsehbar (4). Eine Zikavirus-Infektion ist in der Schweiz seit dem 5. März 2016 beim BAG meldepflichtig.
Krankheitsbild und vertikale Transmission
In den meisten Fällen (ca. 70%) verläuft die Erkrankung asymptomatisch. Teilweise kommt es aber zu unspezifischen, meist milden Krankheitssymptomen, welche 2 bis 7 Tage andauern können. Dabei können ein makulopapulöses Exanthem mit Juckreiz, Fieber, Konjunktivitis, Gelenkbeschwerden (Arthralgien/Arthritis), Muskelschmerzen oder Kopfschmerzen auftreten. In einigen Fällen werden neurologische Komplikationen beobachtet (Guillain-Barré-Syndrom). Hinweise zu Labortests bei Schwangeren und deren Partnern bei Infektion und/oder Erkrankung sind in Kasten 2 aufgeführt. Die Therapie der akuten Zikavirus-Infektion ist symptomatisch und sollte sich vor allem auf Flüssigkeitszufuhr und Ruhe beschränken. Zu vermeiden sind Aspirin oder nicht steroidale Entzündungshemmer (NSAR, z. B. kein Ibuprofen), da diese bei einer möglichen (gleichzeitigen) Dengue-VirusInfektion zu einer erhöhten Blutungsgefahr führen können. Eine vertikale Transmission findet sich bei 20 bis 30% von allen infizierten Schwangeren, etwa 20% aller infizierten Feten zeigen sich symptomatisch. Das Zikavirus kann während der Schwangerschaft via Plazenta auf den Feten übertragen werden und Ursache des kongenitalen Zikavirus-Syndroms sein (5). Das Virus stört das Wachstum und die Entwicklung der fetalen Nervenzellen, was zu Gehirnanomalien wie Mikrozephalie führt. Neben der Mikrozephalie (< 3 SD unter dem Normalwert) können andere Hirnanomalien auftreten, zudem okuläre Fehlbildungen (Mikrophthalmie) und eine intrauterine Wachstumsretardierung. Zikavirus-Partikel wurden in der Muttermilch gefunden, aber derzeit gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass eine Infektion durch Stillen möglich ist (5, 6).
Was wissen wir 5 Jahre später ?
Laut WHO gab es im Juli 2019 in 87 Ländern und Territorien Hinweise auf eine aktuelle oder frühere durch Mücken übertragene Zikavirus-Infektion. In den USA, wo sowohl Florida als auch Texas in den Jahren 2016 und 2017 eine lokale Übertragung des Zikavirus meldeten, wurden im Jahr 2019 keine lokal erworbenen Fälle gemeldet. Der rasche Rückgang der Fälle mit Zikavirus-Infektionen ist das Ergebnis mehrerer Faktoren, einschliesslich der Entwicklung von schützenden Antikörpern auf Bevölkerungsebene, positiver Veränderungen in den Praktiken zur Vermeidung von
Mückenstichen und Verbesserungen bei der Mückenbekämpfung. Die Epidemie kam und ging zu schnell, um gute Phase-III-Studien durchführen zu können. Viele wissenschaftliche Projekte wurden begonnen, konnten aber nur mit kleinen Fallzahlen oder gar nicht fertiggestellt werden. Unklar bleibt, wie das Virus die Gehirnentwicklung des Kindes beeinflusst. Vor allem ist bis heute unverstanden, warum die Infektion des fetalen Gehirns manchmal zu Mikrozephalie und manchmal zu anderen neurologischen Komplikationen führt (7). Wir wissen aber, dass das Schwangerschaftsalter und andere Faktoren das Risiko für schwere neurologische Auswirkungen erhöhen können. Die meisten Schäden traten bei Säuglingen auf, die als Embryonen/Feten früh in der Schwangerschaft infiziert wurden. Bekannt wurde zudem, dass Zikavirus-exponierte Säuglinge, die kein kongenitales Zikavirus-Syndrom entwickelten, ein Risiko für eine abnorme Entwicklung haben, so eine Studie von Mulkey und Kollegen, die 2020 veröffentlicht wurde (8).
Kasten 1:
Risikoeinschätzung für Zikavirus-(ZIKV-)Infektion für Schwangere bei Reisen
■ Geringes Risiko: Reise in ein Gebiet mit ZIKV-Infektionen (vergangen oder aktuelle Fälle) und Vorhandensein vom Vektor (Moskito).
■ Hohes Risiko: Reise in ein Gebiet mit aktuellem ZIKV-Ausbruch oder PCR/ZIKV-IgMpositiver Sexualpartner.
■ Falls der Partner in einem Gebiet mit ZIKV-Ausbruch war, wird für die gesamte Schwangerschaft Sex mit Kondom empfohlen.
■ Nach einer Reise in eine ZIKV-Endemieregion sollten Paare 2 Monate mit Kondom verhüten, bis sie eine Schwangerschaft anstreben. Bei Unsicherheiten kann 4 Wochen nach Rückkehr aus dem ZIKV-Gebiet eine Serologie bei beiden Partnern durchgeführt werden.
■ Wenn im Zeitraum von 2 Monaten nach einer Reise in eine ZIKV-Endemieregion eine IVF-Behandlung vorgesehen ist, muss vor der Behandlung eine ZIKV-Serologie erfolgen.
■ Sexualpartnern von schwangeren Patientinnen wird nach Reise in Risikogebiete zur Abstinenz bzw. zum Kondomgebrauch für die gesamte Schwangerschaft geraten.
Kasten 2:
Labortests bei Exposition mit Zikaviren (ZIKV)
1. Schwangere Frauen mit der letzten Exposition zu ZIKV vor mehr als 4 Wochen: Serologie (IgM und IgG) erforderlich.
2. Symptomatische Frauen (< 4 Wochen ZIKV-Exposition) oder ZIKV-IgM-positiver Partner: Ultraschalldiagnostik an einem Zentrum; PCR im Blut, im Urin oder in der Amnionflüssigkeit (negativer Test schliesst Infektion nicht aus) nach Rücksprache mit Infektiologie und Labor.
3. Virale RNA kann mittels PCR – im Serum ab ca. 2 Tagen (bis 10 Wochen), im Urin ab ca. 2 Tagen (bis 3 Monate) und im Sperma ab ca. 5 Tagen (bis 6 Monate) – nachgewiesen werden. Die Maximalzeiträume sind nur anhand von Einzelfallbeschreibungen belegt. Bei Schwangeren scheint die PCR länger positiv zu sein als bei nicht schwangeren Frauen.
4. Ein negatives Testergebnis (Serologie und/oder PCR) schliesst eine ZIKV-Infektion nicht aus. Eine Wiederholung der Serologie im Verlauf ist sinnvoll.
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Massnahmen bei einem zukünftigen Ausbruch
Das Zikavirus ist heute zwar weiterhin vorhanden, zirkuliert aber auf niedrigem Niveau. Forscher halten einen erneuten Infektionsausbruch wie mit anderen Flaviviren für gut möglich. In diesem Fall könnten Impfstoff- und Therapiemöglichkeiten schneller als vor rund 5 Jahren in sogenannten Feldversuchen getestet werden. Das ist vergleichbar mit dem jüngsten grossen Ebola-Ausbruch in der Demokratischen Republik Kongo, bei dem Forscher bahnbrechende Versuche mit Ebola-Impfstoffen und Therapeutika durchführen konnten, von denen einige inzwischen für den Einsatz lizenziert sind. Es gibt sogar einen mRNA-Impfstoff-Kandidaten gegen das Zikavirus vom Hersteller Moderna, welcher mit der gleichen Technologie entwickelt wurde wie der zugelassene Impfstoff gegen COVID-19 (9). Um sich auf einen erneuten Ausbruch vorzubereiten, hat die WHO das «Zika Strategic Response Framework» entwickelt – einen Plan, um die Forschung zur Zikavirus-Prävention voranzutreiben, um Überwachungssysteme, die Vektorkontrolle und die Betreuung der von Zikavirus-Infektionen betroffenen Kinder und Familien zu stärken.
Zusammenfassung
n Das Zikavirus gehört zur Gattung der Flaviviren, wird durch Aedes-(Stegomyia-)Mücken, kann aber auch sexuell übertragen werden.
n Ein erwiesener Zusammenhang besteht zwischen einer Zikavirus-Infektion während der Schwangerschaft und dem Auftreten einer Mikrozephalie und evtl. weiteren Anomalien beim Fetus/Neugeborenen.
n Allen schwangeren Frauen und Frauen, die eine Schwangerschaft planen oder nicht ausschliessen können, soll von einer Reise in Zikavirus-Endemiegebiete mit aktiver Übertragung abgeraten werden.
n Falls sich eine schwangere Frau in einem Endemiegebiet aufgehalten hat und Verdacht auf eine Infektion besteht, sollte sie in einem spezialisier-
ten Zentrum betreut werden. Insbesondere sind
wiederholte, spezialisierte Ultraschalluntersu-
chungen notwendig.
n Falls sich der Partner einer schwangeren Frau in
einem Endemiegebiet aufgehalten hat, sollte bis
zum Ende der Schwangerschaft bei sexuellem
Kontakt ein Kondom verwendet werden.
n
PD Dr. med. Karoline Aebi-Popp MSc E-Mail: mail@aebi-popp.com
FMH Gynäkologie und Geburtshilfe Praxis im Frauenzentrum Lindenhofspital Bremgartenstrasse 119 3012 Bern Wissenschaftliche Mitarbeiterin Universitätsklinik für Infektiologie Inselspital 3010 Bern
Interessenkonflikte: keine.
Quellen: 1. CDC.: Zika and pregnancy. https://www.cdc.gov/pregnancy/zika/data/index. html. Accessed April 28, 2021. 2. CDC.: Zika virus. https://www.cdc.gov/zika/index.html. Accessed April 26, 2021 WHO. 3. WHO Zika epidemiology update. https://www.who.int/emergencies/diseases/ zika/epidemiology-update/en/. Accessed April 28, 2021. 4. CDC.: Zika and pregnancy. https://www.cdc.gov/pregnancy/zika/data/index. html. Accessed April 28, 2021. 5. Chibueze EC, Tirado V, Lopes KD et al.: Zika virus infection in pregnancy: a systematic review of disease course and complications. Reprod Health. 2017;14(1):28. doi: 10.1186/s12978-017-0285-6. PMID: 28241773. 6. Faizan MI, Abdullah M, Ali S et al.: Zika virus-induced microcephaly and its possible molecular mechanism. S. Intervirology. 2016;59(3):152-158. doi:10.1159/000452950. Epub 2017 Jan 13. PMID: 28081529. 7. Brady OJ et al.: The association between Zika virus infection and microcephaly in Brazil 2015–2017: An observational analysis of over 4 million births. PLoS Med. 2019. doi:10.1371/journal.pmed.1002755. 8. Mulkey SB et al.: Neurodevelopmental abnormalities in children with In utero zika virus exposure without congenital zika syndrome. JAMA Pediatr. 2020. 174(3):269-276. doi:10.1001/jamapediatrics 9. Shan C, Xie X, Shi PY.: Zika virus vaccine: progress and challenges. Cell Host Microbe. 2018 Jul 11;24(1):12-17. 10. Zika Strategic Response Plan: https://www.who.int/emergencies/zika-virus/ strategic-response-plan/en/
Zum aktuellen Stand der Situation bei Reisen : https://wwwnc.cdc.gov/travel/page/zika-travelinformation
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