Transkript
SCHWERPUNKT
COVID-19 und Schwangerschaft
Von der COVID-19-Pandemie sind Schwangere nicht ausgenommen – im Gegenteil, es besteht in der Schwangerschaft ein erhöhtes Komplikationspotenzial nach einer Infektion. Im französischsprachigen Beitrag – Seite 6–9 – erläutern die Autoren den aktuellen Forschungsstand zu Risiken für Mutter und Kind und zum Krankheitsverlauf und informieren über Fragestellungen zur Schwangerenbetreuung, zum Stillen und zur Impfung.
CÉCILE GUENOT, DAVID BAUD
(RESÜMEE UND ÜBERSETZUNG DES ARTIKELS: BÄRBEL HIRRLE)
Bis heute wurden in der Schweiz fast 700 000 Infektionen und mehr als 10 000 Todesfälle mit dem neuen Coronavirus (SARS-CoV-2) nachgewiesen(S.: https:// www.covid19.admin.ch). Das Virus greift die Flimmerepithelzellen via ACE2-Rezeptor an, welcher in den kardiovaskulären, intestinalen, pulmonalen und renalen Organsystemen, ferner in der Plazenta und im fetalen Gewebe exprimiert ist (2). Physiologische und immunologische Veränderungen machen Frauen in der Schwangerschaft vulnerabler für eine Virusinfektion, eine schwere Pneumonie sowie für weitere Komplikationen als nicht schwangere Frauen (4, 5). Ein Review von 28 Studien mit 11 432 Schwangeren zeigte eine Prävalenz von 10% positiver PCR-Tests bei Frauen, die sich aus irgendeinem Grund in ein Spital begaben; drei Viertel von ihnen waren asymptomatisch (6).
Infektionshäufigkeit, Klinik, Risikofaktoren
Insgesamt scheinen schwangere Frauen ein höheres Infektionsrisiko als nicht schwangere Gleichaltrige zu
Merkpunkte
n Schwangere haben bei COVID-19-Infektion erhöhte Risiken für Krankheitskomplikationen (Intensivpflege, mechanische Beatmung, ECMO) und für perinatale Komplikationen (intrauterine Wachstumsverzögerung, Frühgeburtlichkeit, intrauteriner Tod).
n Das Risiko für eine vertikale Übertragung und für fetale/neonatale Komplikationen besteht, diese sind aber extrem selten.
n Der Geburtsmodus soll aufgrund der geburtshilflichen und mütterlichen Konditionen gewählt werden; eine Sectio caesarea schützt das Neugeborene nicht stärker vor einer Infektion als eine Vaginalgeburt.
n Die Impfung soll Schwangeren, die in einem Gesundheitsberuf tätig sind, respektive denen mit chronischen Krankheiten (Hypertonie, Diabetes, Herz- bzw. Atemwegserkrankungen, bei Immunsuppression, Adipositas) vorgeschlagen werden. Gemäss heutiger Literaturdaten (ca. 100 000 Fälle) scheint die Impfung für die Mutter und den Fetus keine erhöhte Risiken zu haben. Sie soll im 2. oder 3. Schwangerschaftsdrittel erfolgen und kann auch in der Stillzeit nachgeholt werden.
n Zum Stillen sollen COVID-19-positive Mütter unter Einhaltung der Hygienebestimmungen (Maske, Handdesinfektion) ermutigt werden.
haben, nach aktuellen Untersuchungen liegt es bei 70% (7). Die Symptome sind dieselben wie diejenigen in der Allgemeinbevölkerung, vor allem Fieber (40%), Husten (41%), Dyspnoe (21%), und sie unterscheiden sich nicht im Schwangerschaftsverlauf (8). Allerdings sind schwere Krankheitsverläufe und Komplikationen häufiger (8, 10, 11), 4% der Betroffenen benötigen Intensivpflege, 3% mechanische Beatmung und 0,2% extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO) (6). Häufigste Risikofaktoren für schwere Verläufe sind mütterliches Alter, erhöhter BMI, vorbestehende Hypertonie und Diabetes mellitus (8, 11).
Schwangerschaftsverlauf
Einige Studien zeigen, dass es bei an COVID-19 erkrankten Schwangeren vermehrt zu Frühaborten im 1. Schwangerschaftsdrittel (8) kommt. Fieberschübe im 1. Trimester scheinen aber kein Risiko für fetale Fehlbildungen zu sein (12). Allerdings werden Risiken für intrauterine Wachstumsverzögerung (19%), Frühgeburtlichkeit (16% vs. 6%) und Tod in utero (2- bis 3-fach erhöht) beobachtet (6, 8, 13). Zudem besteht ein hoher Anteil (78%) an Kaiserschnittgeburten bei erkrankten Frauen. Dabei sollte beachtet werden, dass eine Sectio das Neugeborene nicht besser als eine Vaginalgeburt vor einer Infektion schützt (14). Die Literatur gibt keinen Hinweis darauf, dass eine Sectio bei COVID-19 grundsätzlich indiziert ist, vielmehr sollte der Geburtsmodus aufgrund der Krankheitsschwere, der Komorbiditäten und weiteren geburtshilflichen Indikationen gewählt werden. Ein systematisches Review von beschriebenen Schwangerschaftsverläufen mit 936 Neugeborenen und ihren an SARS-CoV-2 erkrankten Müttern ergab, dass eine vertikale Übertragung selten, aber im 3. Schwangerschaftsdrittel möglich ist (15). SARSCoV-2-Infektionen bei Neugeborenen zeigten sich vereinzelt; in den meisten Fällen waren die Verläufe bei den Säuglingen günstig. SARS-CoV-2 wurde bisher nicht in der Muttermilch gefunden. Zum Stillen sollte – unter Wahrung aller
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SCHWERPUNKT
Hygienemassnahmen (Maske, Händedesinfektion) der Mutter – ermutigt werden.
Schwangere impfen?
Die Studien zeigen, dass die bestehenden Impfstoffe für Schwangere sicher sind und weder Aborte noch Fertilitätsprobleme verursachen (17). Bis heute haben mehr als 100 000 schwangere Frauen mRNA-Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 in den USA erhalten, ohne dass eine schwere Begleitwirkung bei Mutter und Kind beobachtet wurde. Derzeit empfehlen in der Schweiz das BAG und die SGGG die Impfung im 2. und 3. Schwangerschaftstrimester, sofern einige chronische Krankheiten (Herz- und Atemwegserkrankungen, Hypertonie, Leber- und Nierenerkrankungen, Diabetes, Adipositas, kongenitale oder erworbene Immunschwäche; siehe Tabelle 2, Seite 8) oder ein aktuelles Expositionsrisiko (z. B. bei Krankenpflege) bestehen. Vermutlich wird die Impfung in Kürze auch für schwangere Frauen generell empfohlen.
Besondere Aufgaben der Praxisgynäkologen
Die betreuenden Frauenärztinnen/-ärzte sind gefordert, auf die Risiken einer SARS-CoV-2-Infektion und alle Präventionsmassnahmen (regelmässiges Händewaschen, Masketragen, Abstandsregeln, Homeoffice)
immer wieder hinzuweisen und auch die Impfung vor
allem bei erhöhtem Risiko wegen chronischer Grund-
erkrankung zu empfehlen. Eine Infektion im
3. Schwangerschaftstrimester ist am gefährlichsten
und wenn irgendwie möglich zu vermeiden.
Aufgabe der betreuenden Frauenärztinnen/-ärzte
wird es sein, die schwangeren Patientinnen über Nut-
zen und Risiken der Impfung zu informieren, die
schriftliche Einwilligung zur indizierten Impfung ein-
zuholen und, wenn gewünscht und indiziert, selbst zu
impfen. Dazu sind eventuelle Begleitwirkungen bei
Mutter und Kind bis einschliesslich Stillphase zu do-
kumentieren und gegebenenfalls an die Swissmedic
weiterzuleiten.
Jeder neue COVID-19-Fall und jede Impfung in der
Schwangerschaft soll in einer nationalen (und inter-
nationalen) Studie beobachtet und dazu unter
www.covi-preg.ch dokumentiert werden (18). Die
Schweizer Studie unter der Leitung von Prof. Baud
am CHUV untersucht im Detail, welche Population
besonders gefährdet ist und ob mütterliche und fe-
tale Komplikationen auftreten. Ziel ist, das präven-
tive, diagnostische und therapeutische Prozedere zu
optimieren und Empfehlungen rund um Schwanger-
schaft, Geburt und COVID-19 zu entwickeln.
n
hir (Redaktion)
Korrespondenzadressen und Literatur zum Originalartikel: siehe Seite 9.
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