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Eizellspende und Leihmutterschaft
Teil 2: Leihmutterschaft*
Analog zur Eizellspende ist die Leihmutterschaft (diese in deutlich niedrigerer Anzahl) in einigen europäischen und osteuropäischen Ländern erlaubt. In Deutschland und in der Schweiz ist sie verboten. Das hat einen «Fortpflanzungsmedizintourismus» in Länder mit einer liberalen Gesetzgebung zur Folge. Orientierende Kenntnisse zu den Abläufen, der Organisation und den Risiken von Eizellspende und Leihmutterschaft sind aber unverzichtbar, damit eine adäquate medizinische Versorgung der Mutter und des Kindes gewährleistet werden kann.
ISOTTA MAGATON, MICHAEL VON WOLFF
Isotta Magaton
Die Fortpflanzungsmedizin gewinnt immer mehr an Bedeutung. Einerseits möchten Frauen und Paare in einer immer späteren Lebensphase ihren Kinderwunsch realisieren. Anderseits gehört es zur reproduktiven Freiheit jedes Menschen, unabhängig von seiner sexuellen Orientierung und seinem Gesundheitszustand, sich ein Kind zu wünschen und diesen Wunsch umzusetzen. Entsprechend erlauben einige wenige Länder auch die Durchführung der Leihmutterschaft. Ziel dieses Beitrags ist, darüber zu informieren, wie, wo und unter welchen Bedingungen und mit welchen Risiken die Leihmutterschaft möglich ist. Gesetzliche Vorgaben insbesondere zur Leihmutterschaft sind komplex, häufig nicht eindeutig und können sich ändern. Oft sind die Informationsquellen auch nicht absolut verlässlich. Deswegen können die Informationen in diesem Artikel nur als orientierend angesehen werden.
Leihmutterschaft
Von einer Leihmutterschaft spricht man, wenn ein Kind durch eine Frau ausgetragen wird, die sich vor
Heutzutage wird meist die komplette Leihmutterschaft durchgeführt, das heisst, die Leihmutter ist mit dem Kind
nicht genetisch verwandt.
Beginn ihrer Schwangerschaft dazu verpflichtet hat, es nach der Geburt Dritten zu übergeben. Grundsätzlich gibt es zwei Arten von Leihmutterschaften:
* Teil 1: Eizellspende; in: GYNÄKOLOGIE 2021; 1: 24–26. www-ch-gynaekologie.ch – Ausgabe 1.2021
n die traditionelle Leihmutterschaft (auch bekannt als partielle, genetische oder direkte Leihmutterschaft)
n die komplette Leihmutterschaft. Bei der traditionellen Leihmutterschaft wird die Leihmutter natürlich oder künstlich befruchtet, das Kind ist genetisch mit der Leihmutter verwandt. Die aufziehende Mutter ist somit grundsätzlich nur die soziale Mutter. Bei der kompletten Leihmutterschaft resultiert die Schwangerschaft aus der Übertragung eines Embryos, der durch In-vitro-Fertilisation (IVF) erzeugt wird, so dass das entstandene Kind genetisch nicht mit der Leihmutter verwandt ist. Die komplette Leihmutterschaft wird in vier Subgruppen unterteilt: 1. Gestationale Leihmutterschaft mit Gameten des
Wunschpaares: Die soziale Mutter ist dann auch die genetische Mutter, aber nicht die biologische Mutter. 2. Gestationale Leihmutterschaft plus Eizellspende: Das daraus resultierende Kind ist genetisch nur mit dem beabsichtigten Vater verwandt, die Wunschmutter ist nur die soziale Mutter. 3. Gestationale Leihmutterschaft und Spendersamen: Die Eizelle stammt aus der Wunschmutter, somit ist die soziale Mutter auch die genetische Mutter. Der Wunschvater ist nicht der biologische Vater. 4. Gestationale Leihmutterschaft und Embryospende: Es besteht keine genetische Verbindung zwischen Wunscheltern und dem Kind. Heutzutage wird meist die komplette Leihmutterschaft durchgeführt, das heisst, die Leihmutter ist mit dem Kind nicht genetisch verwandt. Die traditionelle Leihmutterschaft ist in der Mehrheit der Länder aus ethischen Gründen verboten.
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Sowohl die Eizellspende als auch die Leihmutterschaft führen zu einer Aufteilung des ursprünglichen Mutterschaftskonzepts. Durch die Fortpflanzungsmedizin ist das Dogma «Mater semper certa est» nicht mehr in jedem Fall gültig, die genetische Mutter kann von der biologischen/leiblichen Mutter nun differieren. Dieser Aspekt wird in der Literatur kritisch angesehen und sorgt für ethischen Diskussionen.
Indikationen Die Indikationen für eine Leihmutterschaft können vielfältig sein. Dazu gehören: n Mayer-Rokitansky-Küster-Hauser-Syndrom n Uterusfehlbildungen n Status nach Hysterektomie n schwere internistische Erkrankungen, die eine
Schwangerschaft medizinisch verbieten n homosexuelle männliche Paare.
grün: erlaubt nicht dargestellt: Georgien, Russland rot: verboten grau: ungeregelt
Länder und Häufigkeit Es gibt keine präzisen Daten zur Häufigkeit von Leihmutterschaften. Nach inoffiziellen Schätzungen werden in den USA jährlich 6000 Kinder von Leihmüttern geboren (1). Offizielle Daten über die Geburtenrate nach Leihmutterschaften sind kaum zu finden. Im Vergleich zur Eizellspende ist die Leihmutterschaft in nur wenigen Ländern erlaubt. Die Abbildung zeigt, in welchen Ländern in Europa und Osteuropa die Leihmutterschaft möglich oder verboten ist. In Deutschland und in der Schweiz ist die Leihmutterschaft gesetzlich verboten und strafbar. Innerhalb Europas bzw. der Mitgliedsländer der European Society of Human Reproduction and Embryology (ESHRE) ist eine Leihmutterschaft z. B. in folgenden Ländern unter strengen Voraussetzungen erlaubt: England und Wales, Belgien, Griechenland, den Niederlanden sowie Portugal – allerdings nur dann, wenn sie nicht auf kommerzieller Basis angeboten wird, das heisst, dass zwischen den Auftraggebern und der Leihmutter kein Geld fliessen darf. Demgegenüber ist in den folgenden osteuropäischen Staaten die kommerzielle Leihmutterschaft erlaubt: Georgien, Russische Föderation und Ukraine. Ausserhalb von Europa ist die Leihmutterschaft z. B. in einzelnen Bundesstaaten der USA, in Kanada, Australien und in Indien zu höchst unterschiedlichen rechtlichen und finanziellen Konditionen möglich.
Ablauf, Kosten und Erfolgsrate Analog zur Eizellspende gibt es auch für die Leihmutterschaft Agenturen, sogenannte Brokers, die Leihmutterschaften vermitteln. Die Durchführung ist anspruchsvoller als die Eizellspende, und es braucht eine sorgfältige Vorbereitung und auch eine rechtliche Beratung im Ausgangsland, weil die Leihmutteragenturen nicht mit den Gesetzen aller Länder vertraut sind. Die Kosten variieren erheblich von Land zu
Abbildung: Karte zur Leihmutterschaft in Europa und Osteuropa
Tabelle:
Rechtliche Situation in der Schweiz betreffend Leihmutterschaft
Leihmutterschaft
Vermittlung
strafbar
Mithilfe
strafbar
Durchführung
strafbar
rechtliche Elternschaft der Frau
Die Leihmutter ist die Mutter
➞ Adoptionsverfahren
Land. Eine genaue und offizielle Preisliste gibt es nicht. Bekannt ist, dass die Kosten für eine Leihmutterschaft in den USA bis zu 180 000 US-Dollar betragen können, in der Ukraine belaufen sie sich auf zirka 60 000 US-Dollar. Meistens schliessen die Paare einen Leihmutterschaftsvertrag mit den Agenturen ab. Zum Vertrag gehört auch ein gerichtliches Urteil, welches den Wunscheltern die Elternschaft nach der Geburt des Kindes zusichert. Nach unserem Wissen gibt es keine offiziellen Zahlen darüber, wie viele Kinder in der Schweiz leben, die infolge eine Leihmutterschaft im Ausland geboren wurden. Das Hauptproblem liegt in der rechtlichen Zuordnung des Kindes nach der Rückkehr in die Schweiz. Denn die Leihmutterschaft ist gemäss unserer Bundesverfassung verboten.
Gesetzeslage in der Schweiz Hinsichtlich der gesetzlichen Situation muss zwischen Wunscheltern, Leihmutter und Arzt unterschieden werden. Die Leihmutterschaft in der Schweiz ist sowohl gemäss der Bundesverfassung (Art. 119 Abs. 2 lit. D. BV) als auch gemäss dem Fortpflanzungsmedizingesetz (Art. 4 FMedG) unzulässig. Das Verbot wird strafrechtlich abgesichert mit dem Art. 31 des
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FMedG. Das gilt für die Ärzte, für die Vermittlung wie auch für die Anwendung (Tabelle). Die intendierten Eltern, die im Ausland eine solche Behandlung unternehmen, machen sich in der Schweiz nicht strafbar. Die ausländische Leihmutter macht sich für die schweizerischen Behörden ebenfalls nicht strafbar.
Rechtliche Zuordnung des Kindes in den EU-Ländern und in der Schweiz
In den meisten EU-Ländern wird die Leihmutter mit der Geburt des Kindes auch die rechtliche Mutter, auch wenn diese nicht mit dem Kind genetisch ver-
Gemäss schweizerischem Recht ist die Frau, die das Kind gebärt, die rechtliche Mutter.
wandt ist. Auch gemäss schweizerischem Recht ist die Frau, die das Kind gebärt, die rechtliche Mutter. Falls die Leihmutter verheiratet ist, gilt ihr Ehemann als rechtlicher Vater des Kindes. Der Wunschvater kann die rechtliche Elternschaft durch eine Vaterschaftsanerkennung, falls er der genetische Vater des Kindes ist, beantragen. Das zeigt, dass die Anerkennung einer im Ausland durchgeführten Leihmutterschaftsvereinbarung trotz dort erteilter Geburtsurkunden in den Heimatländern der intendierten Eltern schwierig ist. Meistens müssen die intendierten Eltern die rechtliche Elternschaft durch ein langwieriges, schwieriges und kostspieliges Adoptionsverfahren erlangen. In der Schweiz ist bei gleichgeschlechtlichen Paaren eine Stiefkindadoption erst seit dem 1. Januar 2018 möglich.
Georgien, Ukraine, Russische Föderation und Indien In Georgien, der Russischen Föderation und der Ukraine ist die Beteiligung eines Gerichts oder einer Behörde nicht erforderlich. Die Elternschaft wird mittels Register- bzw. Geburtenbucheintragungen der intendierten Eltern herbeigeführt, die allein auf ihrer Wil-
Meistens müssen die intendierten Eltern die rechtliche Elternschaft durch ein langwieriges, schwieriges
und kostspieliges Adoptionsverfahren erlangen.
lensäusserung beruhen, dass sie die rechtlichen Eltern des Kindes seien. Es ist keine Adoption oder gerichtliche Mitwirkung nötig. Die Leihmutter hat kein Recht, als rechtlicher Elternteil des von ihr geborenen Kindes anerkannt und registriert zu werden. In der Ukraine ist die Leihmutterschaft nur bei einer medizinischen Indikation zulässig, gleichgeschlechtliche Paare und alleinstehende Personen können in
der Ukraine keine Leihmutter in Anspruch nehmen (2). Rechtlich zulässig ist eine Leihmutterschaft nur dann, wenn eine genetische Verbindung zwischen den Eltern bzw. einem der Ehegatten und dem Kind gegeben ist. Die Kosten für die Leihmutterschaft in der Ukraine belaufen sich auf zirka 60 000 US-Dollar, wovon die Leihmutter zwischen 10 000 und 15 000 USDollar erhält (1). Indien hat sich bei der Suche von Wunscheltern nach einer Leihmutter zu einem besonders gefragten Reiseziel entwickelt. In der Literatur wird von jährlich bis zu 1500 Leihmutterschaften ausgegangen (1). Inzwischen sollen die Leihmutterschaften in Indien eingeschränkt werden, und ausländischen Staatsangehörigen sollen keine Touristenvisa mehr erteilt werden, um eine Leihmutter zu beauftragen.
USA und Kanada In den USA liegen keine bundeseinheitlichen Regelungen für die Leihmutterschaft vor. Zulässig sind Leihmutterschaftsvereinbarungen in den US-Bundesstaaten Arkansas, Florida, Illinois, Kalifornien, Nevada, New Hampshire, Texas, Utah, Virginia und Washington. Die unterschiedliche Handhabung der Leihmutterschaft in den einzelnen Bundestaaten hat dazu geführt, dass selbst innerhalb der USA ein Leihmutterschaftstourismus entstanden ist. Kalifornien scheint ein häufiges Ziel für Leihmutterschaften zu sein, da diese dort auch bei homosexuellen Paaren erlaubt ist. In Kanada ist nur eine altruistische Leihmutterschaft erlaubt. Es dürfen nur die medizinischen und sonstigen Kosten von den Wunscheltern übernommen werden. Die Leihmutterschaft in Kanada kann sowohl von heterosexuellen Paaren als auch von homosexuellen Paaren in Anspruch genommen werden.
«Gestational carriers» und medizinische Aspekte Leihmütter brauchen wiederum einen besonderen Schutz, da sie keine eigenen Vorteile von der Behandlung haben. Die medizinische Versorgung soll sowohl während der Schwangerschaft als auch während der Geburt gewährleistet sein. Die Kompensation soll unabhängig von dem Outcome der Schwangerschaft und der Geburt garantiert werden.
Fazit für die Praxis
n Die Paare/Frauen/Männer, die eine Leihmutterschaft im Ausland anstreben, haben keine rechtlichen Konsequenzen im Heimatland zu befürchten.
n Bei Wunsch nach einer Leihmutterschaft lohnt es sich, sich sorgfältig zu informieren und einen Rechtsberater beizubeziehen, vor allem für die rechtliche Zuordnung des Kindes.
n Homosexuelle Paare und alleinstehende Männer haben einen sehr eingeschränkten Zugang zur
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Leihmutterschaft; nur die kanadische und einige US-amerikanische Gesetzgebungen erlauben eine Leihmutterschaft für dieses Familienmodell. n Studien zeigen, dass trotz gespaltener Mutterschaft die Mutter-Kind-Beziehung normal ist. n
Dr. med. Isotta Magaton (Erstautorin; Korrespondenzadresse) E-Mail: isottamartha.magaton@insel.ch
Prof. Dr. med. Michael von Wolff
Universitätsklinik für Frauenheilkunde Abteilung für gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin 3010 Bern
Interessenkonflikte: keine.
Quellen: 1. Nadine L. (ed): Grenzloser Kinderwunsch. Verlag Peter Lang 2016; (350 Seiten). 2. Calhaz-Jorge C. et al.: Survey on ART and IUI: legislation, regulation, funding
and registries in European countries: The European IVF-monitoring Consortium (EIM) for the European Society of Human Reproduction and Embryology (ESHRE). Hum Reprod Open, 2020. 2020(1): hoz044.
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