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SGGG-EXPERTENBRIEF NR. 64
In der GYNÄKOLOGIE werden – nach Auswahl der Herausgeber – an dieser Stelle aktuelle Expertenbriefe publiziert (verifizierte Printform).
Expertenbrief Nr. 64
(siehe auch: http://sggg.ch/de/members_news/1005)
Kommission Qualitätssicherung Präsident Prof. Dr. med. Daniel Surbek
Opportunistische Salpingektomie zur Senkung des Ovarialkarzinomrisikos
Dieser Expertenbrief fasst das heutige Wissen zur Indikation der prophylaktischen Entfernung beider Tuben (opportunistische Salpingektomie) zur primären Prävention des Ovarialkarzinoms sowie Empfehlungen zum Vorgehen gemäss internationalen Guidelines zusammen.
Evidenzlevel
Christoph M. Honegger, Thomas Hess, Irene Hösli
Definition
Erste Hinweise darauf, dass viele Ovarialkarzinome gar nicht im Ovar, sondern in der Tube entstehen, gehen auf die Neunziger-
Die opportunistische Salpingektomie umfasst die prophylaktische Entfernung beider Tuben zur primären Prävention des Ovarialkarzi-
jahre des letzten Jahrhunderts zurück. Aber erst 2007 wurde noms bei Frauen mit abgeschlossener Familienplanung, die sich einer
eine Präkanzerose in der Tube beschrieben, welche zumindest gynäkologischen Operation mit benigner Indikation unterziehen.
einen Teil der Ovarialkarzinome verursachen dürfte: Es handelt
sich um das seröse tubare intraepitheliale Karzinom (STIC).
STIC-Läsionen werden bei Mutationsträgerinnen (BRCA 1/2) in zu menopausalen Symptomen untersucht wurde. Mehrheitlich
1 bis 5% der Fälle gefunden. Bei Frauen ohne Mutation ist die scheint kein relevanter Einfluss auf die ovarielle Funktion vor-
Prävalenz unklar.
handen zu sein. Wohl aber beklagten sich Frauen in einer
Die Präkanzerose in der Tube wurde sowohl bei Mutations- schwedischen Studie gehäuft über menopausale Beschwerden III
trägerinnen als auch bei Frauen mit sporadischen High-grade nach der Salpingektomie, das betrifft vor allem 44- bis 49-jähri-
serösen Karzinomen (HGSC) gefunden. Inzwischen ist auch klar, ge Frauen.
dass nicht nur die HGSC, sondern auch die Low-gradeKarzinome mehrheitlich in der Tube ihren Ursprung haben. Letztere sind typischerweise mit einer BRAF- oder KRAS-
Postpartale Salpingektomie im Anschluss an eine Sectio
Mutation assoziiert, Erstere mit einer TP53-Mutation.
Die Anzahl randomisierter Studien, in denen die Tubensterilisa-
Vor diesem Hintergrund wurde mit zunehmender Häufigkeit tion versus Salpingektomie im Hinblick auf Machbarkeit und
empfohlen, zunächst bei Frauen mit Hysterektomie aus beni- Sicherheit verglichen wurden, sind zurzeit noch sehr limitiert
gner Indikation, dann bei Wunsch nach Tubensterilisation und (n = 2 mit insgesamt 124 eingeschlossenen Frauen, wovon sich Ib
schliesslich auch bei Gebärenden mit abgeschlossener allerdings nur 41 einer Salpingektomie unterzogen haben).
Familienplanung und Wunsch nach Sterilisation die Tuben mit Die Salpingektomie konnte technisch in bis zu 95% der Fälle
zu entfernen.
durchgeführt werden, die intraoperative Komplikationsrate unter-
IV So haben diverse Fachgesellschaften dieses Vorgehen bereits schied sich nicht signifikant hinsichtlich Blutverlust, Infektionen
in ihre Empfehlungen respektive Guidelines übernommen.
oder Rehospitalisation. In einer Studie war die Operationsdauer
Machbarkeit und Wirksamkeit
um zirka 15 Minuten verlängert, in der anderen gab es keine Unterschiede. In einer Studie wurde allerdings ein teures
Unabhängig vom Zugangsweg scheint eine beidseitige Einweginstrument (Ligasure) verwendet. Aufgrund der intraope-
Salpingektomie im Rahmen einer Hysterektomie aus benigner rativen Einschätzung für einen allfällig erhöhten Blutverlust im
Indikation nicht mit einer erhöhten perioperativen Morbidität Falle einer durchzuführenden Salpingektomie bei Sectio caesa-
einherzugehen. Einzig die Operationszeit scheint im Vergleich rea und der geringen Fallzahlen in dieser Situation kann jederzeit
zu Eingriffen mit alleiniger Hysterektomie etwas länger zu sein. eine konventionelle Tubensterilisation durchgeführt werden.
Nicht erhöht sind der Blutverlust und das Infektionsrisiko, auch
die Aufenthaltsdauer im Spital scheint nicht verlängert zu sein. Wirksamkeit
Die Rate an ektopen Schwangerschaften, Hydrosalpinx und Betrachtet man die Wirksamkeit der prophylaktischen Salping-
Tuboovarialabszessen ist reduziert.
ektomie im Hinblick auf die avisierte Senkung des Risikos für ein
Nach wie vor etwas umstritten scheint der Einfluss auf die ova- Ovarialkarzinom, scheint eine solche objektivierbar zu sein. In
rielle Funktion zu sein, was in diversen Studien anhand von einer schwedischen Studie konnte durch eine zusätzliche
Surrogaten wie Hormonmessungen (FSH, AMH), dopplersono- Salpingektomie bei Hysterektomie eine Risikoreduktion um
grafischen Perfusionsmessungen und Befragungen der Frauen 65% aufgezeigt werden, das gegenüber einer Risikoreduktion
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um 28% bei alleiniger Tubenligatur, verglichen mit Frauen, die Empfehlungen
keine Sterilisation, keine Salpingektomie, keine Hysterektomie Frauen mit abgeschlossener Familienplanung, die sich einer
III und keine Adnexektomie hatten.
gynäkologischen Operation mit benigner Indikation unterzie-
In einer Metaanalyse von drei Studien mit Frauen mit durch- hen müssen, sollten über die Möglichkeit der opportunistischen
schnittlichem Risiko für ein Ovarialkarzinom fand sich eine ana- Salpingektomie beidseits aufgeklärt werden.
Ia loge Risikoreduktion durch die Salpingektomie bei einem Nutzen und potenzielle Risiken des zusätzlichen Eingriffs müs-
Follow-up von bis zu 30 Jahren.
sen erläutert werden.
Aufklärung über Risiken und Nutzen
Die Empfehlung zur opportunistischen Salpingektomie betrifft Frauen mit einem durchschnittlichen Risiko für ein Ovarial-
Frauen mit abgeschlossener Familienplanung, die sich einer karzinom. Bei Frauen mit hohem oder sehr hohem Risiko (BRCA-
gynäkologischen Operation unterziehen müssen, sollen über 1/2-Mutation u.a.) soll nach wie vor die prophylaktische Adnex-
die Möglichkeit der gleichzeitigen prophylaktischen Salping- ektomie empfohlen werden.
ektomie zur Reduktion des Risikos für ein Ovarialkarzinom auf- Bei Frauen mit Wunsch nach einer Sterilisation kann die
geklärt werden. Es gibt eine messbare Risikoreduktion um bis Salpingektomie ebenfalls empfohlen werden, bei der postpar-
zu zwei Drittel (66%) gegenüber nicht operierten Frauen respek- talen Salpingektomie ist die Datenlage jedoch noch stark limi-
tive auf die Hälfte (50%) gegenüber Frauen, die nur eine Hyster- tiert. Das Operationsrisiko scheint auch in diesen Fällen gegen-
ektomie durchführen lassen.
über der klassischen Tubenligatur nicht erhöht zu sein.
Die sicherste Prävention wäre natürlich die beidseitige Nicht speziell erwähnt ist in sämtlichen Empfehlungen, ob die
Adnexektomie, welche aber Frauen mit sehr hohem Risiko entfernten Tuben systematisch pathologisch aufgearbeitet wer-
(BRCA-1/2-Mutationen u.a.) vorbehalten bleiben sollte. In der den sollen und was zu tun ist, wenn STIC-Läsionen gefunden
Nurses-Health-Studie wies die Gruppe von Frauen mit beidsei- werden.
tiger Adnexektomie vor der Menopause eine höhere Gesamt- Ebenso ist die Kostenübernahme nicht abschliessend geklärt.
mortalität (all-cause mortality) und eine höhere Tumormortalität Grundsätzlich wird eine histopathologische Aufarbeitung der
(cancer mortality) auf. Ursächlich entstanden diese wahrschein- Tuben empfohlen, und hierdurch entstehen zusätzliche Kosten,
lich durch die frühzeitige iatrogene Menopause mit erhöhtem welche bei einem nicht kassenpflichtigen Eingriff von der Frau
kardiovaskulärem Risiko, Osteoporose, verminderter kognitiver selbst getragen werden müssen. Die genauen Kosten müssen
Funktion und erhöhter Inzidenz bei anderen Tumorerkrankun- mit der Pathologie des betreffenden Instituts abgeklärt werden,
gen. und die betroffene Frau muss über die zusätzlichen Kosten
Das Risiko, nach Hysterektomie an einem Ovarialkarzinom zu informiert werden.
III erkranken, war in der Studie mit 0,1 bis 0,75% sehr gering. Das Datum des Expertenbriefs: 19. April 2020
Mortalitätsrisiko durch Ovarialkarzinom nach Erhalt der Adnexe
lag lediglich bei 0,03%.
Literatur bei den Autoren. Deklaration von Interessenkonflikten:
Bei dem Wunsch nach einer Sterilisation im Rahmen einer Christoph M. Honegger: kein Interessenkonflikt
Sectio sollte in die Aufklärung einfliessen, dass aufgrund der
Thomas Hess: kein Interessenkonflikt Irene Hösli: kein Interessenkonflikt
geringen Fallzahlen die Risiken und Vorteile bei der postparta-
len Salpingetomie noch nicht eindeutig geklärt sind.
* Evidenzlevel und Empfehlungsgrade der Therapieangaben
Evidenzlevel Ia Evidenz durch die Metaanalyse von randomisierten, kontrollierten
Untersuchungen Ib Evidenz durch mindestens eine randomisierte, kontrollierte
Untersuchung IIa Evidenz durch mindestens eine gut angelegte, kontrollierte
Studie ohne Randomisierung IIb Evidenz durch mindestens eine gut angelegte andere quasiexpe-
rimentelle Studie III Evidenz durch gut angelegte, beschreibende Studien, die nicht
experimentell sind, wie Vergleichsstudien, Korrelationsstudien oder Fallstudien IV Evidenz durch Expertenberichte oder Meinungen und/oder klinische Erfahrung anerkannter Fachleute
Empfehlungsgrad
A Es ist in der Literatur, die gesamthaft von guter Qualität und Konsistenz sein muss, mindestens eine randomisierte, kontrol-
lierte Untersuchung vorhanden, die sich auf die konkrete
Empfehlung bezieht (Evidenzlevel Ia, Ib).
B Es sind zum Thema der Empfehlung gut kontrollierte, klinische Studien vorhanden, aber keine randomisierten, klinischen
Untersuchungen (Evidenzlevel IIa, IIb, III).
C Es ist Evidenz vorhanden, die auf Berichten oder Meinungen von Expertenkreisen basiert und/oder auf der klinischen
Erfahrung von anerkannten Fachleuten. Es sind keine qualitativ
guten, klinischen Studien vorhanden, die direkt anwendbar sind
(Evidenzlevel IV).
Good-Practice-Punkt
Empfohlene Best Practice, die auf der klinischen Erfahrung der
Expertengruppe beruht, die den Expertenbrief/die Guideline
herausgibt.
Übersetzt aus dem Englischen (Quelle: RCOG Guidelines Nr. 44, 2006)
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