Transkript
UPDATE GYNEA – Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendgynäkologie
Chlamydieninfektion bei Jugendlichen
Was ist in der Beratung bei der ersten Sexualität besonders zu beachten?
Die Chlamydieninfektion ist die häufigste sexuell übertragbare Infektion, und wir wissen heute, dass Kondome nicht vollständig schützen. In der Sprechstunde möchten gerade Mädchen und junge Frauen bei der ersten Liebe nicht mit strengen Belehrungen zu Infektionsrisiken konfrontiert werden. Dieser Artikel soll ein wenig dazu anregen, über diese spezielle Situation nachzudenken. Zudem wird eine Übersicht gegeben, wann und wie wir einen Chlamydientest anbieten sollten.
Karoline Aebi-Popp
Chlamydieninfektionen werden in der Schweiz seit 1989 kontinuierlich mit einem obligatorischen Meldesystem überwacht. Für das Jahr 2018 wurden 11102 laborbestätigte Fälle gemeldet; 64% der bestätigten Chlamydienfälle fanden sich bei Mädchen und jungen Frauen. Die überwiegende Mehrheit war in der Gruppe der 15- bis 24-Jährigen zu finden (Abbildung 1). Seit dem Jahr 2000 wurde eine Zunahme der Fallzahlen für beide Geschlechter um den Faktor 4,9 beobachtet (1; Abbildung 2).
Epidemiologie und Klinik Nach der Inkubation von 7 bis 21 Tagen bestehen bei 70 bis 90% der Frauen und bei über 50% der Männer keine Symptome; auch ist eine Spontanheilung einer Infektion möglich. Bei Frauen stehen vaginaler Ausfluss, Dysurie, Kontaktblutungen und Zwischenblutungen im Vordergrund, bei Männern Dysurie, urethraler Ausfluss und Hodenschmerzen. Bei Frauen kommt es laut Studien pro 1000 Chlamydieninfektionen zu 171 Unterleibsentzündungen (pelvic inflammatory diseases, PID), 2 Extrauteringraviditäten und bei 5 Frauen zur Tubensterilität (2). Rektale und pharyngeale Infektionen verlaufen fast immer asymptomatisch. In Europa liegt die Prävalenz bei etwa 4 bis 5% der Frauen und Männer; die STAR-Studie Schweiz zeigte sogar 6% unter Frauen und Männern mit 3 oder mehr Partnern innerhalb von 12 Monaten.
Risiko Spätfolgen Bei Mädchen und jungen Frauen verursacht eine Chlamydieninfektion in zirka 20% der Infektionen eine Zervizitis, und es kommt bei der Hälfte davon zu einer Endometritis, die sich mit Zwischenblutungen oder diskreten Unterbauchbeschwerden bemerkbar machen kann. Bei einer Ausbreitung der Entzündung auf die Eileiter kann eine Infektion zur Zerstörung des Epithels oder auch zu einem Verschluss des Eileiters mit nachfolgender Sterilität führen.
Problem Kondom Kondome schützen gut, aber nicht komplett vor Chlamydien. Auch Oralsex scheint ein wichtiger Verbreitungsweg zu sein. Gerade sehr junge Männer empfinden das Kondom trotz der anscheinend guten Aufklärung als störendes Medium und wenden es nicht regelmässig oder überhaupt nicht an. Angst, Scham, Erektionsverlust und eine «Unterbrechung» des Liebeserlebnisses werden häufig als Grund genannt, kein Kondom zu gebrauchen. Die Angst vor HIV-Infektion steht dabei nicht mehr im Vordergrund, vielmehr geht es bei Verwendung eines Kondoms darum, eine unerwünschte Schwangerschaft zu vermeiden. Sobald dann das Mädchen die Pille zur Verhütung nehme, sei die Motivation, ein Kondom zu verwenden, noch viel geringer, berichten junge Paare vielfach.
Apps zu sexuellen Kontakten, Risikoverhalten, hohe STI-Gefährdung Mit Apps wie Tinder und Lovoo können auch junge Frauen und Männer Gleichaltrige in der Nähe oder mit ähnlichen In-
teressen kennenlernen. Da die Apps oft einfach und spielerisch aufgemacht sind, sind sie auch für Jugendliche sehr spannend: Ein Bild von einer anderen bei der App registrierten Person wird angezeigt, und man entscheidet durch einen «Wisch» nach links oder rechts, ob man diese Person attraktiv findet. Bei Tinder darf man sich erst anmelden, wenn man volljährig ist, aber eine Kontrolle des Alters findet nicht statt. Die ersten sexuellen Kontakte werden somit auch immer häufiger «online» geplant, das mit der Bereitschaft, dass junge Menschen sich leicht exponieren. Häufig sind unsichere und nicht gut aufgeklärte Mädchen auch vermehrt bereit, ihre sexuellen Erfahrungen ohne Schutz zu machen. Oft werden dabei die «unangenehmen Themen» im Hinblick auf die neu entdeckte Sexualität in den Hintergrund geschoben, das heisst, «Belehrungen» über sexuell übertragbare Infektionen (STI) werden als moralisierend und negativ belegt und erst einmal verdrängt. Neben einem solchen Risikoverhalten haben sehr junge Frauen biologisch ein höheres Risiko für eine STI als ältere. Der Grund: In jungen Jahren findet sich häufiger eine ausgeprägte Portioektopie. Dieses Zylinderepithel erleichtert die Infektion mit Chlamydien.
Das vertrauensvolle ärztliche Gespräch zur ersten Sexualität Das ärztliche Gespräch bietet viele Chancen, in Bezug auf jugendliche Sexualität einen positiven Einfluss zu nehmen. Durch Empowerment kann eine selbstbewusste, gut informierte, junge Frau oft besser kommunizieren und verhandeln – auch wenn es um die ersten sexuellen Erfahrungen geht. Wenn wir in der Sprechstunde zum Beispiel fragen: «Wie steht es mit der Liebe?», «Findest du den Kondomgebrauch auch manchmal umständlich oder schwierig?», begibt man sich auf eine vertrauensvolle Ebene, die auch Ehrlichkeit beim Gegenüber weckt. Denn nur wenn ein gewisses Vertrauen entsteht, werden Themen ohne Scham besprochen und auch die Präventionsvorschläge effektiv angenommen. Hinweis: Die Website des Schweizer Bundesamtes für Gesundheit, «Check
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50%
40%
30%
20%
10%
0%
0–14 15–24 25–34 35–44 45–54 55–64
65+
männlich
weiblich
Abbildung 1: Altersverteilung von Personen mit bestätigter Chlamydiose nach Geschlecht (Fälle der Jahre 2014 bis 2018 aus statistischen Gründen zusammengefasst) (adaptiert nach [6]).
12 000
10 000
8000
6000
4000
2000
0
1988 90 92 94 96 98 2000 02 04 06 08 10 12 14 16 18
Total
männlich
weiblich
Geschlecht unbekannt
Abbildung 2: Bestätigte Chlamydiosefälle nach Gechlecht seit Beginn der Erfassung, 1988–2018 (adaptiert nach [6]).
your love life», wäre eine Empfehlung für Frauen und Männer, sich niederschwellig schon im Vorfeld (respektive vor einem Arztbesuch) über Risiken zu informieren (3) (https://www.lovelife.ch/de/safer-sexcheck/). Anschliessend wäre die Verschreibung einer Pille dann ein geeigneter Anlass, das Rezept zusammen mit einem Kondom und einigen Ausführungen zu STI wie Chlamydien zu übergeben. Das regelmässige Chlamydienscreening in der gynäkologischen Praxis wird nicht generell empfohlen, sollte aber gezielt Frauen, die davon profitieren könnten, angeboten werden. Entscheidend in der STI-Prävention ist das vertrauliche Gespräch. Dabei ist der Grat schmal zwi-
schen einer korrekten und verständlichen Information mit Aufzeigen der Risiken und Folgen einer unbehandelten STI einerseits und der positiven Beschreibung eines unkomplizierten und nicht moralisierenden Umgangs mit Sexualität der Jugendlichen andererseits.
Nachweis und Therapie einer Chlamydieninfektion Zum Nachweis von Chlamydieninfektionen im Urogenitaltrakt sind zervikale oder vaginale Abstriche oder Urinproben angezeigt. Abstrichproben von der Vagina (hinteres Scheidengewölbe) oder vom Gebärmutterhals (Zervikalabstrich) haben eine höhere Erregerkonzentration als der Erststrahlurin und gelten als Stan-
dardverfahren. Empfohlen wird ein gepoolter Abstrich von Pharynx und Vagina (ggf. auch anal). Die Nukleinsäure-Amplifikationstests (NAAT) haben die Kultur in der Chlamydiendiagnostik abgelöst. Serologische Untersuchungen zur Bestimmung von Chlamydienantikörpern im Blutserum werden im Rahmen der Reproduktionsmedizin angewendet, um das Risikos einer Eileitersterilität abschätzen zu können. Zur Diagnose einer akuten oder auch chronischen Infektion werden sie nicht empfohlen. Bei Verdacht auf eine reaktive Arthritis können zusätzlich zu mikrobiologischen Testverfahren serologische Blutuntersuchungen durchgeführt werden. Bei Nachweis einer Chlamydieninfektion muss auch auf das gleichzeitige Vorkommen einer Gonorrhö und auf weitere sexuell übertragbare Infektionen geachtet werden. In der Schweiz gibt es kein offizielles Chlamydienscreening und keine Testempfehlungen. Wenn wir junge Patientinnen in der Sprechstunde sehen, ist die Sexualanamnese die wichtigste Grundlage, um einen Chlamydientest zu empfehlen. Grundsätzlich sollten wir zum Test raten I bei Partnerwechsel I vor genitalen chirurgischen Eingriffen I vor einem Schwangerschaftsabbruch I vor Einlage eines IUD/einer Spirale I in der Schwangerschaft und I immer bei Zwischenblutungen und
Kontaktblutungen (4). Als Therapie empfiehlt sich zurzeit Doxycyclin 100 mg per os, 2 ×/Tag für 7 Tage (Kontraindikation: Schwangerschaft) oder Azithromycin 1 g Einzeldosis per os. Wichtig ist es, alle aktuellen Partner respektive Partner der letzten 3 Monate zu behandeln und eine sexuelle Abstinenz für 5 Tage nach dem Behandlungsbeginn mit Antibiotika zu fordern.
Stand der Forschung: Ist eine Impfung in Sicht? Da Chlamydieninfektionen zunehmen und auch die Einführung von Screeningprogrammen in mehreren Ländern nicht erfolgreich war, wäre ein Impfstoff sicherlich willkommen. Er wäre allerdings nur dann effektiv, wenn er eine Immunität auf den Schleimhäuten erzielte, die vom Bak-
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terium befallen werden. Ein in Dänemark entwickelter Impfstoff gegen Chlamydia trachomatis hat sich in einer ersten klinischen Studie als sehr gut verträglich erwiesen. Gemäss der Publikation im «Lancet Infectious Diseases» (5) erzeugt der Impfstoff eine gute Immunantwort, die auch in der vaginalen Schleimhaut nachweisbar war. Die Vakzine enthält das rekombinant produzierte Teilprotein CTH522 und wurde an einer Klinik in London erstmals an gesunden Frauen im Alter von 19 bis 45 Jahren getestet. Der Impfstoff löst die Bildung von IgG- und IgA-Antikörpern aus. Dadurch könnte erreicht werden, dass das Immunsystem die Chlamydien abfängt, bevor diese die Epithelien infizieren können. Eine Bestätigung der Effektivität der Impfung muss mit grösseren Studien bestätigt werden. Langfristig könnte der Impfstoff mit der Impfung gegen HPV kombiniert werden.
Dr. med. Karoline Aebi-Popp Gynaecologist/ Obstetrician MSc Infectious Diseases Universitätsklinik für Infektiologie/Forschung Inselspital 3010 Bern www.get-checked.ch E-Mail: mail@aebi-popp.com
Quellen: 1. Bundesamt für Gesundheit BAG OFSP. HIV- und STI-Fallzahlen. https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/zahlen-und-statistiken/ zahlen-zu-infektionskrankheiten/hiv-sti-statistiken-analysentrends.html 2. Price MJ, Ades AE, Soldan K, et al.: The natural history of chlamydia trachomatis infection in women: a multi-parameter evidence synthesis. Health Technol Assess. 2016; 20: 1–250. 3. Bundesamt für Gesundheit BAG, lovelive-Website: https://www.lovelife.ch/de/safer-sex-check/ 4. Notter J et al.: Das Wichtigste für die Praxis: Sexuell übertragene Infektionen mit Chlamydia trachomatis. Swiss Medical Forum 2017; 17(34): 705–711. 5. Abraham S, Juel HB, Bang P, Cheeseman HM et al.: Safety and immunogenicity of the chlamydia vaccine candidate CTH522 adjuvanted with CAF01 liposomes or aluminium hydroxide: a first-in-human, randomised, double-blind, placebo-controlled, phase 1 trial. Lancet Infect Dis. 2019 Oct; 19(10): 1091– 1100. doi: 10.1016/S1473-3099(19)30279-8. 6. https://www.bag.admin.ch/bag/de/home/zahlen-undstatistiken/zahlen-zu-infektionskrankheiten/hiv-sti-statistikenanalysen-trends.html
Weitere Literaturangaben bei der Autorin.
Herzlichen Dank an Irène Dingeldein für die kritische Durchsicht dieses Manuskripts.
Merkpunkte
I Wichtigste Aufgabe vor einem Chlamydientest bei jungen Frauen ist es, eine vertrauensvolle Atmosphäre in Bezug auf die Sexualanamnese zu schaffen und sexuell übertragbare Erkrankungen gut zu erklären, ohne zu moralisieren oder zu verängstigen.
I Der Chlamydienabstrich kann aus der Vagina, der Zervix, dem Rachen und anal erfolgen, gegebenenfalls gepoolt (alle Tupfer in ein Röhrchen).
I Re-Infektionen sind häufig, deshalb sollten die Abstinenz bei Beginn der Antibiotikatherapie für 5 Tage und auch die Partnertherapie gut erklärt werden.
I Junge Frauen profitieren nicht nur von einem Chlamydientest, sondern auch von der Tatsache, dass auch andere STI zur Sprache kommen und die sexuelle Gesundheit und die sexuellen Rechte angesprochen werden können.
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