Transkript
INTERVIEW
SGGG-Präsidentin Dr. med. Irène Dingeldein im Gespräch
«HPV-Allianz» und mehr:
«Ich wünsche mir eine engere Zusammenarbeit mit dem BAG»
Frau Dr. med. Dingeldein ist seit Juni
2019 Präsidentin der gynécologie suisse
SGGG. Seit 2007 arbeitet sie in eigener
Praxis in Murten und als Belegärztin der
Lindenhofgruppe in Bern, zudem ist sie
Mitglied im Leitungsgremium des
Frauenzentrums des Lindenhofspitals.
GYNÄKOLOGIE: Frau Dr. Dingeldein, Sie sind seit einem Jahr Präsidentin der gynécologie suisse SGGG, dazu in eigener Frauenarztpraxis und als Belegärztin tätig. Welche besonderen Ziele haben Sie sich in Ihrer Präsidentschaft der Fachgesellschaft gesetzt? Irène Dingeldein: Ein grosses Ziel für mich ist die Mithilfe bei der Wiederherstellung des Rufs von operativ tätigen Ärzten, welcher doch in den letzten Jahren ziemlich gelitten hat. Als Mitglied des Verbandes chirurgisch und invasiv tätiger Fachgesellschaften in der Schweiz – FMCH – sind wir dabei, aktiv mitzubestimmen, wie Qualität verbessert und überprüft werden kann. Ich möchte für Transparenz und Information zugunsten der Patientinnen einstehen. Im Gegenzug bin ich bereit, die schwarzen Schafe zu suchen, welche die sehr gute Arbeit aller anderen Kollegen in ein schlechtes Licht stellen. Als Belegärztin kenne ich sowohl die Bedürfnisse der Ärzte und Ärztinnen in der Praxis als auch diejenigen der Spitalärzte und -ärztinnen. Allerdings erwarte ich auch das Verständnis der Politiker uns gegenüber, hier möchten wir den Kontakt finden und ihn verbessern.
Gibt es besondere Anliegen der Praxisgynäkologen, beispielsweise für Fortbildungen und deren Organisation, für die Sie eintreten möchten? Irène Dingeldein: In «normalen Zeiten» werden sehr viele Fortbildungen organisiert und auch ausgetragen. Nun, in
Irène Dingeldein studierte Medizin in Fribourg und Bern und entschloss sich – nach begonnener Ausbildung zur Kinderchirurgin und nach den Geburten ihrer beiden Kinder – Gynäkologin zu werden. Die Weiterbildung erfolgte in Bern, Grenchen und Solothurn. Schon während ihrer Assistenzzeit in Bern führte sie die Sprechstunde für Kinder- und Jugendgynäkologie an der Universitätsfrauenklinik Bern ein; es bestand eine sehr grosse Nachfrage, und ihre Vorkenntnisse aus der Kinderchirurgie waren hier ideal. Seit über 20 Jahren leitet sie dort sowohl im Kinderspital als auch in der Frauenklinik diese Sprechstunde. So wurde dann auch die aktive Mitarbeit bei der Arbeitsgruppe GYNEA selbstverständlich, bei der sie knapp 10 Jahre lang als Co-Präsidentin dabei war. Sie ist immer noch im Vorstand tätig und mittlerweile auch im Vorstand der FIGIJ (Fédération Internationale de Gynécologie Infantile et Juvenile). Die Kinder- und Jugendgynäkologie ist ihr nach wie vor ein wichtiges Anliegen.
Corona-Zeiten, mussten doch einige Veranstaltungen abgesagt oder verschoben werden, darunter auch unser SGGG-Jahreskongress, der jeweils im Juni oder Anfang Juli stattfindet, was ich natürlich sehr bedaure. Dennoch: Viele Organisatoren wurden sehr schnell sehr «erfinderisch», sodass rasch Webinare abgehalten wurden, bei denen sich jeder nach einer Anmeldung einloggen konnte. Einziger Wermutstropfen: Leider konnten diese noch nicht mit so vielen Fortbildungspunkten abgegolten werden wie bei einer Vor-Ort-Teilnahme. Wir sind jedoch mit dem SIWF, dem Schweizer Institut für ärztliche Weiter- und Fortbildung, dabei das zu regeln – ein Punkteerlass für das laufende Jahr wurde bereits beschlossen.
Haben Sie besondere Anliegen/Interessen bezüglich optimierter Kooperation beispielsweise mit dem BAG oder der FMH? Irène Dingeldein: Ich wünsche mir in verschiedenen Bereichen eine engere Zusammenarbeit mit dem BAG. Bei Impffragen beispielsweise sind wir ja sehr darauf angewiesen. Ein aktuelles Beispiel ist die «HPV-Allianz». Das Ziel ist eine Schweiz ohne HPV-bedingte Krebserkrankungen. Wenn das BAG das unter-
stützt, dann können auch wir als SGGG uns dieser «HPV-Allianz» anschliessen. Die Schwierigkeit liegt darin, dass nur eine Pharmafirma zurzeit den entsprechenden HPV-Impfstoff erfolgreich herstellt – und wir als Ärzte eigentlich nicht mit einer einzigen Firma kooperieren respektive sie unterstützen können: Stichwort Interessenkonflikt. Als gynécologie suisse SGGG sind wir ein Bestandteil der FMCH und innerhalb der FMH. Die Interessen sollten grundsätzlich dieselben sein, was aber nicht immer der Fall ist. Und das führt unter der Ärzteschaft immer wieder zu Unruhe – was uns aber vom Ziel wegführt.
Geben Sie hier ein Beispiel, und vielleicht können Sie auch sagen, wie man ein solches Problem lösen könnte? Irène Dingeldein: Anstatt sich zu solidarisieren, haben einige Fachgesellschaften beschlossen, nicht mehr der FMCH anzugehören. Ein Strategieprozess wurde eingeleitet (bereits vor Beginn der Corona-Pandemie) und wird nun weiterverfolgt. Ich bin der Überzeugung, dass, nur wenn wir Synergien nutzen, wir zum Ziel gelangen, welches für Patientinnen und Patienten, Leistungserbringer und Politik optimal sein wird. Information über Zusammenhänge zwischen den Ak-
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INTERVIEW
SGGG-Präsidentin Dr. med. Irène Dingeldein im Gespräch
teuren und Transparenz sind Schlüsselworte.
Die Corona-Pandemie als ein noch nie da gewesenes Ereignis hat die Öffentlichkeit und das Gesundheitswesen erschüttert. Mit welchen besonderen Herausforderungen sahen sich die Praxisärzte konfrontiert? Irène Dingeldein: Es ging darum, sofort neue Hygienemassnahmen einzuführen. In meiner Praxis (einer Doppelpraxis) war es relativ leicht, die Anforderungen umzusetzen: keine Begleitpersonen und nur «gesunde» Frauen einlassen, getrennte Wartebereiche einrichten und überall genügend Desinfektionsmittel bereitstellen. Im Kanton Freiburg waren wir von Anfang an sehr gut mit Masken versorgt, was in anderen Regionen aber teilweise sehr schwierig war. Es war unglaublich, dass in einem Land wie der Schweiz plötzlich Mangel an Hygieneartikeln herrschen sollte. Und für uns alle galt dasselbe: Wir wussten nicht, womit wir es zu tun hatten. Und heute – bei relativ geringen Fallzahlen, aber täglich neuen – wissen wir immer noch nicht sehr viel. Ein Virus, das gefährlich sei, das haben wir als Information von Forschern und Politikern.
Welche Aufgabe hat die SGGG hier übernommen? Irène Dingeldein: Wir haben so schnell wie möglich die jeweils neuesten Informationen und Anweisungen betreffend Hygienemassnahmen in unsere Newsletter aufgenommen. Die Infos wechselten zu Beginn ja von Stunde zu Stunde. Jedes Mitglied des Vorstands hat immer sofort reagiert und sein Ressort gewissenhaft überarbeitet. Sehr gefragt waren
natürlich die Geburtshelfer, denn die Fragen nach Gefahr für Mutter und Kind waren enorm häufig, und das schon von Anfang an. Etwas anderes waren die Empfehlungen/ Anweisungen für die Praxis. Es durften zu Beginn der Pandemie nur noch geburtshilfliche Patientinnen, krebskranke Frauen und akute Notfälle in den Praxen empfangen werden. So reduzierte sich die Praxistätigkeit beachtlich, für einige Kolleginnen und Kollegen fast ganz. Die ratsuchenden Frauen mit Arztterminen mussten kontaktiert, gegebenenfalls befragt und nicht zwingende Termine mussten verschoben werden. Operationen, die «warten konnten», wurden aufgeschoben. Immer wieder haben wir auf die Anweisungen des BAG und auch des SECO aufmerksam gemacht, da, rechtlich gesehen, es diese sind, die befolgt werden müssen, wenn sich das ganze Land im Notstand befindet.
Thema Schwangerschaftsbetreuung: Die SGGG hat – nach meiner Ansicht beispielhaft – auf die Fragen von besorgten Schwangeren reagiert – ob es ein erhöhtes Risiko in der Schwangerschaft, für die Geburt und für das Ungeborene gibt –, indem sie erste Erkenntnisse und Empfehlungen (unter der Federführung von Prof. Surbek, Bern, und Prof. Baud, Lausanne) herausgegeben hat (publiziert in GYNÄKOLOGIE 2/2020). Wie wird hier weiter verfahren? Irène Dingeldein: Danke für die Blumen! Genau das meinte ich, als ich erwähnte, dass wirklich alle mitgearbeitet hätten, und zwar sehr schnell. An Prof. Surbek und Prof. Baud geht an dieser Stelle ein grosses MERCI! Wir werden so
weiterfahren, ein Newsletter ist in Arbeit, in dem auch wieder die neuesten Erkenntnisse weitergegeben werden.
Wo stehen wir derzeit? Welche Fragen werden an Sie bzw. den Vorstand der SGGG herangetragen? Irène Dingeldein: Die Zusammenarbeit mit Hebammen und Geburtshelfern ist ein zentrales Thema; aber auch der Einbezug der Neonatologen und der Anästhesisten in der geburtshilflichen Diskussion ist nötig. Die Aus-, Weiter- und Fortbildung ist im Wandel und muss den sich verändernden Strukturen angepasst werden. Wie anfangs gesagt, sind wir als grösstes Mitglied der FMCH sehr damit beschäftigt, am Zusammenhalt der chirurgisch tätigen Ärzte und Ärztinnen zu arbeiten. Wir sind uns einig, dass viele von uns Grossartiges leisten. Wir wollen Transparenz schaffen und die Verbindung von Tarifen und Qualität aufzeigen.
Was wünschen Sie sich persönlich in Ihrer Präsidentschaft für die kommenden Jahre? Irène Dingeldein: Ein Jahr ist schon fast vorbei, Corona-geprägt, kein Kongress ... Ich wünsche mir, dass ich weiterhin mein Ziel verfolgen kann, indem ich mithelfe, die Bevölkerung und die Politik besser über Zusammenhänge im Gesundheitswesen zu informieren. Das zusammen mit dem Vorstand, der mich immer gut berät und unterstützt.
Ganz herzlichen Dank, Frau Dingeldein, für das informative Gespräch!
Interview: Bärbel Hirrle
GYNÄKOLOGIE 3/2020
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