Transkript
SCHWERPUNKT
In-vitro-Fertilisations-Technologien und Fehlbildungsrisiko
Epigenetik: Was ist heute bekannt?
In der Schweiz werden pro Jahr etwa 2,5% aller Kinder nach einer In-vitro-Fertilisation (IVF) geboren (1), das sind aktuell rund 2100 Kinder. Sind IVF-Kinder einem erhöhten Fehlbildungsrisiko ausgesetzt? Neuere Studien zu möglichen IVF-induzierten funktionellen kardiovaskulären Veränderungen, aber auch Berichte in den Laienmedien verunsichern viele Paare (2, 3). In diesem Artikel werden deswegen die Risiken von IVF-Technologien (IVF und ICSI)1 gesamthaft und deren Entwicklung in den letzten Jahren beziffert. Dabei werden mögliche Ursachen sowie mögliche therapeutische Konsequenzen diskutiert2.
MICHAEL VON WOLFF, THOMAS HAAF
Michael von Wolff
Häufigkeit von Fehlbildungen bei IVF-Kindern
Allgemeine Fehlbildungsrisiken Qin und Kollegen (4) schlossen in einer Metaanalyse 57 Kohortenstudien mit überwiegend IVF-Kindern und Kindern nach einer Spontankonzeption ein (Tabelle 1). Das relative Risiko (RR) für eine kongenitale Fehlbildung betrug in dieser Analyse bei den IVFKindern 1,33 (95%-KI: 1,24–1,43). Das generell erhöhte Risiko persistierte, wenn nur Einlinge untersucht (RR: 1,38; 95%-KI: 1,30–1,47), wenn ausschliesslich grössere Fehlbildungen berücksichtigt (RR: 1,47; 1,29–1,68), wenn nur gematchte/adjustierte Studien eingeschlossen (RR: 1,37; 1,27–1,47) und wenn ausschliesslich Studien mit einer hohen Qualität berücksichtigt wurden (RR: 1,40; 1,27–1,55). Hoorsan und Kollegen (5) untersuchten das Risiko für spezifische Fehlbildungen. Sie fanden eine Erhöhung der Risiken für Malformationen des Zentralnervensystems (Odds Ratio [OR]: 136; 95%-KI: 1,10–1,70), für urogenitale Malformationen (RR: 1,58; 1,28–1,94) und für muskuloskeletale Malformationen (OR: 1,35;
Merkpunkte
I Die Risiken für Fehlbildungen sind bei Kindern, die mithilfe einer IVF-Technologie gezeugt wurden, etwas erhöht.
I Die Risiken scheinen zum Teil auf maternalen und paternalen Faktoren zu beruhen. I Zum Teil scheint auch die IVF als solche ursächlich zu sein. I In den letzten Jahren scheinen die Risiken rückläufig zu sein. I Inwieweit eine Modifikation der IVF-Technologie, wie z. B. die Reduktion der Stimu-
lationsdosis, die gesundheitlichen Risiken der Kinder nachhaltig verringert, kann noch nicht abgeschätzt werden. I Eine IVF-Therapie sollte nur durchgeführt werden, wenn eine Schwangerschaft anderweitig nicht erzielt werden kann.
1,12–1,64), jedoch kaum ein erhöhtes Risiko für chromosomale Aberrationen (RR: 1,14; 0,90–1,44).
Risiko für kongenitale Herzfehler Giorgione und Kollegen (6) schlossen 8 Kohortenstudien mit Kindern nach einer IVF und Kinder nach einer Spontankonzeption in eine Metaanalyse ein (Tabelle 1). Berücksichtigt wurden Einlings- und Mehrlingsschwangerschaften. 1,3% der IVF-Kinder wiesen einen Herzfehler auf und 0,68% der Kinder nach einer Spontanschwangerschaft (pooled OR: 1,45; 95%-KI: 1,20–1,76). Das erhöhte Risiko persistierte, wenn multiple Adjustierungen durchgeführt wurden (pooled OR: 1,29; 1,03–1,60).
Fehlbildungsrisko nach einer Fertilisierung per ICSI
Massaro und Kollegen (7) verglichen in einer Meta-analyse von 22 Studien das Fehlbildungsrisiko von Kindern nach einer IVF und einer ICSI mit Kindern, die nach einer IVF ohne eine ICSI geboren wurden (Tabelle 1): Die ICSI war mit einem erhöhten Risiko für genitourinäre Fehlbildungen assoziiert (OR: 1,27; 95%-KI: 1,02–1,59). Wenn allerdings nur Studien mit einem geringen Risiko für einen Bias (IVF mit ICSI n = 7727, IVF ohne ICSI n = 14 308) analysiert wurden, bestand zwar weiterhin ein Trend zu einem erhöhten Risiko für genitourinäre Fehlbildungen, der Unterschied war aber knapp nicht mehr statistisch signifikant (OR: 1,28; 1,00–1,64).
1 IVF und ISCI: IVF = In-vitro-Fertilisationen, unabhängig von der Technik (Insemination oder ISCI) und unabhängig davon, ob «frische» oder «eingefrorene» Embryos implantiert wurden ISCI = intrazytoplasmatische Spermieninjektion 2 Ausführliche Darstellung in https://www.aerzteblatt.de/int/archive/issue?heftid=6472.
16 GYNÄKOLOGIE 2/2020
SCHWERPUNKT
Tabelle 1:
Risiko von kindlichen gesundheitlichen Veränderungen nach IVF-Behandlungen gemäss aktueller Metaanalysen (inklusive intrazytoplasmatische Spermieninjektion [ICSI], und Kryokonservierungen)
Risikofaktoren Generelles Risiko für Fehlbildungen (4)
Signifikante statistische Risikoerhöhungen RR: 1,33 (95%-KI: 1,24–1,43)
Risiko für Herzfehler (6)
OR: 1,45 (1,20–1,76)
Risiko für Fehlbildungen des Urogenitaltrakts bei Fertilisierungen per ICSI (7) Risiko für Frühgeburten (< 37. Schwangerschaftswoche) und niedriges Geburtsgewicht (< 2500 g) (5) Risiko für einen erhöhten Blutdruck (10) OR: 1,27 (1,02–1,59) Frühgeburt: OR: 1,79 (1,21–2,63) Niedriges Geburtsgewicht: OR: 1,89 (1,36–2,62) Systolische Druckerhöhung: +1,88 mmHg (0,27–3,49) Diastolische Druckerhöhung: +1,51 mmHg (0,34–2,70) Absolute Risikoveränderungen (absolute Zahlen oder Kalkulation gemäss RR und OR) Erhöhung von ca. 4,6% (4) auf 6,1% (gemäss RR [x 1,33]) Erhöhung von ca. 0,7% (6) auf ca. 1,0% (gemäss OR [x 1,45]) Erhöhung von ca. 0,8% (7) auf ca. 1,0% (gemäss OR [x 1,27]) Erhöhung der Frühgeburten von ca. 7% (Schweiz) auf ca. 12,5% (gemäss OR [x 1,79]) Erhöhung der niedrigen Geburtsgewichte von ca. 6,5% (Schweiz) auf ca. 12,3% (gemäss OR [x 1,89]) Blutdruck systolisch: Erhöhung um 1,88 mmHg (10) Blutdruck diastolisch: Erhöhung um 1,51 mmHg (10) Zusammenfassend: Bei Betrachtung aller bis jetzt publizierten Daten sind die Fehlbildungsraten nach IVF erhöht. Zusammenfassend: Bei Betrachtung aller bis jetzt publizierten Daten sind die geburtshilflichen Risiken bei IVF-Kindern erhöht. Geburtshilfliche Risiken bei IVF-Schwangerschaften Allgemeine geburtshilfliche Risiken Hoorsan und Kollegen (5) schlossen 30 Studien mit überwiegend IVF-Kindern und Kindern nach einer Spontankonzeption in eine Metaanalyse ein (Tabelle 1). Das Risiko für eine Frühgeburt (< 37. Schwangerschaftswoche) wurde mit einer OR von 1,79 (95%-KI: 1,21–2,63) und jenes für ein niedriges Geburtsgewicht (< 2500 g) mit einer OR von 1,89 (95% 1,36–2,62) beziffert. Geburtshilfliche Risiken von Ein- und Mehrlingen 52 Kohortenstudien mit 181 741 IVF-Einlingen wurden in einer Metaananlyse mit 4 636 508 Einlingsspontanschwangerschaften verglichen (8). Die Prävalenz für eine Frühgeburt lag bei IVF-Schwangerschaften im Vergleich zu Spontanschwangerschaften bei 10,9% (10,0–11,8) respektive 6,4% (5,8–7,0) und war somit 1,7-fach höher. Die Prävalenz für ein niedriges Geburtsgewicht betrug 8,7% (7,4–10,2) bzw. 5,8% (95%-KI: 4,8–6,9) und war somit 1,5-fach höher. Die geburtshilflichen Risiken waren auch bei Mehrlingsschwangerschaften erhöht, wenngleich geringer als bei Einlingsschwangerschaften. Qin (9) schloss 39 Kohortenstudien mit Mehrlingsschwangerschaften mit 38 053 Kindern nach einer IVF und mit 107 955 Kindern nach einer Spontankonzeption in eine Metaanalyse ein. Das erhöhte Risiko für eine Frühgeburt wurde nach einer IVF mit einem RR von 1,08 (1,03–1,14) beziffert und jenes für ein niedriges Geburtsgewicht mit einem RR von 1,04 (1,01–1,07). Funktionelle Veränderungen bei IVF-Kindern Blutdruck Guo und Kollegen (10) führten eine Metaanalyse mit 19 Studien durch, in denen 2112 IVF-Kinder und junge Erwachsene mit 4096 Personen nach einer Spontankonzeption verglichen wurden (Tabelle 1). Der systolische Blutdruck des IVF-Nachwuchses war um 1,88 mmHg (95%-KI: 0,27–3,49) und der diastolische Blutdruck um 1,51 mmHg (0,34–2,70) erhöht. Des Weiteren waren gemäss 5 Studien mit 402 IVFKindern im Vergleich zu 382 Spontankonzeptionskindern die kardiale diastolische Funktion suboptimal und die Dicke der Gefässe höher. Glukosestoffwechsel Für eine Untersuchung des Glukosestoffwechsels wurden 7 Studien mit 477 IVF-Kindern mit 1852 Kindern nach einer Spontankonzeption verglichen (10). Die Nüchterninsulinwerte der IVF-Kinder waren signifikant höher (0,38 mIU/L; 0,08–0,68), nicht jedoch die Nüchternglukosekonzentrationen (–0,03 mM; –0,13–0,06) und die mittels des HOMA-Index ermittelte Insulinresistenz (0,02; –0,06–0,12). Gesamthaft liegt somit nur eine Tendenz zu einer gestörten Glukosemetabolisierung vor. Adipositas und Lipidstoffwechsel Ein höheres Geburtsgewicht oder eine relevante Veränderung des Lipidstoffwechsels konnten nicht eindeutig nachgewiesen werden. GYNÄKOLOGIE 2/2020 17 SCHWERPUNKT Abbildung: Keimzellentwicklung und zeitliche Assoziation zwischen genetischen und Umweltfaktoren sowie IVF-Prozessen auf die De- und Re-Methylierung (adaptiert nach [29]). Kognitive Entwicklung Rumbold und Kollegen (11) führten ein systematisches Review mit 7 Studien zur kognitiven Entwicklung von IVF-Kindern durch. Die kognitive Entwicklung war bei den Kindern nach einer IVF-Therapie ohne eine Fertilisierung per ICSI nicht eingeschränkt. Bei IVF-Therapien mit einer Fertilisierung per ICSI war die Datenlage weniger klar. In 3 Studien wurden IVF- mit IVF/ICSI-Kindern verglichen. Eine Studie zeigte eine signifikante Risikozunahme für eine mentale Retardierung bei IVF/ICSI-Kindern, eine Studie zeigte einen um durchschnittlich 3 Punkte niedrigeren Intelligenzquotienten bei IVF/ICSI-Kindern, und eine Studie zeigte keinen Unterschied. Zusammenfassend: Bei Betrachtung aller bis jetzt publizierten Daten ist nur der Blutdruck bei IVFKindern leicht erhöht. Die Datenlage zu anderen funktionellen Veränderungen ist nicht eindeutig. Datenlage zu IVF-induzierten epigenetischen Modifikationen 1989 publizierte der britische Epidemiologe David Barker seine Hypothese (12), dass Erkrankungen der Erwachsenen wie ein erhöhter Blutdruck zumindest zum Teil pränatale Ursachen hätten. Eine Vielzahl von Tierexperimenten und epidemiologischen Studien am Menschen haben seitdem den Zusammenhang zwischen ungünstigen Expositionen in der perikonzeptionellen und intrauterinen Entwicklung und lebenslang erhöhten Risiken für metabolische, kardiovaskuläre und andere Volkskrankheiten bestätigt. In der Keimbahn und im frühen Embryo finden zwei epigenetische Reprogrammierungswellen statt, in denen (fast) das gesamte Genom zunächst demethyliert und anschliessend wieder remethyliert wird (Abbildung). Die Keimbahnmethylierungsmuster werden mit Ausnahme von 100 bis 200 geprägten Genen im frühen Embryo wieder gelöscht und durch somatische Muster ersetzt. Während dieser Reprogrammierungsprozesse ist das Epigenom besonders suszeptibel gegenüber externen Faktoren. Die Plastizität des Epigenoms nimmt im Lauf der Entwicklung von der Befruchtung bis zum Tod des Individuums kontinuierlich ab (13, 14). Die verschiedenen IVF-Techniken greifen in sensible Phasen der Keimbahnreprogrammierung (insbesondere in späten Stadien der Oozytenreifung) und der postzygotischen Reprogrammierung ein. Es finden also möglicherweise adverse Expositionen zum frühestmöglichen Zeitpunkt der Entwicklung statt, welche zu persistierenden epigenetischen Veränderungen führen könnten. Epigenetische Veränderungen sind im Prinzip reversibel. In Tiermodellen konnte eindrucksvoll gezeigt werden, dass sich die Langzeitfolgen adverser Expositionen durch relativ einfache Interventionen, beispielsweise bestimmte Supplementationen der maternalen Diät, verringern lassen (15). Auch beim Menschen hat die Einnahme solcher Supplemente in der perikonzeptionellen Periode spezifische Effekte auf das Epigenom der Nachkommen (16). Bei IVF/ICSI-Kindern wurden sowohl auf Kandidatengenebene als auch genomweit Methylierungsveränderungen nachgewiesen (17–19), allerdings waren die beobachteten Effektstärken durchwegs gering. Das spricht für ein Schwellenwertmodell, in dem sich bei Überschreiten einer bestimmten Schwelle von ungünstigen genetischen, epigenetischen und Umweltfaktoren ein metabolischer oder kardiovaskulärer Phänotyp manifestiert. Es gibt sowohl in der normalen Neugeborenenpopulation als auch bei IVF-Kindern nur sehr selten hoch penetrante epigenetische Veränderungen in geprägten Genen, die mit bestimmten «Imprintingkrankheiten» einhergehen. Gemäss einer Metaanalyse von Lazaraviciute und Kollegen (20) treten epigenetische Erkrankungen – eine Gruppe von 12 seltenen kongenitalen Erkrankungen – nach einer IVF-Therapie gehäuft auf (OR: 3,67; 95%-KI 1,39–9,74). Praktisch ist das jedoch wenig relevant, da das Beckwith-Wiedemann-Syndrom selbst bei einem zehnfach erhöhten Risiko bei IVF-Kindern mit 1 pro 1126 (21) geborener Kinder selten ist. Hiura und Kollegen (22) fanden bei IVF-Kindern mit «Imprintingkrankheiten» Mosaike von Methylierungsveränderungen, die auf eine Entstehung während der ersten Zellteilungen hindeuten, die während der mehrtägigen Embryokultur erfolgen. Epigenetische Veränderungen mit einer möglichen Assoziation mit IVF-Therapien wurden auch in menschlichen Gameten und Embryonen festgestellt (23). Eine Metaanalyse von 24 Studien zeigte in Spermien von Männern mit idiopathischer Infertilität im Vergleich zu fertilen Kontrollen eine signifikante Hypomethylierung des geprägten H19-Gens sowie eine Hypermethylierung von SNRPN und MEST (24). Eine reduzierte H19-Methylierung wurde auch in der Plazenta von IVF/ICSI-Kindern gefunden (25). Es gibt nur wenige Studien mit einer sehr begrenzten Zahl 18 GYNÄKOLOGIE 2/2020 Tabelle 2: Zu diskutierende Modifikationen von Risikofaktoren zur Verringerung gesundheitlicher Risiken der IVF-Kinder Mögliche Risikofaktoren Genetische Faktoren Umweltfaktoren Gonadotropinstimulation Fertilisierung per ICSI Embryokultur Kryokonservierung Effekt auf die Methylierung Ja Wahrscheinlich (Nikotin, Alkohol, Gewicht, Alter, Umweltgifte) Möglich Möglich Möglich Möglich Mögliche Modifikation der Risikofaktoren Keine Abstinenz, Vermeidung, Gewichtsabnahme Reduktion/Vermeidung der Stimulation ICSI nur bei schwerem andrologischem Faktor Verkürzung der Embryokultur auf 2 bis 3 Tage Reduzierte GonadotropinStimulationsdosis zur Reduktion der Anzahl zu konservierender Zygoten/Embryonen Modifikation sinnvoll? Nein Ja Fraglich, da ggf. Reduktion der IVF-Erfolgschance Fraglich, da ICSI bei schwerem andrologischem Faktor erforderlich Fraglich, da ggf. Reduktion der IVFErfolgschance bei fehlender Möglichkeit einer Embryoselektion Fraglich, da ggf. Reduktion der IVF-Erfolgschance von menschlichen IVF-Oozyten, die epigenetische Effekte, insbesondere der hormonellen Stimulation, auf die Methylierung geprägter Gene wahrscheinlich machen (26). Zusammenfassend: IVF-induzierte epigenetische Veränderungen sind möglich. Die Datenlage ist aber sehr begrenzt. Mögliche Ursachen der Fehlbildungsraten Die in der Publikation von Patricia Fauque (26) beschriebenen Studien zeigen eine Vielzahl erhöhter Gesundheitsrisiken bei IVF-Kindern. Aber bedeutet das auch, dass die IVF-Technik per se ursächlich ist? Oder ist es die Infertilität? Oder sind es andere Faktoren (wie das väterliche Alter)? Es gibt zwei mögliche Studienansätze, um diese Frage versuchsweise zu beantworten. Zum einen können IVF-Kinder mit Kindern nach einer Spontankonzeption, deren Eltern eine Subfertilität aufwiesen (z. B. Dauer bis zum Eintritt der Schwangerschaft > 1 Jahr), verglichen werden. Entsprechend fasste Pinborg (27) zwei mehrfach adjustierte Studien zu einer Metaanalyse zusammen: Das Risiko für eine Frühgeburt war bei den IVF-Kindern mit einer aOR von 1,55 (95%-KI: 1,30–1,85) im Vergleich zu Kindern von Spontanschwangerschaften bei einer Subfertilität erhöht. Zum anderen können Geschwister der gleichen leiblichen Mutter verglichen werden, die sowohl nach einer IVF als auch nach einer Spontankonzeption geboren wurden. Zu diesem Ansatz führte Pinborg (27) zwei Studien, adjustiert und nach dem mütterlichen Alter, der Parität und dem Geburtsjahr, zu einer Metaanalyse zusammen. Der Anteil der spontan konzipierten Kinder, die vor und nach einem IVF-Kind geboren wurden, war etwa gleich gross. Die IVF-Kinder hatten ein erhöhtes Risiko für eine Frühgeburt mit einer aOR von 1,27 (95%-KI: 1,08–1,49).
Zusammenfassend: Vergleichstudien von IVFund spontan gezeugten Kindern zeigen, dass beide – die Infertilität per se, aber auch die IVFTechnik – Risikofaktoren für ein ungünstiges peripartales Outcome zu sein scheinen.
Entwicklung der Risiken in den letzten Jahren
Henningsen und Kollegen (28) verglichen das geburtshilfliche Outcome von 62 379 IVF-Einlingen mit 362 215 Einlingen nach einer Spontankonzeption in Schweden, Dänemark, Finnland und Norwegen in den Jahren 1988 bis 2007 im zeitlichen Verlauf. Bei Einlingen fiel die Wahrscheinlichkeit von Frühgeburten und von Kindern mit einem niedrigen Geburtsgewicht im Vergleich zu Kindern nach Spontankonzeption ab: Dabei wurde eine aOR von 2,47 (95%-KI: 2,09–2,92) respektive eine aOR von 2,94 (2,44–3,54) in den Jahren 1988 bis 1992 und eine aOR von 1,50 (1,43–1,58) respektive einer aOR von 1,49 (1,40–1,58) in den Jahren 2003 bis 2007 beobachtet – mit verbesserter Tendenz also. Ähnlich gingen Guo und Kollegen (10) bei der Untersuchung des Blutdrucks im zeitlichen Verlauf vor: Der systolische und diastolische Blutdruck war zwar gesamthaft bei IVF-Kindern im Vergleich zu Kindern nach Spontanschwangerschaften erhöht (s. oben), bei einer getrennten Untersuchung der Jahrgänge 1990 bis 1999 und 2000 bis 2009 zeigt sich jedoch, dass bei den älteren Jahrgängen der Blutdruck erhöht war – nicht aber mehr bei den jüngeren Jahrgängen (systolisch RR: –0,19; 95%-KI: –1,38–1,00; diastolisch RR: 0,17; –0,95–1,30). Das war unabhängig von dem Anteil der ICSI-Fertilisierungen und dem Alter der untersuchten Kinder.
Zusammenfassend: Das Risiko für einige IVF-induzierte gesundheitliche Veränderungen scheint in den letzten Jahren abzunehmen. Die Ursachen sind jedoch weitgehend unklar.
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SCHWERPUNKT
Mögliche Konsequenzen für Sterilitätstherapien
Die IVF-Technik selbst scheint auch einen Einfluss auf
die Gesundheitsrisiken zu haben. Inwieweit die durch
die IVF bedingten epigenetischen Modifikationen
ursächlich sind oder andere Faktoren eine Rolle spie-
len, ist unklar. Sicher ist aber, dass für jede IVF-Tech-
nik Daten vorliegen, teilweise aber nur im Tier-
modell, die diese als potenziell ursächlich infrage
kommen lassen. In Tabelle 2 sind die IVF-Techniken,
aber auch genetische und Umweltfaktoren aufge-
führt und die Möglichkeit einer Modifikation zur Risi-
kominderung vorgeschlagen.
Zusammenfassend: Bezüglich IVF-Technik sind the-
rapeutische Konsequenzen zur Minimierung der
Fehlbildungssrate denkbar; allerdings ist unklar, ob
diese auch wirklich einen Effekt haben.
I
Prof. Dr. Michael von Wolff (Erstautor, Korrespondenzadresse) Universitätsklinik für Frauenheilkunde Abteilung für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin 3010 Bern E-Mail: Michael.vonWolff@insel.ch
Prof. Dr. med. Thomas Haaf Institut für Humangenetik Julius Maximilians Universität D-97070 Würzburg/Deutschland
Interessenkonflikte: keine.
Quellen: 1. https: //www.bag.admin.ch/bag/de/home/zahlen-und-statistiken/zahlen-faktenzu-fortpflanzungsmedizin/medizinische-praxis-im-bereich-fortpflanzung/schwanger schaft-geburt-in-vitro-fertilisation.html 2. Scherrer U, Rimoldi SF, Rexhaj E et al.: Systemic and pulmonary vascular dysfunction in children conceived by assisted reproductive technologies. Circulation 2012; 125: 1890–1896. 3. Meister TA, Rimoldi SF, Soria R et al.: Association of Assisted Reproductive Technologies With Arterial Hypertension During Adolescence. J Am Coll Cardiol 2018; 72: 1267–1274. 4. Qin J, Sheng X, Wang H, Liang D, Tan H, Xia J.: Assisted reproductive technology and risk of congenital malformations: a meta-analysis based on cohort studies. Arch Gynecol Obstet 2015; 292: 777–798. 5. Hoorsan H, Mirmiran P, Chaichian S, Moradi Y, Hoorsan R, Jesmi F.: Congenital Malformations in Infants of Mothers Undergoing Assisted Reproductive Technologies: A Systematic Review and Meta-analysis Study. J Prev Med Public Health 2017; 50: 347–360. 6. Giorgione V, Parazzini F, Fesslova V et al.: Congenital heart defects in IVF/ICSI pregnancy: systematic review and meta-analysis. Ultrasound Obstet Gynecol 2018; 51: 33–42. 7. Massaro PA, MacLellan DL, Anderson PA, Romao RL.: Does intracytoplasmic sperm injection pose an increased risk of genitourinary congenital malformations in offspring compared to in vitro fertilization? A systematic review and meta-analysis. J Urol 2015; 193(5 Suppl): 1837–1842.
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