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SCHWERPUNKT
Risikoadaptiertes Screening auf Mammakarzinom
Für wen welche Untersuchungen in der Früherkennung?
Das Lebenszeitrisiko einer Frau, an Brustkrebs zu erkranken, liegt bei 12 bis 13%. Eine entsprechende Vorsorge im Sinne einer Sekundärprävention mittels Screening ist daher sinnvoll. Für Frauen mit moderatem bis hohem Brustkrebsrisiko besteht die Möglichkeit einer Primärprävention über endokrine Massnahmen oder prophylaktische risikoreduzierende Operationen. Da die Richtlinien international wie auch national variieren, soll dieser Artikel eine Übersicht für die derzeitigen Empfehlungen in der Schweiz geben. Dabei wird ein Fokus auf die differenzierte Vorgehensweise bei Risikosituationen gelegt.
Julia Talimi-Schnabel
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JULIA TALIMI-SCHNABEL, DANIEL FINK, KONSTANTIN DEDES
Das Mammakarzinom ist die häufigste Krebserkrankung der Frau weltweit mit 2 Millionen Neuerkrankungen jährlich (1) und die zweithäufigste krebsbedingte Todesursache (2). Zirka 6000 Neudiagnosen werden jährlich in der Schweiz registriert.
Das Risiko Mammakarzinom
Bevor die Unterschiede der Screeningmöglichkeiten im Detail dargelegt werden, sollte das Lebenszeiterkrankungsrisiko für das Mammakarzinom bekannt sein, insbesondere um auch im Alltag der gynäkologischen Praxis eine individuelle Beratung anbieten zu können. Der grösste Anteil der gynäkologischen Patientinnen gehört in die Kategorie derer mit niedrigem Risiko. Frauen mit moderatem oder hohem Risiko können durch eine aufmerksame und detaillierte Eigen- und Familienanamnese identifiziert werden und müssen im letzteren Fall sogar eine genetische Beratung und eventuell Testung erhalten. Hilfreich können dabei auch Online-Risiko-Tools sein (z.B. National Cancer Institute’s Breast Cancer Risk Assessment Tool) (Tabelle 1).
Screening für die weibliche Bevölkerung mit niedrigem Risiko
Gemäss aktueller Daten- und Studienlage gilt die Mammografie derzeit als einzige Methode zur Reduzierung der mammakarzinomassoziierten Mortalität. Durch Diagnose von In-situ- (DCIS) oder prognostisch günstigeren frühen Stadien können weniger aggressive operative Verfahren und Systemtherapien erfolgen, die mit geringeren Nebenwirkungen und Komplikationen einhergehen. Die höchste Reduktion der brustkrebsassoziierten Mortalität zeigt sich in der Altersklasse 50 bis 74 Jahre (Tabelle 2). Die Mammografie zeigt eine Sensitivität um 80% und eine Spezifität von 90%. In einer Auswertung von
über 1,8 Millionen Mammografien (2004–2008) bei Frauen zwischen 18 und 80 Jahren konnte das mit einer Sensitivität von 84,4% und einer Spezifität von 90,8% erneut bestätigt werden. Die Recall-Rate lag bei 9,6% und zeigte einen positiv-prädiktiven Wert von 4,3% (3). Sensitivität und Spezifität korrelieren mit dem Alter und der Brustdichte. (Abbildung 1). Die Sonografie, isoliert als Screeningmethode, ist nicht validiert, wird aber ergänzend bei auffälligen Befunden und ab einer Brustdichte ACRc* eingesetzt. Somit wird eine Verbesserung der dichteabhängigen Sensitivität erlangt, jedoch bislang ohne Nachweis einer Mortalitätsreduktion. Das MRI der Brust als Screeningmethode bleibt dem Hochrisikokollektiv vorbehalten.
Diskussion um systematisches Mammografiescreening Kein anderes Screening wird jedoch fachlich und auch in der Laienpresse so kritisch diskutiert wie das Mammografiescreening. An dieser Stelle müssen auch die Nachteile und Risiken des Screenings benannt werden:
Falsch-Positivität Wird ein auffälliger Befund bei einer Mammografie erhoben, sind weitere Abklärungen und Verlaufskontrollen notwendig. Bei suspekten oder sogar malignitätsverdächtigen Befunden folgt eine invasive Diagnostik. Ungefähr 10% aller Screeningmammografien erhalten eine weitere Abklärung; mehr als 90% stellen sich schliesslich als benigne heraus (3). Das kumulative Risiko für falschpositive Befunde variiert abhängig von patientenspezifischen, technischen und arztbezogenen Faktoren (4). Alter und Grad der Brustdichte, positive Eigen- oder Familienanamnese und Anzahl der
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Screeningrunden nehmen Einfluss auf die Falsch-Positiv-Rate (5).
Falsch-Negativität Die Rate falsch negativer Befunde ist zwar klein, aber dennoch vorhanden. Ebenso können hoch proliferative Tumoren als Intervallkarzinome im Zeitraum zwischen zwei Screeninguntersuchungen entstehen. Somit besteht die Gefahr, dass sich die Teilnehmerin eines Screenings in falscher Sicherheit wiegt.
Überdiagnose Jedes Mammakarzinom-Screening-Programm führt zu einer gewissen Anzahl an Überdiagnosen, das heisst zur Detektion von Tumoren, die klinisch nicht manifest geworden wären. Kleine Mammakarzinome oder Insitu-Komponente werden durch das Screening diagnostiziert, welche zu Lebzeiten klinisch nie auffällig geworden wären. Da aber bei der Diagnose nicht vorhersehbar ist, wie sich ein Tumor weiterentwickelt oder wie konkret die Lebenserwartung der Patientin ist, wird häufig trotzdem eine Therapie eingeleitet. Somit kann die Überdiagnose zu einer Übertherapie führen.
Psychische Belastung Kumulativ besteht über 20 Jahre – also 10 Mammografien – ein Risiko von ungefähr 20% für eine einmalige Wiedereinbestellung und ein Risiko von 6% für eine Biopsie. Die Zeit bis zum Ausschluss der Malignität kann sich zu einer grossen psychischen Belastung entwickeln, auch stellt eine solche Erfahrung für weitere Screeningrunden eine nicht unerhebliche psychische Herausforderung dar. Die Aufklärung über die Möglichkeit von Wiedereinbestellungen, zusätzlichen Abklärungen und falsch positiven Befunden gehört neben den Vorteilen des Screenings unbedingt in die Aufklärung und die Beratung.
Tabelle 1:
Lebenszeitrisiko für ein Mammakarzinom bei Frauen – Einteilung in Risikogruppen und Häufigkeit (NICE-Guidelines, 2013)
Niedrig < 17% I keine familiäre Brustkrebsbelastung I keine Biopsien mit Atypien I kein Brustkrebs in der Eigenanamnese Moderat Hoch 17–29% > 30%
I Brustkrebs in der Familie I BRCA1/2-Mutation
I Eigenanamnese
I Genmutation in anderen
bezüglich Brustbiopsien hoch penetranten Genen
I hohe Brustdichte
I Hochpositive FA und
statistisches
Lebenszeitrisiko von > 30%
I Thoraxwandbestrahlung in
der Kindheit/Jugend
Tabelle 2:
Zahl der vermiedenen brustkrebsbedingten Todesfälle nach Altersgruppe der 40- bis 74-Jährigen (95%-KI) pro 10 000 Frauen, welche in den USA wiederholt während 10 Jahren ein Mammografiescreening erhalten hatten
Daten aus randomisierten, kontrollierten Studien; die Teilnehmerinnen nahmen nicht zu 100% an allen Screeninguntersuchungen teil. Adaptiert nach Albert L. Siu et al.; Ann Internal Med 2016; 164 (4): 16.
Altersgruppe 40–49 Jahre 50–59 Jahre 60–69 Jahre 70–74 Jahre
Vermiedene brustkrebsbedingte Todesfälle pro 10 000 Frauen; Zahl, % 3 (0–9) 8 (2–17) 21 (11–32) 13 (0–32)
1000 Frauen ohne Screening
1000 Frauen mit Screening
200 Frauen müssen eine auffällige Mammografie abklären lassen
Strahlenbelastung Das gesundheitliche Risiko durch die Strahlenbelastung wird als deutlich geringer eingestuft als der Nutzen der Früherkennung; die bestehende Datenlage zeigt keine signifikante Erhöhung des Brustkrebsrisikos durch Strahlenexposition im Rahmen der Mammografie. Dennoch haben viele Frauen grosse Angst vor einer krebsauslösenden Wirkung. Das Risiko für die Induktion eines Mammakarzinoms durch die Strahlenbelastung bei der Mammografie hängt von einer Reihe von Faktoren ab, in erster Linie natürlich von der abgegebenen Strahlendosis, aber auch vom Gewebealter, von der Zahl der Screeningrunden und den Screeningintervallen (Tabelle 3).
Formen des Screenings
Screeninguntersuchungen dienen der Früherkennung und werden bei Frauen ohne Symptome durchgeführt, das im Gegensatz zu den diagnostischen
20 Frauen erhalten Brustkrebs-
diagnose
24 Frauen erhalten Brustkrebsdiagnose (Bei 4–7 Frauen wird der Brustkrebs nicht im Screening entdeckt)
15 Frauen sterben nicht an
Brustkrebs
5 Frauen sterben an Brustkrebs
32 Frauen sterben an einer anderen Krankheit als an Brustkrebs
20 Frauen sterben nicht an
Brustkrebs
4 Frauen sterben an Brustkrebs
32 Frauen sterben an einer anderen Krankheit als an Brustkrebs
Ein Brustkrebstodesfall weniger in der Screening-Gruppe Abbildung 1: Erwartete Bilanz nach 10 Jahren (5 Screeningrunden) mit und ohne Mammografiescreening bei Frauen, die ab dem 50. Lebensjahr mit dem Screening beginnen. Adaptiert nach Faktenblatt Mammografiescreening; Juli 2015, Krebsliga Schweiz).
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Abbildung 2: Kantone mit implementiertem, geplantem und fehlendem Mammografiescreening – Stand 01/2019 (Faktenblatt Mammografiescreening; Faktenblatt der Krebsliga Schweiz)
Abbildung 3: Einteilung des Risikos für ein Mammakarzinom (adaptiert nach: Deutsches Konsortium Familiärer Brust- und Eierstockkrebs)
Abbildung 4: Mammografie-Screening-Programm bei mässig bis stark erhöhtem Risiko entsprechend dem Lebensalter der Frau (adaptiert gemäss Faktenblatt BAG, Mammografie).
Mammografien, welche bei Beschwerden oder Symptomen indiziert sind. Das Mammakarzinomscreening in der Niedrigrisikogruppe beinhaltet primär die Mammografie – Sonografien oder MRI-Untersuchungen werden im Rahmen von unklaren oder auffälligen Befunden ergänzend durchgeführt.
Systematisches Screening Mammografien werden bei Frauen ohne Symptome zur Früherkennung im Rahmen eines definierten Programms durchgeführt. Frauen ab dem 50. Lebensjahr werden alle 2 Jahre zu einer Mammografie eingeladen. Mammografieprogramme müssen gesetzlich vorgeschriebene Qualitätsanforderungen erfüllen. Die Kosten werden von der obligatorischen Grundversicherung übernommen. In einigen Schweizer Kantonen wird im Rahmen von kantonalen Programmen auf die Erhebung der Franchise verzichtet. In der Schweiz ist das systematische Screening kantonal geregelt. Auf der Karte (Abbildung 2: Stand 01/2019, Faktenblatt der Krebsliga Schweiz) sind die Kantone mit implementiertem, geplantem und fehlendem Screening aufgeführt. Als Vorteile des systematischen Screeningprogramms sind zu sehen: I definiertes Qualitätsmanagement I Definition der teilnehmerberechtigen Bevölke-
rungsgruppe I Definition der Methodik I Möglichkeit der Registrierung von Daten und de-
ren Analyse zu Effizienz und Effektivität, Programmteilnahme usw., nationaler und internationaler Vergleich.
Opportunistisches Screening Mammografien werden ebenfalls bei Frauen ohne Symptome zur Früherkennung durchgeführt, jedoch nicht im Rahmen von qualitätsgeprüften Programmen. Im Gegensatz zum systematischen Screening gibt es keine programmierten Einladungen. Frauen wird im Rahmen einer gynäkologischen Konsultation entweder eine Screeningmammografie empfohlen oder sie äussern selbst den Wunsch danach. Für die Entscheidungsfindung benötigt es ein ärztliches Beratungsgespräch mit Abwägung von individuellen Bedürfnissen, Nutzen und Risiken. In Anlehnung an die Programme erfolgt die Empfehlung für eine Mammografie dann alle 2 Jahre zwischen dem 50. und 69. Lebensjahr. Mammografien vor dem 50. oder nach dem 70. Lebensjahr können somit je nach Risikoprofil, Ko-Morbiditäten, Lebenserwartung und persönlichem Wunsch ebenfalls indiziert sein. Die Kosten des opportunistischen Mam-
* ACR-Klassifikation (American College of Radiology; 2013 BI-RADS® Atlas 5th Edition): ACRa (= ACR Dichte a): überwiegend lipomatöses
Brustgewebe ACRb (= ACR Dichte b): fibroglandulär verteiltes Brust-
gewebe ACRc (= ACR Dichte c): inhomogen dichtes Brustge-
webe, wodurch kleine Herdbefunde dem Nachweis entgehen können ACRd (= ACR Dichte d): homogen dichtes Brustgewebe, wodurch die Sensitivität der Mammografie deutlich vermindert ist.
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mografiescreenings werden nicht von der Grundversicherung übernommen. In einigen Ländern wird ein Screening ab dem 40. Lebensjahr empfohlen; manche Frauen äussern auch selbst den Wunsch nach Mammografie vor dem 50. Lebensjahr. Daten hierzu zeigen ebenfalls eine Reduktion der Mortalität, jedoch ist diese geringer als in der Altersgruppe ab 50. Jedoch führt die altersassoziiert höhere Brustdichte zu einer niedrigeren Sensitivität, und die Rate falsch positiver und falsch negativer Befunde liegt höher als bei jüngeren Frauen.
Screening bei moderatem und hohem Risiko
Mit dem Wissen, dass bis zu 10% der Mammakarzinome hereditär bedingt sind und für bis zu 20% eine familiäre Disposition besteht, ist klar, dass ein grosse Gruppe der Frauen einem erhöhten Risiko für Brustkrebs ausgesetzt ist. Diese sind zu selektieren und weiter abzuklären, damit eine Risikoeinteilung in moderat und hoch vorgenommen werden kann. Ein moderates Risiko ist definiert als ein Lebenszeitrisiko von 17 bis 29% und ein hohes als ein Lebenszeitrisiko von > 30% (vgl. Abbildungen 1 und 3).
Moderates Risiko Brustdichte Die Brustdichte gilt als unabhängiger moderater Risikofaktor für Mammakarzinom. Ein ACRd* versus
Tabelle 3:
Risiken des Mammografie-Screening-Programms – Beispiele gemäss Evaluation 2016 (Jahresbericht) im deutschen Mammografie-Screening-Programm. (Kooperationsgemeinschaft Mammographie, Berlin, Oktober 2018 [6])
I Wiedereinbestellungsrate 4,2% (1. Screening 10,8%; Folgescreening 3,0%) I Biopsierate 1,1% I Diagnose Brustkrebs: 6 von 1000 Frauen I positiver Vorhersagewert: 14% aller zur Abklärung eingeladenen Frauen und 52% der
Frauen mit Indikation zur Biopsie erhielten am Ende der Abklärung eine Brustkrebsdiagnose. I Falsch-Positiv-Rate: 3,6% (1. Screening 10,1%, Folgescreening 2,4%)
ACRa* zeigt ein relatives Risiko (RR) von 4,64, ein ACRc versus ACRa ein RR von 2,92. Eine hohe Brustdichte führt zu einer Maskierung von Befunden, damit sinken Sensitivität und Spezifität der Mammografie (87% resp. 97% bei ACRa vs. 63% resp. 89% bei ACRd). Die digitale Mammografie erhöht im Vergleich zur Screeningfilm-Mammografie die Sensitivität bei hoher Brustdichte ACRd (83,6% vs. 68,1%; p = 0,05) (7).
Brustbiopsien Brustbiopsien in der Vorgeschichte und ein Nachweis von Läsionen mit unsicherem biologischem Potenzial erhöhen das Risiko, an Mammakarzinom zu erkranken. Dazu gehören die atypisch duktale Hyperplasie
Tabelle 4:
Kriterien, bei denen eine genetische Testung zur Identifizierung eines erhöhten Risikos für Mammakarzinom empfohlen wird
Gemäss «Swiss guidelines for referral individuals for risk assessment, genetic counselling and testing for breast/ovarian cancer predisposition syndrome»
I. Bekannte familiäre pathogene Variante im BRCA1- oder BRCA2-Gen
II. Eigenanamnese positiv für Mammakarzinom und eine der folgenden Kriterien sind erfüllt:
I Alter bei Diagnose < 40 I Tripelnegatives Mammakarzinom ≤ 60 I Alter bei Diagnose ≤ 50 und 2 nahe Angehörige mit Mamma-
karzinom in jedem Alter oder 1 nahe Angehörige ≤ 50 I bilaterales Mammakarzinom, erste Diagnose ≤ 50 I bilaterales Mammakarzinom in jedem Alter mit ≥ 1 nahen
Angehörigen mit Mammakarzinom (bei nur 1 betroffenen Angehörigen ≤ 50) I Diagnose in jedem Alter mit ≥1 nahen Angehörigen mit Ovarialkarzinom in jedem Alter I Diagnose in jedem Alter mit ≥ 2 nahen Angehörigen mit Mammakarzinom I ≥ 1 männlicher Angehöriger mit Mammakarzinom in jedem Alter I Eigenanamnese Ovarialkarziom
III. Frauen mit Eigenanamnese Ovarialkarziom und eine der folgenden Kriterien sind erfüllt:
I nichtmuzinöser epithelialer Subtyp, insbesondere High-Gradeseröse Histologie in jedem Alter
I Eigenanamnese Mammakarzinom I ≥ 1 nahe Angehörige mit Ovarialkarzinom in jedem Alter I ≥ 1 naher weiblicher oder mänlicher Angehöriger mit Mamma-
karzinom IV. Männer mit Eigenanamnese Mammakarziom: I insbesondere mit ≥ 1 nahen Angehörigen mit Mamma- oder
Ovarialkarzinom V. Ashkenazi jüdischer Abstammung: I Suche nach den 3 bekannten pathogenen Varianten BRCA1/2
und abhängig von der Eigen- und der Familienanamnese VI. Familienanamnese (bei gesunden Individuen): I ≥ 1 nahe Angehörige mit Mamma- oder Ovarialkarzinom, wel-
che die oben genannten Kriterien II–IV erfüllt I nahe Verwandtschaft ist definiert als erst- oder zweitgradig An-
gehörige auf der gleichen Familienseite: – erstgradig: Mutter/Vater, Geschwister, eigene Kinder – zweitgradig: Grosseltern, Onkel/Tante, Nichte/Neffe, Enkelkinder I Ovarialkarzinom beinhaltet primäres Peritoneal- und Tubenkarziom
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(ADH) (RR: 3–5-fach nach 10 Jahren) und die lobuläre intraepitheliale Neoplasie (LIN) (7-fach nach 10 Jahren) sowie mit leichter Risikoerhöhung Papillome, flache epitheliale Atypie und radiäre Narben (8).
Hohes Risiko Mutationen in den pathogenen Varianten BRCA1 und BRCA2 oder anderen hoch penetranten Genen sowie eine hochpositive Familienanamnese mit statistischem Lebenszeitrisiko von > 30% und eine Thorax-Mantelfeld-Bestrahlung in der Kindheit oder Jugend führen zu einem hohen Erkrankungsrisiko. Das Lebenszeitrisiko für Mammakarzinom ist bei einer BRCA-Mutation im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung stark erhöht (60–80% vs. 12%; bis zum 50. Lebensjahr 20–40% vs. 2%, für kontralaterales Mammakarzinom 60% vs. 1%). Weitere hoch penetrante Gene sind PALB2 mit einem Lebenszeitrisiko von 44 bis 58% (welches eine starke Assoziation bei positiver Familienanamnese zeigt), TB53-Li-Fraumeni-Syndrom mit einem Lebenszeitrisiko von 50 bis 60% für Mammakarzinom (betroffen sind sehr junge Frauen < 35; assoziierte Karzinome: ZNS, Sarkome, Leukämien; hohe Strahlensensibilität, daher Mammografien kontraindiziert), CDH1-hereditäres Magenkarzinomsyndrom mit einem Lebenszeitrisiko von 50 bis 60% für lobuläres Mammakarzinom (und Magenkarzinome). Zu den Genen mit moderaten Risiko (1,5–5-fache Risikoerhöhung) gehören ATM, CHEK2, STK11, NBN, PTEN (9–11). Ist lediglich eine auffällige positive Familienanamnese bekannt, sollte zum Nachweis oder Ausschluss eines hereditären Tumorsyndroms eine genetische Beratung und gegebenenfalls Abklärung erfolgen. Danach kann teilweise auch mithilfe von statistischen Risikokalkulationsprogrammen (z.B. IBIS, BRCAPRO, BOADICEA) die Einteilung in ein moderates oder hohes Risiko erfolgen. Eine genetische Testung ist in der Schweiz indiziert und empfohlen, wenn die Kriterien aus den «Swiss guidelines for referral individuals for risk assessment, genetic counselling and testing for breast/ovarian cancer predisposition syndrome» erfüllt sind (Tabelle 4).
Individuelles Risiko bei pathogenem Mutationsnachweis
Die Erkrankungswahrscheinlichkeit bei Nachweis einer pathogenen Mutation ist sehr unterschiedlich, und die Penetranz ist abhängig von der Mutation, dem Alter, der familiären Karzinombelastung (genetische Modifier) und Lebensstilfaktoren. Schliesslich bestimmen diese Faktoren das individuelle absolute Risiko, müssen in die Beratung einbezogen und an die Bedürfnisse der Patientin angepasst werden. Neben den risikoreduzierenden prophylaktischen Operationen nimmt daher auch die intensivierte Vorsorge eine bedeutende Rolle ein.
Diverse Fachgesellschaften geben alters- und risikoadaptiert konkrete Empfehlungen zur intensivierten Vorsorge bei erhöhtem Risiko. Derzeit orientiert man sich in der Schweiz an den Vorgaben zu Artikel 12d der Krankenpflege-Leistungsverordnung (KLV), welche in Anlehnung an die Guideline des NICE erstellt wurden (Abbildung 4). Bei Frauen mit hohem Risiko – insbesondere bei den Mutationsträgerinnen – nimmt das MRI der Brust einen hohen Stellenwert ein. In einer aktuell publizierten Arbeit des deutschen Konsortiums für hereditäres Mamma- und Ovarialkarzinom konnte eine Sensitivität von 89,6% und eine Spezifität von 89,1% gezeigt werden, wobei Letztere bei den Folgerunden ansteigt (erste Runde 84,6%; Folgerunde 91,1%). Sensitivität und Spezifität zeigten keine signifikanten Unterschiede für Risikogruppen oder Alter. 84,5% aller Karzinome wurden bei BRCA-Mutationsträgerinnen mit Screening-MRI in frühen Stadien (Karzinom in situ oder Stadium I) detektiert (9).
Zusammenfassung
Eine hohe Prävalenz für Mammakarzinom sowie die
nachgewiesene Reduktion der brustkrebsassoziier-
ten Mortalität durch das Mammografiescreening
führen in vielen Ländern zu einer Befürwortung von
Vorsorgeprogrammen. Das tatsächliche Ausmass der
Mortalitätsreduktion wird in einer Vielzahl von Stu-
dien unterschiedlich bewertet und erschwert die In-
terpretation. Kontroverse Diskussionen über den
Nutzen werden geführt, das Thema Überdiagnose
wird derzeit stark gewichtet.
Eine Abwägung zwischen den Vor- und Nachteilen,
den erwünschten und unerwünschten Auswirkungen
muss erfolgen. Die Nachteile eines Screenings (wie
falschpositive Befunde und damit verbundene
unnötige invasive Eingriffe, negative psychologische
Effekte oder Angst vor schädlichen Effekten der
Röntgenstrahlung) können individuell zu einer Ab-
lehnung einer Routinemammografie führen und sind
zu respektieren.
Wichtig: Wenn der Wunsch nach Teilnahme an einer
Vorsorge besteht, ist den allgemein gültigen Emp-
fehlungen zu folgen. Insbesondere sollen Frauen mit
einem hohen Brustkrebsrisiko selektiert und einem
adaptierten Screening zugeführt werden.
I
Dr. med. Julia Talimi-Schnabel (Erstautorin, Korrespondenzadresse) E-Mail: Julia.Talimi@usz.ch
Prof. Dr. med. Daniel Fink PD Dr. med. Konstantin Dedes
Klinik für Gynäkologie UniversitätsSpital Zürich 8091 Zürich
Interessenkonflikte: keine.
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Quellen: 1. The Global Cancer Observatory (GCO): www.gco.iarc.fr/today/data/factsheets/ populations/900-world-fact-sheets.pdf 01/2019 2. Siegel RL et al.: Cancer Statistics 2019. CA Cancer J Clin. 2019; 69: 7–34. 3. Breast Cancer Surveillance Consortium (funded by the National Cancer Institute March 2014). 4. Christiansen CL et al.: Predicting the cumulative risk of false-positive mammograms. J Natl Cancer Inst. 2000; 92(20): 1657–1666. 5. Hubbard RA et al.: Cumulative probability of false-positive recall or biopsy recommendation after 10 years of screening mammography: a cohort study. Ann Intern Med. 2011; 155(8): 481–492. 6. Deutsches Mammographie-Screening-Programm. Jahresbericht Evaluation 2016. Kooperationsgemeinschaft Mammographie, Berlin, Oktober 2018. 7. Lee et al.: Risk-based Breast Cancer Screening: Implications of Breast Density. Med Clin North Am. 2017 Jul; 101(4): 725–741. 8. AGO-Empfehlungen gynäkologische Onkologie Kommission Mamma; Läsionen mit unsicherem biologischen Potenzial (B3), März 2019. 9. Schmutzler R. (Deutsches Konsortium Familiärer Brust- und Eierstockkrebs): Konsensusempfehlung zum Umgang mit Ergebnissen der Multigenanalyse. 2020. https://www.konsortium-familiaerer-brustkrebs.de/konsensusempfehlung 10. AGO-Guidelines Breast 2019.1D: Nicht BRCA-assoziierte erbliche Krebssyndrome mit erhöhtem Brustkrebsrisiko. https://www.ago-online.de/fileadmin/downloads/leitlinien/mamma/2019-03/DE/einzel/2019D_02_Brustkrebsrisiko_und_Praevention.pdf 11. NCCN Guidelines Version 3/2019 Genetic/Familial High-Risk Assessement: Breast and Ovarian. https://www2.tri-kobe.org/nccn/guideline/gynecological/ english/genetic_familial.pdf 12. Bick U et al.: High-risk breast cancer surveillance with MRI: 10-year experience from the German consortium for hereditary breast and ovarian cancer. Breast Cancer Res Treat. 2019 May; 175(1): 217–228.
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