Transkript
SGGG-EXPERTENBRIEF (EB) NR. 57
In der GYNÄKOLOGIE werden – nach Auswahl der Herausgeber – an dieser Stelle aktuelle Expertenbriefe publiziert (verifizierte Printform).
Expertenbrief Nr. 57
(siehe auch: http://sggg.ch/de/members_news/1005)
Kommission Qualitätssicherung Präsident Prof. Dr. med. Daniel Surbek
Risikospezifizierung Präeklampsie im ersten Trimester
Die Präeklampsie gilt als eine der Hauptursachen der mütterlichen und perinatalen Morbidität und Mortalität. Ausser mit Akutfolgen für Mutter und Kind sind mit schweren kardiovaskulären Langzeitfolgen zu rechnen. Die Prognoseeinschätzung respektive die Prävention der Präeklampsie sind daher wesentlich. Neue Methoden kombinierter Faktoren zur Risikoberechnung sowie ein Algorithmus ermöglichen verlässliche Aussagen zur Prognose und damit eine frühe Prävention und Therapie.
Evidenzlevel
S. Tercanli, D. Surbek, O. Lapaire, Y. Vial, M. Hodel,
Methoden zur Risikoerkennung
T. Burkhardt, N. Ochsenbein-Kölble, A. Ditisheim, B. Mosimann (Akademie feto-maternale Medizin –
Anamnestische Risikofaktoren Hierzu zählen folgende mütterliche Faktoren (MF): Status nach
IIb
AFMM der SGGG/gynécologie suisse)
Präeklampsie, chronische Hypertonie, chronische Nierenerkran-
kung, Diabetes mellitus Typ I und Typ II, systemischer Lupus
Mütterliche Komplikationen einer Präeklampsie kommen in erythematodes (SLE), Antiphospholipid-Syndrom (APS), Status
zahlreichen Organsystemen vor und können in Kombination mit nach In-vitro-Fertilisation, maternales Alter (≥ 40 Jahre), Prä-
kardiovaskulärer, zerebraler, hämatologischer oder pulmonaler eklampsie in der Familie (Mutter, Schwester), Mehrlings-
Beteiligung bis zum Leber- und Nierenversagen führen. Hinzu schwangerschaften, Primigravidität, Adipositas (BMI > 30).
kommen die Langzeitfolgen von kardiovaskulären Erkrankun- Testperfomance: Bei einer Falsch-Positiv-Rate (FPR) von 10%
gen. Frauen mit einer PE in der Vorgeschichte haben ein vier- liegen die Detektionsraten für eine Präeklampsie < 34. SSW bei fach höheres Risiko für eine spätere Hypertonie und ein zwei- 58%, < 37. SSW bei 40 bis 50% und bei ≥ 37. SSW bei 33 bis fach höheres Risiko für eine ischämische Herzerkrankung, einen 38%. IIa, Schlaganfall oder Thromboembolien. Dieses kardiovaskuläre Zusammenfassend zeigt sich, dass sich mit den anamnestiIIb Risiko scheint besonders erhöht zu sein, wenn die Präeklampsie schen Risikofaktoren allein nur zirka 40% der gesamten vor der 34. Schwangerschaftswoche (SSW) auftritt. Präeklampsie-Fälle und zirka 50% aller PE-Fälle vor der 37. SSW Für das Kind bedeuten die Eklampsie und insbesondere die bei einer FPR von 10% vorhersagen lassen. frühe Präeklampsie (vor 34. SSW) extrem hohe Risiken; sie gel- ten als ursächlich für zirka 25% aller neonatalen Todesfälle und Kombinierte Risikokalkulation nach FMF für zirka 15% aller fetalen Wachstumsretardierungen. Die kind- (Fetal Medicine Foundation) lichen Erkrankungen, insbesondere infolge der Mangelversor- Neuere Studien mit dem Ziel der Etablierung von Algorithmen gung, sind die bekannten Folgen der Frühgeburtlichkeit und zur Risikospezifizierung basieren auf IIb der intrauterinen Wachstumsretardierung. I den (o.g.) anamnestischen mütterlichen Daten (Hinter- Die Inzidenz der Präeklampsie variiert weltweit zwischen rund grundrisiko) 2 und 8%. In der Schweiz liegt die Inzidenz der Präeklampsie bei I dem mittleren mütterlichen Blutdruckwerten (MAP) und ≤ 2%, das heisst, pro Jahr sind etwa 1800 bis 1900 Fälle zu I dem mittleren Pulsatilitätsindex in den Aa. uterinae (UTPI) erwarten. Die Inzidenz der frühen Präeklampsie (< 34. SSW) ist sowie den biochemischen Markern PAPP-A (pregnancy- mit 0,5 bis 0,8% deutlich niedriger. associated plasma protein A) und dem proangiogenem Im Hinblick auf die hohen mütterlichen und fetalen Erkran- Protein PlGF (placental growth factor). IIb kungsrisiken sind Bemühungen zur Prognoseeinschätzung und Die A-priori-Risikoerfassung aus maternalen anamnestischen Prävention der Präeklampsie erstrebenswert. Seit einigen und klinischen Daten erlaubt in Verbindung mit dem UTPI, dem Jahren steht die Frage der Früherkennung der Präeklampsie MAP sowie dem PlGF und dem PAPP-A eine individuelle zunehmend im Vordergrund. Ziel hierbei ist nicht nur die Risikokalkulation. Die FMF London hat hierzu Risikokalkulatoren Etablierung von Screening-Strategien, sondern deren Präven- entwickelt: Sie differenziert zwischen einer frühen Präeklampsie tion, die mit der Verfügbarkeit einer frühen Acetylsalicylsäure- (PE) < 34. SSW (early-onset PE) und einer späten PE ≥ 37. SSW (ASS-)prophylaxe in definierten Risikogruppen neue Behand- (late-onset PE). lungsoptionen der frühen Präeklampsie eröffnet. GYNÄKOLOGIE 5/2019 29 Risikokalkulation: Die Verwendung dieses Algorithmus mit 11 bis 14 SSW setzt eine Qualitätssicherung voraus. Dazu gehören die folgenden Vergleich der Risikokalkulation nach FMF mit NICE–Kriterien und ACOG-Kriterien In der Vergangenheit wurde das Präeklampsie-Risiko von Voraussetzungen: Schwangeren aufgrund demografischer und medizinischer I theoretische (fachliche) Kenntnisse der Risikokalkulation Parameter bewertet. Das National Institute for Health and Care und der therapeutischen Konsequenzen (z.B. ab welchem Excellence (NICE) unterscheidet zwischen Faktoren mit hohem IIb Risiko eine ASS-Prophylaxe empfohlen wird) und moderatem Risiko: I Blutdruckmessung: Verwendung von zertifizierten, automa- Als hohe Risikofaktoren gelten: hypertensive Erkrankung in einer tisierten Blutdruckmessgeräten mit regelmässiger Kalibrie- früheren Schwangerschaft, chronische Nierenerkrankung, rung und standardisierte Blutdruckmessung Autoimmunerkrankungen wie SLE oder APS, Diabetes mellitus I Uterina-Doppler: Dopplersonografie der Aa. uterinae mit und chronische Hypertonie. Moderate Risikofaktoren sind: 11 bis 14 SSW im Rahmen der Ersttrimester-Ultraschallunter- Primigravida oder Intervall zur letzten Schwangerschaft > 10
suchung, welche im Hinblick auf die Korrektheit der Jahre, mütterliches Alter über 40 Jahre, BMI > 35, positive
Messpräzision und auch aus Sicherheitsgründen eine ausrei- Familienanamnese für Präeklampsie, Mehrlingsschwanger-
chende Erfahrung des Untersuchers erfordert (Nachweis schaften.
eines anerkannten Kurses mit Zertifizierung)
Bei den NICE-Empfehlungen gilt als testpositiv, wenn mindes-
I PlGF: Die Laborbestimmung kann zeitgleich mit dem Erst- tens 1 von den hohen Risikofaktoren oder 2 der moderaten
trimestertest erfolgen.
Risikofaktoren positiv auffallen. Bei diesen Frauen wird eine
Präeklampsie-Prophylaxe mit niedrig dosiertem ASS empfoh-
Testperfomance verschiedener Risikokalkulationsmethoden: len.
Mit der kombinierten Risikokalkulation werden Erkennungs- Das American College of Obstetricians and Gynecologists
raten für eine frühe Präeklampsie von bis zu 87,4% (bzw. 95,8%) (ACOG) definiert als Risikofaktoren: Nullipara, mütterliches
bei einer Rate falsch-positiver Ergebnisse von 5% (bzw. 10%) Alter > 40 Jahre, BMI > 35, Status nach Präeklampsie, Status
erreicht, wenn neben den anamnestischen mütterlichen nach In-vitro-Fertilisation, chronische Nierenerkrankung, Auto-
Risikofaktoren der MAP, der UTPI und der PLGF mit in die immunerkrankungen wie SLE oder APS, Diabetes mellitus, chro-
Risikoevaluation eingehen. Für die späte Präeklampsie zeigt nische Hypertonie und Mehrlingsschwangerschaften.
dieser Algorithmus jedoch deutlich schlechtere Erkennungs-
raten von 37,6% (bzw. 52,9%). Vergleichbare Ergebnisse weist Testperformance der Methoden im Vergleich:
die prospektive Studie von Sonek und Kollegen auf. Bei einer In der bislang einzigen Multizenterstudie mit 8775 Fällen mit
US-amerikanischen Population von 1068 auswertbaren Fällen Vergleich des FMF-London-Algorithmus unter Verwendung von
zeigte der FMF-Algorithmus eine Entdeckungsrate von 85% für MAP, UTPI und PlGF mit den NICE- und ACOG-Empfehlungen IIb
eine PE vor der 34. SSW, von 64% vor der 37. SSW und von nur zeigt sich, dass mit der FMF-Risikokalkulation die Entdeckungs-
14% nach der 37. SSW. Die Detektionsrate für alle Fälle mit PE rate einer Präeklampsie (für eine Falsch-Positiv-Rate von 10%)
IIb lag bei 41%.
vor der 32. SSW bei 100%, vor der 37. SSW bei 75% und ≥ 37.
Die zusätzliche Verwendung des PAPP-A bringt nach den neue- SSW bei 43% liegt. Die Detektionsraten für die NICE-Kriterien
ren Studien keine signifikante Verbesserung. Auch der prädikti- betragen im Vergleich dazu 41%, 39% und 34% (für eine Falsch-
ve Wert der einzelnen biophysikalischen und biochemischen Positiv-Rate von 10,2%).
Methoden ist hierbei gering.
Bei Anwendung der ACOG-Empfehlungen lagen die
Daher wird die alleinige Anwendung von einzelnen biophysika- Detektionsraten vor der 32. SSW bei 94%, vor 37. SSW bei 90%
lischen und biochemischen Parametern wegen der hohen und bei 89% nach der 37. SSW bei einer exorbitant hohen
Falsch-Positiv-Rate nicht empfohlen. Die Risikokalkulation mit Falsch-Positiv-Rate von 64,2%.
dem Doppler der Aa. uterinae (UTPI) in Kombination mit den Zusammenfassend ist damit der FMF-Algorithmus den NICE-
anderen mütterlichen Faktoren, MAP und PLGF zeigt bei einer und den ACOG-Kriterien überlegen.
Falsch-Positiv-Rate von 10% Detektionsraten von 75 bis 87% für
eine PE vor der 34. SSW und von 69 bis 73% vor der 37. SSW. Konsequenzen der Risikokalkulation
Dieser Effekt scheint grösser für eine PE vor der 32. SSW.
Bei erhöhtem Risiko (d.h. Risiko für Präeklampsie vor der 37.
Zusammenfassend zeigt sich, dass 75% aller PE (bei einer SSW > 1:100) ist eine Prophylaxe mit niedrig dosiertem ASS zu
Falsch-Positiv-Rate von 10%) vor der 37. SSW entdeckt werden empfehlen (siehe folgender Abschnitt). Zudem soll eine dem
– im Vergleich zu einer Detektionsrate von 47% nach der 37. Risiko angepasste Schwangerschaftsbetreuung erfolgen. Dies
SSW. Die Hinzunahme von PAPP-A zeigt in dem FMF- kann bei sehr hohem Risiko beispielsweise die Empfehlung
Algorithmus keinen weiteren substanziellen Nutzen. Empfohlen engmaschigerer Kontrollen und/oder Selbstblutdruckmessun-
wird daher die Risikospezifizierung unter Verwendung folgen- gen zu Hause zur Frühentdeckung einer sich entwickelnden
der Parameter in Kombination: anamnestische mütterliche Präeklampsie bedeuten. Umgekehrt kann ein tiefes Präeklamp-
Risikofaktoren, MAP, UTPI und PLGF.
sierisiko die Patientin entlasten und zu weniger Kontrollen füh-
ren.
30 GYNÄKOLOGIE 5/2019
Ia ASS-Prophylaxe zur Prävention einer Präeklampsie
lichen und kindlichen Risiken wie auch zu gastrointestinalen Blutungen oder anderen Komplikationen in diesen Studien
Nach einer Reihe von kontroversen Ergebnissen konnte in den keine oder unzureichende Angaben finden. In den letzten
neueren Studien gezeigt werden, dass eine niedrig dosierte Studien konnte keine signifikante Erhöhung der Nebenwirkun-
Gabe von ASS signifikant das Risiko für eine frühe Präeklampsie gen unter ASS gezeigt werden. Jedoch deuten die Ergebnisse
vor der 37. SSW senkt, wenn die ASS-Gabe vor der 16. SSW darauf hin, dass das Risiko von Nebenwirkungen wie vorzeitige
begonnen wird. Dieser Effekt lässt sich nicht nachweisen für die Plazentalösung oder antepartales Blutungsrisiko dosisabhängig
späte PE ≥ 37 SSW. In der grössten randomisierten, prospekti- sein könnten. Dabei scheint eine frühe ASS-Gabe (100 mg/Tag)
ven Multizenter-Studie (ASPRE-Studie) mit 1776 Frauen, welche vor der 16. SSW weniger risikoreich zu sein als der Beginn der
gemäss Risikokalkulation nach FMF ein erhöhtes Risiko für Prophylaxe nach der 16. SSW.
Präeklampsie hatten, konnte gezeigt werden, dass die prophyl-
aktische ASS-Gabe von 150 mg/Tag vor der 16. SSW die Aufklärung der schwangeren Frau
Inzidenz einer Präeklampsie < 34. SSW um 82% und < 37. SSW Grundsätzlich ist die schwangere Frau vor der Durchführung der um 62% reduziert (NNT; number needed to treat = 36). Für die Risikokalkulation über das Krankheitsbild der Präeklampsie und späte PE konnte kein signfikanter Effekt nachgewiesen werden. deren Folgen für Mutter und Kind zu informieren und generell Vergleichbare Ergebnisse ergab auch die Metaanalyse von 16 über die Kalkulationsmethode aufzuklären. Zudem muss sie prospektiven Studien mit 18 907 Fällen und zeigte eine über mögliche Konsequenzen des Testergebnisses (z.B. Reduktion der PE vor der 37. SSW von 70%. Empfehlung zur ASS-Prophylaxe im Falle eines erhöhten Für die sekundären neonatalen Outcome-Parameter (wie z.B. Risikos) aufgeklärt werden. Dabei sollte besonders beachtet IIb die fetale Wachstumsretardierung; IUGR) konnte kein Effekt dar- werden, dass es nicht zu einer unnötigen Beunruhigung der gestellt werden, jedoch reichen die Fallzahlen und damit die schwangeren Frau kommt. Power der ASPRE-Studie für eine Bewertung hierzu nicht aus. Denkbar ist, dass die Reduktion einer IUGR dosisabhängig ist. Kosten der Risikokalkulation Die Anzahl von Studien zur ASS-Prophylaxe nach der 16. SSW Die Doppleruntersuchung der Uterinarterien kann bei der nöti- ist vergleichsweise klein, sodass eine abschliessende gen Erfahrung in die Ersttrimester-Ultraschalluntersuchung inte- Beurteilung zurzeit nicht möglich ist. Bisherige Ergebnisse deu- griert werden. Dasselbe gilt für die Blutdruckmessung. Die ten auf eine moderate Reduktion der schweren PE. zusätzlichen Kosten für die Labordiagnostik sind aktuell noch Neben dem optimalen Zeitpunkt der ASS-Prophylaxe stellt sich keine Pflichtleistungen der Grundversicherung. Bei der die Frage nach der effektiven Dosis und den möglichen uner- Ultraschalluntersuchung wird der normale Ersttrimester- wünschten Nebenwirkungen. Die ASS-Prophylaxe erfolgte in Ultraschall vergütet, nicht aber eine zusätzliche Dopplersono- IIb verschiedenen Studien in einer Dosis von 50 bis 150 mg/Tag. grafie der Uterinarterien. Die Metaanalysen zeigen, dass eine ASS-Dosis von ≥ 100 mg/Tag, verabreicht vor der 16. SSW die Präeklampsie-Rate vor Datum dieses Expertenbriefs: 10. Februar 2019 der 37. SSW signifikant reduziert. Literatur bei den Autoren. Für Schwangere mit erhöhtem Risiko für Präeklampsie wird daher eine ASS-Dosis von 100 bis 150 mg täglich empfohlen, und zwar zwischen der 12. und der 36. SSW. Die Frage nach Nebenwirkungen einer ASS-Prophylaxe ist nicht abschliessend beurteilbar, da sich beispielsweise zu mütter- Deklaration von Interessenkonflikten: Sevgi Tercanli: Expert meeting Roche Diagnostics; Daniel Surbek: Advisory Board Roche Diagnostics; Olav Lapaire: Advisory Board Roche Diagnostics; Markus Hodel: Expert meeting Roche Diagnostics. Ivan Vial, Thilo Burkhardt, Nicole Ochsenbein-Kölble, Agnes Ditisheim: keine Interessenkonflikte. Beatrice Mosimann: Invited speaker Thermo Fisher Diagnostics AG and Roche Diagnostics. GYNÄKOLOGIE 5/2019 31 Zusammenfassung und Empfehlungen I Die Präeklampsie (PE) ist eine der schweren Komplikationen in der Schwangerschaft mit einer Inzidenz von rund 2% in den europäischen Ländern, einschliesslich der Schweiz, und bis zu 8% in Entwicklungsländern. I Eine Risikokalkulation für die Entwicklung einer PE kann anlässlich des Ersttrimester-Tests mittels dem FMF-Algorithmus vorgenommen werden. Die Risikokalkulation ist dabei signifikant besser zur Erkennung der frühen und schweren Präeklampsie geeignet als für die späte und milde Manifestation. Die Risikokalkulation nach FMF entdeckt 75 bis 82% der Präeklampsien vor der 37. SSW und ist damit der Risikokalkulation nach NICE- oder ACOG-Kriterien überlegen. I Die Testperformance des FMF-Algorithmus ist am höchsten, wenn alle Marker (mütterliche Faktoren + MAP + UTPI + PlGF) in die Berechnung eingehen. Der Einsatz des Uterina-Dopplers im ersten Trimester (UTPI) verbessert die Entdeckungsrate für eine PE um 5 bis 10%, tendenziell insbesondere für die frühe Präeklampsie. Der Beitrag des PAPP-A hierzu ist marginal und wird demnach für die Risikokalkulation nicht mehr berücksichtigt. I Die ASS-Prophylaxe vor der 16. SSW reduziert signifikant die Rate an Präeklampsien vor der 37. SSW. Bei erhöhtem Präeklampsierisiko gemäss Risikokalkulation nach dem FMF-Algorithmus (Risiko > 1:100) soll daher die ASS-Prophylaxe vor der 16. SSW begonnen werden, idealerweise bereits in der 12. SSW, und dann bis zur 36. SSW fortgeführt werden. Nach der 16. SSW kann eine ASS-Prophylaxe in Risikogruppen individuell erwogen werden. Die ASS-Einnahme soll am Abend erfolgen.
I Die bisherigen Daten zeigen, dass der Nutzen, aber auch mögliche Risiken der ASS-Prophylaxe dosisabhängig sein können. Nach jetzigem Kenntnisstand ist die Gabe von ASS in der Dosis von 100 bis 150 mg/Tag empfohlen. Zu achten ist hierbei aus praktischen Aspekten einer Langzeitbehandlung auf die Compliance, um den Effekt nicht zu schmälern.
I Offen bleibt derzeit die Frage nach dem Nutzen für das fetale Outcome und nach möglichen Nebenwirkungen. Eine ASSProphylaxe ist daher nur bei erhöhtem Risiko für Präeklampsie zu befürworten und nicht für alle Schwangeren zu empfehlen.
I In Niedrigrisiko-Situationen (junge Multipara mit Einlingsschwangerschaft, normalem BMI und unauffälliger geburtshilflicher Anamnese in der gleichen Partnerschaft) ist die Risikokalkulation optional.
I In Hochrisiko-Situationen wie bei Antiphospholipid-Syndrom, maternalen Nierenerkrankungen oder Status nach früher Präeklampsie ist primär, also ohne Risikokalkulation, die Behandlung mit ASS indiziert.
I Weitere Validierungstudien mit Berücksichtigung der offenen Fragen sollten abgewartet werden, bevor ein flächendeckendes Präeklampsie-Screening in der Schweiz definitiv in der Schwangerschaftsvorsorge etabliert wird. Zum jetzigen Zeitpunkt scheint es sinnvoll, dieses auf Ärztinnen/Ärzte mit zusätzlicher Zertifizierung und entsprechende Zentren zu begrenzen. Die Teilnahme an einem Kurs mit Zertifizierung wird dringend empfohlen. Die Kurse und Kursinhalte, inklusive des praktischen Trainings für den Doppler der Aa. uterinae, werden von der SGUMGG und der Schwangerschaftskommission definiert. Die Kursanerkennung muss im Vorfeld bei der SGUMGG beantragt werden.
* Evidenzlevel und Empfehlungsgrade der Therapieangaben
Evidenzlevel Ia Evidenz durch die Metaanalyse von randomisierten, kontrollierten
Untersuchungen Ib Evidenz durch mindestens eine randomisierte, kontrollierte
Untersuchung IIa Evidenz durch mindestens eine gut angelegte, kontrollierte
Studie ohne Randomisierung IIb Evidenz durch mindestens eine gut angelegte andere quasiexpe-
rimentelle Studie III Evidenz durch gut angelegte, beschreibende Studien, die nicht
experimentell sind, wie Vergleichsstudien, Korrelationsstudien oder Fallstudien IV Evidenz durch Expertenberichte oder Meinungen und/oder klinische Erfahrung anerkannter Fachleute
Empfehlungsgrad
A Es ist in der Literatur, die gesamthaft von guter Qualität und Konsistenz sein muss, mindestens eine randomisierte, kontrol-
lierte Untersuchung vorhanden, die sich auf die konkrete
Empfehlung bezieht (Evidenzlevel Ia, Ib).
B Es sind zum Thema der Empfehlung gut kontrollierte, klinische Studien vorhanden, aber keine randomisierten, klinischen
Untersuchungen (Evidenzlevel IIa, IIb, III).
C Es ist Evidenz vorhanden, die auf Berichten oder Meinungen von Expertenkreisen basiert und/oder auf der klinischen
Erfahrung von anerkannten Fachleuten. Es sind keine qualitativ
guten, klinischen Studien vorhanden, die direkt anwendbar sind
(Evidenzlevel IV).
Good-Practice-Punkt
Empfohlene Best Practice, die auf der klinischen Erfahrung der
Expertengruppe beruht, die den Expertenbrief/die Guideline
herausgibt.
Übersetzt aus dem Englischen (Quelle: RCOG Guidelines Nr. 44, 2006)
32 GYNÄKOLOGIE 5/2019