Transkript
SCHWERPUNKT
Präeklampsie-Screening – bereit für die Routine?
Evaluation der aktuellen Daten für die Praxis
Weniger als zehn Jahre nachdem die Fetal Medicine Foundation (FMF) London den ersten kombinierten Screeningtest auf Präeklampsie publiziert hat, empfiehlt die FIGO (Fédération Internationale de Gynécologie et d’Obstétrique) bereits dessen weltweite Einführung in die Routine. Ist der Test denn überhaupt schon so weit?
BEATRICE MOSIMANN
Beatrice Mosimann
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Schon 2200 Jahre vor Christus beschrieben die Ägypter im Kahun papyrus das Auftreten von Krampfanfällen unter der Geburt (1). Erst 4 Jahrtausende später gelang es, zuerst Proteine im Urin zu bestimmen und schliesslich den Blutdruck zu messen – dies erlaubte die Diagnose einer Präeklampsie (PE) und damit ein Screening auf die gefürchtete Eklampsie (2). Eine PE ist aber mit vielen weiteren unmittelbaren und langfristigen Komplikationen assoziiert, darunter Frühgeburtlichkeit, vorzeitige Plazentalösung, Hirnblutungen oder Organversagen, aber auch mit kardiovaskulären Erkrankungen im späteren Leben von Mutter und Kind (3, 4). 2010 zeigte eine Metaanalyse von Bujold und Kollegen, dass niedrig dosierte Acetylsalicylsäure (low dose aspirin, LDA) die Inzidenz einer PE in Risikoschwangerschaften signifikant reduziert; allerdings nur, wenn die Einnahme vor 16 + 0 Schwangerschaftswochen (SSW) begonnen wird (5). Da nur knapp die Hälfte aller Frauen mit einer PE anamnestische Risikofaktoren aufweist, fokussierte sich die Forschung seither darauf, die Detektion von Risikoschwangerschaften im ersten Trimenon zu verbessern (6).
Entwicklung des ErsttrimesterScreenings auf Präeklampsie
NICE (National Institute for Health and Care Execllence, UK) und ACOG (American College of Obstetrics and Gynecology, USA) empfehlen ein Screening mittels anamnestischer Risikofaktoren und maternaler Charakteristika sowie die Verordnung von LDA bei Vorliegen eines hohen Risikos oder mindestens zweier moderater Risikofaktoren (7, 8). Kombiniert man dieselben Risikofaktoren stattdessen nach dem Theorem von Bayes (Wahrscheinlichkeitstheorie), kann die Detektionsrate der PE um knapp 10% verbessert werden (9). Um das PE-Screening analog zum ErsttrimesterScreening auf Trisomien weiter zu verbessern, suchte
man intensiv nach biochemischen, biophysikalischen und Ultraschallmarkern, welche bereits in der Frühschwangerschaft zwischen Schwangerschaften mit unauffälligem Verlauf und solchen, die später eine PE entwickeln, unterscheiden (10) (Abbildung 1). Die folgenden Parameter haben sich im Screening als die relevantesten erwiesen: I der arterielle Mitteldruck (mean arterial pressure;
MAP) I der Placental Growth Factor (PlGF) und I der Pulsatilitätsindex in den Uterina-Arterien
(UtA-PI) sind die besten heute bekannten Marker (10). Deren Kombination mit den anamnestischen Risikofaktoren verbesserte in den Studien zum PE-Screening die Detektionsrate der PE vor der 37. SSW von 43,3% auf 77,3% und die Detektionsrate der PE vor der 34. SSW von 50,5% auf 95,8% bei einer Falsch-positiv-Rate von 10% (11).
Validation des Screening-Algorithmus
Vier Hauptschritte müssen berücksichtigt werden, um einen Screening-Algorithmus zu vervollständigen (12): 1. Kritische Analyse des potenziellen Nutzens eines
Screening-Algorithmus: Wie oben beschrieben, ist eine PE eine schwere Schwangerschaftskomplikation, und das niedrig dosierte ASS (LDA) vor der 16. SSW ist die bisher einzige Prävention. Die Identifikation von Risikoschwangerschaften ist entsprechend von grossem Nutzen. 2. Ein Screening-Algorithmus sollte mit solider Methodologie entwickelt werden: Die ScreeningParameter wurden in vielen Studien untersucht; das kompetitive Risikomodell hat sich der alleinigen Erfassung von anamnestischen Risikofaktoren gegenüber als deutlich überlegen erwiesen (13). 3. Das Modell sollte intern und extern validiert werden: Der PE-Screening-Algorithmus wurde von verschiedenen Gruppen sowohl intern als auch
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SCHWERPUNKT
Abbildung 1: Biochemische, biophysikalische und Ultraschallmarker, welche im Screening auf Präeklampsie (PE) untersucht wurden. Die am häufigsten untersuchten Marker sind markiert (adaptiert nach [10]).
Tabelle:
Für die Schwangerschaft validierte Blutdruckmessgeräte, welche in mindestens einer Studie ohne Verletzung des Validationsprotokolls getestet wurden (adaptiert nach [17])
Im ambulanten Setting Für zu Hause In der Klinik
Zu Hause und in der Klinik
BP Lab Welch Allyn QuietTrak Microlife WatchBP Home Omron MIT A&D UM-101 Dinamap ProCare 400 Nissei DS-400 Omron HEM907 Omron MIT Elite
✓ = auch bei manifester Präeklampsie getestet und validiert
PE ✓
✓ ✓ ✓ ✓
extern validiert, die verschiedenen Validationsstudien wiesen alle eine ähnlich hohe Detektionsrate auf wie die initiale Studie der FMF London (10, 11). 4. Der klinischer Nutzen sollte nachgewiesen werden: Die ASPRE-Studie (Aspirin versus placebo in pregnancies at high risk for preeclampsia), eine internationale Multizenterstudie, randomisierte 1776 Frauen mit einem Risiko für PE vor der 37. SSW von > 1:100 zur Prävention mittels Plazebo- oder 150 mg LDA-Gabe. In der LDA-Gruppe entwickelten 62% weniger Frauen eine PE vor der 37. SSW. Das beweist den Nutzen des Ersttrimester-Screenings auf PE und die Prävention mit 150 mg LDA (14).
Implementation in die Routine
Es scheint also, dass der Zeitpunkt gekommen ist, das Ersttrimester-Screening für PE in die Routinepraxis einzuführen. Dabei sind aber verschiedene Punkte zu berücksichtigen:
1. Korrektes Messen des arteriellen Mitteldrucks (MAP) Die National Heart Foundation of Australia empfiehlt zur korrekten Messung des arteriellen Mitteldrucks die bilaterale, repetitive Messung des Blutdrucks im Minutenabstand, bis der systolische weniger als 10 mmHg und der diastolische Blutdruck weniger als 6 mmHg variiert. Ist diese Stabilität erreicht, soll der Mitteldruck aus mindestens zwei Messungen an jeweils beiden Armen berechnet werden. Auch im Screening auf PE im ersten Trimenon erzielt dieses Protokoll die besten Resultate, allerdings ist die Performance des MAP als Marker im Screening für PE fast ebenso gut, wenn nur der Mittelwert aus den ersten beiden Messungen von beiden Armen berechnet wird (15). Voraussetzungen sind eine vorgängige Ruhephase von mindestens 5 Minuten, die Messung in sitzender Position mit den Armen auf Herzhöhe und die Verwendung der richtigen Manschettengrösse (15). Nebst der Messtechnik ist es ebenso wichtig, nur zertifizierte Blutdruckmessgeräte für Schwangere zu verwenden. Die Europäische Gesellschaft für Hypertonie hat die Standards festgelegt, wie ein Messgerät validiert werden soll (16). In einem systematischen Review zu Validationsstudien über Blutdruckmessgeräte in der Schwangerschaft wurden 41 Studien eingeschlossen, welche 28 Geräte im ambulanten und im stationären Setting bei Schwangeren mit und ohne Hypertonie oder PE untersuchten. 9 dieser Blutdruckmessgeräte wurden in mindestens einer Studie ohne Verletzung des Validationsprotokolls für die Schwangerschaft als geeignet getestet (17) (Tabelle).
2. Bestimmung von PlGF mit validierten Reagenzien und zum richtigen Zeitpunkt Bisher wurden mehrere PIGF-Tests (Kryptor von Brahms, Delfia-Systeme von PerkinElmer und Elecsys und Cobas E von Roche) für die Bestimmung des
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Abbildung 2: Protokoll zur Bestimmung des Pulsatilitätsindex in den Aa. uterinae im ersten Trimenon (adaptiert nach [18]).
PlGF analysiert und im PE-Screening zertifiziert (18). Die PlGF-Bestimmung ist in der 8. Schwangerschaftswoche bereits möglich: Die Werte steigen in unauffälligen Schwangerschaften signifikant zwischen der 8. und der 14. SSW an. Frauen, welche später eine PE vor der 37. SSW entwickeln, haben hingegen unabhängig vom Gestationsalter im ersten Trimenon tiefe PlGF-Werte. Entsprechend differenziert PlGF erst ab der 11. SSW zwischen unauffälligen Schwangerschaften und solchen, die später eine PE entwickeln. Entsprechend sollte der PlGF erst zum Zeitpunkt des PEScreenings und nicht vorgängig bereits bestimmt werden (19).
3. Zertifizierung und regelmässige Validation der Ultraschaller bei der Bestimmung des Pulsatilitätsindex in den Uterina-Arterien (UtA-PI) Im ersten Trimenon kann die A. uterina nicht in der Überkreuzung mit der A. iliaca externa dargestellt werden. Deshalb wurde ein Protokoll zur Messung des Pulsatilitätsindex in den Aa. uterinae im Rahmen eines PE-Screenings im ersten Trimenon erstellt (18) (Abbildung 2). Verschiedene Studien konnten nachweisen, dass bereits geringe Abweichungen von diesem Protokoll, insbesondere aber das Messen der Pulsationsindex distal des inneren Muttermundes, zu signifikant tieferen UtA-PI-Werten führt, was die Performance des Screenings beeinträchtigt (20). Regelmässiges Training und Feedback verbessern die Performance der Ultraschaller (21).
Weiteres
Bisher haben eine asiatische und eine spanische (PREVAL-Trial-)Studiengruppe eine Implementationsstudie durchgeführt und Resultate am FMF-Kongress 2019 in Alicante präsentiert. Beide Studien bestätigten die Wichtigkeit von Zertifizierung und regelmässigem Feedback in der Bestimmung des UtA-PIs. Es wurde aber auch gezeigt, dass in beiden Studien die PlGF-MoM-Werte nicht den Erwartungen entsprachen. (MoM: multiples of the median). Obwohl nach Ethnizität korrigiert, zeigte sich in der Berechnung der MoM-Werte in beiden Studien, dass dieser Wert nochmals angepasst werden musste. Insbesondere für die ostasiatische Bevölkerung in der Studie von Poon und Kollegen verhielt sich der Wert nicht entsprechend der ostasiatischen Bevölkerung in London. Nach erfolgter populationsspezifischer Korrektur der PlGF-MoM-Werte entsprach die Performance des Screenings in beiden Studien den Erwartungen. Zurzeit haben wir in der Schweiz einzig die publizierten Daten aus Bern; am SGGG-Kongress 2019 haben wir die neuesten Daten dazu veröffentlicht (22). In unserer Population scheint analog zur PREVAL-Studie eine leichte Anpassung von PlGF-MoM möglicherweise sinnvoll; wir planen aber die nationale Erhebung der Daten, um diese Frage besser klären zu können.
Schlussfolgerung
Alle erforderlichen Schritte zum erfolgreichen Einführen des kombinierten Ersttrimester-Screenings auf PE sind erfolgt; der Screeningtest ist bereit für die kommerzielle Anwendung. Die Zertifizierung und die regelmässige Validierung sind wie auch beim Ersttrimester-Screening auf Trisomien äusserst wichtig. Ebenso wird die regelmässige Erhebung der Screening-Parameter zeigen, ob allfällige Modifikationen des Screening-Algorithmus indiziert sind. Die heute verfügbaren Daten der Schweiz zeigen aber eine gute Detektionsrate der PE vor der 37. SSW (22).
I
PD Dr. med Beatrice Mosimann Universitätsklinik für Frauenheilkunde Inselspital Bern 3010 Bern E-Mail: beatrice.mosimann@insel.ch
Interessenkonflikte: keine.
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