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UPDATE GYNEA – Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendgynäkologie
Ovarialinsuffizienz bei jugendlichen Mädchen
Inzidenz, besondere Problematik, Diagnostik, Therapieoptionen, Langzeitprophylaxe
Für Jugendliche, die zu einem sehr frühen Zeitpunkt in ihrer Entwicklung von Ovarialinsuffizienz betroffen sind, ist die Hormonstörung eine schwere Problematik mit hohen Gesundheitsrisiken und eine erhebliche Herausforderung in der Lebensplanung als Frau. Die Situation unterscheidet sich deutlich von der einer Mutter mit abgeschlossener Familienplanung, bei der eine prämature Ovarialinsuffizienz diagnostiziert wird. Dennoch wird derselbe Begriff verwendet, was zu Missverständnissen und Fehlbehandlungen führen kann.
Ruth Draths
Jugendliche Mädchen trifft die Diagnose einer Ovarialinsuffizienz lange, bevor der Kinderwunsch überhaupt ins Bewusstsein tritt und meist vor der ersten sexuellen Erfahrung und oft schon vor der vollen Ausreifung oder gar dem Beginn der Pubertät. Folglich sind ärztlicherseits die psychosexuellen Konsequenzen der Diagnose sowie die Langzeitbehandlung besonders im Auge zu behalten (Fallbeispiel 1; Kasten 1).
Definitionen: Prämature (primäre) Ovarialinsuffizienz Die Alterung des Ovars führt physiologischerweise ab 45 Jahren zum Niedergang der ovariellen Funktion und damit
zur Amenorrhö und zur Menopause. Tritt diese Erschöpfung bereits zwischen 40 und 45 Jahren auf, wird dies als frühe Menopause bezeichnet. Jede Ovarialinsuffizienz vor dem 40. Lebensalter wird als prämatur oder primär bezeichnet, unabhängig vom Alter der Betroffenen (1). In der europäischen Literatur (z.B. ESHREGuideline, [2]) wird oft der Begriff «prämatur» gewählt, während in der amerikanischen Literatur die Bezeichnung «primär» bevorzugt wird, um die Ursache der Ovarialinsuffizienz im Ovar zu betonen. Während bei erwachsenen Frauen meist von Insuffizienz (primary ovarian insufficiency, POI) gesprochen wird, bevorzugen Jugendgynäkologen meist den Begriff Ovarialversagen (primary ovarian failure POF), da hier besonders deutlich
Kasten 1: Fallbeispiel 1
Melanie, 17-jährig Erste gynäkologische Kontrolle wegen Zyklusstörung
Generalanamnese: Menarche mit 15 Jahren, zuerst regelmässige Menstruation, dann Oligomenorrhö mit Abstand 3 bis einmalig 6 Monate, gelegentlich Schmierblutungen. Letzte Menstruation vor 5 Tagen, kurze, schwache Blutung. Keine Beschwerden.
Persönliche Anamnese: bland, keine Operationen, keine Medikamente, stabiles Gewicht, sportlich und leistungsfähig. Bisher noch keinen sexuellen Kontakt.
Familienanamnese: Die Mutter hatte eine späte Menarche, mit 18 Jahren. Sonst bestehen keine Auffälligkeiten in der Familienanamnese.
Klinische Untersuchung: guter Allgemeinzustand (173 cm, 70 kg, BMI: 23). Kein Hirsutismus, unauffällige Pubertätsentwicklung Tanner B4, P5). Äussere Genitale unauffällig, keine Virilisierung, Hymen mässig östrogenisiert, wenig Fluor.
Transabdominale Sonografie: unauffälliges inneres Genitale, Uterus im Reifestadium B4, schmales Endometrium. Ovarien klein, einige kleine Follikel erkennbar.
Hormonanalyse (5. Zyklustag): Estradiol 0,07 nmol/l (Hypoöstrogen), LH: 27I U/l, FSH: 72I U/l.
Interpretation: Hypergonadotroper Hypogonadismus, Verdacht auf primäre Ovarialinsuffizienz
Prozent
das vollständige Versagen der ovariellen Funktion hervorgehoben und damit die Notwendigkeit der Diagnostik und der Behandlung betont wird. Die Bezeichnung «prämature Menopause» sollte nicht mehr verwendet werden (3), insbesondere nicht für Jugendliche; ebenso sind andere Bezeichnungen wie «ovarielle Dysgenesie», «vorzeitige Menopause» oder «Climacterium praecox» für junge Frauen obsolet.
Inzidenz der Ovarialinsuffizienz Die primäre Ovarialinsuffizienz (POI) ist altersabhängig und bei Jugendlichen sehr selten. In der ESHRE-Guidelines (2) wird die Inzidenz in der Altersgruppe der 18 bis 25-Jährigen mit 1: 10 000 angegeben, damit wäre dies ein höchst seltenes Ereignis (Abbildung 1). Diese Zahlen stammen aus einer Studie von 1986 (5). Von verschiedenen Autoren wird vermutet, dass die Inzidenz der Ovarialinsuffizienz bei Jugendlichen bisher unterschätzt wurde, bedingt durch die oft verpasste oder zu späte Diagnosestellung (geschätzte Verzögerung von mindestens 5 Jahren) und die oft mangelnde Abklärung von Zyklusstörungen in der Jugendzeit. Es wird aber auch eine reale Zunahme der POI aus noch ungeklärten Gründen diskutiert. Ein weiterer wichtiger Grund für die in der gynäkologischen Literatur so tief geschätzte Inzidenz betrifft die Mädchen mit chronischen Erkrankungen und bekannter Ovarialinsuffizienz, wie beispielsweise beim Turner-Syndrom. Nicht selten entziehen sich diese beim Übergang in die Erwachsenenmedizin den Kontrollen (lost in transition) und tauchen so in den Studien nicht mehr auf. Da die Häufigkeit
Alter bei Beginn der Menopause
Abbildung 1: Alter bei Beginn der Menopause (adaptiert nach [2]).
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Tabelle 1:
Ätiologie der primären Ovarialinsuffizienz
I Idiopathisch I Kongenital, genetisch:
– prämatures fragiles X-Syndrom, Galktosämie, Inhibin-B-Mutation, Enzymdefekt, Fanconi-Anämie
– abnormer Karyotyp (Turner-Syndrom, Mosaike, andere)
– syndromal I Endokrin:
– polyglanduläres autoimmunes Syndrom, lymphozytäre Oophoritis, Hypoparathyreoidismus, Hypoaldosteronismus, HashimotoThyreoiditis
– autoimmune Erkrankung (Antikörperovar, Nebenniere)
I Folge von Infektionen (Mumps?) I Iatrogen nach onkologischer Therapie (medika-
mentös, radiotherapeutisch oder chirurgisch)
des Turner-Syndroms bereits 1:2500 beträgt und es in zirka 90% der Fälle zu Ovarialinsuffizienz kommt, muss die Inzidenz der POI in der Jugend höher liegen als die geschätzte Inzidenz 1:10 000. Auch die iatrogen verursachte Ovarialinsuffizienz bei onkologischen oder rheumatologischen Erkrankungen, die aufgrund der Fortschritte in der pädiatrischen Onkologie in den letzten Jahrzehnten zugenommen haben, muss bei der Inzidenz berücksichtigt werden. Der Einsatz von gonadotoxischen Substanzen, eine Radiotherapie des kleinen Beckens oder eine notwendige Operation der Gonaden kann zu deren vorübergehender oder zu bleibender Schädigung und damit zur Ovarialinsuffizienz führen. Die wichtigsten Ursachen der Ovarialinsuffizienz sind in Tabelle 1 aufgeführt (6).
Abbildung 2: Ultraschallbild zum Fallbeispiel 2. Transabdominale Sonografie: kleine retrovesikale Struktur, mit infantiler Uterusanlage vereinbar.
Die Diagnostik der POI Anamnese Das Leitsymptom, das zur hormonellen Abklärung führt, ist die primäre oder sekundäre Amenorrhö oder eine neu aufgetretene Oligoamenorrhö. Wichtig ist zu wissen, dass Jugendliche mit Ovarialinsuffizienz, anders als erwachsene Frauen, keine menopausalen Symptome verspüren. Neben der ausführlichen persönlichen Anamnese soll auch die Wachstumskurve beurteilt werden und eine vertiefte Familienanamnese erfolgen.
Kasten 2: Fallbeispiel 2
Adina, 17-jährig Vorstellung mit primärer Amenorrhö
Anamnese: Bei Adina begann die Pubarche mit 12 Jahren, aber es kam nicht zur Thelarche. Vor 2 Jahren suchte die Familie ärztlichen Rat und Behandlung, zuerst mit Naturmedizin und Homöopathie, dann vor 6 Monaten erfolgte die erste gynäkologische Kontrolle. Bei der vaginalen Untersuchung, beim Rektalschall und anschliessend im MR konnte kein inneres Genitale dargestellt werden. Die Hormonanalyse zeigte einen hypergonadotropen Hypogonadismus. Es wurde eine chromosomale Diagnostik vorgenommen, diese zeigte einen unauffälligen weiblichen Karyotyp (46XX).
Klinik: schlanke Jugendliche, guter Allgemeinzustand (165 cm, 53 kg, BMI: 20). Fehlende Pubertätsentwicklung: kein Brustwachstum (Tannerstadium B1), Genitale infantil, ohne Östrogenisierung, kein Fluor, Pubesbehaarung spärlich (P2).
Transabdominalsonografie: siehe Abbildung 2.
Verlauf: Unter hormoneller Entwicklungstherapie kommt es langsam zum Brust- und Uteruswachstum; nach 18 Monaten wird Reifestadium Tanner B4 erreicht und die Menarche ausgelöst. Dank des Uteruswachstums ist nun die Voraussetzung für eine spätere Eizellspende und damit eine Schwangerschaft erreicht Über die Möglichkeit einer späteren Eizellspende wird gesprochen.
Klinische Untersuchung Bei allen Mädchen sind die Erhebung von Grösse und Gewicht sowie die klinische Untersuchung mit Bestimmung der Reifestadien der Pubertät anhand der Brust und der peripheren Östrogenisierung des äusseren Genitales wichtig. Die Ganzkörperuntersuchung erlaubt, Hinweise auf ein Turner-Syndrom (Stigmata) oder auf eine endokrinologische Pathologie zu prüfen (7). Ist das Genitale noch infantil (fehlende Östrogenisierung, fehlender Fluor, hoher pH-Wert), soll sowohl auf eine innere gynäkologische Untersuchung als auch auf eine transvaginale Sonografie verzichtet werden.
Transabdominale Sonografie Diese ist ein wichtiges Instrumentarium zur Beurteilung der Anatomie sowie der Reife des inneren Genitales. Voraussetzung ist die Kenntnis der pubertären Entwicklung und des Erscheinungsbildes des inneren Genitales. In geübten Händen ist die transabdominale Sonografie für diese Fragestellung einer MRI-Untersuchung oft überlegen, wie Fallbeispiel 2 zeigt (Kasten 2).
Labordiagnostik Zentral für die Diagnosestellung der POI (bzw. POF) ist die Labordiagnostik, insbesondere die Gonadotropine sowie der Estriol-Wert. Die Bestimmung des AntiMüller-Hormons (AMH) kann zusätzlich zur Diagnostik beigezogen werden. Gemäss Definition besteht eine ovarielle Insuffizienz bei Nachweis eines auf menopausale Werte erhöhten FSH-Levels (wichtig: zweimalige Bestimmung im Abstand von 1 Monat) sowie eines tiefen Estradiol-Levels (unter 50 pg/ml) (entsprechend einem Hypoöstrogenismus). Ein tiefer AMH-Wert (meist unter der Nachweisgrenze) bestätigt die Diagnose und ist hilfreich für die weitere gezielte Beratung. Inhibin B ist für diese Indikation ungenügend evaluiert. Bei allen jungen Frauen mit der Laborkonstellation eines hypergonadotropen Hypogonadismus soll nach entsprechender Beratung die Chromosomenanalyse erfolgen, und bei unauffälligem Resultat sollen die weiteren Abklärungen (wie in Tabelle 2 aufgeführt) eingeleitet werden.
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Tabelle 2:
Labordiagnostik
I Basishormonanalyse: LH, FSH, Östradiol, TSH. I Goldstandard-Diagnostik: FSH > 25 IU/l, zwei-
malig gemessen im Abstand von 4 Wochen. (Je nach Literatur wird auch eine Erhöhung auf 40 IU/l gefordert; [2]). I AMH (Anti-Müller Hormon): bisher nicht für die Diagnosestellung der POI geklärt (2). Bei Jugendlichen ist ein leicht erniedrigter Wert nicht diagnostisch zu verwenden. Bei deutlich erhöhtem FSH-Wert hilft die zusätzliche AMHBestimmung jedoch für eine gezielte Beratung bezüglich Kinderwunsch. I Karyotyp (nach genetischer Beratung und Einverständnis) bei allen jungen Patientinnen mit POI zum Ausschluss eines Turner-Syndroms oder Turner-Mosaiks. I Endokrinologische Abklärung: Schilddrüse, Antikörpernachweis gegen Nebenniere und Ovar, polyendokrines Syndrom. I Genetische Abklärung: FMR1-Premutiation (genetische Beratung, Vorliegen Kostengutsprache der Krankenkasse), weitere Abklärungen gemäss Anamnese und Klinik.
Tabelle 3:
Hormontherapie bei prämaturem Ovarialversagen (primary ovarian failure, POF): Überblick
1. Vor Abschluss der Pubertätsentwicklung oder bei länger dauernder sekundärer Amenorrhö: reine Östrogensubstitution, einschleichend, mit tiefer Dosierung. Schrittweise Erhöhung der Östrogendosierung, ab Tanner-Stadium B4 und Aufbau des Endometriums, spätestens nach 2 Jahren: zyklische Gestagengabe.
2. Zyklisches Gestagen für 12 Tage pro Monat zur Endometriumprotektion.
3. Östradiolgabe: Vorzugsweise transdermale Applikation, in zweiter Linie orale Gabe (intravaginal kaum bei Jugendlichen).
4. Kombinierte orale Kontrazeption (Pille): Bei fluktuierender ovarieller Reserve und Kontrazeptionsbedarf. Erst ab abgeschlossener Pubertätsentwicklung.
5. Alternative Möglichkeit bei reifem Uterus: intrauterine Kontrazeption und transdermale E2-Substitution.
märem Ovarialversagen unterscheidet sich grundsätzlich von der Betreuung von erwachsenen Frauen mit früher Menopause. Es besteht ein hoher Beratungsbedarf, die ausführliche Information über die Erkrankung hat grosse Bedeutung, um die Patientin für die Langzeittherapie zu motivieren. Die Begleitung ist für viele Jahre – ja Jahrzehnte – notwendig und hat entscheidende Auswirkungen auf die körperliche und die psychische Gesundheit. Die korrekte Therapie der Jugendlichen ist abhängig von ihrem Entwicklungsstand. Deshalb nennt man diese Hormontherapie eine «Entwicklungstherapie». Bei frühem Eintritt der POI, vor Abschluss der Pubertät, ist die Zusammenarbeit mit Fachärzten der pädiatrischen Endokrinologie zu empfehlen. Dosissteigerung und Übergang zur zyklischen Gestagen-Gabe werden anhand von Uterusentwicklung und Endometriumsaufbau kontrolliert (Abbildung 3). Die Grundsätze der Hormontherapie sind in Tabelle 3 zusammengefasst.
Die Bedeutung der POI in der Jugend Tritt die Ovarialinsuffizienz früh ein, kommt es zum Stillstand der Pubertätsentwicklung und ohne Therapie zu langfristigen negativen Auswirkungen auf verschiedene Körpersysteme, die hier ausgeführt werden.
Knochenstoffwechsel Bei jungen Frauen mit POI ist die Knochendichte signifikant erniedrigt (8) und das Osteoporoserisiko drei- bis vierfach erhöht (9). Je früher die Ovarialinsuffizienz eintritt, desto grösser ist das Risiko für eine folgende Osteopenie respektive Osteoporose. Infolge der diagnostischen
Verzögerung liegt nicht selten bereits bei Diagnosestellung eine Osteopenie vor. Diese ist unabhängig von der Ätiologie der Ovarialinsuffizienz. Bis heute existieren noch keine einheitlichen Empfehlungen bezüglich einer DEXA-Messung bei Jugendlichen mit idiopathischer POI. Hingegen wird beim Turner-Syndrom eine DEXA-Messung alle 5 Jahre empfohlen (ESHRE-Guidelines), was auf andere junge Frauen mit POI übernommen werden kann. Die physiologische Hormonersatztherapie mit transdermalem Östradiol (E2) und zyklischem Gestagen senkt die Frakturrate und ist der Gabe von hormonellen Kontrazeptiva für die Knochendichte überlegen (10). Physiologische Hormonersatztherapie hält und verbessert die Knochendichte signifikant im Unterschied zu kombinierten oralen Kontrazeptiva. Zur Osteoporoseprävention wird die Substitution mit Vitamin D3 und Kalzium und genügend körperliches Training empfohlen. Hingegen sollten in der Jugendzeit keine Bisphosphonate verabreicht werden.
Herz-Kreislauf Frauen mit POI zeigen eine erhöhte Mortalität bei kardiovaskulären Erkrankungen. Eine Anpassung des Lifestyles, der Verzicht auf Nikotin, eine Gewichtsreduktion bei Übergewicht und die regelmässige Kontrolle von Blutdruck und Lipidstoffwechsel werden empfohlen. Die physiologische Hormonersatztherapie mit Östradiol und zyklischem Gestagen wirkt sich günstiger auf die kardiovaskuläre Gesundheit aus als kombinierte hormonelle Kontrazeptiva. Beim Turner-Syndrom bestehen häufig zusätzliche kardiovaskuläre Risiken wie ein
Fallbeispiel 2: Verlauf
Therapeutische Optionen Die POI ist nicht heilbar, es gibt keine ursächliche Therapie. Wegen der weitreichenden Konsequenzen und der assoziierten Morbidität sind aber die frühe Diagnose und die korrekte Hormontherapie entscheidend (8). Die ärztliche Behandlung von Jugendlichen mit pri-
Abbildung 3: Sonografie nach 6 sowie nach 18 Monaten: Uteruswachstum unter Hormonsubstitution. (Patientin in Fallbeispiel 2)
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Aortenaneurisma, arterielle Hypertonie oder eine Aortenstenose, welche entsprechende Kontrollen und allenfalls Therapien verlangen.
Endokrine Pathologie Die vorzeitige Ovarialinsuffizienz ist mit verschiedenen endokrinen Störungen assoziiert. Am häufigsten liegt eine Schilddrüsenfunktionsstörung vor (in ca. 20%), meist eine Hashimoto-Thyreoiditis. Junge Frauen mit POF sollten alle 2 Jahre diesbezüglich kontrolliert werden. Bei Vorliegen von adrenalen Antikörpern sollte die Nebennierenunterfunktion kontrolliert werden, da in bis zu 50% der Fälle eine Unterfunktion der Nebennierenrinde eintritt. Eine Assoziation der Ovarialinsuffizienz besteht auch mit Diabetes mellitus, perniziöser Anämie, Myasthenia gravis, rheumatoider Arthritis, dem Dry-eye-Syndrom sowie dem systemischen Lupus erythematodes. Diese
Merkpunkte
I Zyklusstörung ist der wichtigste Hinweis für ein POF.
I Sekundäre Amenorrhö oder auch sekundäre auftretende Oligomenorrhö sollten abgeklärt werden.
I Keine Zyklusregulation ohne Diagnostik! I Keine Pille zur Therapie der POI, COC ist
keine genügende Hormonsubstitution. I Knochenstoffwechsel auch bei Jugendlichen
und jungen Erwachsenen abklären und behandeln.
Abklärungen sollten bei entsprechender Klinik erfolgen.
Infertilität Die Infertilität ist für viele junge Frauen mit POI das wichtigste Thema. Die in der Literatur beschriebene spontane Schwangerschaftsrate von 5 bis 10% bezieht sich auf die später, im Erwachsenenalter aufgetretene POI mit sekundärer Amenorrhö und intermittierend noch vorhandener Ovaraktivität. Bei Jugendlichen mit frühem kompletten Ovarversagen, vor allem bei fehlender spontaner Pubertätsentwicklung und primärer Amenorrhö, muss leider zum heutigen Zeitpunkt von einer definitiven Infertilität ausgegangen werden. Als therapeutische Optionen bestehen deshalb derzeit nur die Möglichkeit der Eizellspende für IVF/ICSI oder der Embryonenspende (beides bisher nur im Ausland möglich) oder dann die Adoption. Nur bei einer sehr frühen Diagnose und noch vorhandener Follikelaktivität (z.B bei einer Patientin mit Turner-Mosaik und spontaner vollständiger Pubertätsentwicklung) kann eine Kryokonservierung (Ovargewebe oder reife Oozyten) diskutiert werden.
Emotionale und kognitive Gesundheit bei POI In verschiedenen Studien wurde ein erhöhtes Risiko für Depression und Ängstlichkeit gezeigt, wobei auch gezeigt wurde, dass die Östradiol-Substitution die emotionale Gesundheit verbessert.
Geforscht wird über den neuroprotektiven Effekt des Östradiols. Die Wirkung einer Androgen- und DHEA-Substitution ist noch nicht geklärt. Psychologische Unterstützung und Beratung ist für Frauen mit primärer Ovarialinsuffizienz wichtig, wie aus verschiedenen Studien hervorgeht. Leider wird dies zu selten angeboten. Auch ein Austausch unter Betroffenen wäre sicher eine Hilfe – jedoch gibt es bisher noch keine Selbsthilfegruppe.
Dr. med. Ruth Draths FMH Gynäkologie und Geburtshilfe Co-Präsidentin GYNEA Frauenpraxis Buchenhof 6210 Sursee E-Mail: ruth.draths@frauenpraxis-buchenhof.ch
Quellen: 1. Committee Opinion Nr 605, ACOG: Primary Ovarian Insufficiency in Adolescents and young Women. Obstet Gynecol 2014; 124; 193–197. 2. ESHRE Guideline: management of women with premature ovarian insufficiency. European Society for Human Reproduction and Embryology (ESHRE) Guideline Group on POI. Hum Reprod 2016; 31(5): 926–937. 3. Welt CK: Primary ovarian insufficiency: a more accurate term for premature ovarian failure. Clin Endocrinol 2008; 68(4): 499–509. 4. Cox L, Liu J: Primary ovarian insufficiency an update. Int J Womens Health 2014; 20(6): 235–243. 5. Coulam CB et al.: Incidence of premature ovarian failure. Obstet Gynecol 1986; 67: 604–606. 6. Kanj RV et al.: Evaluation and Management of Primary Ovarian Insufficiency in Adolescents and Young Adults. J Pediatr Adolesc Gynecol 2018; 31: 13–18. 7. Brauner R et al.: Etiology of primary ovarian insufficiency in a series young girls presenting at a pediatric endocrinology center. Eur J Pediatr 2015; 174(6): 767–773. 8. Sullivan SD et al.: Hormone replacement therapy in young women with primary ovarian insufficiency and early menopause. Fertil Steril 2016; 106: 1588–1599. 9. Popat VB et al.: Bone mineral density in estrogen-deficient young women. J Clin Endocrinol Metab 2009; 94(7): 2277–2283. 10. Cartwright B et al.: Hormone Replacement Therapy Versus the Combined Oral Contraceptive Pill in Premature Ovarian Failure: A Randomized Controlled Trial of the Effects on Bone Mineral Density. J Clin Endocrinol Metab 2016; 101: 3497–3505.
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