Transkript
JOURNAL CLUB
Klinische Praxis, adjuvant und palliativ
HER2 und Brustkrebs – eine Erfolgsstory in der Therapie
In den letzten 30 Jahren ist das Risiko, an einem Mammakarzinom zu sterben, um rund 30% gesunken – dank einer Kombination aus Mammografiescreening, früher Therapie und zugleich wirksamerer Therapiemöglichkeiten, die zudem nebenwirkungsärmer sind als Chemotherapien. Verminderte Mortalitätsraten sind insbesondere auf die adjuvante Therapie zurückzuführen – dazu gehören die HER2-Hemmer. Diese Antikörper haben eine neue Ära in der klinischen Praxis eingeleitet.
In diesem Jahr (2019) wurden drei Forscher – Axel Ullrich, Dennis Slamon und Michael Shepard – welche durch klinische Studien mit HER2-Therapien bei Brustkrebs massgeblich zu diesen Fortschritten beigetragen haben – mit dem «Lasker-DeBakey Clinical Medical Research Award» ausgezeichnet.
Die Entwicklung in den 1980er-Jahren
In den 1980er-Jahren waren gerade mal zwei Klassen von Systemtherapien bei Brustkrebs verfügbar: Chemotherapie sowie für Patientinnen mit ausgeprägt östrogenrezeptorpositivem Tumor eine Antiöstrogentherapie. Ab dieser Zeit wurden neue, molekularbiologische Technologien entwickelt, die das biologische Verständnis hormonaler Wachstumsfaktoren erweiterten und Hoffnung auf neue
therapeutische Nutzung schürten. In den Folgejahren kam es zur Identifikation des epidermalen Wachstumsfaktors (EGF) und seines Rezeptors (EGFR), welche (wie wir heute wissen) aus einer Familie stammen, denen drei weitere Rezeptoren angehören, nämlich die humanen epidermalen Rezeptoren (HER). HER1, HER3 und HER4 binden an mindestens elf bekannte Peptidliganden und lösen über Dimerisierung Tyrosinkinase-Signalkaskaden aus, welche dann die folgende Zellproliferation, -migration, -invasion und das Zellüberleben stimulieren – die für Krebserkrankungen bekannte Kaskade. HER2 hat keinen bekannten Liganden, ist aber ein bevorzugter Dimerisierungspartner der anderen drei Rezeptoren. Das Gen kodiert HER2 (ERBB2, vormals als «neu» bezeichnet) und ist bei etwa 20% der neu diagnostizierten Brustkrebs-
Anti-HER2-Therapien
fälle vorhanden. Diese Beobachtung hat die pharmakologische Entwicklung der HER2-Hemmer initiiert. Bald nach Entdeckung der HER2(ERBB2-)Überexprimierung in manchen Karzinomen zeigten präklinische Studien, dass Tumoren mit dieser Aberration aggressiver sind als Kontrollen. Betroffene Patientinnen haben eine verschlechterte Prognose, so die Erkenntnis der Drs. Ullrich und Slamon sowie ihren Forscherkollegen. In dieser Zeit entwickelte die Firma Genentech aus Mauszellen ein Set von monoklonalen Antikörpern gegen dieses Protein. Nach komplexen Prozessen gelang es, «humanisierte» murine monoklonale Antikörper zu entwickeln, welche sicher und wiederholbar den Patientinnen mit HER2-positivem Mammakarzinom verabreichbar sind.
«This is a drug!» – die Weiterentwicklung zu Trastuzumab Es war im Jahr 1994, als Dr. Slamon «phänomenale» Ansprechraten in einer Phase-I-Studie fand und postulierte «That’s a drug!» Das daraufhin als Trastuzumab bezeichnete Medikament wurde bald in einer Phase-II-Studie in Kombination mit Chemotherapie geprüft. Die erste so behandelte Patientin mit metastasiertem HER2-positivem Brustkrebs in Knochen, Leber und Lunge hatte ein sehr hohes Ansprechen mit kompletter Auflösung der Lungen- und Lebermetastasen und gewann eine dramatische Verbesserung ihrer Lebensqualität, so Dr. Slamons Bericht.
TyrosinkinaseInhibitoren (TKI)
Lapatinib Neratini Pazo anib
emmung er - gna as a e oder induzierte Immunantwort
Internalisation, cleavage n Emtasine und Zytotoxizitä
Hemmung er TK-Signalkaskad
ZYTOPLASMA
NUKLEUS
Ziele: Keine Zellproliferation, Migration oder Überleben Transkription
Abbildung 1: Das «Human Epidermal Receptor»-(HER-)System: Möglichkeiten zielgerichteter Therapien (adaptiert nach Quelle [1])
HER2- und Tyrosinkinase-Hemmer in der Weiterentwicklung
Seitdem wiesen viele klinische Studien nach, dass Trastuzumab das Gesamtüberleben bei Frauen mit HER2-positivem metastasiertem Brustkrebs verlängern und – noch wichtiger! – auch bei frühem Einsatz im adjuvanten Setting die Frauen wesentlich länger leben lässt oder auch heilt. Mehrere anti-HER2-Therapeutika sind seitdem entwickelt worden: Dazu gehören I der monoklonale Antikörper Pertuzu-
mab (Perjeta®) und
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I die HER2-Tyrosinkinasehemmer Lapatinib (Tyverb®), Neratinib (Nerlynx®; EMA) und Pazopanib (Votrient®) – sowie
I das Antikörperkonjugat TrastuzumabEmtansin (T-DM1; Kadcyla®).
Dem «onkologischen Dogma» zum Trotz, dass metastasierter Brustkrebs nicht geheilt werden kann, zeigte sich in vielen Studien wie auch in der klinischen Alltagspraxis, dass lange krankheitsfreie Phasen und lange Phasen in guter Lebensqualität mit der Therapie erreicht werden können.
Innovative Kombinationen in Erprobung ...
Hinzu kommt, dass heute neue Kombinationen mit HER2-Antikörpern geprüft werden, darunter mit ImmuncheckpointInhibitoren – und auch bei anderen Tumorentitäten. Insbesondere beim HER2positiven Magenkarzinom konnten mit Trastuzumab in Kombination mit Chemotherapie beachtliche Therapieerfolge erreicht werden. Auch entstanden bei den Darreichungsformen neue Optionen: Neben der intravenösen Applikation hat sich die subkutane Injektion von Trastuzumab als effektiv und patientenfreundlicher (durch weniger invasive, schnellere Verabreichung) erwiesen.
... und die Entwicklung als Biosimilar
Last but not least sind als jüngste Entwick-
lung mit Trastuzumab-Biosimilars weitere
Erfolge gelungen – dies vor dem Hinter-
grund des Kostendrucks der Krebs-
therapien im Gesundheitswesen. In der
Schweiz ist seit Herbst 2019 Trazimera®
zugelassen.*
I
Bärbel Hirrle
Quelle: Hayes D: HER2 and Breast Cancer – A Phenomenal Success Story. N Egl. J Med. 2019, 381: 1284–1286.
* www.compendium.ch
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