Transkript
SGGG-EXPERTENBRIEF (EB) NR. 59
In der GYNÄKOLOGIE werden – nach Auswahl der Herausgeber – an dieser Stelle aktuelle Expertenbriefe publiziert (verifizierte Printform).
Expertenbrief Nr. 59
(siehe auch: http://sggg.ch/de/members_news/1005)
Kommission Qualitätssicherung Präsident Prof. Dr. med. Daniel Surbek
Fertilitätserhalt bei Frauen und Männern im postpubertären Alter
Chemo- und Radiotherapien bei Krebspatientinnen und -patienten gehen oft mit einer reduzierten Fertilität einher. Da die Überlebensraten bei malignen Tumoren gestiegen sind, ist die Fertilität für viele Betroffene im reproduktiven Alter zu einer wichtigen Frage der Lebensqualität geworden. Auswirkungen der Therapie bei Krebs wie auch bei schweren Fertilitäts-beeinflussenden Erkrankungen und mögliche Massnahmen zum Erhalt der Fertilität sollten mit einem Facharzt/einer Fachärztin für Reproduktionsmedizin vor Therapiebeginn besprochen werden.
Evidenzlevel
I. Streuli, M. von Wolff, R. Stiller, N. Vulliemoz, D. Wunder, J. Benard, L. Perey, A. Ahler, A. Santi,
M. Xie (FertiSave Netzwerk)
mässigem oder unregelmässigem Zyklus) bis zu vorzeitiger Ovarialinsuffizienz und stark ausgeprägter Infertilität. Die Folgen der zytotoxischen Behandlungen hängen vom Chemotherapeutikum, der Dosis, dem Alter der Patientin und
III
ihrer ovariellen Reserve zu Beginn der Behandlung ab.
Krebspatientinnen und -patienten im reproduktiven Alter sollten Alkylierende Wirkstoffe wie Cyclophosphamid haben sehr schä-
frühzeitig über das Risiko der Infertilität als Folge ihrer onkologi- digende Auswirkungen und sind für die höchsten Raten an
schen Behandlung aufgeklärt werden; dabei sollten mögliche Ovarialinsuffizienz verantwortlich. Platinbasierte Wirkstoffe sind
fertilitätserhaltende Massnahmen vor Beginn der Behandlung mit einem mittelgradigen Risiko für Amenorrhö assoziiert,
besprochen werden. Bei Interesse der Patientin (des Patienten) Anthrazycline lösen oxidativen Stress aus und sind mit mittel-
ist es sinnvoll, dazu an einen Facharzt/eine Fachärztin für Repro- gradigem bis geringem Risiko für Amenorrhö verbunden. Oft
duktionsmedizin zu überweisen.
wird eine Kombination verschiedener Chemotherapeutika ein-
Jüngere Frauen mit den Diagnosen Brustkrebs, Lymphom, Leuk- gesetzt, womit die Wirksamkeit, aber auch die Toxizität erhöht ämie oder einer gynäkologischen Malignität sind Hauptkandi- ist.
datinnen für fertilitätserhaltende Massnahmen. Gehäuft sind Bei Männern kann die Chemotherapie zu einer reduzierten diese ebenfalls bei Frauen mit schweren Erkrankungen, bei- Spermienzahl oder einer Azoospermie führen. Viele Alkylanzien
spielsweise systemische Autoimmunerkrankungen, schwerwie- sowie Cisplatin führen in der DNA zu Intra- und Interstrang- III
gende Hämoglobinopathie und vorzeitige Ovarialinsuffizienz, Quervernetzungen und verursachen eine langfristige oder dau-
indiziert. Die sorgfältige Aufklärung sollte nicht unter Zeitdruck erhafte Azoospermie.
erfolgen.
Auswirkungen der Krebstherapie auf die Fertilität
Radiotherapie Gonaden reagieren sehr empfindlich auf Radiotherapien: Eine
Hodenbestrahlung von > 2,5 Gy bei erwachsenen Männern ist
Krebsbehandlungen bei jungen Erwachsenen erfordern meist mit einem hohen Risiko für Azoospermie verbunden; bei
eine Chemo- und/oder Radiotherapie, die sich nachteilig auf erwachsenen Frauen führen Bestrahlungen im Abdominal- oder
die endokrine und reproduktive Funktion der Gonaden auswir- Beckenbereich zu einem hohen Amenorrhörisiko.
ken. Die geschätzte Dosis mit nachfolgender Sterilität ist altersab-
Chemotherapie Bei Frauen führt die Chemotherapie zu dauerhaften, nicht
behebbaren DNA-Brüchen, die eine Apoptose der Oozyten im
hängig: Im Alter von 20 Jahren sind dies 16,5 Gy, im Alter von 30 Jahren 14,3 Gy und mit 40 Jahren 6,0 Gy. Kleinere Dosen sind bei beiden Geschlechtern mit intermediärem Risiko verbunden. Eine Ganzkörperbestrahlung (TBI) bei Knochenmark- oder
wachsenden Follikel auslösen. Ausserdem führt die Abnahme Stammzellentransplantationen birgt ein hohes Risiko für
von tumorhemmenden Faktoren zu einer steigenden Anzahl Azoospermie respektive Amenorrhö.
wachsender Follikel, die anschliessend in die Apoptose überge-
hen. Dieser «Burn-out-Effekt» führt zu einem beschleunigten Zielgerichtete biologische Therapien III Eizellenverlust. Die klinischen Manifestationen des Follikelver- Zielgerichtete biologische Therapien (meist humanisierte
lusts reichen von Reduktion der ovariellen Reserve (bei regel- Antikörper) sind konzeptiert, um mit spezifischen Molekülen,
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die auf der Zelloberfläche des Tumors exprimiert sind, zu inter- das Einfrieren von Ovarialstreifen oder der Hälfte eines Eier-
ferieren (Beispiele: Trastuzumab mit HER2 bei Brustkrebs; stocks, wodurch eine Konservierung von Oozyten in Primordial-
Rituximab mit dem Oberflächenantigen CD20 bei Lymphom- follikeln möglich ist. Bei sehr hohem Risiko einer vorzeitigen
zellen). Daten zum Fertilitätsrisiko mit diesen Wirkstoffen liegen Ovarialinsuffizienz wird sogar ein ganzer Eierstock entnommen.
in begrenztem Umfang vor; es wird insgesamt als gering einge- Dieses Gewebe wird später (im Fall vorzeitiger Ovarialinsuffienz)
schätzt, da diese Substanzen nur spezielle Zellen angreifen.
zur Wiederherstellung der Fertilität re-implantiert. Diese
Bei dem monoklonalen Antikörper Bevacizumab, einem antian- Massnahme wird bevorzugt, wenn die Zeit für die Durchführung
giogenen Wirkstoff, ist aber besondere Vorsicht geboten, da er einer Ovarialstimulation nicht ausreicht oder wenn eine
das Follikelwachstum beeinträchtigen kann. Bei Gabe des selek- Ovarialstimulation überhaupt nicht durchgeführt werden kann.
tiven Östrogenrezeptor-Modulators Tamoxifen, der als adjuvan- Die Kryokonservierung von Ovarialgewebe ist die einzige
Ia te Therapie bei Brustkrebs für die Dauer von 5 bis 10 Jahren ver- Möglichkeit des Fertilitäterhalts bei präpubertären Mädchen.
abreicht wird, ist zu beachten, dass eine solche lange Bis jetzt wurde allerdings erst von einer einzigen Schwanger-
Behandlungszeit bei jüngeren Frauen in der Familienbildungs- schaft nach Re-Implantation von konserviertem Ovarialgewebe, Ia
Ia phase vermutlich eine Verringerung der Fertilität zur Folge hat. das vor der Pubertät entnommen wurde, berichtet.
Methoden zum Fertilitätserhalt bei Frauen unter Krebstherapie
Ein Problem bei der Gewebeimplantation ist das Wiedereinführen von malignen Zellen zum Zeitpunkt der Transplantation. Folgende Risikokategorien wurde erstellt:
Ovarielle Stimulation mit Kryokonservierung von Oozyten
respektive Embryonen Diese Methode wird empfohlen, wenn:
I Risikokategorie «gering»: Brustkrebs im Stadium I und II, Plattenepithelkarzinome, Hodgkin-Lymphom, osteogene Karzinome und Wilms-Tumor
1. die ovarielle Reserve ausreichend ist, um eine genügende I Risikokategorie «mittelgradig»: Brustkrebs im Stadium IV Ia
Anzahl von Oozyten entnehmen zu können
und invasives lobuläres Mammakarzinom, Kolorektalekarzi-
2. der Gesundheitszustand der Patientin eine gefahrlose
nom, Gebärmutterhalskrebs, Non-Hodgkin-Lymphom, Ewing-
Stimulation und Oozytenentnahme erlaubt
Sarkom
Ia 3. genügend Zeit für die Stimulation zur Verfügung steht (2 I Risikokategorie «hoch»: Leukämie, Neuroblastom, Burkitt-
Wochen).
Lymphom, Ovarialkarzinom.
Die Stimulationsprotokolle sollten an die spezielle onkologi- Die Kryokonservierung von Ovarialgewebe in der Hochrisiko-
sche Situation angepasst werden, damit das Risiko eines ova- gruppe wird als experimentell eingestuft. Patientinnen sollten
riellen Hyperstimulationssyndroms (Verwendung des Ant- entsprechend informiert werden, dass das Gewebe möglicher-
agonistenprotokolls, Auslösen mit GnRH-Agonisten) die weise nicht transplantiert werden kann. Als einzige Alternative
Belastung durch hohe Östrogenspiegel bei hormonabhängi- wird die In-vitro-Maturation von Follikeln aus dem Ovarialkortex
gen Malignomen und die Behandlungszeit minimiert werden. gesehen (ein Verfahren, das derzeit noch nicht realisierbar ist).
Die Kryokonservierung von Oozyten ist die bevorzugte
Methode bei Frauen, die keinen Partner haben oder bei jenen, Gonadotropin-Releasing-Hormon-(GnRH)-Agonisten die Gameten konservieren wollen, um diese mit dem Partner Die Rolle von GnRH-Agonisten beim Schutz der Ovarialfunktion
ihrer Wahl nach der Genesung zu verwenden. Reife Oozyten während der Chemotherapie ist nach wie vor umstritten.
werden nach der Ovarialstimulation entnommen und unver- Aktuelle Daten bei Brustkrebs- und Lymphompatienten haben
züglich mittels einer Technik («Vitrifikation») kryokonserviert. jedoch neue Hinweise zur Wirkung von GnRH-Agonisten auf
Dieses Verfahren verhindert – im Gegensatz zum langsamen die Ovarialfunktion erbracht.
Einfrieren – die Bildung von Eiskristallen und somit deren schä- In einer randomisierten Studie mit 257 prämenopausalen
digende Wirkung auf die Eizelle. Einzelne Studien, in denen die Frauen mit hormonrezeptornegativem Brustkrebs hat die
Verwendung von frischen mit denen von vitrifizierten Oozyten Anwendung von GnRH-Agonisten während der Chemothera-
verglichen wurde, haben ähnliche Schwangerschaftsraten pie das Risiko von Ovarialinsuffizienz in der GnRH-Agonisten-
gezeigt, auch wenn die Studiendaten noch begrenzt sind. Die Gruppe signifikant reduziert gegenüber der Gruppe, die alleine
Vitrifikation gilt mittlerweile als etabliertes Verfahren in der Chemotherapie erhielt. Dabei entstanden in der GnRH-
Reproduktionsmedizin.
Agonisten-Gruppe mehr Schwangerschaften bei gleichzeitig
Die Kryokonservierung von Embryonen – entweder im Stadium besserem krankheitsfreiem Überleben. In einer weiteren rando-
der Zygote oder der Blastozyste, wie sie routinemässig für die misierten Studie mit 281 prämenopausalen Frauen mit rezeptor-
IVF durchgeführt wird – ist derzeit das bewährte Verfahren zum positivem oder -negativem Brustkrebs war die Anwendung von
Fertilitätserhalt. Gemäss Schweizer Gesetz werden Embryonen, GnRH-Agonisten während der Chemotherapie mit einer signifi-
die nach IVF erzeugt werden, als gemeinsames Eigentum bei- kant höheren Wahrscheinlichkeit einer langfristigen Wiederher-
der Partner betrachtet.
stellung der Ovarialfunktion verbunden verglichen mit der
Gruppe, die Chemotherapie allein erhielt – hier zeigte sich aber
Kryokonservierung und Transplantation von Ovarialgewebe
kein Unterschied hinsichtlich der Schwangerschaftsrate. Die Wirkung der Anwendung von GnRH-Agonisten auf die
Zur Kryokonservierung von Ovarialgewebe gehört die chirurgi- Ovarialfunktion und Fertilität bei Lymphompatientinnen wurde
sche Entnahme (mittels Laparoskopie, selten Laparotomie) und in einer prospektiven randomisierten Studie nach 2, 3, 4 und 5
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bis 7 Jahren Follow-up untersucht. Diese Langzeitstudie konnte nicht nachweisen, dass GnRH-Agonisten eine vorzeitige Ovarialinsuffizienz verhindern und die Schwangerschaftsrate verbessern konnten, selbst wenn ein Nutzen der Anwendung von GnRH-Agonisten in Bezug auf die Ovarialreserve nach einem Jahr Follow-up nachgewiesen werden konnte. Eine weitere mögliche Funktion von GnRH-Agonisten während der Chemotherapie bei Frauen mit hämatologischen Malignomen besteht darin, schwere/unregelmässige Menstruationsblutungen zu verhindern. Die Indikation für GnRH-Agonisten während der Chemotherapie zum Schutz der Ovarialfunktion hängt von der Tumorentität ab unter Berücksichtigung der verfügbaren Daten. Diese Behandlung sollte nicht nur als Möglichkeit zur Erhaltung der Fertilität angesehen werden.
Methoden zum Fertilitätserhalt bei Männern unter Krebstherapie
Kryokonservierung von Sperma Die Entnahme und Kryokonservierung von Sperma ist die am leichtesten zugängliche, kostengünstigste und sicherste Methode zum Erhalt der Fertilität bei postpubertären und erwachsenen Patienten, die einer gonadotoxischen Behandlung ausgesetzt sind. Schnelles Einfrieren von Sperma unter Verwendung verschiedener Substanzen wird seit Jahrzehnten ohne offensichtlich negative Auswirkungen auf die Nachkommenschaft durchgeführt. Daher sollte die Kryokonservierung von Sperma allen postpubertären und erwachsenen Patienten angeboten werden, bevor eine gonadotoxische Behandlung eingeleitet wird. Bei malignen Erkrankungen sollte die Spermiengewinnung so schnell wie möglich nach der Diagnose vorgenommen werden. Zudem kann bei Azoospermie eine Hodenbiopsie durchgeführt werden, um Hodenspermatozoen zu entnehmen. Vor der Kryokonservierung sollten die Patienten darüber informiert werden, dass die Verwendung der kryokonservierten Spermien eine Form der assistierten Reproduktionstechnologie (In-vitro-Fertilisation, intrauterine Insemination) erfordert, um eine Schwangerschaft herbeizuführen. Selbst bei einer sehr begrenzten Anzahl von Spermien kann die Befruchtung durch den Einsatz von Methoden wie der intrazytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI) ermöglicht werden. In wenigen Tagen nach Therapiebeginn verschlechtert eine Chemotherapie die Spermienqualität, und nach einigen Monaten führt die Involution des Hodens nach und nach zu einer Azoospermie. Darüber hinaus induziert die Chemotherapie schnell Apoptose in den Hodenkanälchen, welche DNABrüche und chromosomale Aneuploidie bei den restlichen Gameten verursacht. Daher eignet sich die Spermiengewinnung nach Beginn der Chemotherapie nicht zum Erhalt der Fertilität. Die Erholung von einer Oligo- oder Azoospermie verläuft unterschiedlich und hängt vom Ausmass der Abtötung von Stammzellen und der Beeinträchtigung der somatischen Umgebung ab, die normalerweise die Differenzierung von Stammzellen unterstützt. Wichtig ist, den Patienten zu informieren, dass die Wiederherstellung der Spermienproduktion mehrere Jahre nach Beendigung der gonadotoxischen Therapie andauern kann.
Obwohl DNA-Schäden in Spermien nachweislich etwa 2 Jahre nach der Krebsbehandlung fortbestehen, scheint diese Auswirkung im Allgemeinen vorübergehend und ohne dauerhafte Schädigung der spermatogonialen Stammzellen zu sein. Bezüglich Antikonzeption besteht unter Experten zwar keine Einigkeit hinsichtlich ihrer optimalen Dauer nach Beendigung der Chemotherapie, generell wird aber eine Dauer von mindestens 6 Monaten empfohlen.
Sonstige Verfahren Andere Verfahren als Kryokonservierung und Transplantation von Hodengewebe sind experimentell und sollten nur im Rahmen von Studien durchgeführt werden. Hormonelle Gonadenprotektion ist bei Männern nicht wirksam und daher nicht empfehlenswert.
Indikationen zum Erhalt der Fertilität
Der Erhalt der Fertilität kann für die folgenden Indikationen in Betracht gezogen werden: I Bei malignen und nicht malignen Erkrankungen, wenn eine
Therapie oder die Erkrankung selbst (ausser Krebs z.B. auch Autoimmunerkrankung) Infertilität verursachen kann. Dabei wird die ovarielle Reserve reduziert respektive die Zeit bis zum Schwangerschaftseintritt verzögert. I Als individuelle Entscheidung bei Frauen, welche die Mutterschaft bis in ihr spätes Reproduktionsalter verschieben und eine altersbedingte Infertilität vermeiden möchten.
Voraussetzungen und Einschränkungen I Die obere Altersgrenze für den Erhalt der Fertilität hängt von
dem verwendeten Verfahren und der ovariellen Reserve ab. Aufgrund schlechter Ergebnisse wird ein Fertilitätserhalt bei Frauen über 40 Jahren nicht empfohlen. Eine obere Altersgrenze bei Männern kann medizinisch nicht festgelegt werden. I Zum Erhalt der Fertilität bei malignen und nicht malignen medizinischen Indikationen: – Patientinnen sollten eine angemessene Heilungschance
haben und die Möglichkeit, eine Schwangerschaft auszutragen. – Die onkologische Behandlung und der damit verbundene Gesundheitszustand müssen mit einer späteren Schwangerschaft vereinbar sein. Bei einer Bestrahlung der Gebärmutter mit > 25 Gy im Kindesalter und mit > 45 Gy im Erwachsenenalter ist die Erhaltung der Fertilität nicht ratsam. – Für Patientinnen und Patienten sollte aufgrund der erwarteten Therapie ein erhebliches Infertilitätsrisiko bestehen. Allerdings ist es oftmals schwierig, genau zu bestimmen, für welche Patientinnen und Patienten eine Beratung zum Fertilitätserhalt infrage kommt. – Die Gesundheitsrisiken durch fertilitätserhaltende Verfahren müssen sehr gering sein, und das Aufschieben der onkologischen Behandlung sollte deren Wirksamkeit nicht beeinträchtigen.
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Beratung im Rahmen des Fertilitäterhalts
Folgende Aspekte sollten mit einem Facharzt/einer Fachärztin für Reproduktionsmedizin diskutiert werden: I Die Auswirkungen der Behandlung auf die Fertilität sind
manchmal schwer zu beurteilen, da sie von individuellen Situationen (Alter, ovarielle Reserve, Spermienqualität u.a.), Art der Chemotherapie und deren Kombinationen abhängen. Manchmal sind die mitgeteilten Daten nicht ausreichend für eine genaue Risikobewertung. I Die Behandlungsmöglichkeiten müssen nach den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen in Bezug auf die individuelle Situation eingehend besprochen werden. I Auch andere Möglichkeiten der Familiengründung (Adoption, Keimzellspende) sollten angesprochen werden (einige sind in der Schweiz derzeit nicht legal/verfügbar). Da sich jedoch Gesetze ändern und Betroffene anderenorts leben könnten, sollten alle Optionen unabhängig von der aktuellen Kostenerstattung oder den gesetzlichen Bestimmungen besprochen werden. I Behandlungskosten: Die Patientinnen und Patienten sollten über die Kosten der Behandlung und Lagerung kryokonservierter Gameten/Embryonen/Gewebe und über den fehlenden Versicherungsschutz bestimmter Behandlungen informiert werden. Bei einer assistierten Reproduktionstherapie zu einem späteren Zeitpunkt muss das Paar auch die Befruchtung mittels ICSI und/oder Embryotransfer bezahlen.
I Komplikationen der Behandlung (ovarielles Hyperstimulationssyndrom, Blutungen, Infektionen usw.) und die Tatsache, dass der erfolgreiche Abschluss der assistierten Reproduktionstherapie nicht garantiert werden kann (unzureichende Reaktionen der Eierstöcke und Spermienqualität) sollten angesprochen werden.
I Die Zeitspanne vor Eintritt einer Schwangerschaft und die Tatsache, dass eine solche von der völligen Genesung abhängt, muss thematisiert werden. Psychologische Beratung und/oder zusätzliche Unterstützung in diesem schwierigen Entscheidungsprozess unter Zeitdruck und in Zeiten grösster Verletzlichkeit sollte/n ebenfalls berücksichtigt werden.
Datum: 29.8.2018
Referenzen: Bei den Autoren.
Deklaration von Interessenkonflikten: Streuli I: Vorstandsmitglied «réseau romand de cancer et fertilité», Beratendes Mitglied des Human Swissmedic Expert Committee, HMEC. von Wolf M: Vorstandsmitglied von FertiProtekt Netzwerk e.V., der Special Interest Group «Fertility Preservation», ESHRE und von International Society for Fertility Preservation, ISFP. Mitglied des Human Swissmedic Expert Committee, HMEC. Stiller R: Kein Interessenkonflikt zu deklarieren. Vulliemoz N: Vorstandsmitglied von «réseau romand de cancer et fertilité». Wunder D: Keine. Benard J: Keine. Perey L: Vorstandsmitglied von «réseau romand de cancer et fertilité». Ahler A: Keine. Santi A: Keine. Xie M: Keine.
* Evidenzlevel und Empfehlungsgrade der Therapieangaben
Evidenzlevel Ia Evidenz durch die Metaanalyse von randomisierten, kontrollierten
Untersuchungen Ib Evidenz durch mindestens eine randomisierte, kontrollierte
Untersuchung IIa Evidenz durch mindestens eine gut angelegte, kontrollierte
Studie ohne Randomisierung IIb Evidenz durch mindestens eine gut angelegte andere quasiexpe-
rimentelle Studie III Evidenz durch gut angelegte, beschreibende Studien, die nicht
experimentell sind, wie Vergleichsstudien, Korrelationsstudien oder Fallstudien IV Evidenz durch Expertenberichte oder Meinungen und/oder klinische Erfahrung anerkannter Fachleute
Empfehlungsgrad
A Es ist in der Literatur, die gesamthaft von guter Qualität und Konsistenz sein muss, mindestens eine randomisierte, kontrol-
lierte Untersuchung vorhanden, die sich auf die konkrete
Empfehlung bezieht (Evidenzlevel Ia, Ib).
B Es sind zum Thema der Empfehlung gut kontrollierte, klinische Studien vorhanden, aber keine randomisierten, klinischen
Untersuchungen (Evidenzlevel IIa, IIb, III).
C Es ist Evidenz vorhanden, die auf Berichten oder Meinungen von Expertenkreisen basiert und/oder auf der klinischen
Erfahrung von anerkannten Fachleuten. Es sind keine qualitativ
guten, klinischen Studien vorhanden, die direkt anwendbar sind
(Evidenzlevel IV).
Good-Practice-Punkt
Empfohlene Best Practice, die auf der klinischen Erfahrung der
Expertengruppe beruht, die den Expertenbrief/die Guideline
herausgibt.
Übersetzt aus dem Englischen (Quelle: RCOG Guidelines Nr. 44, 2006)
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