Transkript
SCHWERPUNKT
Diagnostik der abnorm invasiven Plazenta
Pränatale sonografische Zeichen
Abnormal invasive Plazenta (AIP) ist die Bezeichnung für eine Plazenta, die sich bei der Entbindung nicht spontan löst und ohne einen relevanten maternalen Blutverlust nicht entfernt werden kann. Diagnostik und Therapie der AIP waren in den letzten Jahren Gegenstand vieler Publikationen und Empfehlungen der Fachgesellschaften (RCOG Green-Top, FIGO-GL, IS-AIP).
BORIS TUTSCHEK, FRÉDÉRIC CHANTRAINE
Boris Tutschek
Wir beziehen uns im Folgenden auf die Publikation der International Society for Abnormally Invasive Placenta (IS-AIP; früher genannt: European Working Group EW-AIP; www.IS-AIP.org) (1). Die IS-AIP setzt sich für das Verständnis und die Fähigkeiten von Klinikern im Umgang mit der abnorm invasiven Plazenta (AIP) ein. Ziel ist, durch die Bündelung von Erfahrung und Fachwissen aus Gesundheitssystemen verschiedener Länder das Outcome von Schwangerschaften mit AIP zu verbessern.
Formen, Häufigkeit, Risikofaktoren
AIP umfasst die histopathologischen Diagnosen von Placenta accreta (A), increta (I) und percreta (P). Es findet sich ein klinisches Spektrum von Plazenten mit einem kleinen Bereich abnormal anhaftenden Gewebes («fokale Accreta/Increta») bis zu solchen, die in die benachbarten Organe einwachsen («Percreta»). Die AIP ist in Europa und Nordamerika der häufigste Grund für eine Sectio-Hysterektomie. Die Müttersterblichkeit für das schwerwiegendste Ende des AIP-Spektrums, Placenta percreta, wurde in mittlerweile historischen Berichten mit bis zu 7% angegeben, sie ist aber angesichts der Fortschritte in der pe-
rinatalen Medizin, des Bewusstseins für die Existenz der AIP sowie der immer häufiger gestellten präpartalen Diagnose inzwischen geringer. Ein vorausgegangener Kaiserschnitt, andere Gebärmutteroperationen, assistierte Reproduktionstechniken und das Vorliegen einer Placenta praevia sind Risikofaktoren für eine AIP. Die berichtete Inzidenz der AIP stieg von 1:25 000 in den 1950er-Jahren auf 1:2500 in den 1980er-Jahren, parallel zum Anstieg der Rate der Schnittentbindungen. Neueste Publikationen berichten AIP-Raten von bis zu 1:533 (USA) und 1:588 (Kanada). Wenn sich die generellen geburtshilflichen Tendenzen fortsetzen, wird geschätzt, dass die USA bis 2020 eine Kaiserschnittrate von 56% haben werden, was dort jährlich zusätzliche 4504 AIPFälle und kausal 130 maternale Todesfälle bedingen könnte.
Pränatale Diagnostik
Die vorgeburtliche Diagnose der AIP senkt die maternale Mortalität und Morbidität, wenn die betroffenen Schwangeren: I diagnostiziert und I in einem entsprechend ausgerüsteten Geburts-
Abbildung 1: Echoarme retroplazentare Zone
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SCHWERPUNKT
Tabelle:
Vereinheitlichte Definitionen und Beschreibung der möglichen sonografischen Zeichen der abnorm invasiven Plazenta (AIP) (mit freundlicher Genehmigung aus [1]).
2D-B-BILD Loss of the ‘clear zone’
Abnormal placental lacunae
Bladder wall interruption
Myometrial thinning Placental bulge
Focal exophytic mass
2D-FARB-DOPPLER Utero-vesical hypervascularity
Sub-placental hypervascularity
Bridging vessels
Placental lacunae feeder vessels
3D-ULTRASCHALL Intra-placental hypervascularity (power Doppler) Placental bulge Focal exophytic mass Utero-vesical hypervascularity Bridging vessels
EW-AIP-Vorschlag Loss, or irregularity, of the hypoechoic plane in the myometrium underneath the placental bed (the ‘clear zone’) Presence of numerous lacunae including some that are large and irregular (Finberg grade 3) often containing turbulent flow visible in greyscale imaging Loss or interruption of the bright bladder wall (the hyperechoic band or ‘line’ between the uterine serosa and the bladder lumen) Thinning of the myometrium overlying the placenta to < 1 mm or undetectable. Deviation of the uterine serosa away from the expected plane, caused by an abnormal bulge of placental tissue into a neighboring organ, typically the bladder. The uterine serosa appears intact but the outline shape is distorted. Placental tissue seen breaking through the uterine serosa and extending beyond it. Most often seen inside a filled urinary bladder. Striking amount of colour Doppler signal seen between the myometrium and the posterior wall of the bladder. This sign probably indicates numerous, closely packed, tortuous vessels in that region (demonstrating multi-directional flow and aliasing artifact). Striking amount of colour Doppler signal seen in the placental bed. This sign probably indicates numerous, closely packed, tortuous vessels in that region (demonstrating multi-directional flow and aliasing artifact). Vessels appearing to extend from the placenta, across the myometrium and beyond the serosa into the bladder or other organs. Often running perpendicular to the myometrium. Vessels with high velocity blood flow leading from the myometrium into the placental lacunae, causing turbulence upon entry. Complex, irregular arrangement of numerous placental vessels, exhibiting tortuous courses and varying calibers. (as in 2D) (as in 2D) (as in 2D) (as in 2D) Quellen: Die vollständige Version der IS-AIP-Guidelines inkl. Literatur ist im American Journal of Obstetrics and Gynecology (AJOG) 2019 publiziert. Abbildung 2: Plazentare Lakunen GYNÄKOLOGIE 3/2019 11 SCHWERPUNKT spital und mit einem multidisziplinären Betreuungsteam entbunden werden. Die Diagnose stützt sich derzeit auf «typische sonografische Befunde» wie vermehrte und anomale plazentare Lakunen sowie den Verlust der normalen Erscheinung des Myometriums und der Gefässe im Plazentabett. Die Magnetresonanztomografie wird zwar häufig bei Verdacht auf AIP eingesetzt, ihr Wert in der Diagnostik ist aber nicht sicher bewiesen. Unabhängig von der Art der Bildgebung ist die Diagnose AIP zu einem gewissen Grad subjektiv, das heisst, die Aussagegenauigkeit hängt von der Ausbildung und dem Erfahrungsstand des Untersuchers ab. Ultraschallmarker mit erheblicher Variabilität In mehreren Studien wurde die prädiktive Zuverlässigkeit verschiedener Ultraschallmarker für AIP untersucht. Verschiedene Studien desselben Markers zeigen aber eine erhebliche prognostische Variabilität. Diese Heterogenität wird unter anderem auf die Kombination aus begrenzter Probengrösse, retrospektivem Design und Variabilität der Studieneinschlusskriterien und der individuellen Diagnose von AIP zurückgeführt. Wie bei allen Diagnosetechniken, die auf der subjektiven Meinung des Untersuchers beruhen, wird das Vorhandensein oder Fehlen jedes Zeichens subjektiv interpretiert. Die Nutzung solcher Abbildung 3: Myometrium unter dem Plazentabett Abbildung 4: Uterine und blasennahe Perfusion 12 GYNÄKOLOGIE 3/2019 SCHWERPUNKT Marker ist dann besonders zweifelhaft, wenn nicht viel Erfahrung mit der Plazentasonografie oder der AIP-Diagnose besteht. Bis vor Kurzem gab es keinen veröffentlichten Konsens über die Definition der üb- licherweise für AIP verwendeten Ultraschallmarker: Manche Marker/Zeichen wurden unter verschiede- nen Namen beschrieben, in anderen Publikationen wurde derselbe Begriff für verschiedene Befunde ver- wendet. Kürzlich hat eine internationale Studien- gruppe einheitliche Definitionen von Ultraschallmar- kern, die üblicherweise für AIP verwendet werden, etabliert: Es handelt sich hier um die «Ultraschall- deskriptoren der AIP» (Tabelle) (1). Wir ergänzen einige Bildbeispiele für die wichtigsten Ultraschallzeichen (Abbildung 1–4). I Prof. Dr. med. Frédéric Chantraine Gynecology and Obstetrics Clinique Hôpital Universitaire Liège/Belgien und Prof. Dr. med. Boris Tutschek (Korrespondenzadresse) Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe FMH Speziell Geburtshilfe und feto-maternale Medizin Gladbachstrasse 95 8044 Zürich sowie Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf E-Mail: tutschek@me.ch Internet: http://www.Praenatal-Zuerich.ch Abbildungen mit freundlicher Genehmigung aus Collins et al. UOG 2017. Interessenkonflikte: keine. Quelle: 1. Collins SL, Ashcroft A, Braun T, Calda P, Langhoff-Roos J, Morel O, Stefanovic V, Tutschek B, Chantraine F (Europ Working Group on Abnormally Invasive Placenta; EW-AIP): Proposal for standardized ultrasound descriptors of abnormally invasive placenta (AIP). Ultrasound Obstet Gynecol. 2016 Mar; 47(3): 271–5. doi: 10.1002/ uog.14952. PubMed PMID: 26205041. GYNÄKOLOGIE 3/2019 13