Transkript
SGGG-EXPERTENBRIEF (EB) NR. 56 (ERSETZT NR. 34)
In der GYNÄKOLOGIE werden – nach Auswahl der Herausgeber – an dieser Stelle aktuelle Expertenbriefe publiziert (verifizierte Printform).
Expertenbrief Nr. 56
(siehe auch: http://sggg.ch/de/members_news/1005)
Kommission Qualitätssicherung Präsident Prof. Dr. med. Daniel Surbek
Glukokortikoidtherapie zur antenatalen Lungenreifung bei drohender Frühgeburt
Indikationen und Dosierung
Bei einer drohenden Frühgeburt oder medizinisch indizierter Entbindung zwischen 24. und 33. Schwangerschaftswoche hat sich die mütterliche Kortikoidgabe zur Induktion der fetalen Lungenreifung und die Überweisung an ein Perinatalzentrum als überlebenswichtig für das Kind erwiesen. Im diesem aktualisierten Expertenbrief werden Indikationen, Kontraindikation sowie das medizinische Vorgehen nach heutigem Forschungsstand erläutert.
Evidenzlevel
D. Surbek, T. Roos, M. Hodel, R. Pfister, I. Hösli
erniedrigt. Insgesamt kann durch diese fetale Therapie die Mortalität der frühgeborenen Kinder um etwa 50% gesenkt
Unterstützt von der Schweizerischen Gesellschaft für Neonatologie (SGN)
werden. Gemäss diesen Studien führt die Glukokortikoidgabe
beim Neugeborenen nicht zu einer erhöhten Sepsisrate und
Grosse randomisierte Studien haben belegt, dass die erhöht auch nicht das Risiko für eine Chorioamnionitis oder
Glukokortikoidprophylaxe zur antenatalen Lungenreifung, die puerperale Sepsis (1).
sogenannte «Lungenreifungsinduktion», mittels mütterlicher Bezüglich der Frage, wie oft eine antenatale Lungenreifung
Applikation synthetischer Glukokortikoide nicht nur die Morbi- (aLR) durchgeführt werden soll und in welchem Zeitfenster
dität des Neugeborenen hinsichtlich Respiratory Distress diese aLR wirksam und sinnvoll ist, gibt es neuere Daten in der IIa
Syndrome (RDS) um die Hälfte reduziert, sondern auch die Literatur. Ziel dieses Expertenbriefes ist es, evidenzbasierte ein-
Inzidenz von schweren intraventrikulären Hirnblutungen und heitliche Empfehlungen für die antenatale Lungenreifung zur
Ia weiterer Komplikationen wie die nekrotisierende Enterokolitis Verfügung zu stellen. Dabei werden sowohl die aktuelle
Literatur wie auch vorhandene Empfehlungen und Richtlinien
Zusammenfassung
anderer Fachgesellschaften berücksichtigt (2–4).
Die Indikationen zur antenatalen Lungenreifung (aLR) zwischen 24+0 bis 33+6 Schwangerschaftswochen (SSW) sind
Indikationen zur antenatalen Lungenreifung (aLR)
➤ eine drohende spontane Frühgeburt oder ➤ medizinisch indizierte vorzeitige Entbindung aus mütterlicher
oder fetaler Indikation. In individuellen Fällen kann unter Berücksichtigung der klinischen Situation die aLR bereits ab 23+0 SSW durchgeführt werden. Zwischen 34+0 und 36+6 SSW wird empfohlen, die aLR nur bei zusätzlichen Risikosituationen für ein Atemnotsyndrom durchzu-
Zwischen 24+0 bis 33+6 Schwangerschaftswochen (SSW) Indikationen sind hier:
I drohende spontane Frühgeburt oder
I medizinisch indizierte vorzeitige Entbindung aus mütter-
licher oder fetaler Indikation (z.B. bei schwerer intrauteriner
Wachstumsretardierung aufgrund einer Plazentainsuffizienz,
führen.
bei frühem vorzeitigem Blasensprung oder bei Präeklampsie
Falls eine unmittelbare notfallmässige Entbindung indiziert ist, ist
eine aLR nicht wirksam und deshalb kontraindiziert. Die
Standarddosierung der aLR besteht in einer Gabe von Ia ➤ 2 × 12 mg Betamethason intramuskulär im Abstand von
24 Std. (2 × 2 Amp. Celestone-Chronodose® oder
und HELLP-Syndrom) zwischen 24+0 und 33+6 SSW mit unbekannter fetaler Lungenreife (5, 6). Dies gilt sowohl für Einlings- als auch für Mehrlingsschwangerschaften (7).
➤ in der Gabe von Dexamethason (Dexamethason Phosphat) 4 × 6 mg i.m. im Abstand von 12 Stunden.
Die Datenlage spricht klar gegen eine routinemässige Wiederholung
Zwischen 23+0 bis 23+6 Schwangerschaftswochen Bei Frühgeborenen vor 24. SSW führt eine abgeschlossene
Ib
der aLR. In besonderen klinischen Situationen kann nach der
Lungenreifung zu einer signifikanten Abnahme der neonatalen
Meinung der Autoren eine einmalige aLR-Wiederholung («RescueDosis») gerechtfertigt sein (auch bei Zwillingsschwangerschaft). Eine weitere wichtige Massnahme ist die frühzeitige Verlegung der Schwangeren in ein Perinatalzentrum mit angeschlossener Neonatologie-Intensivstation vor der 34. SSW.
Mortalität und neurologischer Entwicklungsstörungen im Alter von 18 bis 22 Monaten, wenn eine aLR ab 23+0 SSW erfolgt ist (8). In individuellen Fällen kann nach einem ausführlichen Gespräch mit den Eltern, den Neonatologen und Geburtshelfern unter Berücksichtigung der klinischen Situation die aLR
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bereits ab 23+0 SSW durchgeführt werden (2, 4). Dabei sollte Nach 37+0 Schwangerschaftswochen die Empfehlung «Perinatale Betreuung an der Grenze der Eine randomisierte Studie an fast 1000 Schwangeren zur
Lebensfähigkeit» berücksichtigt werden (9). Eine aLR vor 23+0 Effizienz der aLR vor einer elektiven Sectio 37. bis 39. SSW hat
SSW hat keinen Vorteil für das Frühgeborene gezeigt.
gezeigt, dass auch bis zur 38. SSW eine signifikante Reduktion
(Halbierung) der pulmonalen Komplikationen mittels vorgängi-
34+0 bis 36+6 Schwangerschaftswochen
ger Lungenreifungsinduktion erreicht werden kann (14). Die
Nach 34+0 SSW ist die Morbidität und Mortalität des späten langzeitige Sicherheit hinsichtlich Hirnentwicklung des Kindes
Frühgeborenen immer noch grösser als bei Termingeburten, bleibt auch bei Anwendung der aLR nach 37. SSW noch zu
wenn auch im geringen Ausmass (10, 11). In diesem Zeitraum wenig bekannt. Gleichzeitig hat die Studie auch belegt, dass
stehen die Risiken der pulmonalen Komplikationen der Früh- ein Hinausschieben des elektiven Sectiotermins in die 39. SSW
Ia geburtlichkeit (RDS, evtl. Pneumothorax) und der neonatalen den gleichen oder sogar noch besseren Effekt hat als die aLR,
Infektion im Vordergrund, wobei das RDS-Risiko zwischen der weshalb die entsprechende Sectioplanung, wenn möglich,
34+0 SSW und der 37+0 SSW kontinuierlich abnimmt.
einer mit möglichen fetalen Nebenwirkungen verbundenen aLR
In der bisher einzigen grossen multizentrischen, randomisierten vorgezogen werden sollte. In besonderen Fällen, insbesondere
Studie benötigten Frühgeborene in der 34+0 bis 36+6 SSW sig- wenn eine elektive Sectio vor 38+0 SSW notwendig ist, kann
nifikant weniger Atemunterstützung und hatten weniger schwe- eine aLR durchgeführt werden.
re pulmonale Komplikationen nach erstmalig durchgeführter
Lungenreifung zwischen der 34+0 bis 36+5 SSW (12). Die An- Kontraindikationen der aLR
zahl der notwendigen Behandlungen, um einen Fall mit schwe- Falls eine unmittelbare notfallmässige Entbindung indiziert ist
ren respiratorischen Komplikationen zu verhindern («number (z.B. pathologisches CTG, vorzeitige Plazentalösung) ist eine
needed to treat»; NNT) betrug 1:25. Allerdings kam es zu einer aLR nicht wirksam und deshalb kontraindiziert. Ein schweres
signifikant höheren Rate an neonatalen Hypoglykämien. Die fulminantes Amnioninfektsyndrom stellt ebenfalls eine Kontra-
Anzahl der notwendigen Behandlungen, um bei einem Früh- indikation dar. Leichte generalisierte mütterliche Infektions-
geborenen eine Hypoglykämie zu verursachen (NNH), betrug zeichen sind insbesondere bei sehr frühem Gestationsalter
1:11. In der Subanalyse zeigte sich die Reduktion schwerer (< 26. SSW) keine absolute Kontraindikation gegen eine aLR. In respiratorischer Komplikationen nur bei einer geplanten elekti- diesem Falle ist eine Therapie mit einem Breitspektrumanti- ven Sectio, nicht aber bei einer geplanten vaginalen Geburt. In biotika unerlässlich. Vor- und Nachteile eines Hinauszögerns die Studie wurden nur Schwangere eingeschlossen, bei denen der Geburt mit aLR gegenüber der unmittelbaren Entbindung die Geburt innerhalb von sieben Tagen zu erwarten war. sind sorgfältig abzuwägen. Schwangere mit Diabetes mellitus, mit Mehrlingsschwanger- Ein extragenitaler Infekt unter adäquater Therapie und ein gut schaften oder mit einer geplanten Sectio nach 37+0 SSW waren eingestellter Diabetes mellitus (Gestationsdiabetes oder prä- ausgeschlossen. Eine Tokolyse wurde nicht angewendet und existenter Diabetes Typ I oder Typ II) der Mutter stellen keine die Geburt wurde auch nicht bei relevanten geburtshilflichen Kontraindikationen gegen die Steroidgabe dar. Bei bestehen- oder medizinischen Ereignissen hinausgezögert. dem Diabetes mellitus ist eine Anpassung der Insulindosis Eine Metaanalyse, unter Einschluss der oben erwähnten Studie, erforderlich, und die Glukosewerte müssen während der aLR ergab eine geringere Rate an transienter Tachypnoe und engmaschig überwacht werden. schwerem RDS ohne Einfluss auf die Rate an mechanischer Bei Präeklampsie zwischen 24+0 und 33+6 SSW kann die aLR Ventilation, auf die Verweildauer in der Intensivstation oder auf durchgeführt werden, sofern ein Hinausschieben der Entbin- die Mortalität (13). dung aufgrund der klinischen Situation um zumindest 12 bis 24 Stunden möglich scheint. Bei einem HELLP-Syndrom hat die Ib Die Autoren empfehlen die Lungenreifung zwischen 34+0 aLR zudem eine günstige Wirkung auf eine schwere Thrombo- und 36+6 SSW aufgrund der aktuellen Datenlage nur bei zu- zytopenie und Leberenzymerhöhung, sodass unter Umständen sätzlichen Risikosituationen für ein Atemnotsyndrom. Diese die Betamethason-Gabe auch kurz vor der Entbindung und Situationen sind: auch noch nach der Entbindung indiziert sein kann (15). Ob der I Geburt innerhalb weniger als 7 Tage zu erwarten Effekt lediglich eine «Laborkosmetik» darstellt oder den Verlauf I keine vorausgegangene Lungenreifung des HELLP-Syndroms günstig beeinflusst, ist allerdings nicht I erhöhtes neonatologisches respiratorisches Risiko zu er- bekannt. warten (z.B. elektive Sectio, Diabetes mellitus). Bei vorzeitigem Blasensprung zwischen der 24+0 und 33+6 Eine generelle Lungenreifung bei drohender Frühgeburtlichkeit SSW sollte die aLR unter Antibiotikagabe (und i.d.R. Tokolyse) (vorzeitige Wehen oder früher vorzeitiger Blasensprung zwi- durchgeführt werden, und bei bestehendem Amnioninfekt- schen 34+0 und 36+6 SSW) wird zurzeit nicht empfohlen, insbe- syndrom sollte umgehend entbunden werden. sondere auch keine Tokolyse. Die Anzahl der späten Eine prophylaktische Lungenreifung bei Mehrlingsschwanger- Frühgeburten macht zirka 70% aller Frühgeburten aus. Die schaften oder vorausgegangener Frühgeburt – ohne zusätzli- Auswirkungen der transienten Hypoglykämie und die che Risiken einer Frühgeburt (wie z.B. Zervixverkürzung) – ist Ib Langzeitauswirkungen einer späten Lungenreifung besonders nicht indiziert. auf die neurologische Entwicklung sind noch zu wenig bekannt und potenziell gesundheitsgefährdend. GYNÄKOLOGIE 2/2019 27 Dosierung der aLR und Auswirkung auf das CTG einer geringeren Hirngrösse bei Geburt und zu einer verminderten neuronalen Myelinisierung. Nach der Geburt registrierten Die Standarddosierung der aLR besteht in einer Gabe von tierexperimentelle Untersuchungen bei den Neugeborenen Ver- I 2 × 12 mg Betamethason intramuskulär im Abstand von änderungen im Blutdruck und in der Insulinreaktion auf 24 Std. (2 × 2 Amp. Celestone-Chronodose®; 1 Amp. = 1 ml Glukose. = 3 mg Betamethasonphosphat + 3 mg Betamethasonacetat) Ein 2015 publizierter Cochrane Review, in dem die Ergebnisse oder in der Gabe von von mehreren grossen randomisierten klinischen Studien ein- Ia I Dexamethason (Dexamethason Phosphat) 4 × 6 mg i.m. im geschlossen sind (20–25), zeigte ein geringeres Risiko für das Abstand von 12 Stunden. Es bleibt unklar, ob ein Vorteil für Auftreten eines Atemnotsyndroms und einer nekrotisierenden eines der beiden Kortikosteroide besteht. Unter Dexametha- Enterokolitis, aber auch ein geringeres Geburtsgewicht. Nach III son war in einer Untersuchung die Rate an intraventrikulären Adjustierung auf das Gestationsalter bestand allerdings kein Hirnblutungen und die Dauer der Hospitalisation auf der Unterschied mehr beim Geburtsgewicht. Die ersten Langzeit- neonatalen Intensivstation signifikant geringer als unter untersuchungen ergaben bisher keinen Unterschied hinsichtlich Betamethason (16). Allerdings liegen keine Langzeitunter- Überleben sowie kognitive oder neurologische Defizite. Bei suchungen zu der Gabe von Dexamethason vor. Betametha- einer mehrfachen repetitiven Gabe (≥ 2 abgeschlossene son hat aufgrund der Betamethason-Acetat-Komponente Behandlungen) wurden langfristig negative Auswirkungen auf eine verlängerte Absorption und eine längere Halbwertszeit. das Wachstum und die kognitive Entwicklung nachgewiesen Es besteht kein Unterschied auf die Rate an RDS oder der (26). Eine mehrfache Gabe wird deshalb nicht empfohlen. Die perinatalen Mortalität. Schlussfolgerung aus diesen Studien ist, dass zurzeit die Bei (sehr seltener) Kontraindikation gegen die i.m.-Injektion Datenlage klar gegen eine routinemässige Wiederholung der (z.B. hohes Blutungsrisiko bei HELLP-Syndrom mit schwerer aLR spricht. Thrombozytopenie) erfolgt die Gabe von Celestan® i.v. (2 × 3 Amp. à 1 ml mit je 4 mg Betamethason im Abstand von 24 Std.; Rescue-Dosis Bestellung aus dem Ausland nötig). Die intravenöse Applikation Der optimale Wirkungszeitpunkt der aLR liegt zwischen 2 und 7 ist jedoch studienmässig nicht geprüft, insbesondere gibt es Tagen (1). Im klinischen Alltag ist es oft schwierig, den zeitlichen keine Hinweise für einen schnelleren Wirkungseintritt der i.v.- Verlauf bei einer drohenden Frühgeburt abzuschätzen und nur Gabe, auch nicht bei einer Verkürzung des Applikationsinter- 20 bis 40% dieser Risikoschwangeren gebären in dem Zeit- valls auf 12 oder 6 Stunden. Somit ist aus Sicht einer evidenzba- fenster (27). Die sonografische Zervixlängenmessung und bio- sierten Medizin die intramuskuläre Applikation gemäss obigem chemische Marker (z.B. FFN, fetales Fibronektin, plazentares Schema internationaler Standard. Die orale Applikation ist alpha-Mikroglobulin-1; PAMG) können dabei hilfreich sein obsolet. Bei der oralen Applikation wurde unter anderem eine (siehe Expertenbrief Tokolyse 2013 (28). Es wird für bestimmte erhöhte Rate an neonatalen Infektionen beobachtet (17). klinische Situationen postuliert, dass eine einmalige Wieder- Die volle Wirksamkeit der aLR ist erst 48 Stunden nach Beginn holung der aLR («Rescue-Dosis») im Falle einer akuten Ver- (d.h. nach der ersten Injektion) erreicht. Eine Reduktion des RDS schlechterung der klinischen Situation mit erneut drohender ist bereits 24 Stunden nach der ersten Kortisongabe zu erken- Frühgeburt einen Vorteil bringen könnte. Dabei werden entwe- nen. der 1 × oder 2 × 12 mg Betamethason intramuskulär im Abstand Während der aLR kann es zu vorübergehenden Veränderungen von 24 Stunden appliziert. Obwohl es dazu erst beschränkte Ia der fetalen Bewegung und zu einer Verminderung der fetalen Evidenz gibt, hat eine randomisierte Studie an fast 500 Patien- Variabilität im CTG kommen (18, 19). tinnen gezeigt, dass eine spätestens bis 32+0 SSW – mit Min- destabstand von 7 Tagen zur ersten aLR – verabreichte zweite Wiederholung der antenatalen Lungenreifung? aLR im Sinne einer Rescue-Dosis das neonatale Outcome ver- In den Neunzigerjahren wurde aufgrund der Effektivität der aLR bessert ohne Erhöhung des Kurzzeitrisikos (29, 30). Gemäss in vielen Kliniken in Europa diese oft mehrmals in 1- bis 2- einer kürzlich publizierten retrospektiven Studie soll die Rescue- wöchentlichen Abständen wiederholt. Es gab damals keine aLR auch bei Zwillingen wirksam sein (31). Evidenz aus randomisierten Studien, welche die zusätzliche In besonderen klinischen Situationen (z.B. erste aLR sehr früh Wirksamkeit bewiesen. Hingegen wurden zunehmend mögli- z.B. 24. SSW, danach nach abgeschlossener Lungenreifung wei- che negative Effekte der fetalen Glukokortikoidgabe insbeson- terhin bestehendes drohendes Risiko für eine Frühgeburt inner- dere auf die Zellteilung im ZNS bekannt. Diese betreffen vor halb der nächsten 7 Tage) kann deshalb nach der Meinung der Ia allem die Proliferation und Differenzierung der Oligodendro- Autoren eine einmalige aLR-Wiederholung (Rescue-Dosis) ge- zyten, welche unter anderem für die Markscheidenbildung um rechtfertigt sein (auch bei Zwillingsschwangerschaft). die Pyramidenbahn verantwortlich sind. Dies ist umso wesent- licher, als dass im dritten Trimester der Schwangerschaft der Praktisches Vorgehen Zellteilungspeak der Oligodendrozyten erreicht wird. So wurde Die aLR mit Betamethason (oder Dexamethason) wird idealer- denn auch in verschiedenen Tiermodellen bei mehrfacher weise unter stationären Bedingungen durchgeführt. Ohne Gabe der aLR im Vergleich zur einmaligen Gabe entwicklungs- Wehentätigkeit, Blasensprung und ohne sonografische III neurologische Defizite gezeigt. Die mehrfache Gabe führt in Zervixverkürzung ist eine Tokolyse während der aLR in der Regel Tiermodellen zudem zu einem geringeren Geburtsgewicht, zu nicht erforderlich. Cave: Die Kombination der aLR mit einer 28 GYNÄKOLOGIE 2/2019 Tokolyse mit Beta-Mimetika mit gleichzeitigen Infektionen hat ein erhöhtes Lungenödemrisiko. Bei einer Indikationsstellung der aLR insbesondere zwischen 23+0 und 24+0 SSW muss auch das Prozedere bezüglich fetaler Überwachung und allfälliger Intervention (Sectio) aus fetaler Indikation durch den Geburtshelfer in Absprache mit den Eltern klar (schriftlich) festgelegt werden. Dasselbe gilt für die Vorbesprechung der Betreuung des Frühgeborenen im Falle einer Geburt (maximale Intervention und volle Reanimationsmassnahmen versus «comfort care») durch den Neonatologen. Das Vorgehen wird in einem gemeinsamen interdisziplinären Gespräch festgelegt. Hierbei ist auch die Empfehlung «Perinatale Betreuung an der Grenze der Lebensfähigkeit» zu berücksichtigen (9). Eine weitere wichtige Massnahme ist die frühzeitige Verlegung der Schwangeren in ein Perinatalzentrum mit angeschlossener Neonatologie-Intensivstation vor der 34. SSW (32). Viele Studien haben gezeigt, dass die neonatale Morbidität und Mortalität mit dieser Massnahme klar gesenkt werden können. Die erste Dosis der aLR sollte bereits vor der Verlegung appliziert werden. Prinzipiell gilt: Obwohl die antenatale Lungenreifung ein offlabel-use ist, erachten die Autoren eine formelle Aufklärung über den off-label-use in diesem Falle als unzweckmässig. Dies insbesondere deshalb, da der Nutzen der antenatalen Lungenreifung unbestritten ist und keine Alternative besteht. Stringente Auswahlkriterien für die Indikation zur aLR Es ist klinisch oft schwierig vorauszusehen, wie hoch im Einzelfall das Risiko für eine Frühgeburt ist. Daten aus Kanada zeigen, dass mehr als 50% der Schwangeren, die eine Lungenreifung erhalten hatten, erst nach der 35. SSW geboren haben (33). Daten aus den USA zeigen, dass nur in 40% das optimale Zeitfenster von 48 Stunden bis 7 Tage nach Lungenreifung erreicht wurde (34). Deshalb ist es wichtig, nebst den klinischen Faktoren auch die transvaginal-sonografisch gemessene der Zervixlänge und eventuell Biomarker im Vaginalsekret, wie das fetale Fibronektin oder das Partosure® (PAMG-1), in die Beurteilung mit einzubeziehen. Datum: 14.1.2019 Die Autoren haben keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Expertenbrief. Referenzen über die Universitäts-Frauenklinik am Inselspital Bern (E-Mail: qsk-sggg@insel.ch) beziehungsweise bei den Autoren. Ia * Evidenzlevel und Empfehlungsgrade der Therapieangaben Evidenzlevel Ia Evidenz durch die Metaanalyse von randomisierten, kontrollierten Untersuchungen Ib Evidenz durch mindestens eine randomisierte, kontrollierte Untersuchung IIa Evidenz durch mindestens eine gut angelegte, kontrollierte Studie ohne Randomisierung IIb Evidenz durch mindestens eine gut angelegte andere quasiexpe- rimentelle Studie III Evidenz durch gut angelegte, beschreibende Studien, die nicht experimentell sind, wie Vergleichsstudien, Korrelationsstudien oder Fallstudien IV Evidenz durch Expertenberichte oder Meinungen und/oder klinische Erfahrung anerkannter Fachleute Empfehlungsgrad A Es ist in der Literatur, die gesamthaft von guter Qualität und Konsistenz sein muss, mindestens eine randomisierte, kontrol- lierte Untersuchung vorhanden, die sich auf die konkrete Empfehlung bezieht (Evidenzlevel Ia, Ib). B Es sind zum Thema der Empfehlung gut kontrollierte, klinische Studien vorhanden, aber keine randomisierten, klinischen Untersuchungen (Evidenzlevel IIa, IIb, III). C Es ist Evidenz vorhanden, die auf Berichten oder Meinungen von Expertenkreisen basiert und/oder auf der klinischen Erfahrung von anerkannten Fachleuten. Es sind keine qualitativ guten, klinischen Studien vorhanden, die direkt anwendbar sind (Evidenzlevel IV). Good-Practice-Punkt Empfohlene Best Practice, die auf der klinischen Erfahrung der Expertengruppe beruht, die den Expertenbrief/die Guideline herausgibt. Übersetzt aus dem Englischen (Quelle: RCOG Guidelines Nr. 44, 2006) GYNÄKOLOGIE 2/2019 29