Transkript
SCHWERPUNKT
Das polyzystische Ovarsyndrom (PCOS)
Neues zu Pathogenese, Definition und Therapie
Das PCOS ist eine häufige Endokrinopathie, bei der neben reproduktiven auch psychische und metabolische Störungen und erhöhte kardiovaskuläre Risiken auftreten. Jüngst wurden neue Erkenntnisse zur Pathogenese publiziert und eine aktualisierte internationale Leitlinie mit praxisrelevanten Neuerungen und Empfehlungen für Diagnostik und Therapie herausgegeben.
JÜRGEN WEISS
Jürgen Weiss
Die Prävalenz des polyzystischen Ovarsyndroms (PCOS) beträgt knapp 10%. Ausser Veränderungen im hormonalen Gleichgewicht (Zyklusstörungen, Androgenämie usw.) treten auch psychische Beeinträchtigungen wie Depression, Angst und Körperschemastörungen sowie metabolische Konsequenzen wie Glukosestoffwechselstörungen und kardiovaskuläre Risiken auf. Neue Erkenntnisse zur Pathophysiologie des PCOS im Hinblick auf die intrauterine Programmierung und die zentrale Wirkung von Anti-Müller-Hormon (AMH) wurden jüngst publiziert. Eine breit abgestützte internationale Leitlinie aus dem Herbst 2018 führte zu praxisrelevanten Neuerungen in der Diagnostik und Therapie des PCOS. So legt die neue Leitlinie einen starken Fokus auf die psychischen und metabolischen Auswirkungen der Erkrankung. Neu wird Letrozol als Erstlinientherapie in der Kinderwunschbehandlung empfohlen (1).
Neues zur Pathogenese
Zentrale Ursachen Ein hoher Anteil der hypothalamischen GnRH-Neurone exprimiert den AMH-Rezeptor 2, beim PCOS sind es sogar noch mehr. AMH kann über eine Stimu-
Merkpunkte
Neuerungen und Kernpunkte der neuen Leitlinie ■ Bis 8 Jahre nach Menarche sind Hyperandrogenismus und irreguläre Zyklen Diagnose-
kriterien, Ultraschall ist nicht empfohlen. ■ Sonografische Kriterien: 20 Follikel oder > 10 ml an einem Ovar. ■ AMH zur Diagnostik noch nicht geeignet. ■ Keine Testung einer Insulinresistenz. ■ Depressive und Angstsymptomatik sollte mehr beachtet werden. ■ Frauen ohne Kinderwunsch: Pille First-Line-Gabe, egal, welche und eher in Niedrigdosis. ■ Metformin für metabolische Störungen. ■ Frauen mit Kinderwunsch: Letrozol First-Line-Gabe. ■ Präkonzeptionell bei jeder Frau mit PCOS: 75 g oGTT.
lation dieser GnRH-Neurone eine Zunahme der Amplitude wie auch der Frequenz der GnRH- und konsekutiv auch der LH-Pulse bewirken. Diese verstärkte LHSekretion, die charakteristisch für das PCOS ist, führt am Ovar zu einer vermehrten Androgensekretion. Der Effekt des AMH auf die LH-Sekretion wird durch die Zugabe eines GnRH-Antagonisten gehemmt. Dies lässt darauf schliessen, dass die verstärkte LHAntwort auf das AMH tatsächlich auch durch die GnRH-Neurone vermittelt wird (2). Gamma-Aminobuttersäure (GABA) führt zu einer zusätzlichen Exzitation der GnRH-Neurone (3).
Intrauterine Programmierung Die intrauterine Programmierung des PCOS wird zum einen durch den Hyperandrogenismus der Mutter, zum anderen aber nach neuesten Erkenntnissen auch durch die hohe AMH-Konzentration geprägt. Erhöhte maternale Androgenwerte führen zudem zu einem erhöhten Risiko für ein metabolisches Syndrom, vor allem bei Frauen (4). Im Tierversuch führt eine Androgen-Zufuhr zu einer verzögerten Pubertät und einer verminderten Fertilität (5). Beide sind Kennzeichen eines PCOS. Der AMH-Wert fällt in einer Schwangerschaft ab. Er ist aber bei Frauen mit PCOS sowohl im zweiten Trimenon als auch zum Geburtstermin immer noch höher als bei gesunden Frauen. Bei PCOS-Frauen mit weiblichen Feten ist AMH signifikant höher als bei denjenigen mit männlichen Feten. Dies gilt auch für das Testosteron (6). Wenn schwangere Mäuse mit AMH behandelt werden, erhöht sich sowohl bei ihnen selbst als auch bei ihrem Nachwuchs die Testosteron- und LH-Konzentrationen. Die Zugabe eines GnRH-Antagonisten nivelliert diesen Effekt wieder (7). Dies deutet ebenfalls auf einen zentralen, PCOS-induzierenden Effekt des erhöhten AMH am GnRH-Neuron hin, wie oben beschrieben.
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SCHWERPUNKT
Diagnostik
Zur Diagnose führen wie bisher bekannt zwei der folgenden drei Hauptsymptome des PCOS: ■ Hyperandrogenismus ■ Oligo-/Anovulation und ■ der typische sonografische Aspekt am Eierstock (8). Die klinischen Zeichen sind Akne, Alopezie und Hirsutismus. Die beiden Letzteren werden durch die Ludwig- beziehungsweise modifizierte FerrimanGallwey-Scores erfasst. Bei der Bestimmung der Androgen-Werte im Blut gibt es Folgendes zu bedenken: Freies Testosteron wird bei unpräzisen Assays nicht empfohlen. Vielmehr wird das Gesamttestosteron möglichst mit der Liquid-Chromatografie/ Massenspektrometrie bestimmt und mittels SHBG der freie Androgen-Index (FAI) ermittelt. Über 20 Follikel an einem Ovar sind neuerdings für die Ultraschalldiagnostik gefordert, wenn der Frequenzbereich 8 MHz einschliesst. Alternativ reicht es auch aus, wenn an einem Ovar das Volumen über 10 ml liegt. Das AMH ist, obwohl beim PCOS erhöht, (noch) kein Diagnosewerkzeug. Die Diagnose PCOS kann nur erfolgen, wenn andere Ursachen für die Symptomatik wie adrenogenitales Syndrom, androgenproduzierende Tumore, Cushing und so weiter ausgeschlossen wurden.
Schweregrad des PCOS
Schätzungsweise haben 60% der PCOS-Patientinnen einen Hyperandrogenismus. Bei der mildesten Ausprägung des PCOS fehlt der Hyperandrogenismus. Die stärkste Ausprägung haben Frauen, bei denen alle drei Symptome (Hyperandrogenismus, Oligo-/ Amenorrhö und die typische ovarielle Sonografie) vorliegen. Patientinnen mit Oligo-/Anovulation haben einen schwerwiegenderen Phänotyp als diejenigen mit regulären Zyklen (9).
Lifestyle-Interventionen
Die neue Leitlinie unterstreicht erneut die Bedeutung von Interventionen beim Lebensstil, um spätere metabolische Langzeitfolgen des PCOS abzumildern. Dazu zählen ■ mehr Bewegung ■ Ernährungsumstellung sowie ■ die Gabe von Metformin. Insbesondere Bewegung respektive sportliche Betätigung allein beeinflussen wesentliche Parameter des PCOS positiv, auch wenn dies nicht direkt zu einer Gewichtsreduktion führt. Eine Gewichtszunahme sollte vermieden werden. Dazu wird bei Übergewicht eine Diät mit 1200 bis 1500 kcal/Tag empfohlen. Bewegung sollte mindestens 150 Minuten pro Woche mit moderater Intensität oder 75 Minuten pro Woche mit hoher Intensität oder aus der Kombination beider bestehen. Die Trainingsperioden sollten
mindestens 10 Minuten betragen und nicht an zwei aufeinanderfolgenden Tagen stattfinden. Zur Gewichtsreduktion müssen diese Zeiten verdoppelt werden. Schon eine Gewichtsreduktion von 5% innerhalb von sechs Monaten kann wieder zu ovulatorischen Zyklen führen. Alle genannten Massnahmen sollten «SMART» (= Specific, Measurable, Achievable, Realistic and Timely) sein. Es wird keine spezifische Diät und kein spezifisches Trainingsprogramm empfohlen. Einige Daten deuten darauf hin, dass ein intensives Sportprogramm effektiver als ein moderates ist (10).
Vitamin-D-Substitution
Interessant sind auch neuere Befunde zur Rolle von Vitamin D. Bei Frauen mit PCOS, bei denen zusätzlich ein Vitamin-D-Mangel vorliegt, sind die Chancen auf die Induktion einer Ovulation sowie auf eine Lebendgeburt reduziert (11). Eine Vitamin-D-Substitution ist daher sinnvoll.
Therapie bei PCOS ohne Kinderwunsch
An erster Stelle der Behandlung eines PCOS stehen Lifesytyle-Interventionen. Zur Verfügung stehen weiterhin ■ kombinierte orale Kontrazeptiva (KOK) ■ Metformin oder ■ Kombinationen. Die Behandlungen erfolgen off-label. Es werden keine speziellen KOK empfohlen. Hierbei wurde die Risikokonstellation der verschiedenen Gestagene im Hinblick auf thromboembolische Geschehnisse berücksichtigt. Auch eine KOK ohne antiandrogenes Gestagen hat durch die Erhöhung des SHBG, das freies Testosteron bindet, einen guten antiandrogenen Effekt. Wenn nach 6 bis 9 Monaten keine Verbesserung eines bestehenden Hirsutismus zu verzeichnen ist, kann zusätzlich niedrig dosiert ein antiandrogenes Gestagen (z.B. Cyproteronacetat 2,5–10 mg/Tag) kontinuierlich zugegeben werden.
Kinderwunschtherapie bei PCOS
Um ein monofollikuläres Follikelwachstum zu erzielen, stellt Letrozol die First-Line-Therapie dar, wenngleich es off-label eingesetzt wird. Die Schwangerschaftsraten sind mit Letrozol vergleichbar zum bisherigen Standard Clomifen. Mit Letrozol kommt es zu weniger Mehrlingsschwangerschaften. Clomifen und Metformin, einzeln oder in Kombination, können darüber hinaus verwendet werden. Bei adipösen Patientinnen mit einem BMI > 30 wirkt Clomifen besser als Metformin (12), Clomifen und Metformin besser als Metformin allein (13) und Letrozol besser als Clomifen (14). Daraus ergibt sich für die Therapiewahl die Reihenfolge: Letrozol, Clomifen, Metformin.
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SCHWERPUNKT
Gonadotropine gehören zur Second-Line-Therapie. Die künstliche Befruchtung kommt erst an dritter Stelle, wenn nicht andere Gründe ausser einem PCOS für die Sterilität verantwortlich sind. Zur Stimulation ist ein Antagonistenprotokoll zu bevorzugen, da es einer Überstimulation vorbeugt. Die Ovulation wird mit einem GnRH-Agonisten getriggert, und alle befruchteten Eizellen/Embryos werden eingefroren (15).
Evaluation der Langzeitfolgen
Bei der Betreuung von Patientinnen mit PCOS sollten
auch Langzeitfolgen wie kardiovaskuläre Risiken, psy-
chische Beeinträchtigungen und ein erhöhtes Risiko
für Endometriumkarzinome berücksichtigt werden.
Um die Langzeitfolgen des PCOS im Auge zu behal-
ten, werden folgende Evaluationen empfohlen:
■ alle 6 bis 12 Monate auf potenzielle Gewichtszu-
nahme achten
■ kardiovaskuläres Risiko evaluieren
■ Lipidprofil bei Übergewicht erstellen
■ Blutdruck messen
■ unabhängig vom Übergewicht, aber dadurch ver-
stärkt, erhöhtes Risiko für Glukosestoffwechsel-
störung ermitteln:
– oGTT, HbA1c oder Nüchtern-Glukose-Werte – oGTT immer, wenn BMI > 25 kg/m2, anamnes-
tisch pathologische Glukosewerte, GDM, DMII
in Familie oder Hypertension
– präkonzeptionell bei jeder Frau mit PCOS: 75 g
oGTT, Wiederholung alle 3 Jahre
– obstruktive Schlafapnoe erfragen
■ Das Endometriumkarzinomrisiko ist 2- bis 6-fach er-
höht
– in Zyklen > 90 Tage: KOK- oder Gestagen-Gabe
Die Lebensqualität kann generell eingeschränkt sein,
gehäuft sind Angststörungen, depressive Verstim-
mungen, Körperschemastörungen, Esstörungen und
psychosexuelle Funktionsstörungen.
– Evaluation durch Fragebögen.
■
Prof. Dr. med. Jürgen M. Weiss Leiter Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin Luzerner Kantonsspital 6000 Luzern 16 E-Mail: juergen.weiss@luks.ch
Interessenkonflikte: keine.
Quellen: 1. International evidence-based guideline for the assessment and management of polycystic ovary syndrome 2018. 2. Cimino I, Casoni F, Liu X, Messina A, Parkash J, et al.: Novel role for anti-Müllerian hormone in the regulation of GnRH neuron excitability and hormone secretion. Nat Commun. 2016 Jan 12; 7: 10055. doi: 10.1038/ncomms10055. 3. Moore AM, Prescott M, Marshall CJ, Yip SH, Campbell RE.: Enhancement of a robust arcuate GABAergic input to gonadotropin-releasing hormone neurons in a model of polycystic ovarian syndrome. Proc Natl Acad Sci USA. 2015 Jan 13; 112(2): 596–601. 4. Huang G, Cherkerzian S, Loucks EB, et al.: Sex differences in the Prenatal Programming of Adult Metabolic Syndrome by Maternal Androgens. J Clin Endocrinol Metab. 2018 Nov 1; 103(11): 3945–3953. 5. Wang Z, Shen M, Xue P, DiVall SA, Segars J, Wu S.: Female Offspring From Chronic Hyperandrogenemic Dams Exhibit Delayed Puberty and impaired ovarian reserve. Endocrinology. 2018 Feb 1; 159(2): 1242–1252. 6. Piltonen TT, Giacobini P, Edvinsson Å, et al.: Circulating antimüllerian hormone and steroid hormone levels remain high in pregnant women with polycystic ovary syndrome at term. Fertil Steril. 2019 Jan 7. pii: S0015-0282(18)32223-4. 7. Tata B, Mimouni NEH, Barbotin AL, Malone SA, et al.: Elevated prenatal antiMüllerian hormone reprograms the fetus and induces polycystic ovary syndrome in adulthood. Nat Med. 2018 Jun; 24(6): 834–846. 8. Rotterdam ESHRE/ASRM-Sponsored PCOS consensus workshop group. Revised 2003 consensus on diagnostic criteria and long-term health risks related to polycystic ovary syndrome (PCOS). Hum Reprod. 2004 Jan; 19(1): 41–47. 9. Escobar-Morreale HF.: Polycystic ovary syndrome: definition, aetiology, diagnosis and treatment. Nat Rev Endocrinol. 2018 May; 14(5): 270–284. 10. Greenwood EA, Noel MW, Kao CN, Shinkai K, et al.: Vigorous exercise is associated with superior metabolic profiles in polycystic ovary syndrome independent of total exercise expenditure. Fertil Steril. 2016 Feb; 105(2): 486–493. 11. Butts SF, Seifer DB, Koelper N, et al. (Eunice Kennedy Shriver National Institute of Child Health and Human Development Reproductive Medicine Network): Vitamin D deficiency Is associated with poor ovarian stimulation outcome in PCOS but not unexplained infertility. J Clin Endocrinol Metab. 2019 Feb 1; 104(2): 369–378. 12. Morley LC, Tang T, Yasmin E, Norman RJ, Balen AH.: Insulin-sensitising drugs (metformin, rosiglitazone, pioglitazone, D-chiro-inositol) for women with polycystic ovary syndrome, oligo amenorrhoea and subfertility. Cochrane Database Syst Rev. 2017 Nov 29; 11. 13. Palomba S, Pasquali R, Orio F Jr, Nestler JE.: Clomiphene citrate, metformin or both as first-step approach in treating anovulatory infertility in patients with polycystic ovary syndrome (PCOS): a systematic review of head-to-head randomized controlled studies and meta-analysis. Clin Endocrinol (Oxf). 2009 Feb; 70(2): 311–321. 14. Legro RS, Zhang H.: Eunice Kennedy Shriver NICHD Reproductive Medicine Network. Letrozole or clomiphene for infertility in the polycystic ovary syndrome. N Engl J Med. 2014 Oct 9; 371(15): 1463–1464. 15. Bosdou JK, Venetis CA, Tarlatzis BC, Grimbizis GF, Kolibianakis EM.: Higher probability of live-birth in high, but not normal, responders after first frozen-embryo transfer in a freeze-only cycle strategy compared to fresh-embryo transfer: a metaanalysis. Hum Reprod. 2019 Mar 1; 34(3): 491–505.
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