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JOURNAL CLUB
GYNEA – Schweizerische Arbeitsgruppe für Kinder- und Jugendgynäkologie
Chronisch rezidivierende Bauchschmerzen bei Jugendlichen
Gynäkologische Ursachen erkennen und behandeln
Wiederkehrende Unterbauchschmerzen im Kindes- und Jugendalter sind häufig – insbesondere bei Mädchen – und verlangen eine sorgfältige Differenzialdiagnostik. In diesem Artikel werden Symptomatik, Ursachen, Diagnostik und Therapiemöglichkeiten bei jugendlichen Mädchen zusammengefasst.
Chronisch rezidivierende Bauchschmerzen sind definiert als mehr als drei Episoden von akuten Bauchschmerzen während mehr als drei Monaten, die mit Störungen der gewohnten Alltagsaktivitäten einhergehen. Ursächlich können zahlreiche organische Erkrankungen sein; in den meisten Fällen liegen bei Kindern und Jugendlichen sogenannte funktionelle Bauchschmerzen vor, deren Pathogenese multifaktoriell sein kann, darunter: I minime entzündliche Darmverände-
rungen mit einer gesteigerten gastrointestinalen Permeabilität (evtl. ausgelöst durch einen enteralen Infekt) I gesteigerte intestinale Hypersensitivität I genetische Prädisposition mit positiver Familienanamnese für ein Reizdarmsyndrom I psychosoziale Faktoren wie das Erlernen von Krankheitsverhalten, Stress in der Schule/im sozialen Umfeld, Versagensängste I sexueller Missbrauch (sollte immer vorsichtig und diskret in der Anamnese einbezogen werden). Während diese Verdachtsdiagnosen je nach Alter der jungen Patienten in der Kinderarzt- oder Allgemeinarztpraxis (einschliesslich der Laborwerte) abgeklärt werden, erfolgt bei Verdacht auf eine gynäkologische Ursache ab Pubertätsbeginn die Betreuung in der Frauenarztpraxis. Bei sehr jungen Patientinnen ist es wesentlich, die Eltern (die Mütter) einzubeziehen, denn sie spielen eine enorm wichtige Rolle bezüglich Chronifizierung der Beschwerden. Dabei ist dahingehend aufzuklären, dass Ablenkung von den Beschwerden statt Überfürsorge einen positiven Einfluss auf die Prognose hat. Bei funktionellen Bauchschmerzen sind Lebensstil- und Verhaltensänderungen zu empfehlen, um die viszerale Sensitivität und Motilität zu modulieren. Es
ist erwiesen, dass Kinder mit chronischen Bauchschmerzen ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung späterer psychischer Erkrankungen, vor allem Angststörungen, aufweisen. Auf die regelmässige Einnahme von Spasmolytika und Analgetika im Kindesalter sollte verzichtet werden.
Bauchschmerzen mit gynäkologischer Ursache
Der Auslöser von Bauchschmerzen bei Mädchen in der hormonellen Ruhephase (Beginn nach der Neugeborenenphase) sind selten Ovar- oder Adnexpathologien. Ovarialzysten, welche auch Östrogene produzieren, können neben Bauchschmerzen eine Brustschwellung oder uterine Blutungen verursachen. In der Regel sind solche Ovarialzysten harmlos und bilden sich spontan zurück. Grössere Zysten über 3 cm sind kontrollbedürftig, und das Risiko einer Ovarialtorsion steigt mit der Grösse an. Bei einem Adnextumor von über 5 cm und entsprechender Schmerzanamnese besteht aber ein hochgradiger Verdacht auf eine Ovarialtorsion. Eine Ovarialtorsion äussert sich in einer Änderung des Schmerzcharakters: Die Schmerzen nehmen akut zu und werden gar unerträglich. Mädchen zwischen 9 und 14 Jahren, mit Beginn der Stimulation der Gonadenachse, weisen das höchste Risiko auf, Zysten zu bilden. Echte Ovarialtumore im Kindesalter sind sehr selten (ca. 2,6:100 000), wobei es sich am häufigsten um reife Teratome (Dermoidzysten) handelt. Gemäss Literatur sind 10% der Ovarialtumore im Kindesalter maligne. Ein sehr seltenes Krankheitsbild, welches mit rezidivierender Ovarialzystenbildung einhergeht, ist das McCune-AlbrightSyndrom. Definiert wird es durch das Auftreten von mindestens 2 der 3 folgenden Symptome: Café-au-lait-Flecken, Pubertas praecox (durch autonome endokrine
Hyperfunktion) und die polyostotische fibröse Knochendysplasie.
Anamnese
Die sorgfältige Anamnese bei der Adoleszentin gibt wichtige Aufschlüsse über die Ursache der chronischen Bauchschmerzen. Zu erfragen sind: I Handelt es sich um zyklische Schmer-
zen? I Besteht ein Analgetikakonsum wäh-
rend der Menstruation? I Kommt es wegen Schmerzen zu Schul-
absenzen? I Bestehen zusätzlich Schmerzen beim
Stuhlgang oder beim Geschlechtsverkehr (falls bereits sexuell aktiv)? I Hat die Jugendliche einen neuen Partner (und besteht Antikonzeptionsbedarf)? I Kam es anamnestisch zu ungeschütztem Geschlechtsverkehr?
Diagnostik
Ist das Mädchen sexuell aktiv, ist immer ein Schwangerschaftstest durchzuführen, um eine extra- respektive intrauterine Schwangerschaft auszuschliessen. Die gynäkologische Untersuchung (Spekularuntersuchung und Palpation, inkl. Chlamydienabstrich) soll sorgfältig und vorsichtig durchgeführt werden. Zudem ist eine transvaginale Ultraschalluntersuchung zum Ausschluss einer Ovarpathologie, einer entzündlichen Tubenpathologie oder einer Uteruspathologie indiziert. Bei Mädchen ohne sexuelle Erfahrung ist auf eine gynäkologische Spekulum- und Tastuntersuchung sowie auf eine transvaginale Ultraschalluntersuchung zu verzichten. Die Untersuchung erfolgt in diesen Fällen durch das Abtasten des Abdomens und eine Ultraschalluntersuchung transabdominal. Eine laborchemische Untersuchung ist meist nicht notwendig, ausser zum Ausschluss einer Schwangerschaft (HCG im Serum) oder bei Verdacht auf ein entzündliches Geschehen (Adnexitis).
GYNÄKOLOGIE 3/2018
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GYNEA – Schweizerische Arbeitsgruppe für Kinder- und Jugendgynäkologie
Allgemeine Therapie
Bei Jugendlichen mit zyklischen Bauchschmerzen kann die probatorische Gabe von Mönchspfeffer und/oder Magnesium (krampflösende Wirkung) in Erwägung gezogen werden. Nach dreimonatiger Anwendung sollte eine Re-Evaluation stattfinden und bei mangelndem Erfolg auf eine hormonelle Therapie umgestellt werden (kombinierte orale Pille oder Gestagenpille). Ebenfalls unterstützend helfen NSAR. Bei Verdacht auf Ovarialtorsion gemäss Anamnese und Klinik sollte eine frühzeitige (innerhalb 48 Stunden nach Schmerzexarzerbation) laparoskopische Detorquierung unter Organerhalt angestrebt werden. Bei Verdacht auf ein Teratom ist zur histologischen Sicherung organerhaltend laparoskopisch zu operieren.
Dysmenorrhö
Zyklische Bauchschmerzen können Ausdruck von Ovulationsschmerz, prämenstruellen Schmerzen mit psychischen Symptomen (PMS) und/oder auch Dysmenorrhö sein. Unterschieden wird zwischen primärer (funktioneller) und sekundärer Dysmenorrhö aufgrund einer Endometriose oder von Abflussstörungen bei anatomischen Fehlbildungen. 60% der 12- bis 17-Jährigen leiden an einer, zumindest intermittierend, analgetikapflichtigen Dysmenorrhö. Bei 14% davon kommt es wegen starken Menstruationsbeschwerden sogar zu Schulabsenzen. Andere Auswirkungen sind zudem verminderte Schlafqualität, Leistungsabfall und vermehrt depressive Symptome während der Menstration. (Tabelle).
Endometriose bei Adoleszentinnen
Bei 70 bis 80% aller Jugendlichen mit einer therapieresistenten Dysmenorrhö besteht eine (bestätigte) Endometriose, so das Resultat eines systematischen Reviews von 24 Studien. Die Schmerzen aufgrund einer Endometriose können bei jungen Mädchen auch azyklisch oder chronisch sein und sind gehäuft mit gastrointestinalen Symptomen verbunden.
Tabelle:
Einteilung der Dysmenorrhö nach Schweregraden von 0 bis 3 (Score nach Björn Andersch & Ian Milsom). Ergänzend dazu kann der standardisierte Fragebogen («Pelvic pain questionnaire» der International Pain Society) auch für Jugendliche angewendet werden.
Stadium 0 1 2 3
Arbeitsfähigkeit gut meist gut meist eingeschränkt eingeschränkt
Begleitsymptome keine keine gelegentlich immer
Analgetikagebrauch selten selten gute Wirkung gute Wirkung
Diagnostiziert wird eine Endometriose histologisch mittels Laparoskopie, wobei beachtet werden muss, dass sich bei Adoleszentinnen die Läsionen intraabdominal atypisch manifestieren können (weissliche Läsionen, klare Bläschen, petechienähnliche, rötliche Läsionen). Einige bekannte anamnestische Risikomarker für die Entwicklung einer Endometriose sind eine positive Familienanamnese (Mutter oder Schwester), häufige Schulabsenzen infolge invalidisierender Bauchschmerzen, frühes Verschreiben von kombinierten oralen Kontrazeptiva (COC) wegen Dysmenorrhö sowie auch lange COC-Einnahme. Die Anamnese sollte hinsichtlich der Schmerzsymptomatik gründlich erhoben werden und ein Schmerztagebuch empfohlen werden. Eine Sonografie des Abdomens (transabdominal oder transvaginal) sollte zum Ausschluss von pelvinen Raumforderungen oder Ovarialzysten durchgeführt werden.
Therapie Bei klinischem und anamnestischem Verdacht auf Endometriose ist die Schmerzmedikation mit NSAR sowie die Gabe von COC im Langzyklus oder eine gestagenhaltige Hormontherapie (Dienogest 2 mg/Tag; Levonorgestrel-haltige Spirale) die Therapie der ersten Wahl. Die Analgetika müssen vor Schmerzbeginn und regelmässig eingenommen werden. Unter Dienogest fand sich eine statistisch signifikante Schmerzreduktion ohne relevante Nebenwirkungen bei den Adoleszentinnen, zudem auch eine Regredienz der Endometrioseherde nach
sechsmonatiger Therapie. Bezüglich Knochendichteminderung unter Dienogest 2 mg/Tag zeigte die VISADO-Studie bei Mädchen zwischen 11 und 18 Jahren eine leichte Verminderung der Knochendichte nach 52 Wochen, die jedoch nach Absetzen der Therapie reversibel war. Bei Jugendlichen mit Endometriose sollte eine Operation möglichst vermieden werden. Diese sollte aber bei fortbestehenden Beschwerden im Erwachsenenalter erfolgen, optimal zum Zeitpunkt des Kinderwunsches. Die Endometriose ist eine progressive Krankheit, die unbehandelt zu chronischen Schmerzen und gegebenenfalls Infertilität führt und deshalb frühzeitig zu behandeln ist.
Anatomische Fehlbildungen
Ein fehlender Fluor vaginalis nach der
Geburt des Mädchens ist ein Hinweis für
eine Anlageanomalie. Die häufigste stellt
die Hymenalatresie dar (Inzidenz 1:1000).
Meist fällt in der kinderärztlichen Praxis
bei der ersten Vorsorgeuntersuchung ein
Hydro- oder Mykokolpos auf. Damit eine
primäre Amenorrhö mit zyklischen Bauch-
schmerzen bei Hämatokolpos vermieden
wird, sollte die operative Korrektur nach
der Thelarche und vor zu erwartender
Menarche durchgeführt werden.
I
Bärbel Hirrle
Quelle: Wüest A, Dingeldein I: Chronische Bauchschmerzen bei Mädchen – Ursachen kennen und erkennen. Paediatrica 2017; 28(4): 36–39.
Hinweis: GYNEA-Symposium am 27. September in Bern, erste Infos siehe Seite 21.
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