Transkript
JOURNAL CLUB
GYNEA – Schweizerische Arbeitsgruppe für Kinder- und Jugendgynäkologie
Zyklusstörungen bei Teenagern
Betreuung in der jugendgynäkologischen Sprechstunde
Blutungsstörungen gehören zu den häufigsten Beschwerden im Jugendalter. Viele junge Mädchen kommen jedoch aus Scham oder Unwissenheit erst nach wochenlangen Dauerblutungen oder einer langen Amenorrhö in die Sprechstunde. Im Folgenden werden die wesentlichen Eckpunkte in Diagnostik und Therapie bei jugendlichen Patientinnen zusammengefasst.
Gute Kenntnisse über normale Zyklusabläufe im Jugendalter bei den Grundversorgern und deren Vermittlung an die Mädchen und ihre Mütter (Eltern) sind Voraussetzung, um Pathologien frühzeitig zu erkennen. Das Erheben der Menstruationsanamnese sollte zum Standard bei Konsultationen von Jugendlichen in der Praxis gehören. Mittlerweile stehen ab dem erstem Jahr nach der Menarche Normwerte zur Verfügung.
Diagnostische Kriterien
Anovulatorische Zyklen aufgrund einer Unreife der Hypothalamus-HypophysenOvarachse, die kurz nach der Menarche noch physiologisch sind, gelten als Hauptgrund für Blutungsstörungen. Auszuschliessen sind aber endokrinologische Erkrankungen, Schwangerschaft und sexuell übertragbare Infektionen sowie bei starken Blutungen eine Gerinnungsstörung. Diagnostisch erfolgen eine genaue Anamnese und körperliche Untersuchung sowie laborchemische Abklärungen und bildgebende Massnahmen, sofern bei einer Verdachtsdiagnose erforderlich.
Primäre und sekundäre Amenorrhö Eine primäre Amenorrhö liegt vor, wenn bis zum vollendeten 15. Lebensjahr (bzw. 2½ bis 3 Jahre nach der Thelarche) keine Menarche eingesetzt hat. Dabei müssen auch die Familienanamnese und der bisherige Pubertätsverlauf beurteilt werden. Eine sekundäre Amenorrhö liegt bei Ausbleiben der Monatsblutung über mehr als 3 Monate nach zuvor regelmässigen oder unregelmässigen Zyklen vor.
Abnorme uterine Blutungen Nach Empfehlung der International Federation of Gynecology and Obstetrics (FIGO) von 2011 werden sämtliche Blu-
tungsstörungen ab dem Jugendalter unter dem Begriff «abnormale uterine Blutungen» (AUB) zusammengefasst; jede Abweichung bezüglich des Blutvolumens, der Regelmässigkeit, Häufigkeit und Dauer der Menstruationsblutungen wird damit beschrieben. Bei der chronischen AUB bestehen die Abweichungen während der meisten Perioden in den letzten 6 Monaten vor. Davon abzugrenzen ist die akute AUB, die einen starken Blutverlust beschreibt, welcher eine sofortige Intervention erfordert.
Chronische abnorme uterine Blutung Als Hauptursache gelten anovulatorische Zyklen mit Follikelpersistenz. Bei adipösen Mädchen mit Hirsutismus und einer moderaten bis schweren Akne (Hyperandrogenämie) in Kombination mit einer Oligomenorrhö (Zyklusdauer > 38 Tage) muss an ein Polyzystisches Ovarsyndrom (PCOS) gedacht werden. Neben der ausführlichen Anamnese müssen Beschwerden wie Fluor, sexuelle Aktivität und eventuelle Traumata erfragt werden. Bei der körperlichen Untersuchung wird das Pubertätsstadium beurteilt, das Genitale auf Verletzungen und den Östrogenisierungszustand des Hymens untersucht sowie die Blutungsstärke abgeschätzt. Eine vaginale Untersuchung sollte bei sexuell nicht aktiven Jugendlichen nicht durchgeführt werden. Hier gibt der transabdominale Ultraschall mit voller Blase eine gute Möglichkeit der Beurteilung des inneren Genitales. Die initiale Labordiagnostik umfasst einen Schwangerschaftstest aus Urin oder Serum sowie ein Blutbild und das Ferritin. Bei sexuell aktiven Jugendlichen muss eine entzündliche Ursache der Blutung, vor allem durch Chlamydien, ausgeschlossen werden.
Akute abnorme uterine Blutung Unter akuter AUB versteht man eine starke Blutung, die aus klinischer Sicht einer unmittelbaren Intervention bedarf, um einen weiteren Blutverlust zu vermeiden. Sie kann unabhängig von einer chronischen AUB oder im Kontext einer bekannten chronischen AUB auftreten. Bei Zeichen des akuten Blutverlustes (Hypovolämie, Anämie) muss die hämodynamische Stabilisierung der Patientin, die Lokalisierung der Blutung und Einschätzung der Stärke im Vordergrund stehen. Als Primärdiagnostik werden ein Schwangerschaftstest und ein Blutbild durchgeführt sowie das Ferritin bestimmt. Bei einer hämodynamisch instabilen Patientin muss frühzeitig an die Bestimmung der Blutgruppe, an Kreuzblut und an Standardgerinnungstests gedacht werden. Endokrinologische Abklärungen sind bei einmaliger Blutung zunächst nicht erforderlich.
Therapie
Nicht jede Blutungsstörung bedarf einer sofortigen Therapie. Bei normalem Hb und unauffälligem Untersuchungsbefund reicht häufig eine gute Aufklärung der Jugendlichen, das Abgeben eines Menstruationskalenders und ein Kontrolltermin nach 3 Monaten. Bei leichten bis moderaten Blutungsstörungen (Hb nicht unter 10 g/dl) kann bei Jugendlichen ohne Verhütungswunsch zunächst eine nicht hormonelle Therapie versucht werden. Hier kommen nicht steroidale Entzündungshemmer (NSAR) wie Ibuprofen (3 × 400 mg pro Tag), Naproxen (250–500 mg pro Tag) oder Mefenaminsäure (3 × 500 mg pro Tag) beziehungsweise in der für Kinder angepassten Dosierung zum Einsatz. Bei Erwachsenen führen NSAR zu einer Reduzierung des Blutverlustes um bis zu 20%, für Jugendliche liegen hierzu keine Daten vor. Mönchspfeffer über 3 bis 6 Monate kann helfen, den Zyklus zu normalisieren. Die Effekte werden unter anderem auf dopaminerge und prolaktinsenkende Eigen-
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schaften zurückgeführt. Die FSH- und LH-Freisetzung wird normalisiert und der Zyklus dadurch stabilisiert. Der Wirkmechanismus ist jedoch nicht vollständig geklärt.
Behandlung bei akuter uteriner Blutung Die akute uterine Blutung erfordert sofortiges Handeln. Bei hämodynamisch instabiler Patientin richtet sich die Versorgung zunächst nach den Regeln der Notfallversorgung. Bei allen Patientinnen sollten auch Begleitsymptome wie starke Schmerzen und Übelkeit mit Antiemetika und Analgetika behandelt werden. Die Blutung muss gestoppt und die folgenden Zyklen stabilisiert werden. Dies gelingt meist durch hormonelle Therapien. Operative Massnahmen wie die Abrasio oder die Endometriumablation sind im Jugendalter als ultima ratio zu sehen und können in über 90% der Fälle vermieden werden. Langfristig wird die Anämie mit Eisenpräparaten, gegebenenfalls auch intravenös, behandelt. Eine ausführliche Abklärung der Gerinnung sollte erst nach Normalisierung der Laborparameter erfolgen, um Fehlbestimmungen zu vermeiden. Mit der Gabe eines hochdosierten kombinierten hormonellen Kontrazeptivums gelingt es in den meisten Fällen, die akute starke Blutung zu stoppen. Es existieren verschiedene Empfehlungen bezüglich der Dosierung in den ersten Tagen. Meistens startet man mit einer Mikropille (0,03 mg Ethinylestradiol/0,15 mg Levonorgestrel) alle 6 bis 8 Stunden. Es erfolgt die schrittweise Reduktion, bis ab
Tag 5 nur noch eine Tablette täglich gegeben wird. Hier muss besonders die erhöhte Thrombosegefahr bei sehr hoher Dosierung beachtet werden. Der Einsatz eines Antiemetikums ist sinnvoll. Nach mindestens einer Woche Blutungsfreiheit wird die Einnahme des Medikaments für 3 bis 5 Tage gestoppt, worauf eine Entzugsblutung folgt. Als Rezidivprophylaxe kann die Einnahme dann im normalen Einnahmemodus fortgeführt werden. Alternativ kann die juvenile Dauerblutung bei flachem Endometrium mit einer Östrogenmonotherapie (z.B. 2 mg Östradiolvalerat) für 10 Tage, gefolgt von einer Kombinationstherapie (z.B. 2 mg Östradiolvalerat und 2 mg Dienogest) für 12 bis 14 Tage behandelt werden. Liegen bei akuten Blutungen Kontraindikationen gegen den Einsatz von Östrogenen vor oder bestehen Vorbehalte bei sehr jungen Patientinnen, so ist eine hormonelle Therapie mit Gestagenmonopräparaten eine gute Alternative (Norethisteron 1–2 × 5 mg/Tag [Primolut N®] oder Dydrogesteron 1–2 × 10 mg/Tag [Duphaston®]) jeweils für 14 Tage.
Behandlung bei chronischer uteriner Blutung Bei chronischer AUB können bei Jugendlichen ohne Verhütungswunsch diese Medikamente vom 15. bis 26. Zyklustag zur Rezidivprophylaxe für mindestens 3 bis 6 Monate eingesetzt werden. Sehr wirkungsvoll zur Reduktion der Blutungsstärke der chronischen AUB ist auch eine kombinierte Pille mit dem Gestagen Dienogest. In der Schweiz stehen hierzu das 1-Phasen-Präparat mit Ethinylestradiol
(Valette®) sowie ein 4-Phasen-Präparat mit Estradiolvalerat (Qlaira®) zur Verfügung. Der Einsatz von oralen Kontrazeptiva reguliert nicht nur Blutungsstörungen, sondern mildert auch die häufig zusätzlich bestehende Dysmenorrhö. Die Einnahme ist oft einfacher durchzuführen als eine Gestagenmonotherapie in der 2. Zyklushälfte. Auch der Einsatz von Hormonspiralen führt wirksam zur Reduktion der Blutungsstärke und ist eine Alternative bei Jugendlichen, die verhüten möchten und Kontraindikationen gegen östrogenhaltige Medikamente haben.
Schlussbemerkungen
Blutungsstörungen in der Adoleszenz
sind häufig und sollten erkannt und be-
handelt werden. Die Einschätzung des
Schweregrades der Beschwerden basiert
auf einer ausführlichen Anamnese sowie
einer gründlichen Untersuchung. Typisch
für Jugendliche ist, dass ihre anamnesti-
schen Angaben über ihren Blutverlust
und der tatsächliche Befund eine Diskre-
panz zeigen können, denn nicht selten
werden Symptome falsch beurteilt. Ein
aufklärendes Gespräch mit Abgabe ei-
nes Zykluskalenders und Vereinbarung
eines Kontrolltermins nach 3 Monaten
kann häufig zunächst ausreichen und bie-
tet eine gute Gelegenheit für weitere
präventive Gespräche.
I
Bärbel Hirrle (Review nach Quellenangabe)
Quelle: Erkert AK, Hoffmann D: Blutungsstörungen bei Jugendlichen erkennen und behandeln. Paediatrica 2017; 28(4): 40–43.
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