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Die Position von Dialog Ethik
Leihmutterschaft und Eizellenspende – reproduktive Autonomie und Willkür
Wenn in der Reproduktionsmedizin bestehende Grenzen überschritten werden sollen, wird das oft mit der «reproduktiven Autonomie» begründet: Menschen sollen die Freiheit haben, selbst zu wählen, wie, wann und mit welcher Methode sie zu einem Kind kommen wollen. Im Namen der «reproduktiven Autonomie» wird die Zulässigkeit von Leihmutterschaft und Eizellenspende derzeit auch für die Schweiz gefordert. Wie sieht es in Hinblick auf eine zukünftige Regelung der Fortpflanzungsmedizin mit den ethischen Aspekten solcher Wahlmöglichkeit aus?
Reproduktive Autonomie
Die ursprüngliche Bedeutung von «Autonomie» geht auf den Philosophen Immanuel Kant (1724–1804) zurück. «Autonomie» stammt vom griechischen Begriff «auto-nomos» ab und bedeutet «Selbstgesetzgebung» im Sinne eines Abwehrrechts (d. h., Menschen müssen Einspruch erheben können, wenn etwas mit ihnen geschehen soll). Aufgrund ihres Autonomieanspruchs haben sie auch eine Würde und keinen Preis. Mit «Selbstgesetzgebung» meinte Kant nicht einfach die Selbstbestimmung des Individuums. Nach seiner Auffassung sind die Menschen nur dann frei, wenn sie auch zur Selbstbeschränkung bereit sind, ein bestimmtes Handeln für alle Menschen gültig sein kann und andere Menschen nicht schädigt. Schrankenlose Freiheit stellt nach Kant Willkür dar. Bei der Freiheit des Menschen kann es immer nur um eine sich selbst beschränkende Freiheit gehen. In diesem Sinne ist auch die «reproduktive Autonomie» von der «reproduktiven Willkür» zu unterscheiden.
Reproduktive Willkür
Menschen können sehr unter einem unerfüllten Kinderwunsch leiden. Sie haben denn auch Anspruch auf Behandlung ihrer Fertilitätsstörung. Ein Recht auf ein Kind aber erscheint ethisch nicht vertretbar, weil dieses damit zur Realisierung eigener Wünsche instrumentalisiert würde, was seinem Anspruch auf Würde widerspricht. Das gilt erst recht in Bezug auf ein Kind mit bestimmten Eigenschaften. Aus diesem Grund kennt die Schweiz die sogenannte «embryopatische Indikation» für den Schwangerschaftsabbruch
nicht, bei der eine Schwangerschaft wegen nicht gewünschter Eigenschaften des zukünftigen Kindes abgebrochen wird. Sobald ein Recht auf ein Kind oder sogar auf eines mit bestimmten Eigenschaften stipuliert wird, handelt es sich um «reproduktive Willkür».
Die Freiheit, sich selbst zu schädigen
Bei der Leihmutterschaft, der Gebärmutter-, Samen-, Eizellen oder Genomspende stellt sich in gleicher Weise die Frage, ob es ein Recht darauf gibt, Teile seines Körpers auszuleihen, zu spenden oder zu verkaufen. In der Schweiz sind die Leihmutterschaft, die Eizellen- und damit auch die Genomspende in eine entkernte Eizelle verboten, was mit der Verpflichtung des Staates zum Schutz der Gesundheit der Spenderinnen begründet wird. Während bei der Samenspende nicht in die Integrität des Mannes eingegriffen wird, sind mit der Leihmutterschaft, der Eizellen- und Genomspende grössere gesundheitliche Risiken für die Frau verbunden. Derzeit sind Bestrebungen im Gang, das Verbot der Leihmutterschaft, der Eizellen- und der Genomspende aufzuheben, mit der Begründung, dass die Frauen selber sollen entscheiden können, was mit ihrem Körper geschieht. Gehört also zur «reproduktiven Autonomie» auch das Recht, mit seinem Körper zu tun und lassen, was man will, ihn also auch zu schädigen? Ein Recht auf Selbstschädigung steht im Widerspruch zur Verpflichtung des Staates zum Schutz der Gesundheit seiner Bürger. Dieses kann es schon deshalb nicht geben, weil
sonst der Staat auch die Mittel zur Selbstschädigung zur Verfügung stellen müsste. Der Staat hat also auch nicht für Leihmutterschaft aufzukommen. Hingegen besteht aufgrund des Rechts jedes Menschen, jegliche Form von Behandlung einer gesundheitlichen Beeinträchtigung abzulehnen, auch die Freiheit zur Selbstschädigung, weshalb sich die Frage stellt, ob der Staat die Selbstschädigung der Frauen als Leihmutter, Eizellen- oder Genomspenderin zulassen oder seine Schutzverpflichtung ihnen gegenüber höher gewichten soll. Weil die Organlebendspende in der Schweiz zugelassen ist, solange sie freiwillig erfolgt und nicht auf kommerzieller Basis, stellt sich diese Frage auch aus Gründen der Rechtsgleichheit. Die Organlebendspende geschieht jedoch meist im Rahmen von engen und/oder verwandtschaftlichen Beziehungen und bei jedem Lebendspender wird einzeln geprüft, ob die Spende wirklich freiwillig erfolgt. Es gibt kaum Menschen, die zum Beispiel ihre Niere aus rein altruistischen Gründen spenden und sich hierfür selber zu schädigen bereit sind. Die hier bestehende Freiheit zur Selbstschädigung und zum Selbstopfer spricht eher für die Zulassung von nicht kommerzieller, freiwilliger und privat finanzierter Leihmutterschaft, Gebärmutter-, Eizellen- und Genomspende im Rahmen von engen persönlichen oder von verwandtschaftlichen Beziehungen und nach Prüfung durch eine Ethikkommission analog zu den Forschungsethikkommissionen, die ebenfalls die Aufgabe haben, die Probanden und Patienten zu schützen.
Reproduktionswirtschaft
Nebst individualethischen Aspekten sind auch sozialethische zu bedenken. Die Reproduktionsmedizin stellt heute ein lukratives Geschäft dar. Stellen zwar Frauen ihren Körper freiwillig und kostenlos zur Verfügung und gehen dadurch das Risiko einer Selbstschädigung ein, so erzielen andere damit einen finanziellen Gewinn. Will man dieser Ungerechtigkeit
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entgegenwirken, müssten die Frauen für ihre Bereitschaft angemessen bezahlt werden. Im Ausland wird eine solche Entlöhnung oft als «Aufwandentschädigung» bezeichnet, was den Umstand, dass Frauen Teile ihres Körpers verkaufen, beschönigt. Damit wird versucht, die letzte Grenze in Bezug auf eine Kommerzialisierung, dass mit menschlichem Leben, mit Organen und Gewebe, nicht gehandelt werden darf, aufrechtzuerhalten. Faktisch ist diese Grenze aber im Bereich der Reproduktionsmedizin längst überschritten.
Zuchtwahl
Mit der Leihmutterschaft, der Eizellenund Genomspende einher geht stets die Auswahl der Leihmütter und Spenderinnen aufgrund von Kriterien wie Ausbildung, Aussehen, genetischen Eigenschaften. Faktisch stellt dies eine «Zuchtwahl» dar. Wie die Erfahrungen im Ausland zeigen, ist dort die «reproduktive
Autonomie» der Spenderfrauen längst zur «reproduktiven Willkür» der Reproduktionswirtschaft geworden, die auch Leihmütter und Spenderinnen verdinglicht. Umso mehr stellt sich damit die Frage nach der Schutzverantwortung des Staates den Frauen gegenüber.
Gesundheitsrisiken für künstlich gezeugte Menschen
Die Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin kommen heute millionenfach zum Einsatz. So sind bereits ungefähr sechs Millionen Menschen mittels Invitro-Fertilisation geboren worden. Dies, ohne dass man die gesundheitlichen Langzeitfolgen kennt. Leider zeigt sich aber, dass durch In-vitro-Fertilisation gezeugte Menschen beispielsweise ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Krankheiten aufweisen. Auch wenn Menschen in einem liberalen Staat die Freiheit der Selbstschädigung besitzen, kommt eine Fremdschädigung nicht infrage. Ange-
sichts der Unsicherheiten bezüglich längerfristiger Gesundheitsprobleme ist aus Respekt und Verantwortungsgefühl den künstlich gezeugten Menschen gegenüber grösste Vorsicht geboten, wenn es darum geht, die Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin noch weiter auszuweiten. Zur «reproduktiven Autonomie» gehört auch, Verantwortung für die Folgen des eigenen Tuns zu übernehmen. Zur Freiheit muss, wie Kant es ausdrückt, immer auch die Bereitschaft zur Selbstbeschränkung gehören. Damit die Fortpflanzungsmedizin im Sinne einer reproduktiven Autonomie von potenziellen Eltern selbstverantwortlich genutzt werden kann, müssten insbesondere die gesundheitlichen Risiken für den Nachwuchs genauer bekannt sein und diesen präventiv entgegengewirkt werden können. I
Dr. theol. Ruth Baumann-Hölzle Leiterin Stiftung Dialog Ethik E-Mail: info@dialog-ethik.ch
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