Transkript
SCHWERPUNKT
Chirurgie der infiltrativ wachsenden Endometriose
Zunehmend Einsatz weniger aggressiver Techniken
Patientinnen mit tief infiltrierender Endometriose beklagen häufig starke Schmerzen und sind in ihrer Lebensqualität deutlich eingeschränkt. Viele Patientinnen sind breit medikamentös vorbehandelt. Bei therapieresistenten Zuständen oder Zeichen einer Stenosierung ist deshalb häufig die chirurgische Sanierung dieser Läsionen notwendig. Die chirurgische Therapie der tief infiltrierenden Endometriose stellt oft einen hochkomplexen Eingriff dar und birgt ein beachtliches Morbiditätsrisiko.
PATRICK IMESCH, DANIEL FINK
Patrick Imesch
Heutzutage geht der Trend der Chirurgie der tief infiltrierenden Endometriose, analog zu dem in der Karzinomchirurgie, ganz eindeutig hin zu weniger aggressiven Therapieansätzen. Dieser Trend basiert auf der Tatsache, dass die Komplikationsrate bei aggressiver Chirurgie deutlich höher ist, ohne dass die Rezidivrate oder das postoperative Outcome wesentlich verbessert wird im Vergleich mit weniger aggressiven Methoden.
Die tief infiltrierende Endometriose (DIE)
Läsionen und Klinik Endometriose ist eine relativ häufige gynäkologische Erkrankung und betrifft 6–10% der Frauen im reproduktiven Alter. Im Wesentlichen werden drei Formen der Endometriose unterschieden, die aber häufig kombiniert zusammen auftreten. Neben der peritonealen Endometriose unterscheidet man weiter die ovarielle Endometriose und die tief infiltrierende Form der Endometriose (DIE). Ein beachtlicher Teil der DIE betrifft das Septum rectovaginale, wobei die Läsionen ihren Anfang häufig
Merkpunkte
I Die Chirurgie der tief infiltrierenden Endometriose ist häufig mit hochkomplexen Eingriffen verbunden; beste Resultate erreicht man in eingespielten interdisziplinären Teams.
I Der Trend der Chirurgie der tief infiltierenden Endometriose geht derzeit eindeutig zu weniger Radikalität.
I Die Shaving-Technik stellt eine gute Methode dar – ist sie doch mit gutem funktionellem Ergebnis und einer niedrigen Komplikationsrate bei annehmbarer Rezidivrate assoziiert.
I Die Grösse der einzelnen Läsionen stellt kein zwingendes Kriterium für die eine oder andere chirurgische Methode dar.
I Bei ausgedehnter Infiltration und Stenosierung des Rektosigmoids ist die Segmentresektion häufig unvermeidlich.
retrozervikal haben und sekundär die anteriore Wand des Rektums infiltrieren. Viele dieser Patientinnen beklagen teils zyklische, teils zyklusunabhängige Beschwerden mit abdominalem Völlegefühl, intestinalen Krämpfen, Diarrhö und Obstipation (usw.). Die Beschwerden erklären sich einerseits durch das Ausmass der Infiltration mit oder ohne Imprimierung des Rektums, andererseits aber auch durch die Lage der Läsionen. Die Grösse der Läsion korreliert hingegen nicht zwingend mit dem Ausmass der Schmerzen. Das Rektosigmoid ist der am häufigsten betroffene Abschnitt, danach folgen isolierte Knoten am proximalen Sigma und Läsionen am terminalen Ileum und dem Zökum (Abbildung 1).
Grenzen der medikamentösen Therapie Therapeutisch werden grundsätzlich sowohl medikamentöse wie auch chirurgische Methoden eingesetzt. Mehrere Autoren beschreiben eine deutliche Besserung der Beschwerden nach Behandlung mit monophasischen Pillen oder Gestagenen. In einer neuen Arbeit der Studiengruppe um Vercellini ist man der Frage der Patientinnenzufriedenheit bei symptomatischer, gastrointestinaler Endometriose nachgegangen (1). In dieser Kohortenstudie wurde die Zufriedenheit nach alleiniger endokriner Therapie und jene nach alleiniger Chirurgie miteinander verglichen. Die Zufriedenheit war dabei in beiden Gruppen hoch, sodass ein konservativer Versuch mit Ovulationshemmern oder Gestagenen durchaus eine Option darstellen kann. Zu beachten gilt es in dieser Situation allerdings, dass die endokrinen Therapieoptionen häufig nur einen Einfluss auf das endometriale Gewebe und die glatte Muskulatur haben, nicht aber auf den extensiven fibrotischen Anteil dieser Läsionen. Bei Zeichen der Darmobstruktion und bei Patientinnen mit starken Schmerzen und fehlendem Ansprechen auf endokrine Massnahmen ist
6 GYNÄKOLOGIE 1/2018
SCHWERPUNKT
Abbildung 1: Tief infiltrierende Endometriose im Bereich des Lig. sacrouterinum mit Beteiligung des Sigmas
Abbildung 2: Endometrioseknoten im Bereich des Septum rectovaginale
Abbildung 3: Mobilisation des Rektosigmoids, Separation des Endometrioseknotens von der anterioren Rektumwand
daher meist gleichwohl ein chirurgisches Vorgehen notwendig.
Einsatz chirurgischer Optionen Das operative Vorgehen wird dabei von verschiedenen Faktoren beeinflusst, so beispielsweise von der Anzahl der Endometrioseknoten. Man kann dabei zwischen einer Multifokalität der Läsionen (zweite Läsion im Umkreis von 2 cm zur Hauptläsion, was in ca. 62% der Fälle beschrieben wird) und einer Multizentrizität (zweiter Herd > 2 cm von der Hauptläsion entfernt, in 38% der Fälle) unterscheiden. Auch die Grösse der Läsionen kann potenziell eine Rolle spielen, so steigt ab einer Läsiongrösse von 3 cm das Risiko für Strikturen an. Das Ausmass der beeinträchtigten Darmzirkumferenz korreliert typischerweise mit der Tiefe der Infiltration. Ausserdem kann die Distanz der Läsion zum Anus von Bedeutung sein. Distanzen von weniger als 5 bis 8 cm ab ano sind gemäss Literatur mit einem deutlich höheren Risiko für postoperative Komplikationen verbunden. (Abbildung 2). Ganz allgemein gilt es, bei der Planung allfälliger Operationen zu berücksichtigen, dass die Endome-
triose eine benigne Erkrankung ist, sodass eine «onkologische» Resektion nicht im Vordergrund stehen sollte. Häufig steht bei den Patientinnen nebst den Schmerzen auch ein Kinderwunsch im Raum, sodass in vielen Fällen zwingend Kompromisse bei der operativen Radikalität eingegangen werden müssen. Ziel der Chirurgie ist das Erreichen einer Verbesserung der Symptomatik (beispielsweise Verdauungsprobleme, Schmerzen). Wie eingangs erwähnt, geht der Trend heute eindeutig hin zu weniger aggressivem Vorgehen. Chirurgisch stehen dabei verschiedene Methoden zur Verfügung. Häufig wird eine transmurale Infiltration und eine Invasion mit Beeinträchtigung von > 50% der Darmzirkumferenz als Indikation für eine Darmresektion gesehen. Gleichwohl ist dies nicht unumstritten, und andere chirurgische Verfahren wie beispielsweise die diskoide Resektion oder die ShavingTechnik werden ebenfalls häufig angewendet. Der Vergleich der verschiedenen Techniken miteinander ist schwierig, und auch der Vergleich der einzelnen Techniken in Studien ist nicht unproblematisch, da die Methoden von den verschiedenen Chirurgen zum
Abbildung 4: Shaving des Endometrioseknotens
GYNÄKOLOGIE 1/2018
Abbildung 5: Situs nach vollständiger Mobilisation und Shaving des Endometrioseareals
7
SCHWERPUNKT
Teil unterschiedlich durchgeführt werden, sodass auch der Direktvergleich mit Vorsicht interpretiert werden muss. Die derzeit am häufigsten angewendeten Techniken werden im Folgenden kurz erklärt.
Die Shaving-Technik Bei dieser Technik geht es darum, die Endomerioseknoten von der anterioren Rektumwand zu separieren und anschliessend zu exzidieren oder zu abladieren, ohne dass dabei die Darmwand eröffnet wird (Abbildung 3). Der Grossteil der entfernten Knoten in Shaving-Technik wird in der Literatur mit einer Grösse von 2 bis 3 cm angegeben, wobei allerdings auch bis zu 6 cm grosse Befunde mit dieser Technik angegangen werden können (2). Als intraoperative Komplikationen sind Darmperforationen beschrieben, welche mit einer Häufigkeit von zirka 1,7% angegeben werden und in den meisten Fällen gleich versorgt werden können, ohne Nachteile für die Patientin. Weitere Komplikationen umfassen späte Darmperforationen, welche dann aber häufig eine Kolostomie benötigen (in bis 2,2%), sowie rektovaginale Fisteln (in 0,24%). Mit der Shaving-Technik kann normalerweise die neurologische Darmaktivität erhalten bleiben, sodass verglichen mit anderen Techniken hier deutlich weniger postoperative Probleme auftreten. Die Rezidivwahrscheinlichkeit beziehungsweise das Wiederauftreten von Schmerzen nach Shaving-Technik wird mit unter 10% angegeben. In verschiedenen Studien wird die Re-Interventionsrate nach der beschriebenen Technik mit nur 2,4% angegeben (3, 4) (Abbildung 4 und 5).
Diskoide Resektion Dabei handelt es sich um die «full-thickness»-Exzision des Endometrioseknotens mit anschliessender Darmnaht. In Studien wird die Ausbildung von rektovaginalen Fisteln nach diskoider Exzision mit bis zu 3,6% angegeben, was deutlich höher als beim Shaving und ähnlich hoch wie bei der Segmentresektion ist. Die Fistelrate ist umso höher, je näher zum Anus die Resektion erfolgt. Auch die Separierung von allfälligen vaginalen und rektalen Nähten durch eine Omentumplombe konnte die Fistelrate in den Studien nicht wesentlich senken. Theoretisch besteht nach diskoider Resektion das Risiko einer Darmstenosierung. Wenn die Nähte transversal und semizirkulär gelegt werden, ist diese Komplikation aber insgesamt als selten anzusehen (5). Die Rezidivraten nach diskoider Exzison sind insgesamt niedrig und werden mit 1,8% innerhalb von zwei Jahren postoperativ angegeben.
Segmentresektion Unvermeidlich wird die Segmentresektion bei ausgedehnter Infiltration, starker Torquierung und Stenosierung des Rektosigmoids. Hierbei wird der betrof-
fene Darmabschnitt vollständig entfernt. Die Abschnitte des Darms vor respektive hinter dem entfernten Abschnitt werden durch Nähte oder mit einem Klammernahtinstrument anschliessend wieder verbunden, entweder End-zu-End oder Seit-zu-End. Rektovaginale Fisteln und Anastomoseninsuffizienzen sind die beiden Hauptkomplikationen, wobei Raten zwischen 0 und 18% angegeben werden. Je tiefer die Anastomose zu liegen kommt, desto höher ist im Allgemeinen die Komplikationsrate. Die Rate an Fistelbildungen wird mit bis zu 13% angegeben bei Anastomosen, welche weniger als 8 cm ab ano zu liegen kommen (6). Weitere Komplikationsmöglichkeiten stellen Blutungen und Anastomoseninsuffizienzen dar. Die Rezidivwahrscheinlichkeit ist bei vollständiger Exzision allerdings sehr niedrig. Literatur und Guidelines machen heute keine definitiven Aussagen zur Indikationsstellung und Anwendung der oben beschriebenen Operationsmethoden bei DIE des Rektosigmoids. Grosse Läsionen und multizentrische Läsionen geben indes häufig die Indikation für eine Segmentresektion. Neuere Übersichtsarbeiten schlussfolgern allerdings, dass die alleinige Grösse der Endometrioseknoten keinen Grund für die eine oder andere Operationsmethode darstellen sollte. Ganz allgemein muss gesagt werden, dass die Komplikationsrate nach Darmresektion verglichen mit der diskoiden Resektion und dem Shaving eindeutig höher ist. Ureterläsionen, Anastomoseninsuffizienzen, Harnretentionen und Abszessbildungen treten bei der Darmresektion häufiger auf als beim Shaving oder der diskoiden Resektion. Eine Darmresektion muss deshalb klar indiziert sein, insbesondere bei Frauen mit Kinderwunsch und bei nur wenig Beschwerden. In der Übersichtsarbeit von Donnez und Kollegen wird das Risiko für die Ausbildung einer rektovaginalen Fistel nach Shaving mit 2,5% angegeben, verglichen mit 2,8% nach diskoider Resektion und 4,3% nach Segmentresektion. Auch die Rate postoperativer Harnretentionen ist nach Segmentektomie höher und wird mit 1,4 bis 17,5% angegeben. Die Rezidivraten beziehungsweise das Wiederauftreten von Schmerzen werden in der Literatur erstaunlicherweise nach Darmresektion und diskoider Resektion als höher angegeben als nach Shaving-Technik. Diese Zahlen sind aber sicherlich mit gewisser Vorsicht zu geniessen, da ein möglicher Bias nicht unwahrscheinlich ist. Es ist gut denkbar, dass in den Patientinnenkollektiven mit Segmentresektionen aggressivere Formen der Endometriose vorkommen, was auch das Zerrbild erklären könnte. Natürlich ist bei Endometrioseoperationen die vollständige Entfernung aller Herde anzustreben. Dies ist aber selbst nach Segmentresektionen und diskoider Resektion nicht immer erreichbar. In den Histologiepräparaten nach Segmentresektionen findet man
8 GYNÄKOLOGIE 1/2018
SCHWERPUNKT
Abbildung 7: Stenosierender Prozess im Bereich des Rektosigmoids
Abbildung 8: Situs nach Segmentresektion mit End-zuEnd-Anastomosierung
gemäss Literatur in bis zu 10% befallene Resektatränder (Abbildung 7 und 8).
Zusammenfassung
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der Trend der Chirurgie der tief infiltrierenden Endometriose heute ganz eindeutig hin zu weniger aggressiven Therapieoptionen geht. In vielen Fällen, selbst in fortgeschrittenen Stadien, ist ein Shaving der Endometrioseläsionen möglich bei annehmbarem Risiko; die Grösse der Läsion scheint dabei kein wesentliches Kriterium darzustellen. Dass das Rezidivrisiko nach Shaving-Technik dabei deutlich höher ist als bei aggressiveren chirurgischen Optionen, lässt sich zwar theoretisch vermuten, kann in der Literatur derzeit aber nicht eindeutig nachgewiesen werden. Aus tierexperimentellen Studien ist bekannt, dass für die Invasion eine kollektive Zellinvasion bedeutsam
ist. Für diesen Prozess ist es wichtig, dass Gruppen von Zellen ihre Zell-Zell-Junctions behalten und zusammen das peritumorale Gewebe invadieren (7). Das Zentrum der Läsion scheint dabei mit der Invasionsfront verbunden zu sein. Wenn das Zentrum nun mittels Shaving-Technik, diskoider Resektion oder Segmentresektion entfernt worden ist, können sich allfällige nicht entfernte Restdrüsen nicht mehr weiterentwickeln. Dies wäre eine mögliche Erklärung dafür, dass selbst nach nicht vollständiger Resektion nicht zwingend von einem Rezidiv ausgegangen werden muss. Vor dem Hintergrund einer geringeren Komplikationsrate bei annehmbarer Rezidivrate scheint ein Shaving häufig die zu bevorzugende Therapieoption darzustellen. Die Grösse der Läsionen scheint dabei keine spezielle Rolle zu spielen. Die Segmentresektion sollte die letzte Option darstellen, ist aber bei multiplen Läsionen und grösseren Stenosierungen des Darmlumens sicherlich eine wichtige Option. I
PD Dr. med. Patrick Imesch (Korrespondenzadresse) E-Mail: patrick.imesch@usz.ch
und Prof. Dr. med. Daniel Fink
Klinik für Gynäkologie Universitätsspital Zürich 8091 Zürich
Quellen: 1. Vercellini P, Frattaruolo MP, Rosati R, et al.: Medical treatment or surgery for colorectal endometriosis? Results of a shared decision-making approach. Hum Reprod. 2017. doi: 10.1093/humrep/dex364. [Epub ahead of print]. 2. Donnez O, Roman H.: Choosing the right surgical technique for deep endometriosis: shaving, disc excision, or bowel resection? Fertil Steril. 2017; 108(6): 931–942. doi: 10.1016/j.fertnstert.2017.09.006. (Review). 3. Donnez J, Squifflet J.: Complications, pregnancy and recurrence in a prospective series of 500 patients operated on by the shaving technique for deep rectovaginal endometriotic nodules. Hum Reprod. 2010; 25: 1949–1958. 4. Roman H, Moatassim-Drissa S, et al. : Rectal shaving for deep endometriosis infiltrating the rectum: a 5-year continuous retrospective series. Fertil Steril. 2016; 106: 1438–1445. 5. Darwish B, Roman H.: Regarding pillars for surgical treatment of bowel endometriosis. J Minim Invasive Gynecol. 2016; 23: 1201–1203. 6. Malzoni M, Di Giovanni A, et al.: Feasibility and safety of laparoscopic-assisted bowel segmental resection for deep infiltrating endometriosis: a retrospective cohort study with description of technique. J Minim Invasive Gynecol. 2016; 23: 512–525. 7. Donnez O, Orellana R, Van Kerk O et al.: Invasion process of induced deep nodular endometriosis in an experimental baboon model: similarities with collective cell migration? Fertil Steril 2015; 104: 491–497.
GYNÄKOLOGIE 1/2018
9