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Letter to the Editors
Nachtrag zum Artikel «Patientinnen mit genitaler Beschneidung»/ Guideline der SGGG mit Arbeitsgruppe
In: GYNÄKOLOGIE 2017; 2: 24–29.
Nachtrag: «Weibliche Genitalbeschneidung»
Dieser Artikel versteht sich als Nachtrag zum Artikel «Patientinnen mit genitaler Beschneidung. Schweizerische Empfehlungen für Ärzte, Hebammen und Pflegefachkräfte», welcher in der Ausgabe GYNÄKOLOGIE 2/2017 erschien. Der Nachtrag informiert über wichtige Neuerungen und jüngste Entwicklungen zum Thema weibliche Genitalbeschneidung (Female Genital Mutilation/Cutting FGM/C).
Überarbeitung der Guidelines der SGGG Die Guidelines «Patientinnen mit genitaler Beschneidung: Schweizerische Empfehlungen für Ärztinnen und Ärzte, Hebammen und Pflegefachkräfte» (1) der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (SGGG), die 2005 verfasst wurden, werden zurzeit überarbeitet und aktualisiert. Das Universitätsspital Genf (HUG) (Dr. med. Jasmine Abdulcadir) in Zusammenarbeit mit dem Universitätsspital Lausanne (CHUV) (Dr. med. Saira-Christine Renteria) wurde von der Qualitätskommission der SGGG beauftragt, Fachpersonen für die Überarbeitung der Guidelines zu kontaktieren und diese Arbeit zu koordinieren.
Neue Guidelines der WHO 2016 hat die Weltgesundheitsorganisation neue Guidelines zum «Management of health complications from female genital mutilation» (2) herausgegeben. Diese richten sich in erster Linie an Gesundheitsfachpersonen, die betroffene Mädchen und Frauen behandeln. Die Guidelines nehmen eine neue beziehungsweise detailliertere Klassifikation der verschiedenen Typen von FGM/C vor (3). Dabei werden Empfehlungen und «best practice statements» formuliert, unter anderem zu psychischer Gesundheit, sexueller Gesundheit und De-Infibulation. Diskutiert werden auch andere operative und nicht operative Behandlungsmöglichkeiten.
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Facts & Figures zur Schweiz zu FGM/C
Die letzte Schätzung zu FGM/C stammt vom Bundesamt für Gesundheit aus dem Jahr 2013 (!) und geht von ungefähr 14 700 betroffenen oder gefährdeten Mädchen und Frauen aus. Dies ist eine Hochrechnung. Sie wurde anhand der Statistik der jeweiligen ausländischen Wohnbevölkerung erstellt und in Bezug gesetzt zu den Vorkommensraten in den Ursprungsländern. Genauere Aussagen zur Prävalenz können zurzeit nicht gemacht werden, da in der Schweiz kein Monitoringsystem existiert, welches relevante Daten gesamtschweizerisch erheben würde. In der Schweiz sind insbesondere (aber nicht nur) Menschen aus Eritrea, Somalia, Äthiopien, Sudan und aus Ägypten betroffen. Die Beschneidungsraten in diesen Ländern sind hoch: So sind dort zwischen 74% (Äthiopien) und 98% (Somalia) aller Mädchen und Frauen beschnitten (4).
Fachpersonen kommen mit FGM/C in Kontakt Gemäss einer Umfrage von Unicef Schweiz haben 79% der Gynäkologinnen und 66% der Hebammen angegeben, mindestens einmal in Kontakt mit beschnittenen Frauen/Mädchen gekommen zu sein (5).
Gesetzliche Lage 2012 wurden die bestehenden Straftatbestände zum Schutz von Leib und Leben im Schweizerischen Strafgesetzbuch durch ein explizites Verbot der Beschneidung weiblicher Genitalien ergänzt bzw. konkretisiert:
Art. 124 StGB: Körperverletzung/Verstümmelung weiblicher Genitalien 1 Wer die Genitalien einer weiblichen Person verstümmelt, in ihrer natürli-
chen Funktion erheblich und dauerhaft beeinträchtigt oder sie in anderer Weise schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe nicht unter 180 Tagessätzen bestraft. 2 Strafbar ist auch, wer die Tat im Ausland begeht, sich in der Schweiz befindet und nicht ausgeliefert wird. (…).
Art. 124 StGB stellt jegliche Form der Beschneidung weiblicher Genitalien, unabhängig davon, ob es sich um eine schwere oder leichte Form von FGM/C handelt, unter Strafe. Die Strafe ist Freiheitsentzug bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe. Unerheblich ist, ob der Eingriff körperliche Funktionen beeinträchtigt. Ebenfalls kein Kriterium ist, ob ein Eingriff unter einwandfreien hygienischen und ärztlichen Bedingungen ausgeführt wird oder nicht. FGM/C ist in der Schweiz auch strafbar, wenn sie im Ausland durchgeführt wird oder wurde. Unerheblich ist dabei, ob FGM/C im betreffenden Land ebenfalls verboten ist oder nicht. Die Strafbestimmung von Art. 124 StGB will verhindern, dass Mädchen in ihr Heimatland oder sonst einen Staat gebracht werden, um die Beschneidung vorzunehmen (5).
Marisa Birri TERRE DES FEMMES Schweiz/Für das Netzwerk gegen Mädchenbeschneidung Schweiz
Letter to the Editors
Maedchenbeschneidung.ch – Netzwerk gegen Mädchenbeschneidung Im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit und des Staatssekretariats für Migration haben Terre des Femmes Schweiz, Caritas Schweiz, Sexuelle Gesundheit Schweiz und das Schweizerische Kompetenzzentrum für Menschenrechte 2016 das «Netzwerk gegen Mädchenbeschneidung Schweiz» gegründet. Im Zentrum der vielfältigen Aktivitäten des Netzwerks steht die Website maedchenbeschneidung.ch. Diese unterstützt zum einen von FGM/C betroffene Frauen und Mädchen und sensibilisiert die Migrationsgemeinschaften in verschiedenen Sprachen. Zum anderen vermittelt sie Fachpersonen die nötigen Informationen im Umgang mit FGM/C. Ein Flyer informiert über die neue Webseite und ist in den Sprachen Deutsch,
Französisch, Italienisch und Englisch (jeweils in Kombination mit Somalisch und Tigrinya) erhältlich. Der Flyer kann bestellt werden via info@maedchenbeschneidung.ch. Zum Angebot des Netzwerks gehören auch ein Beratungsangebot für Betroffene und Fachpersonen, praxisbezogene Weiterbildungen für Fachpersonen, Communityarbeit sowie der Aufbau regionaler Anlaufstellen.
Korrespondenzadresse: TERRE DES FEMMES Schweiz Marisa Birri Standstrasse 42 3014 Bern Telefon 031-311 38 79 E-Mail: mbirri@terre-des-femmes.ch
Datum: August 2017
Quellen: 1. Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologie und
Geburtshilfe, «Guideline Patientinnen mit genitaler Beschneidung: Schweizerische Empfehlungen für Ärztinnen und Ärzte, Hebammen und Pflegefachkräfte», 2005. 2. Weltgesundheitsorganisation, WHO guidelines on the management of health complications from female genital mutilation, 2016. 3. Vgl. auch Abdulcadir J, Catania L, Hindin MJ, Say L, Petignat P, Abdulcadir O: Female Genital Mutilation: A Visual Reference and Learning Tool for Health Care Professionals, 2016, https://www.ncbi.nlm.nih.gov/ pubmed/27741194. 4. Schweizerisches Komitee für Unicef, Umfrage, Weibliche Genitalverstümmelung in der Schweiz, Risiko, Vorkommen, Handlungsempfehlungen, Zürich 2013. 5. Schweizerisches Kompetenzzentrum für Menschenrechte (SKMR), Genitalverstümmelung von Frauen und Mädchen in der Schweiz, Überblick über rechtliche Bestimmungen, Kompetenzen und Behörden, Bern 2014.
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