Transkript
Bericht zur Fortbildungstagung «Gyn – Endo – Repro» 2016
Weltkongresse der ISGE, NAMS, ESHRE im Resümee – Olten, Herbst 2016
Highlights der Weltkongresse 2016 –Teil 2
Zum fünften Mal fand im Herbst 2016 die Fortbildung «Weltkongresse» in Olten statt, bei der die Kongress-Highlights zu den Themenbereichen der gynäkologischen Endokrinologie und Reproduktionsmedizin und erstmals auch zur Pränatalmedizin vorgestellt wurden. In diesem zweiten Teil werden weitere Kongress-Highlights vorgestellt (vgl. Teil 1 in GYNÄKOLOGIE 1/2017).
PETRA STUTE, BÉATRICE MOSIMANN, MICHAEL VON WOLFF
International Society of Gynecological Endocrinology (ISGE), Florenz
Einfluss der Menopause auf die Gehirnalterung und die Kognition Hintergrund: Frauen erkranken häufiger an einem M. Alzheimer als Männer. Eine 65-jährige Frau hat ein Risiko von 1:6, im weiteren Leben einen M. Alzheimer zu entwickeln (Mann 1:11). Das Risiko für einen M. Alzheimer ist bei Frauen in den Sechzigerjahren doppelt so hoch wie das für Brustkrebs. Die kognitive Beeinträchtigung bei M. Alzheimer ist bei Frauen signifikant stärker ausgeprägt als bei Männern (1). Frauen weisen häufiger Risikofaktoren für einen M. Alzheimer auf als Männer, beispielsweise einen höheren BMI (ein BMI > 30 verdoppelt das M.-Alzheimer-Risiko 20 Jahre später), weniger Bewegung und mehr TV-Schauen, höhere Lipide im Serum, höhere Prävalenz der arteriellen Hypertonie, höhere Prävalenz der Depression und genetischer Risikofaktoren (ApoE4; ein einziges ApoE4-Allel erhöht das Risiko für eine kognitive Beeinträchtigung bei älteren, gesunden Frauen, aber nicht bei Männern) (2). Gemäss der Penn Ovarian Aging Study, einer 14-jährigen longitudinalen Kohortenstudie an 403 Frauen, nimmt die Gedächtnisleistung während der menopausalen Transition ab (3). Eine Querschnittsstudie an 29 postmenopausalen Frauen mit objektiv und subjektiv starken Hitzewallungen zeigte, dass vor allem nächtliche Hitzewallungen das verbale Gedächtnis reduzieren, und zwar unabhängig davon, ob der Schlaf unterbro-
chen wird oder nicht (4). Eine Querschnittsstudie an 20 Frauen (Alter 40–60 Jahre) mit objektiven und subjektiven Hitzewallungen untersuchte per Schädel-MRI die Hyperintensität der weissen Substanz (WMH), die als Folge einer vaskulären Erkrankung und damit als erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Demenz gewertet wird. In dieser Studie waren mehr nächtliche Hitzewallungen mit einer grösseren WMH-Last verbunden. Hitzewallungen beeinflussen demnach nicht nur das kardiovaskuläre, sondern auch das zerebrovaskuläre Risiko (5). Es stellt sich die Frage, ob eine menopausale Hormontherapie (MHT) die Kognition und deren Erhalt positiv beeinflussen kann. Die neuen Studien: 2 Beobachtungsstudien und 1 Fallkontrollstudie lassen vermuten, dass eine MHT in der mittleren Lebensphase («günstiges Zeitfenster») das Risiko für eine spätere Demenzentwicklung zu reduzieren vermag (6). 3 plazebokontrollierte, randomisierte Studien haben den Einfluss einer MHT auf die Kognition unmittelbar um die Menopause untersucht: KEEPS (7), WHIMSY (8) und ELITE. Hier wurde gezeigt, dass eine MHT im «günstigen Zeitfenster» einen neutralen Effekt auf die derzeitige Kognition bei asymptomatischen Frauen hat. Der Einfluss einer MHT im «günstigen Zeitfenster» auf die Kognition von symptomatischen Frauen ist jedoch unklar.
Fazit für die Praxis: Frauen haben eine höhere Prävalenz des M. Alzheimer und seiner Risikofaktoren. Das verbale Gedächtnis verändert sich bei M. Alzheimer mit als Erstes. Da Frauen ein besseres verbales Gedächtnis als Männer haben,
In der Oltener Fortbildung zu den Weltkongressen der Gynäkologischen Endokrinologie, der Reproduktionsmedizin und der Pränataldiagnostik berichten die Experten von den Kongressen: I der ISGE (International Society of Gyne-
cological Endocrinology) in Florenz 2016 I der NAMS (North American Menopause Society) in Las Vegas 2015 und I der ESHRE (European Society of Human Reproduction and Embryology) in Helsinki 2016. Als «Special» wurde das Thema «Schlaf» in Form eines Dialogs zwischen Petra Stute und Michael von Wolff vorgetragen. Die Vorträge und Evaluationsberichte sowie eine Fotogalerie sind auf der Website www.weltkongresse.ch abrufbar.
Die nächste Veranstaltung «Weltkongresse Gyn – Endo – Repro» findet am 28. September 2017 wieder im Stadttheater Olten statt.
können sie anfangs die kognitiven Veränderungen besser kaschieren. Das verbale Gedächtnis nimmt während der menopausalen Transition ab, erholt sich aber eventuell nach der Menopause. Vor allem nächtliche Hitzewallungen sind mit einer Kognitionsabnahme und funktionellen Gehirnalteration verbunden. Eine MHT im «günstigen Zeitfenster» hat einen neutralen Effekt auf die Kognition von asymptomatischen Frauen. Eine MHT im «günstigen Zeitfenster» reduziert eventuell das Demenzrisiko im späteren Leben.
Einfluss von Progesteron auf das traumatisierte Gehirn Hintergrund: Progesteron wird im Gehirn zu Allopregnanolon (= 3-alpha-5-alpha-Tetrahydro-Progesteron) umgewandelt, das an GABAA-Rezeptoren bindet. Auch andere Gestagene können in 3-alpha-5-alpha-Tetrahydro-Metaboliten umgewandelt werden, binden aber nicht an
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Bericht zur Fortbildungstagung «Gyn – Endo – Repro» 2016
Weltkongresse der ISGE, NAMS, ESHRE im Resümee – Olten, Herbst 2016
GABA-Rezeptoren. Im Tiermodell (m, w) steigen nach Gehirn- und Rückenmarkverletzung die Gewebespiegel von Pregnenolon, Progesteron und Allopregnanolon an. Im Tiermodell (männliche Tiere) steigen nach induzierter zerebraler Ischämie die Gewebespiegel von Progesteron und 5-alpha-Dihydroprogesteron auf das Niveau von gesunden trächtigen Mäusen an. Progesteron und seine Metaboliten wirken in vivo und in vitro über diverse Mechanismen neuroprotektiv. Im Tiermodell gibt es vielversprechende Therapieansätze mit Progesteron und Allopregnanolon bei/nach Apoplex, Schädel-Hirn-Trauma (SHT), M. Alzheimer, M. Parkinson, Multipler Sklerose und anderen neurologischen chronischen Erkrankungen (9). In 4 Phase-II-Studien wurde der Einfluss von Progesteron und Medroxyprogesteronacetat bei Personen mit SHT untersucht. Es konnte eine Verbesserung der Funktionalität und der Mortalität gezeigt werden (10). Die neuen Studien: In den anschliessenden Phase-III-Studien ProTECT III und SyNAPSe wurde dieser Benefit jedoch nicht mehr gefunden, und ProTECT III wurde vorzeitig abgebrochen. Es werden verschiedene Gründe für den Misserfolg von Progesteron bei SHT diskutiert, unter anderem, dass ProTECT III und SyNAPSe Multizenterstudien waren, die betroffenen Hirnareale und das Ausmass der Beeinträchtigung beim SHT unterschiedlich gross und die Dosen von Progesteron in den Phase-II- und Phase-IIIStudien unterschiedlich waren (10).
Fazit für die Praxis: Zahlreiche präklinische und klinische Studien zeigen unter Progesteron und Allopregnanolon einen neuroprotektiven Effekt. Die intravenöse, hoch dosierte Progesterontherapie hat in Phase-III-Studien bei Personen (v.a. Männern) nach Schädel-Hirn-Trauma keine Verbesserung der Funktion respektive Mortalität gezeigt – aber auch keine relevanten Nebenwirkungen innerhalb des 6-monatigen Follow-ups. Progesteron 300 mg/Tag oral senkt signifikant postmenopausale Hitzewallungen (11). Eine 3-monatige Therapie mit Progesteron 300 mg/Tag oral hat bei gesunden postmenopausalen Frauen keinen Einfluss auf die
Frau ≥ 50 Jahre mit kombinierter hormonaler Kontrazeption zur Kontrazeptionsberatung
Wechsel zu POP oder Barrieremethoden, dann ≥ 6 Wochen abwarten,
dann 2 x FSH i.S. mit ≥ 6 Wochen Abstand
Falls 2 x FSH i.S. > 30 U/l, dann noch 1 Jahr Kontrazeption, dann Stopp
Falls 1 x FSH i.S. < 30 U/l, dann 1 Jahr Kontrazeption, dann 2 x FSH i.S. mit ≥ 6 Wochen Abstand Grafik: Empfehlungen des Royal College of Obstetrics and Gynecology (RCOG) zur Kontrazeption in der Menopause. POP = Progesteron-only-Pill endotheliale Funktion, das Gewicht, den Blutdruck und die Laborwerte (Gerinnung, Lipide, Entzündungsmarker) (12). Es stellt sich daher die Frage, ob man Frauen nach TIA/Apoplex Progesteron zur Therapie von Hitzewallungen geben darf. Hierzu gibt es keine Studien. Daher sollten erst alternative Therapien versucht werden und bei Beschwerdepersistenz Progesteron eventuell als individueller Therapieversuch (off label) nach entsprechender Aufklärung diskutiert werden. Die Wahl der menopausalen Hormontherapie (MHT) und Brustsicherheit Hintergrund: Die Wahl des Gestagens scheint im Rahmen einer kombinierten MHT entscheidend für die Brustsicherheit zu sein. Ist das so? Die neue Studie: In einer randomisierten, kontrollierten Studie an gesunden, postmenopausalen Frauen (n = 71 für die Perprotocol-Auswertung) wurden vor und 2 Monate nach einer MHT eine Mammografie und eine Biopsie (links an der Stelle mit der höchsten Brustdichte) durchgeführt. Die Teilnehmerinnen erhielten entweder orale konjugierte equine Östrogene (o-CEE 0,625 mg/Tag), kombiniert mit Medroxyprogesteronacetat (o-MPA 5 mg/Tag an 14 Tagen/Monat) oder transdermales Östradiol (t-E2 1,5 mg/Tag), kombiniert mit oralem Progesteron (o-P4 200 mg/Tag an 14 Tagen/Monat). Endpunkt war (u.a.) der Pro- liferationsmarker Ki67, dessen Expression per Immunhistochemie (IHC), Microarray und rtPCR untersucht wurde. Unter der Therapie mit o-CEE+o-MPA kam es auf allen drei Ebenen (IHC, Microarray, rtPCR) zu einem signifikanten Anstieg von Ki67, unter der t-E2+o-P4-Therapie jedoch nicht (nicht signifikanter Anstieg) (13) (unpublizierte Daten G. Söderqvist). Die Genexpression (Microarray) in gesundem Brustgewebe änderte sich nach 2-monatiger MHT um den Faktor (fold change) ≥ ± 1,4 bei 2735 Genen in der o-CEE+o-MPA-Gruppe und bei 340 Genen in der t-E2+o-P4-Gruppe. Die Expression von 225 Genen, die im Zusammenhang mit der Brusttumorentwicklung stehen, wurde durch die MHT verändert (198 Gene in o-CEE+o-MPAGruppe und 34 Gene in t-E2+o-P4-Gruppe). Per rtPCR wurde dann die Genexpression von 16 Genen bei je 15 Frauen vor und nach MHT untersucht: PRL, GADD45A, MKI67, FBLN5, CD80, TNFRSF9, IGF1, ESR1, BCL2, CAV1, ERBB3, PGR B, ADIPOQ, FBX04, ATF2 und ANXA1. Hier zeigten sich signifikante Unterschiede zwischen o-CEE+o-MPA versus t-E2+o-P4 für die Anzahl der in die Karzinogenese involvierten Gene (oCEE+o-MPA 8/16 und t-E2+o-P4 5/16), die unter anderem dem glukokortikoidrezeptor- und östrogenabhängigen Mammakarzinom-Signaling zugeordnet werden können. Beim Prä-/Post-Vergleich der mammografischen Dichte (4 Stufen) zeigte sich bei 8 von 37 der mit GYNÄKOLOGIE 2/2017 41 Bericht zur Fortbildungstagung «Gyn – Endo – Repro» 2016 Weltkongresse der ISGE, NAMS, ESHRE im Resümee – Olten, Herbst 2016 o-CEE+o-MPA behandelten Frauen eine Zunahme der mammografischen Dichte mit Wechsel in die nächsthöhere Dichteklasse. Bei den mit t-E2+o-P4 behandelten Frauen nahm bei 2 von 32 die mammografische Dichte zu, was zu einem Wechsel in die nächsthöhere Dichteklasse führte. Die mammografische Dichte korrelierte signifikant positiv mit dem prozentualen Anteil Ki67-positiver Zellen. Fazit für die Praxis: Die Kombination von t-E2+o-P4 scheint «brustfreundlicher» als die von o-CEE+o-MPA zu sein. Allerdings wird auch bei t-E2+o-P4-Anwenderinnen eine Zunahme der Brustzellproliferation und der mammografischen Dichte beobachtet; nur ist die Anzahl der betroffenen Frauen kleiner. Da bisher keine randomisierten, kontrollierten Studien über mehr als 5 Jahre vorliegen, die eine Überlegenheit einer MHT mit Progesteron im Hinblick auf «Brustfreundlichkeit» beweisen, müssen alle Frauen darüber aufgeklärt werden, dass eine mehr als 5-jährige MHT mit einem erhöhten Brustkrebsrisiko verbunden ist. North American Menopause Society (NAMS), Las Vegas Die Folgen des MHT-Stopps für Herz und Gehirn Hintergrund: Gemäss den internationalen Empfehlungen zur menopausalen Hormontherapie (MHT) soll deren Anwendungsdauer so kurz wie möglich sein. Doch was passiert nach dem MHTStopp? Die neue Studie: In einer finnischen Registerstudie mit 332 202 Frauen im Alter über 40 Jahre, die eine MHT während 6,2 ± 6,0 Jahren durchführten, wurde der Einfluss des MHT-Stopps während eines Follow-ups von 5,5 ± 3,8 Jahren untersucht (14). Im Beobachtungszeitraum starben 5129 Frauen an einem kardialen Ereignis respektive an einem Apoplex. Innerhalb des ersten Jahres nach MHTStopp betrugen – unabhängig von der MHT-Anwendungsdauer (≤ oder > 5 Jahre) – die allgemeine Mortalität (standardized mortality ratio [SMR]) 2,28 (95%KI: 2,23–2,34), die kardiale Mortalität (SMR: 1,26; 95%-KI: 1,16–1,37) und die
Mortalität nach Apoplex (SMR: 1,63; 95%-KI: 1,47–1,79), sie war signifikant erhöht (p < 0,05). Mehr als 1 Jahr nach MHT-Stopp waren allerdings die Risiken für einen kardialen Tod oder Tod nach Apoplex signifikant erniedrigt (galt v.a. für MHT-Starterinnen > 60 Jahre). Frauen dagegen, die < 60 Jahre im sogenannten günstigen Zeitfenster mit einer > 5-jährigen MHT begonnen hatten, wiesen auch nach > 1 Jahr nach MHT-Stopp ein signifikant erhöhtes Risiko für Tod nach einem Herzereignis (SMR: 1,27; 95%-KI: 1,14–1,41) respektive Apoplex (SMR: 1,67; 95%-KI: 1,47–1,89) auf. Frauen, die < 60 Jahren eine MHT absetzten, hatten unabhängig von der Anwendungsdauer ein signifikant erhöhtes Risiko, an einem kardialen Ereignis oder Apoplex zu versterben.
Fazit für die Praxis: Die Studie ist kein «Freifahrtschein» für eine unlimitierte MHT. Allerdings sollte die gängige Empfehlung, eine MHT nach 1 Jahr abzusetzen, um deren Indikation zu überprüfen, angesichts der erhöhten kardiovaskulären Mortalität innerhalb des ersten Jahres nach MHT-Stopp überprüft werden.
Kontrazeption in der Perimenopause Hintergrund: Frauen im Alter von über 35 Jahren verwenden signifikant seltener Kontrazeptiva im Vergleich zu 20- bis 24Jährigen (15). Schwangerschaften bei «älteren» Frauen sind häufiger mit Aborten, maternalen und fetalen Risiken als bei jüngeren verbunden. Keine kontrazeptive Methode ist nur aufgrund des Alters kontraindiziert, allerdings empfiehlt das Royal College of Obstetrics and Gynecology (RCOG), keine kombinierten hormonalen Kontrazeptiva bei Frauen im Alter «50 plus» anzuwenden. Die neue Studie: Die Empfehlungen des RCOG sind in der Grafik dargestellt (16).
Fazit für die Praxis: I Stopp der Kontrazeption ist mög-
lich bei Frauen < 50 Jahre, wenn ≥ 2 Jahre Amenorrhö besteht (ohne anderen Grund). I Stopp der Kontrazeption ist möglich bei Frauen ≥ 50 Jahre, wenn ≥ 1 Jahre Amenorrhö besteht (ohne anderen Grund).
I 5% der Frauen haben eine sogenannte späte Menopause (> 55 Jahren: Ein Stopp der Kontrazeption ist allgemein ab 55 Jahren möglich.
I Keine kombinierten hormonalen Kontrazeptiva sollen bei Frauen > 50 Jahre zum Einsatz kommen.
I Bei Frauen > 50 Jahre unter Gestagen-Mono- oder nicht hormoneller Kontrazeption hilft die Bestimmung von FSH im Serum bei der Entscheidungsfindung, ob eine Kontrazeption indiziert ist oder nicht.
Neues aus der Pränatalmedizin
Hilft Progesteron, bei Einlingsschwangerschaften Frühgeburten zu verhindern? Hintergrund: Bisher zeigten 2 grosse randomisierte Studien, dass vaginal appliziertes Progesteron bei einer verkürzten Zervix im 2. Trimenon bei Einlingsschwangerschaften die Frühgeburtsrate um 44% respektive 45% zu senken vermag (17, 18). Die OPPTIMUM-Studie, eine britische doppelblinde, randomisierte, plazebokontrollierte Multizenterstudie hat vor Kurzem die Wirksamkeit von vaginalem Progesteron in der Prävention von Frühgeburtlichkeit infrage gestellt, da in deren sehr heterogenem Kollektiv keine signifikante Reduktion nachgewiesen werden konnte (19). Die Autoren haben deshalb beschlossen, ihre Daten zu einer Metaanalyse zusammenzulegen, um die Frage der Wirksamkeit von Progesteron bei kurzer Zervix zu klären (20). Die neue Studie: Die Metaanalyse schloss 5 Studien mit insgesamt 974 Patientinnen mit einer Zervix von ≤ 25 mm zwischen 18 0/7 und 24 0/7 Schwangerschaftswochen ein. Die Patientinnen wurden in allen Studien randomisiert und erhielten entweder vaginal appliziertes Progesteron (100 mg Supp., 90 mg Gel oder 200 mg Kapseln) oder Plazebo bis mindestens zur 34. Schwangerschaftswoche (z.T. bis 37. SSW) oder bis zum Blasensprung oder zur Geburt, je nachdem, welches Ereignis früher auftrat. Die Analyse ergab, dass vaginales Progesteron das Risiko einer Frühgeburt vor 34 Schwangerschaftswochen signifikant reduziert (18,1% vs. 27,5%, RR: 0,66; 95%-KI:
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0,52–0,83; p = 0,0005). Als sekundäres Outcome zeigte sich, dass alle Faktoren – auch die Frühgeburtsrate zwischen 28. und 36. Schwangerschaftswochen sowie die neonatale Morbidität und Mortalität, ein Geburtsgewicht von unter 1500 g und die Hospitalisation auf einer Neugeborenenintensivstation – signifikant durch Progesteron reduziert werden konnten. Zudem zeigten sich in der OPPTIMUM-Studie bei Kindern im Alter von 2 Jahren keine unerwünschten Nebenwirkungen nach Progesteron in der Schwangerschaft.
Fazit für die Praxis: Beim 2. Ultraschallscreening in der 18. bis 23. Schwangerschaftswoche sollte bei Einlingsschwangerschaften die Zervixlänge routinemässig vaginal-sonografisch gemessen werden. Frauen mit einer Zervixlänge von ≤ 25 mm sollte vaginales Progesteron (z.B. Utrogestan® 200 mg) verschrieben werden vom Zeitpunkt des Screenings bis mindestens zur 34. Schwangerschaftswoche.
Gibt es ethnische Unterschiede im fetalen Wachstum, oder gibt es international gültige Wachstumskurven? Hintergrund: 2006 publizierte die WHO internationale Wachstumskurven für Kinder bis zum Alter von 5 Jahren (22). Im Gegensatz dazu existieren pränatal immer noch viele verschiedene Wachstumskurven, was die Diagnose einer fetalen Wachstumsrestriktion oder Makrosomie erschwert. Das Ziel der neuen Studie war es deshalb, mit derselben Methode, mit der die WHO das kindliche Wachstum untersuchte, auch für die Fetalzeit international einheitliche Wachstumskurven zu entwickeln. Die neue Studie: Die INTERGROWTH-21Studie (21) untersuchte zwischen 2009 und 2014 in acht Ländern in urbanen Gegenden 13 108 schwangere Frauen alle 5 (± 1) Wochen ab dem 2. Trimenon. Bei jeder Untersuchung wurden Kopfumfang (KU), biparietaler Durchmesser (BIP), Bauchumfang (AU) und Femurlänge (FL) erfasst. Alle Frauen mit medizinischen Vorerkrankungen, Raucherinnen, junge Schwangere unter 18 Jahren oder Schwangere über 35 Jahre, Frauen mit
einem BMI unter 18,5 oder über 30 sowie Schwangere mit Komplikationen in einer vorangegangenen Schwangerschaft wurden ausgeschlossen. Es durften keine mikrobiologischen oder sonstigen toxischen Substanzen im Umfeld der Schwangeren bekannt sein, und die Schwangerschaft musste vor der 14. Schwangerschaftswoche datiert worden sein. Ebenso wurden gute Ernährung, Bildung und guter sozioökonomischer Status vorausgesetzt. Schliesslich wurden die Daten von 4321 (33%) Feten analysiert. Es zeigte sich, dass unter idealen Bedingungen kaum Unterschiede in den errechneten Perzentilen (maximal 4%) bestehen, dazu entsprachen die anthropometrischen Daten bei Geburt genau denjenigen der WHO.
Fazit für die Praxis: International geltende Perzentilen für die Abschätzung des fetalen Wachstums existieren heute und sollten idealerweise bei der Diagnose von fetaler Wachstumsrestriktion und Makrosomie verwendet werden. Ein geschätztes Fetalgewicht unter der 10. oder über der 90. Perzentile kann kaum konstitutionell erklärt werden, sondern stellt primär eine Risikosituation dar. In einer sozioökonomisch und gesundheitlich benachteiligten Bevölkerung weisen bis zu 25% der Kinder eine Wachstumsrestriktion auf, wogegen in Gegenden mit hyperkalorischer Ernährung und maternaler Adipositas mehr Kinder makrosom wachsen.
Ist eine antivirale Therapie bei Schwangeren mit aktiver Hepatitis B indiziert? Hintergrund: Weltweit sind 240 bis 350 Millionen Menschen mit Hepatitis B (HBV) infiziert, in Subsahara-Afrika, im Mittleren Osten, in Indien und Asien leiden 5 bis 10% aller Schwangeren an einer chronischen Infektion. Angesteckte Neugeborene entwickeln zu 90% eine chronische Infektion, welche zu einer Zirrhose und/oder zu einem hepatozellulären Karzinom (HCC) führen kann. Trotz aktiver und passiver Immunisation in den ersten 12 bis 24 Stunden postpartal infizieren sich 5 bis 15% der Kinder. Risikofaktoren sind HBeAg oder eine hohe Virenlast bei
der Mutter. Neuere Studien zeigen, dass in solchen Situationen das Risiko der vertikalen Transmission mit antiviraler Therapie im 3. Trimenon reduziert werden kann. Die neue Studie: Eine Vielzahl von Studien hat in den letzten Jahren die Wirksamkeit antiviraler Therapie in der Prävention der MTCT (mother-to-childtransmission) von Hepatitis B untersucht (23–26). Alle untersuchten im Prinzip drei verschiedene Medikamente – Lamivudine 100 mg/Tag (LAM), Telbivudine 600 mg/Tag (LdT) und Tenofovir 300 mg/Tag (TDF) – bei Frauen mit einer hohen Virenlast (meist ab > 6 log 10 Kopien/ml, ≈5,2 log IU/ml), und alle zeigten eine signifikante Reduktion der MCTC. Die Resistenzentwicklung ist am geringsten unter TDF. Die SMFM (Society for MaternalFetal Medicine) hat entsprechend die Testung der Virenlast und eine allfällige antivirale Therapie in ihre Guideline integriert, wenn auch zurzeit erst als «weak recommendation» (SMFM consult series #38, 2016).
Fazit für die Praxis: Alle schwangeren Frauen sollen auf HBsAg gescreent und alle Kinder von HBsAg-positiven Müttern postpartal aktiv und passiv immunisiert werden. Das Testen der Virenlast und die antivirale Therapie ab 28 bis 32 Schwangerschaftswochen mit TDF bei hoher Virenlast scheint aufgrund der Datenlage sinnvoll und erfolgt idealerweise interdisziplinär mit den Hepatologen. I
Prof. Dr. med. Petra Stute (Korrespondenzadresse) E-Mail: petra.stute@insel.ch
und Dr. med. Béatrice Mosimann
und Prof. Dr. med. Michael von Wolff Abteilung für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin Universitäts-Frauenklinik Inselspital 3010 Bern
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Weltkongresse der ISGE, NAMS, ESHRE im Resümee – Olten, Herbst 2016
Die Autoren geben keinen Interessenkonflikt an.
Die Quellen sind zu finden in der Online-Version (Website) unter: www.ch-gynaekologie.ch/gynaekologie-2017-02.
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