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Kongressbericht
Jahreskongress der American Society of Clinical Oncology (ASCO), Chicago, Juni 2016
Brustkrebs in der Postmenopause
Adjuvante Aromatasehemmergabe über 10 Jahre senkt das Rezidivrisiko um ein weiteres Drittel
In der adjuvanten Therapie bei Östrogen-Rezeptor-(ER-)positivem Brustkrebs postmenopausaler Frauen erweist sich die Ausweitung der Behandlungsdauer von 5 auf 10 Jahre als empfehlenswert. Die grosse Doppelblindstudie MA.17R mit Letrozol zeigte jetzt, dass unter dieser Strategie die Rezidiventwicklung um ein weiteres Drittel verringert wird. Eine weitere Studie mit über 46 000 Patientinnen ergab, dass unter dieser Behandlung die Lebensqualität nicht verschlechtert wird. Besonders Hochrisikopatientinnen profitieren.
Als Standardtherapie bei frühem, ER-positivem Brustkrebs in der Postmenopause gilt die adjuvante endokrine Therapie mit einem Aromatasehemmer (AI) über einen Zeitraum von 5 Jahren, entweder als Upfront oder nach 2 bis 5 Jahren mit Tamoxifen. Unter dieser Strategie wird die Verringerung der brustkrebsbedingten Mortalität um zirka ein Drittel in den ersten 4 postoperativen Therapiejahren erreicht – die Zeit mit dem höchsten Rezidivrisiko. Potenziell besteht aber ein lebenslanges Risiko, meist in Form von Fernmetastasen oder kontralateralem Brustkrebs. Die neueren Studien sollten herausfinden, wie hoch dieses Risiko in den Folgejahren nach der Operation ist.
Senkung des Rezidivrisikos um weitere 34%
Paul E. Goss, Boston/USA, stellte die lange erwartete MA.17R-Studie in einer Plenarsitzung vor (1), welche im randomisierten, doppelblinden, plazebokontrollierten Design geführt wurde. Die Studie wurde am ASCO-Kongress als LateBreaking-Abstract (LBA) postuliert. Primärer Endpunkt der Studie war das krankheitsfreie Überleben (DFS). Die Frauen erhielten nach einer initialen adjuvanten Therapie mit einem AI oder auch Tamoxifen für weitere 5 Jahre Letrozol respektive Plazebo. Gesamthaft konnten 1918 Patientinnen während median 6,3 Jahren nachbeobachtet werden. Nach insgesamt 10-jähriger adjuvanter endokriner Therapie kam es zu 165 Rezidiven (DFS-Events), 67 unter Letrozol, 98 unter Plazebo, sowie zu je 100 Todesfällen in jeder Gruppe.
Das 5-Jahres-DFS betrug 95% in der Letrozolgruppe versus 91% in der Plazebogruppe (Hazard Ratio [HR]: 0,66; p = 0,01). Das entspricht nach Berechnung der Autoren einer Senkung des Rezidivrisikos um 34% unter der verlängerten AI-Therapie. Die jährliche Inzidenz für ein kontralaterales Mammakarzinom betrug 0,21% unter Letrozol (vs. 0,49% unter Plazebo). Das Gesamtüberleben (OS) unterschied sich dagegen nicht so deutlich, es kam zu einem 5-Jahres-OS bei 93% unter Letrozol und bei 94% unter Plazebo (HR: 0,97). Nach Meinung der Studienleiter und der Kommentatoren an der ASCO-Jahrestagung bedeuten die Studienresultate, dass Millionen postmenopausaler Frauen mit ER-positivem frühem Brustkrebs durch eine postoperative AI-Therapie über 10 Jahre die Chance erhalten, dass ihr Risiko für ein Tumorrezidiv sowie für Zweittumore – gegenüber der endokrinen Therapie über 5 Jahre (bzw. weniger) – weiter deutlich gesenkt werden kann.
Keine Einschränkung der Lebensqualität
Bei den Langzeitüberlebenden von behandeltem Brustkrebs im Frühstadium mit ER-positiver Krankheit sind im Hinblick über eine solch lang ausgedehnte endokrine Therapie die Begleitwirkungen und die Lebensqualität wichtige Faktoren. Eine zweite Studie (2) untersuchte speziell diese von den Patientinnen berichteten Auswirkungen der AI-Langzeittherapie auf die Lebensqualität. Evaluiert wurde für die Behandlungsjahre 5 bis 10 nach der Brustoperation auf der Basis der
MA.17R-Studie. Von den über 1900 Patientinnen nahmen 1428 Frauen an der Fragebogenstudie teil. Der standardisierte Fragebogen (SF-36) umfasste Fragen nach körperlicher und psychischer Gesundheit sowie eine menopausenspezifische Abklärung (MENQOL). Sie wurden nach 12, 24, 36, 48 und 60 Monaten wiederholt; rund 85% der Frauen nahmen bis zuletzt teil. Bei der Evaluierung zeigte sich kein signifikanter Unterschied bei der berichteten Lebensqualität in der Therapie- und der Plazebogruppe. Kleine Unterschiede in der körperlichen Leistungsfähigkeit zugunsten der Plazebogruppe waren klinisch nicht sehr bedeutsam. Lediglich über vasomotorische Symptome und verminderte «sexuelle Funktion» wurde vermehrt in der Letrozolgruppe berichtet, welche in Zusammenhang mit der AIGabe erklärt werden.
Prädiktive und prognostische Faktoren für die verlängerte Therapie
Eine dritte, sehr grosse Studie (3) mit über 46 000 Patientinnen, welche an ERpositivem Brustkrebs erkrankt waren und unter adjuvanter endokriner Therapie standen, erfragte die prädiktiven und prognostischen Faktoren, die für respektive gegen eine Ausweitung der derzeitigen 5-jährigen Standardtherapie sprechen. Die Kenntnis der prognostischen Faktoren für die absoluten Risiken für Fernmetastasen und Tod in den Jahren 5 bis 14 der adjuvanten (postoperativen) Behandlung erscheint wichtig, um entscheiden zu können, ob auch Niedrigrisikopatientinnen von einer Ausweitung der Therapiedauer profitieren. Zu berücksichtigen sind hier ferner die potenziellen Begleitwirkungen der Hormontherapie. Die Studiengruppe Early Breast Cancer Trialists' Collaborative Group (EBCTCG) sammelte dazu Daten von 46 138 Frauen mit ER-positiver Erkrankung nach einzelnen Tumorcharakteristika (T1 oder T2; Nodalstatus N0, N1–3 oder N4–9) – die Frauen waren in Studien mit nur 5-jähri-
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Kongressbericht
Jahreskongress der American Society of Clinical Oncology (ASCO), Chicago, Juni 2016
Tabelle:
Fernmetastasen in den Jahren 5 bis 14 bei ER-positiver Erkrankung unter alleiniger endokriner Therapie
über 5 Jahre
(adaptiert nach [2])
Nodes: N0 1–3 4–9 Tumorgrösse (nur für N0) T1 T2 Malignitätsgrad (nur für T1N0): niedrig moderat hoch
Zahl der Patientinnen
23 870 16 630 5638
Jährliche Rate (%)
Jahre 5–9
Jahre 10–14
1,0 1,1
2,0 1,5
4,1 2,6
16 286 7584
0,7 1,6
0,9 1,3
2996 6120 2135
0,4 0,7 0,8 0,9 1,0 1,2
Kumulatives Risiko (%) Jahre 5–14 9,8 15,6 27,7
Trend p < 0,0001 7,9 13,6 < 0,0001 5,4 8,1 10,0 < 0,0001 ger Hormontherapie eingeschlossen. Die EBCTCG evaluierte diese Daten und errechnete Outcomes (potenzielle Rezidive, Zweittumoren) in den Jahren 5 bis 14 einer Therapie. Cox-Regressions-Analysen jedes Faktors wurden für Alter, Studiengruppe und weitere Faktoren adjustiert. ER-positiver Brustkrebs rezidiviert während 20 Jahren postoperativ Das Ergebnis ist beeindruckend: Es zeigte sich, dass bei ER-positiver Krankheit die Rezidive kontinuierlich in den 20 Jahren nach der primären Operation auftraten. Die Entwicklung von Fernmetastasen in den postoperativen Jahren 5 bis 14 hing ab von: I anfänglichem Nodalstatus: Bei N1–3 versus N0 bestand ein relatives Risiko (RR) von 2,08 (95%-KI: 1,87–2,32) I T-Stadium: Bei T2N0 versus T1N0 bestand ein RR von 1,73 (1,53–1,95) I Malignitätsgrad: Bei T1N0 – hoch versus niedrig – bestand ein RR von 2,02 (1,44–2,83) I der Ki67-Expression (≥ 20% vs. 0–13%): Es bestand ein RR von 1,63 (1,23– 2,16). Ähnliche Assoziationen wurden für die Brustkrebsmortalität gesehen; nur der kontralaterale Brustkrebs (0,3% jährlich) hing wenig mit den genannten Risikofaktoren zusammen. Bei der Konstellation T1N0 mit niedrigem, mittlerem und hohem Malignitätsgrad bestanden Risiken für Fernmetastasen von entsprechend 5, 8 und 10%. Für alle Rezidivformen betrugen diese 12, 15 und 17%, wie die Tabelle zeigt. Die Studienleiter folgerten, dass das Mortalitätsrisiko bei Brustkrebs Grosser Bauchumfang bei Metabolischem Syndrom ist hochgefährlich Ein Metabolisches Syndrom (MetS) ist evidenzbasiert mit einem erhöhten Risiko für mehrere Malignome, darunter Brustkrebs, verbunden. Jetzt bestätigte eine Subgruppenanalyse der Women’s Health Initiative (WHI) mit über 4300 Frauen mit invasivem Brustkrebs, dass ein MetS die Gesamtmortalität deutlich erhöht. Die brustkrebsbedingte Sterblichkeit war zudem bei abdominaler Adipositas gesteigert. Bisher haben nur wenige Studien untersucht, wie sich ein MetS, das mit hohem kardiovaskulärem Risiko einhergeht, nach der Brustkrebsdiagnose auswirkt. Jennifer Lynn Beebe-Dimmer und Kollegen, Detroit/USA, evaluierten in ihrer Studie verschiedene individuelle Faktoren bei MetS wie Bauchumfang, Blutdruck, Cholesterinspiegel und Diabetes in Zusammenhang mit der Sterblichkeit bei Brustkrebspatientinnen. Die betroffenen Frauen wurden bis zu ihrem Tod oder letzten Follow-up beobachtet. Die Studienärzte erstellten Wahrscheinlichkeitsberechnungen (Hazard Ratios, HR) für die Assoziation zwischen jedem Faktor, MetS und dem brustkrebsbedingten sowie dem Gesamtüberleben. Fast 10 Jahre Beobachtung Die 4347 eingeschlossenen Brustkrebspatientinnen wurden im Schnitt 9,9 Jahre beobachtet; es kam in dieser Zeit zu 956 Todesfällen, darunter 303 aufgrund von Brustkrebs. Dabei zeigte sich ein deutlich höherer Anteil an Todesfällen aller Ursachen unter den MetS-Patientinnen mit Brustkrebs (HR: 1,69; 95%-KI: 1,30–2,21), der umso höher war, je mehr MetS-Faktoren bestan- den. Die alleinige Kondition MetS und Brustkrebs zeigte dagegen noch keine speziell durch den Brustkrebs erhöhte Mortalität. Bei Frauen mit abdominaler Adipositas war die brustkrebsbe- dingte Mortalität dagegen erhöht (HR: 1,31; 95%-KI: 1,14–1,50) wie auch die Gesamtmortalität (HR: 1,27; 95%-KI: 1,00–1,61). Weiterhin wird untersucht, wie sich der Faktor Ethnie auswirkt, denn in der Studie bestand ein MetS häufiger bei schwarzen (15%) als bei weissen Frauen (4%). hir Quelle: Beebe-Dimmer, JL et al.: Features of the metabolic syndrome and survival after a diagnosis of breast cancer in the Women’s Health Initiative (WHI). ASCO Annual Meeting 2016; abstr. #1517. Rückfallrisiko bei frühem Brustkrebs in den Jahren 5 bis 14 postoperativ weiter- hin besteht. Bei günstigem Tumornodal- status und Malignitätsgrad sei dies zwar gering, aber schon bei niedriggradiger T1N0-Konstellation bestehe ein nicht zu unterschätzendes Risiko für Fernmeta- stasen. L Bärbel Hirrle Referenzen: 1. Goss PE et al.: A randomized trial (MA.17R) of extending adjuvant letrozole for 5 years after completing an initial 5 years of aromatase inhibitor therapy alone or preceded by tamoxifen in postmenopausal women with early-stage breast cancer. ASCO Annual Meeting 2016; abstr.# LBA1. 2. Lemieux J, Paul E Goss et al.: Patient-reported outcomes from MA.17R: A randomized trial of extending adjuvant letrozole for 5 years after completing an initial 5 years of aromatase inhibitor therapy alone or preceded by tamoxifen in postmenopausal women with early-stage breast cancer. ASCO Annual Meeting 2016; abstr.# LBA506. 3. Pan H et al.: Predictors of recurrence during years 5–14 in 46,138 women with ER + breast cancer allocated 5 years only of endocrine therapy (ET). ASCO Annual Meeting 2016; abstr.# 505. GYNÄKOLOGIE 4/2016 35