Transkript
SCHWERPUNKT
Sport – eine effektive Massnahme in der Brustkrebsprävention
Die klinisch relevanten Daten
Im Ärztealltag werden künftig mehr Frauen mit Brustkrebs zu betreuen sein. Gründe hierfür sind: Altersentwicklung, Lebensstilfaktoren wie Übergewicht und zunehmendes Langzeitüberleben infolge therapeutischen Fortschritts. Regelmässiger Sport stellt eine wichtige primäre und sekundäre Präventionsmassnahme dar. In diesem Artikel werden die klinisch relevanten Zusammenhänge zusammengetragen und diskutiert.
FRANZISKA MAURER-MARTI, MICHAEL VON WOLFF
Brustkrebs ist die am häufigsten diagnostizierte Krebskrankheit; jede achte Frau hat, über ihre Lebensspanne betrachtet, das Risiko, daran zu erkranken. In der industrialisierten Welt findet sich eine zunehmende Sensibilisierung für die Krankheit. Durch Screening werden Karzinome früher entdeckt, und die Therapiemöglichkeiten werden differenzierter, sodass zunehmend mehr Frauen mit einem Mammakarzinom in der ärztlichen Praxis zu betreuen sind. Die häufigsten dafür verantwortlichen Risikofaktoren sind: I ein höheres Alter I eine genetische Disposition I Lifestylefaktoren wie Adipositas, Nikotin- und Al-
koholabusus. Da einige der verantwortlichen Risikofaktoren (Alter, genetische Disposition) nicht beeinflussbar sind, muss den Lifestylefaktoren besondere Aufmerksamkeit gelten. Da im Rahmen der demografischen Veränderung in den westeuropäischen Staaten mit einer weiteren Erhöhung des mittleren Lebensalters zu rechnen ist und auch das Körpergewicht der Bevölkerung ansteigt, ist mit einer weiteren Zunahme der Diagnose Brustkrebs zu rechnen. Zusätzlich werden durch die heutigen Therapienmöglichkeiten des Mammakarzinoms mehr Frauen als Langzeitüberlebende unsere Sprechstunden konsultieren und eine
Merkpunkte
I Sport wirkt durch die Reduktion des Körpergewichts präventiv auf die
Entstehung eines Mammakarzinoms.
I Sport reduziert die Mortalität beim manifesten Mammakarzinom.
I Die Kombination aus gesunder Ernährung und Sport hat den stärksten
positiven Effekt auf die Mortalitätsreduktion.
differenzierte Beratung wünschen, wie sie positiv auf den Krankheitsverlauf einwirken können. Das Übergewicht als Risikofaktor hat bei der Entwicklung eines Mamakarzinoms einen hohen Stellenwert (1). Epidemiologische Daten zeigen, dass Frauen mit Übergewicht zum Zeitpunkt der Diagnose, verglichen mit Normalgewichtigen, ein um 33% höheres Risiko für ein Mammakarzinomrezidiv haben (2).
Aktuelle Hypothesen
Betreffend körperlicher Aktivität und Mammakarzinom werden heute einige Hypothesen zu kausalen Faktoren für die Karzinomentwicklung und zu deren Prävention diskutiert.
Problem Fettgewebe Leptin, ein Adipozytokin, wird hauptsächlich im weissen Fettgewebe gebildet und wirkt als Wachstumsfaktor bei Brustkrebs (2). Zusätzlich vermindert der im Fettgewebe vermehrt vorkommende Insulin-likeGrowth-Faktor 1 (IGF1) die Apoptose, was zu einer höheren Rezidivrate und einem verminderten Überleben bei Brustkrebspatientinnen führt (2). Des Weiteren wird im Fettgewebe mehr Östrogen gebildet, welches bei postmenopausalen Frauen zu aggressiveren Östrogen-Rezeptor-positiven Karzinomen führt (2).
Problem der chronischen unterschwelligen systemischen Entzündungen Über diesen Algorithmus hat die körperliche Aktivität wahrscheinlich den grössten Einfluss. Unterschwellige systemische Entzündungen finden sich fast immer bei Adipositas, Diabetes, sitzender Tätigkeit und höherem Alter. Sie sind assoziiert mit aggressiverem Brustkrebs und verschlechterter Prognose (3–6). Der positive Einfluss des Sports auf systemische Entzün-
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Gesamtüberleben
1,00 0,98 0,96 0,94 0,92 0,90 0,88 0,86 0,84
Lebenstilgruppen: Low VF/low PA High VF/low PA Low VF/high PA High VF/high PA
0 12 345 67 8 9
Lebensjahre
Abbildung 1: Das höchste Gesamtüberleben hatte die Gruppe, die die körperliche Aktivität mit gesunder Ernährung kombinierte (adaptiert nach [17]).
Mortalität (%)
20
Nichtadipös (n = 1110) Adipös (n = 380)
18
16
14
12
10
8
6
4
2
0 Low VF, Low PA Low VF, High PA High VF, Low PA High VF, High PA
Ernährungs- und Aktivitätskategorien
Abbildung 2: Mortalitätsrisikoreduktion um 50% sowohl bei Übergewichtigen als auch bei Normalgewichtigen, wenn Sport mit gesunder Ernährung kombiniert wurde (adaptiert nach [17]).
dungen konnte mittels randomisierter Studien bereits gezeigt werden (3, 7–10).
SCHWERPUNKT
kein Unterschied gegenüber Patientinnen, die bereits über viele Jahre aktiv Sport getrieben hatten (11).
Sportliche Aktivität nach der Diagnose
Eine sportliche Aktivität nach der Diagnose eines Mammakarzinoms war ebenso wirksam und resultierte in einer 34%igen Reduktion der Brustkrebsmortalität und einer 24%igen Verminderung des Rezidivrisikos (11, 13). Interessant ist die Beobachtung in einer norwegischen Studie, in der die Auswirkung einer Reduktion der sportlichen Aktivität nach der Diagnose eines Mammakarzinoms untersucht wurde. Patientinnen im Alter über 50 Jahre, die nach der Mammakarzinomdiagnose ihre sportliche Aktivität reduzierten oder aufgaben, erhöhten ihre Brustkrebs- und Gesamtmortalität signifikant und hatten somit ein gleich
Bei Patientinnen mit einer sportlichen Aktivität von 2½ Stunden/Woche über 2 Jahre kam es zu einer Mortalitätsreduktion von 64%.
hohes Risiko wie Frauen, welche nie Sport getrieben hatten (15). Vergleichbare Resultate finden sich auch in der HEAL-Studie (= The Health, Eating, Activity and Lifestyle Study). Der Grund wird in der vermehrten Gewichtszunahme mit den oben beschriebenen Konsequenzen vermutet. Hier zeigte sich: Patientinnen mit einer körperlichen Aktivität von 2½ Stunden/Woche über zwei Jahre wiesen eine Mortalitätsreduktion von 64% auf (16).
Sportliche Aktivität vor der Diagnose Mammakarzinom
Umfassende epidemiologische Literatur existiert zum Thema körperliche Aktivität und Mammakarzinomrisiko: 29 (40%) der Beobachtungsstudien zeigten eine statistisch signifikante Reduktion des Brustkrebsrisikos bei körperlich aktiven versus nicht aktiven Frauen (11, 12). Veränderungen der Konzentrationen von Östrogenen, Androgenen, des Insulin-related-Factors, der Adipokine und der Entzündungsfaktoren als Folge der körperlichen Aktivität wurden hier diskutiert (11–13). In einer kürzlich veröffentlichten Metaanalyse aus 22 prospektiven Kohortenstudien mit insgesamt 123 574 Teilnehmerinnen konnte gezeigt werden, dass intensive körperliche Aktivität vor der Brustkrebsdiagnose, verglichen mit keinem oder nur sehr wenig Sport im Lebensverlauf, mit einer um 27% verringerten Brustkrebsmortalität und einer um 18% verringerten Gesamtmortalität einhergeht (14). In der Gruppe der Patientinnen, welche erst 5 Jahre vor der Brustkrebsdiagnose eine sportliche Aktivität aufnahmen, fand sich in der Risikoreduktion dagegen
Wirkung von körperlicher Aktivität plus gesunder Ernährung
Was bewirkt bei der Brustkrebspatientin körperliche Aktivität in Kombination mit einer Ernährungsänderung? Dieser wichtigen Frage ging 2007 eine kalifornische Arbeitsgruppe nach: 1490 postmenopausale Frauen mit Brustkrebs wurden in 4 Gruppen (vergleichbar betreffend Tumorstadium und onkologischer Therapie) eingeteilt und über 4 Jahre beobachtet. Die Gruppen waren folgendermassen charakterisiert: I «low fibre»-Gruppe (lowVF):
< 5-mal pro Tag Früchte oder Gemüse I «high fibre»-Gruppe (highVF):
> 5-mal pro Tag Früchte oder Gemüse I «low physical»-Aktivitätsgruppe (lowPA):
kein oder wenig Sport I «high physical»-Aktivitätsgruppe (highPA):
6 x 30 Minuten Sport/Woche. Abbildung 1 zeigt das höchste Gesamtüberleben in der Gruppe, die die körperliche Aktivität mit gesunder Ernährung kombinierte.
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SCHWERPUNKT
Hervorzuheben ist in dieser Publikation auch der Aspekt des Einflusses des Übergewichts bei postmenopausalen Brustkrebspatientinnen (Abbildung 2). Gefolgert wird, dass sowohl bei übergewichtigen als auch bei normalgewichtigen Frauen das Mortalitätsrisiko um 50% reduziert werden kann, wenn nach der Karzinomdiagnose Sport mit gesunder Ernährung kombiniert wird (17). Wichtig ist zudem, dass die Patientinnen nicht an Gewicht zunehmen. Den positiven Effekt erklärt man sich über metabolische Veränderungen, darunter die Senkung des Nüchterninsulins (18).
Abbildung 3: Das sportliche Training, organisiert vom Brustzentrum Solothurn, ist gezielt auf die Bedürfnisse von Brustkrebspatientinnen zugeschnitten.
Sportliche Aktivität während der Mammakarzinomtherapie
Eine Chemotherapie verbessert das Überleben bei einer Brustkrebserkrankung, führt aber auch zu Müdigkeit, Muskelabbau und verminderter körperlicher Leistungsfähigkeit (19). Dies wiederum hat einen negativen Effekt auf die täglichen Aktivitäten der Patientinnen, ihr soziales Leben und ihre Lebensqualität. In der 2015 publizierten PACES-Studie wurde untersucht, wie sich die oben genannten Faktoren unter professionell angeleitetem moderatem bis intensivem Kraft- und Ausdauertraining im Vergleich zu einem Training ohne Anleitung verhalten: Die sportlichen Aktivitäten führten zu einer besseren Lebensqua-
Sport plus gesunde Ernährung: Den positiven Effekt erklärt man sich über metabolische Veränderungen,
vor allem die Senkung des Nüchterninsulins.
lität aufgrund einer Abnahme von chemotherapieinduzierten Begleitwirkungen: Übelkeit, Erbrechen, Obstipation und Schmerzen. Auch wurden weniger Chemotherapieabbrüche und eine schnellere Wiederaufnahme der beruflichen Tätigkeit dokumentiert, sodass in der Summe eine gezielte sportliche Aktivität bei der Mammakarzinomtherapie als vorteilhaft anzusehen ist (1, 19).
Welche sportliche Aktivität und wie viel?
Epidemiologische Studien sprechen von Aktivitätseinheiten zwischen 3 und 5 Stunden/Woche im mittleren Intensitätsbereich (Walking, Krafttraining, Gruppentraining wie Aerobic) (6, 12). Längere Aktivität (10 Stunden) oder intensive sportliche Tätigkeit wie beispielsweise Marathonläufe bringen keinen zusätzlichen Vorteil (3).
Die Umsetzung in die Praxis
Die Literatur spricht eine deutliche Sprache: Sport beugt sowohl primär einem Mammakarzinom als auch sekundär einem Rezidiv vor. Zudem profitiert die
Patientin während einer Chemotherapie von regelmässigem Sport. Bestens ausgerüstete Fitnesscenter, Beiträge in Medien, Aktionswochen und vieles mehr unterstützen betroffene Frauen bei der Ausübung von Sport und einer gesunden Lebensführung. Leider zeigt der klinische Alltag ein anderes Bild. So ist es bereits oft ein schwieriges Unterfangen, gesunde Personen zu körperlicher Aktivität zu motivieren. Noch viel schwieriger ist es, Patientinnen in psychischen und physischen Notlagen dazu zu motivieren (20). Gleichzeitig dürfen in dieser Phase auf keinen Fall autoaggressive Schuldgefühle geschürt werden (20).
Beispiel Solothurn
Deswegen ist eine auf die Patientinnen zugeschnit-
tene Unterstützung erforderlich, wie es beispiels-
weise in Solothurn geschieht. Im Rahmen eines
kantonalen Präventionsprogramms darf das Brust-
zentrum Solothurn seinen Brustkrebspatientinnen
kostenlos ein wöchentliches Training anbieten. Je-
den Dienstagabend trainieren die Frauen unter pro-
fessioneller Anleitung einer Trainerin Ausdauer, Kraft
und Koordination. Die Ziele sind zum einen, nicht
möglichst schnell möglichst viel Gewicht zu verlieren,
sondern das Gewicht zu halten, das heisst, während
der adjuvanten Therapie nicht an Gewicht zuzuneh-
men. Zum anderen sollen die Frauen durch die posi-
tive Auswirkung der Gruppendynamik den Einstieg
zu einem gesünderen Lebensstil finden und den Teu-
felskreis aus Müdigkeit → weniger Aktivität → ver-
minderte Belastbarkeit → gesteigerte Müdigkeit
durchbrechen. Abbildung 3 zeigt einen der gut be-
suchten Trainingsabende.
I
Dr. med. Franziska Maurer-Marti (Korrespondenzadresse) Zentrumsleiterin Brustzentrum Solothurn 4500 Solothurn E-Mail: franziska.maurer@spital.so.ch und
Prof. Dr. med. Michael von Wolff Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin Universitätsklinik für Frauenheilkunde Inselspital Bern 3010 Bern
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SCHWERPUNKT
Interessenkonflikte: keine. Quellen: 1. Sparano JA, et al.: Obesitiy at Diagnosis is associated with inferior outcomes in hormon receptor-positive operable breast cancer. Cancer 2012; 118(23): 5937–5946. 2. Protani M, Coory M, Martin JH.: Effect of obesity on survival of women with breast cancer. Systematic review and meta-analysis. Breast Cancer Res Treat 2010; 123(3): 627–635. 3. Pizot C, Boniol M, Mullie P, et al.: Physical activity, hormone replacement therapy and breast cancer risk : A. meta-analysis of prospective studies. Europ Jl Cancer 2016; 52: 138–154. 4. Pradhan AD, Cook NR, Buring JE, Manson JE, Eidker PM.: C-reaktive protein is independently associated with fasting insulin in nondiabetic women. Arterioscler Thromb Vasc Biol 2003; 23: 650–655. 5. Allin KH, Nordestgaard BG, Flyger H, Bojesen SE.: Elevated pretreatment levels of plasma C-reaktive protein are associated with poor prognosis after breast cancer: a cohort study. Breast Cancer Res 2011; 13: R55. 6. Proctor MJ, Morrison DS, Talwar D, et al.: An inflammation-based prognostic score (mGPS) predicts cancer survival independent of tumour site: a Glasgow Inflammation Outcome Study. Br J Cancer 2011; 104: 726–734. 7. Friedenreich CM, Neilson HK, et al.: Inflammatory marker changes in a yearlong randomized exercise intervention trial among postmenopausal women. Cancer Prev Res (Phila) 2012; 5: 98–108. 8. Campall PT, Campell KL, Wener HM, et al.: A yearlong exercise intervention decreases CRP among obese postmenopausal women. Med Sci Sports Exerc 2009; 41: 1533–1539. 9. Fairey AS, Courneya KS, Field CJ, et al.: Effect of exercise training on C-reaktive protein in postmenopausal breast cancer survivors: a randomized controlles trial. Brain Behav Immun 2005; 19: 381–388. 10. Rogers CJ, Colbert LH, Greiner JW, Perkins SN, et al.: Physical Activity and Cancer Prevention Pathways and Tergets for Intervention. Sports Med 2008; 38(4): 271–296. 11. Lahart IM, Metsios GS, Nevill AM, et al.: Physical activity, risk of death and recurrence in breast cancer survivors: A systematic review and meta-analysis of epidemiological studies. Acta Oncologic 2015; 54: 635–654. 12. Lynch BM, Neilson HK, Friedenreich CM.: Physical activity and breast cancer prevention. Phys Activ Cancer 2011; 186; 13–42. 13. Monninkhof EM, Velthuis MJ, et al.: Effect of exercise on postmenopausal sex hormone levels and role of body fat. A randomized controlled trial. J Clin Oncol 2009; 27: 4492–4499. 14. Ibrahim EM, Al-Homaidh A.: Physical activity and survival after breast cancer diagnosos: Meta-analysis of published studies. Med Oncol 2011; 28: 753–765. 15. Benjaminsen Borch K, Braaten T, Lund E, et al.: Physical activity before and after breastcancer diagnosis and survival – the Norwegian women and cancer cohort study. BMC Cancer 2015; 15: 967. 16. Irwin ML, Smith AW, et al.: Influence of pre- and postdiagnosis physical activity on mortality in breast cancer survivors: The Health, Eating, Activity and Lifestyle Study. J Clin Oncol 2008; 26; 24. 17. Pierce JP, Stefanik ML, et al.: Greater survival after breast cancer in physically active women with high vegetable and fruit intake regardless of obesity. J Clin Oncol 2007; 25(17): 2345–2351. 18. Goodwin PJ, Ennis M, Pritchard KI, et al.: Fasting insulin and outcome in early stage breast cancer: results of a prospective cohort study. J Clin Oncol 2002; 20: 42–51. 19. van Waart H, et al.: Effect of low-intensity physical activity and moderate-tohigh-Intensity physical exercise during adjuvant chemotherapy on physical fitness, fatigue und chemotherapy completion rates: results of the PACES randomized clinical trial. J Clin Oncol 2015; 33(17): 1918–1927. 20. Vance V, Mourtzakis M, McCargar L, Hanning R.: Weight gain in breast cancer survivors: prevalance, pattern and health consequences. Obesity reviews 2011; 12: 282–294.
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