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EXPERTENBRIEF NR. 45 DER GYNÉCOLOGIE SUISSE SGGG
In der GYNÄKOLOGIE werden – nach Auswahl der Herausgeber – an dieser Stelle aktuelle Expertenbriefe publiziert (verifizierte Printform).
Expertenbrief Nr.45
(siehe auch: http://sggg.ch/de/members_news/1005)
Kommission Qualitätssicherung Präsident Prof. Dr. med. Daniel Surbek
Pränatales genetisches Screening: neues Modell
(Ergänzungen zum Faktenblatt des BAG vom 15.7.2015*)
Seit dem 15. Juli 2015 wird der Ersttrimestertest (ETT) wie auch der nicht invasive Pränataltest (NIPT) für die Trisomien 21, 18 und 13 unter bestimmten Voraussetzungen von den Krankenkassen übernommen. Die SGGG stellt aufgrund der Beratung mehrerer Gremien mit Vertretern des Bundesamts für Gesundheit Hintergründe und wichtige Neuerungen zur Indikation und Anwendung des NIPT zusammen.
lichen Blut. Der Anteil der ffDNA ist abhängig vom
Arbeitsgruppe der Akademie für fetomaternale Medizin
Gestationsalter und vom Körpergewicht der Schwangeren. (Es
Evidenzlevel
und Schweizerische Gesellschaft für Medizinische Genetik: besteht weniger ffDNA bei früherem Gestationsalter und/oder
Siv Fokstuen, Sevgi Tercanli, Thilo Burkhardt, Yves Vial,
höherem Gewicht der Schwangeren.) Ab der 10. Schwanger-
Luigi Raio Bulgheroni
schaftswoche (SSW) kann von einer genügenden Menge an
ffDNA ausgegangen werden.
IIb In den frühen Siebzigerjahren war ein maternales Alter über 35 Jahre die führende Indikation für eine invasive Abklärung.
Neue Bestimmungen seit Mitte 2015
Die dabei erzielbare, relativ niedrige Detektionsrate (DR) und Seit dem 15. Juli 2015 wird der ETT wie auch der NIPT für die
die relativ hohe Rate an invasiven Abklärungen (bei einem ein- Trisomien 21, 18 und 13 unter bestimmten Voraussetzungen
griffsbedingten Abortrisiko von etwa 0,5 bis 1%) haben dazu von den Krankenkassen übernommen. Die Arbeitsgruppe der
geführt, dass bessere Screeningverfahren gesucht wurden. AFMM und auch die Schweizerische Gesellschaft für
Über das AFP-plus-Screening der Achtziger- und frühen Medizinische Genetik (SGMG) haben zusammen mit Vertretern
Neunzigerjahre ist man zum derzeit immer noch gültigen des Bundesamts für Gesundheit (BAG) an den Beratungen, die
Nackentransparenz-basierten Screening (Erstrimestertest, ETT) zu diesem Entscheid führten, mitgewirkt. Einzelne Punkte wer-
übergegangen. Dadurch konnte die DR speziell für das Down- den hier separat hervorgehoben:
Syndrom gesteigert und die Anzahl an Amniozentesen respek- 1. Jede Schwangere muss umfassend über die Möglich-
tive Chorionzottenbiopsien verringert werden.
keiten, die Vor- und Nachteile der verschiedenen Testver-
Trotzdem liegt selbst beim ETT der positive Vorhersagewert
fahren (ETT, NIPT, invasive Abklärungen) und deren Test-
eines auffälligen Testresultates (Wahrscheinlichkeit einer
performance informiert werden; dieses Gespräch muss
Trisomie 21 bei positivem Screeningbefund) nur bei 4,5%. Ein
dokumentiert werden.
weiterer Vorteil des ETT war die Nutzung der Sonografie nicht 2. Falls die Schwangere ein Trisomiescreening zulasten der
nur zur Aneuploidierisikobestimmung, sondern auch zur
Grundversicherung wünscht, muss als Erstes der ETT kor-
Entdeckung schwerwiegender Fehlbildungen bereits im ersten
rekt durchgeführt werden. Bei einem Risikowert für
Trimenon. Die Ersttrimestersonografie ist integraler Bestand-
Trisomie 21, 18 oder 13 von ≥ 1:1000 und normalem
teil der Schwangerenbetreuung mit messbarem Erfolg.
Ultraschallbefund wird der NIPT von den Krankenkassen
Die Einführung des NIPT
übernommen. Beträgt das Risiko für eine Trisomie 21, 18 oder 13 ≥ 1:380 am Termin, ist die Krankenkasse zur
Mit der Einführung des nicht invasiven pränatalen Tests (NIPT)
Kostenübernahme einer invasiven Diagnostik (CVS, AC)
hat eine neue Ära des pränatalen Screenings auf Aneuploidien
weiterhin verpflichtet.
begonnen. NIPT ist das beste Screeningverfahren für die häu- 3. NIPT bei Mehrlingen ist weniger gut dokumentiert und
figsten Trisomien und speziell für Trisomie 21. Der NIPT weist
wird von der Krankenkasse – im Gegensatz zum ETT – nicht
heute eine DR für Trisomie 21 von 99,5% bei einer Falsch-
übernommen. Beträgt aber das Risiko für eine Trisomie 21,
Positiv-Rate (FPR) von 0,08% auf. Die Testperformance für
18 oder 13 ≥ 1:380 am Termin, ist auch bei Mehrlingen die
Trisomie 13 und 18 ist etwas niedriger.
Pflicht zur Kostenübernahme einer invasiven Diagnostik
Entscheidend für die Durchführbarkeit des NIPT ist eine aus-
(CVS, AC) gegeben.
reichende Menge an freier fetaler DNA (ffDNA) im mütter- 4. Weisen auffällige Ultraschallbefunde auf eine Chromoso-
menstörung hin, ist ein NIPT primär nicht indiziert, da eine
*siehe Link: http://www.bag.admin.ch/themen/krankenversicherung/06368/index.html?l ang=de&download=NHzLpZeg7t,lnp6I0NTU0 42l2Z6ln1acy4Zn4Z2qZpn O2Yuq2Z6gpJCMeXt5f2ym162epYbg2c_JjKbNoKSn6A--
erhöhte Wahrscheinlichkeit besteht, dass auch andere Chromosomenstörungen als Trisomie 21, 18 oder 13 vorliegen könnten. Entsprechend sollte eine invasive Abklärung
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diskutiert beziehungsweise der Schwangeren die Einholung einer «Expert Opinion» angeboten werden. 5. Jeder pathologische NIPT-Befund muss durch eine invasive Diagnostik bestätigt werden, bevor man zum Beispiel einen Abbruch der Schwangerschaft diskutiert. Eine Chorionzottenbiopsie ist akzeptabel unter der Voraussetzung, dass Zellen des Zottenmesenchyms (z.B. mittels QF-PCR oder FISH) untersucht werden. 6. Die Labors müssen die ffDNA-Fraktion angeben. 7. Falschpositive NIPT-Testresultate (auffälliger NIPT und normaler Karyotyp) bedürfen einer gesonderten Betrachtung, da sie auf einem Mosaizismus in der fetoplazentaren Einheit, einem «vanishing twin» oder anderen seltenen Ursachen (z.B. Mosaizismus bei der Mutter, Tumore, Transplantationen) beruhen können. Biologisch und/oder technisch bedingt sind falschpositive Befunde häufiger, wenn seltene Chromosomenanomalien (z.B. Mikrodeletionen) oder numerische Anomalien der Geschlechtschromosomen in die Untersuchung eingeschlossen werden. Ein deutlich reduzierter positiver Vorhersagewert gilt auch für die häufigen Trisomien bei sehr niedrigem Ausgangsrisiko. 8. Falls der NIPT kein Resultat ergeben hat und ein erhöhtes Risiko für Aneuploidien besteht, empfiehlt es sich, eine Fachperson für fetomaternale Medizin hinzuzuziehen, um die beste Methode zur weiteren Pränataldiagnostik zu bestimmen. 9. Eine routinemässige Untersuchung auf Mikrodeletionen mittels NIPT ist zurzeit nicht indiziert, da noch ungenügende Daten und Erfahrungen dazu vorliegen. 10. Die neuen NIPT sind wie die invasive Diagnostik dem Bundesgesetz zu genetischen Untersuchungen beim Menschen (GUMG) unterstellt; sie bedürfen deshalb einer ausführlichen Aufklärung, einer angemessenen Bedenkzeit und einer schriftlichen Einverständniserklärung. Die Aufklärung sollte auch die Möglichkeit seltener unerwarteter Befunde (mütterliche Krankheiten) umfassen.
Das Wichtigste in Kürze:
Nicht invasiver pränataler Test (NIPT) für Einlingsschwangerschaften
Die Bedingungen zur Kostenübernahme des NIPT für die Trisomien 21, 18 und 13 durch die Krankenkassen sind: I vorangegangener Ersttrimestertest mit einem Risiko ≥ 1:1000
(z.B. 1:520).
Ersttrimestertest:
Die Bedingungen zur Kostenübernahme sind: I Zertifizierung der Ärztinnen und Ärzte (Inhaber
Fähigkeitsausweis Schwangerschaftsultraschall SGUM, Teilnahme an einem US-Kurs 11.–14. SSW, Einsendung von 5 NTMessungen mit Teilnahme am Audit, (s. Homepage SGUMGG) I Verwendung anerkannter Software zur Risikokalkulation (aktuell gültig: von FMF Deutschland oder FMF London zertifiziert).
Der Zeitpunkt: I ETT ab SSW 11 + 0 bis SSW 131 + 6 (SSL 45–84 mm) als «combi-
ned test» I Die Blutentnahme für PAPP-A und freies beta-HCG ist auch mög-
lich ab SSW 91 + 0 bei zweizeitigem Vorgehen. Dabei ist zu beachten, dass die SSL- und die NT-Messung nachträglich dem Labor mitgeteilt werden müssen, wenn Sie nicht selbst die Berechnung durchführen.
Allfällige Zusatzkosten einer Untersuchung auf Anomalien der Geschlechtschromosomen oder anderer Chromosome als Trisomie 21, 13 und 18 mittels NIPT werden nicht übernommen.
Datum: 11.2.2016 Übersetzt aus dem Englischen (Quelle: RCOG Guidelines Nr. 44, 2006). Referenzen bei den Autoren.
Deklaration von Interessenkonflikten: Siv Fokstuen: keine. Sevgi Tercanli: keine. Thilo Burkhardt: keine. Yves Vial: Mitglied «Scientific Board of Gene Support». Luigi Raio Bulgheroni: keine.
* Evidenzlevel und Empfehlungsgrade der Therapieangaben
Evidenzlevel Ia Evidenz durch die Metaanalyse von randomisierten, kontrollierten
Untersuchungen Ib Evidenz durch mindestens eine randomisierte, kontrollierte
Untersuchung IIa Evidenz durch mindestens eine gut angelegte, kontrollierte
Studie ohne Randomisierung IIb Evidenz durch mindestens eine gut angelegte andere quasiexpe-
rimentelle Studie III Evidenz durch gut angelegte, beschreibende Studien, die nicht
experimentell sind, wie Vergleichsstudien, Korrelationsstudien oder Fallstudien IV Evidenz durch Expertenberichte oder Meinungen und/oder klinische Erfahrung anerkannter Fachleute
Empfehlungsgrad
A Es ist in der Literatur, die gesamthaft von guter Qualität und Konsistenz sein muss, mindestens eine randomisierte, kontrol-
lierte Untersuchung vorhanden, die sich auf die konkrete
Empfehlung bezieht (Evidenzlevel Ia, Ib).
B Es sind zum Thema der Empfehlung gut kontrollierte, klinische Studien vorhanden, aber keine randomisierten, klinischen
Untersuchungen (Evidenzlevel IIa, IIb, III).
C Es ist Evidenz vorhanden, die auf Berichten oder Meinungen von Expertenkreisen basiert und/oder auf der klinischen
Erfahrung von anerkannten Fachleuten. Es sind keine qualitativ
guten, klinischen Studien vorhanden, die direkt anwendbar sind
(Evidenzlevel IV).
Good-Practice-Punkt
Empfohlene Best Practice, die auf der klinischen Erfahrung der
Expertengruppe beruht, die den Expertenbrief/die Guideline
herausgibt.
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