Transkript
FIRST-TO-DISCUSS-Newsletter Gynäkologische Endokrinologie
Prä-/Peri-/Postmenopause
Wie gut ist die neue «Sex-Pille»* für Frauen?
Hintergrund: Flibanserin ist ein Psychopharmakon, genauer ein 5-HT1A-Agonist und 5-HT2A-Antagonist. Es wurde von der Fima Boehringer Ingelheim entwickelt und in 3 randomisierten, plazebokontrollierten Studien (PK-RCT) bei prämenopausalen Frauen mit Libidoreduktion und daraus resultierendem Leidensdruck (HSDD) untersucht.
Nachdem die Eingabe bei der amerikanischen Zulassungsbehörde (FDA) 2009 gescheitert war, kaufte Sprout Pharm. Inc. (USA) das Produkt 2011 auf. Einige zusätzliche Studien später wurde Flibanserin im August 2015 im dritten Anlauf von der FDA unter dem Namen Addyi® für die Indikation «acquired, generalized hypoactive sexual desire disorder (HSDD) in premenopausal women» zugelassen (1).
Prof. Dr. med. Petra Stute, Leitende Ärztin Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin am Inselspital Bern, resümiert und kommentiert kürzlich publizierte Studien zu wichtigen und vielfach kontrovers diskutierten Themen.
Wie sind die derzeit relevanten Studien zu bewerten?
Drei Zulassungsstudien bei prämenopausalen Frauen
Die drei primären 24-wöchigen Zulassungsstudien (VIOLET [2], DAISY [3], BEGONIA [4]) wurden bei prämenopausalen Frauen mit HSDD durchgeführt. Die Studienendpunkte waren: I Anzahl befriedigender sexueller Kon-
takte (aufgezeichnet per elektronischem Tagebuch) I Libido (dokumentiert per Fragebogen FSFI) I Stressempfinden (dokumentiert per Fragebogen FSDS-R). Flibanserin wurde in verschiedenen Dosierungen (50 und 100 mg/Tag oral [2, 3]) und Einnahmeschemata (3) gegen Plazebo getestet. Alle Studien zeigten in den definierten Endpunkten eine signifikante Überlegenheit von Flibanserin (100 mg/Tag oral).
Verträglichkeit in Zusatzstudien Die Sicherheit von Flibanserin (50 und 100 mg/Tag oral) wurde in der 52-wöchigen Open-label-Studie SUNFLOWER untersucht (5). Zu den von mehr als 5% der Teilnehmerinnen angegebenen unerwünschten Ereignissen zählten Somnolenz (15,8%), Fatigue (7,6%), Infekt der oberen Atemwege (7,1%), Schwindel (6,9%), Kopfschmerzen (6,6%) und Übelkeit (6,3%). Nach Absetzen von Flibanserin traten keine Entzugserscheinungen auf (ROSE-Studie [6]).
* Zitat «Bild»-Zeitung 20.8.2015.
Studie bei postmenopausalen Frauen
Die Wirksamkeit von Flibanserin (100 mg/Tag oral) bei natürlich postmenopausalen Frauen mit HSDD wurde in der 24-wöchigen plazebokontrollierten, randomisierten SNOWDROP-Studie untersucht (7). Die parallele Anwendung einer postmenopausalen Hormonersatztherapie (HRT) wurde gestattet, sofern die HSDD nicht deren Indikation beeinträchtigte und die HRT seit mindestens 6 Monaten stabil war. Flibanserin war auch bei postmenopausalen Frauen mit der Plazeboanwendung in allen (den gleichen) Endpunkten signifikant überlegen. Es traten 12 schwere unerwünschte Ereignisse ohne Bezug zum Prüfpräparat auf (2/12 lebensbedrohlich; 1/12 tödlich [Alkoholintoxikation]).
Kommentar
Mit Flibanserin (100 mg/Tag oral) wurde
zum ersten Mal von einer Zulassungs-
behörde ein Medikament zur Therapie
von prämenopausalen Frauen mit HSDD
zugelassen. Die Zukunft wird zeigen:
I wie gross der Markt für diese Indika-
tion tatsächlich ist
I ob Frauen bereit sind, langfristig ein
Psychopharmakon zur Libidosteige-
rung einzunehmen und
I wenn ja, wie das Nutzen-Risiko-Profil
bei Langzeitanwendung aussieht.
Momentan ist Flibanserin in Europa we-
der für die prä- noch für die postmeno-
pausale Frau zugelassen.
I
Kommentierte Studien: I VIOLET (2) I DAISY (3) I BEGONIA (4) I SNOWDROP (7)
Prof. Dr. med. Petra Stute Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin Universitätsklinik für Frauenheilkunde Inselspital 3010 Bern E-Mail: petra.stute@insel.ch
Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel: keine.
Referenzen: 1. Thorp J, Jr., Palacios S, Symons J, Simon J, Barbour K.: Improving prospects for treating hypoactive sexual desire disorder (HSDD): development status of flibanserin. BJOG 2014; v121(11): v1328–1331. 2. Derogatis LR, Komer L, Katz M, Moreau M, Kimura T, Garcia M, Jr., et al.: Treatment of hypoactive sexual desire disorder in premenopausal women: efficacy of flibanserin in the VIOLET Study. J Sex Med 2012; 9(4): 1074–1085. 3. Thorp J, Simon J, Dattani D, Taylor L, Kimura T, Garcia M, Jr., et al.: Treatment of hypoactive sexual desire disorder in premenopausal women: efficacy of flibanserin in the DAISY study. J Sex Med 2012; 9(3): 793–804. 4. Katz M, DeRogatis LR, Ackerman R, Hedges P, Lesko L, Garcia M, Jr., et al.: Efficacy of flibanserin in women with hypoactive sexual desire disorder: results from the BEGONIA trial. J Sex Med 2013; 10(7): 1807–1815. 5. Jayne C, Simon JA, Taylor LV, Kimura T, Lesko LM, investigators Ss.: Open-label extension study of flibanserin in women with hypoactive sexual desire disorder. J Sex Med 2012; 9(12): 3180–3188. 6. Goldfischer ER, Breaux J, Katz M, Kaufman J, Smith WB, Kimura T, et al.: Continued efficacy and safety of flibanserin in premenopausal women with Hypoactive Sexual Desire Disorder (HSDD): results from a randomized withdrawal trial. J Sex Med 2011; 8(11): 3160–3172. 7. Simon JA, Kingsberg SA, Shumel B, Hanes V, Garcia M, Jr., Sand M.: Efficacy and safety of flibanserin in postmenopausal women with hypoactive sexual desire disorder: results of the SNOWDROP trial. Menopause 2014; 21(6): 633–640.
GYNÄKOLOGIE 1/2016
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