Transkript
SERIE PRÄNATALDIAGNOSTIK
Sonografie Schwangerenvorsorge
Neuerungen im Ersttrimesterscreening
Im Juli 2015 hat das Bundesamt für Gesundheit (BAG) zwei wichtige Neuerungen eingeführt, die das erste Screening in der Schwangerschaft betreffen: I Zum einen wurde der Ersttrimestertest (ETT), also die individuelle
Risikoberechnung für fetale Trisomien mittels Nackentransparenz und Blutwerten, fest als Grundangebot für alle Schwangeren verankert, und ein sinnvoller Ablauf der Untersuchungen wurde vorgegeben. I Zum anderen wird für Schwangere, die einen korrekten ETT erhalten haben, der ein mittleres oder erhöhtes Risiko ergab, der nicht invasive pränatale Test für die Trisomien 13, 18 und 21 (NIPT) zur Pflichtleistung der Grundversicherung. Wie wirkt sich diese Änderung im konkreten Fall aus?
Kasuistik In der Routinekontrolle der Schwangerschaft mit 12 Wochen (SSW) wurde ein ETT durchgeführt, der ein erhöhtes Risiko für eine Trisomie zeigte; die Nackentransparenz (NT) allerdings war normal. Aufgrund des grob auffälligen PAPP-AWertes (unter die Norm vermindert) er-
folgte die Zuweisung zur Zweitmeinung (gemäss BAG: Fachperson für fetomaternale Medizin hinzuziehen). Dabei zeigte sich ein zeitgerechtes Wachstum und eine normale NT, aber eine auffällige Schädel-Gesichts-Kontur (Abbildung 1), die charakteristisch für eine bilaterale Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte (LKGS) ist.
Abbildung 1: Bilaterale Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte (LKGS) mit 12 Wochen. Axialer (Quer-)Schnitt unterhalb der BPD-Ebene. Es kann ein mittig vor dem Gesicht vorstehendes Gewebe, das sogenannte prämaxilläre Segment (gerader Pfeil), erkannt werden, das für eine bilaterale LKGS (gebogene Pfeile) typisch ist.
In einer mehrteiligen Serie stellt Pränataldiagnostiker Prof. Dr. med. Boris Tutschek Fallberichte aus seiner Sprechstunde für die praxisorientierte Fortbildung vor.
Damit war NIPT kontraindiziert, welcher im Falle «ETT rechnerisch auffällig bei normaler NT» ohne differenzierte Ultraschalluntersuchung vielleicht angeboten worden wäre. Die durchgeführte Chorionzottenbiopsie (CVS) zeigte eine Mikrodeletion, die mit NIPT nicht hätte erkannt werden können.
Folgerung: Was ist also für die Praxis wichtig? Es muss zwischen der Screeningsituation, das heisst der unkomplizierten Niedrigrisiko-Schwangerschaft – ohne belastete Vorgeschichte und sonst sämtlich unauffälligen Befunden –, und allen anderen Fällen unterschieden werden. Für das Screening soll die Schwangere laut BAG bereits vor der 10. SSW über ihre diagnostischen Optionen beraten werden (Abbildung 2). Wünscht sie den ETT, kann (und soll) bereits mit 10 SSW die Blutentnahme für freies beta-hCG und PAPP-A erfolgen. Dieser frühe Zeitpunkt wurde gewählt, weil dann die Unterscheidung zwischen Trisomie und Euploidie anhand der Blutwerte besser gelingt als mit 12 Wochen. Mit 12 + 0 bis 13 + 0 SSW soll dann die sonografische Untersuchung des Feten einschliesslich der Messung der NT erfolgen (Abbildung 3). Also: Nicht zu früh (d.h. nicht gleich zu Beginn des möglichen Zeitfensters mit 11 + 0) messen, sondern eher mit 12 + 0 bis 13 + 0 Schwangerschaftswochen, weil in den frühen Wochen die sonografische
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grob auffällige Blutwerte für hCG und besonders PAPP-A), sind keine Screeningfälle: Sie erfordern eine gezielte oder weiterführende Diagnostik, in der Regel durch Einholen einer Expertenmeinung. In diesen Fällen ist NIPT primär nicht sinnvoll.
Abbildung 2: Ablaufschema ETT und NIPT nach Bundesamt für Gesundheit, Juli 2015
Tipps für die Praxis
Folgende Tipps für die Praxis lassen sich
daraus ableiten:
I Beratung für ETT so früh wie möglich,
Blutentnahme für ETT mit 10 SSW
I Ultraschall inklusive NT, falls Risikobe-
rechnung gewünscht wird, mit 12 + 0
bis 13 + 0 SSW
I Falls NT > 95. Perzentile oder struktu-
relle Auffälligkeiten oder andere Risi-
kofaktoren: Hinzuziehen eines Exper-
ten
I Nur falls NT < 95. Perzentile und Ultra- schall unauffällig sind (Expertenmei- nung), aber Risiko für T21 im ETT ≥ 1:1000: NIPT anbieten I Bei der Durchführung von NIPT muss die diagnostische Lücke bedacht wer- den: Nur die Trisomien 13, 18 und 21 werden sehr zuverlässig erkannt, aber das Spektrum der möglichen geneti- schen Veränderungen – vor allem bei strukturellen Fehlbildungen und NT > 95. Perzentile – ist natürlich viel
grösser.
I
Prof. Dr. med. Boris Tutschek Gladbachstrasse 95 8044 Zürich E-Mail: tutschek@me.com www.Praenatal-Zuerich.ch
Abbildung 3: Normwerte für die Nackentransparenz für die Scheitel-Steiss-Längen (SSL) 45 mm (im Mittel entsprechend 11 + 0 Wochen) und 84 mm (14 Wochen). Beachte: NT-Werte unter 1,0 mm kommen nur selten vor, typische Werte liegen zwischen 1,5 und 2,2 mm
Auflösung noch ungenügend ist. Für diese Untersuchung ist die Messung der Parameter* SSL, NT sowie BPD, AU und FL sinnvoll, weil sie den Untersucher daran erinnert, die gemessenen Körper-
* SSL = Schädel-Steiss-Länge NT = Nackentransparenz BPD = Biparietaler Kopfdurchmesser AU = Abdomen/Thorax-Umfang (Bauchumfang) FL = Femurlänge
regionen auch anatomisch zu betrachten (Stichwort: Überprüfung der Körpergestalt: Kopf, Rumpf, Extremitäten). Alle anderen Fälle, also Schwangere mit anamnestischen Risiken wie eigenen angeborenen Besonderheiten, multiplen vorherigen Aborten, vorheriger aneuploider Schwangerschaft, Behinderungen in der Familie und sämtlichen Ultraschallauffälligkeiten (insbesondere auch diskordante SSL bei sicherer Datierung,
Weiteres Informationsmaterial finden Sie auf www.fetal.ch
Interessenkonflikte: keine.
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