Transkript
FIRST-TO-DISCUSS-Newsletter Gynäkologische Endokrinologie
Postmenopause
Das Klimakterische Syndrom – Realität oder Einbildung?
Hintergrund: Mehrere Online-Journale berichteten im April 2015 über eine Studie der Universität Dresden, die beim Deutschen Kongress für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Berlin vorgestellt wurde. Die Untersuchung stellt die Existenz des Klimakterischen Syndroms in den Wechseljahren infrage. Die Ergebnisse sind noch nicht publiziert, widerspiegeln aber im Wesentlichen die Ergebnisse der Arbeitsgruppe aus dem Jahr 2012.
Wie ist die Querschnittsstudie von Weidner und Kollegen zu bewerten?
PD Dr. med. Petra Stute, Leitende Ärztin Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin am Inselspital Bern, resümiert und kommentiert kürzlich publizierte Studien zu wichtigen und vielfach kontrovers diskutierten Themen.
Die Studie im Resümee
In einer Querschnittsstudie wurden 1350 Frauen zwischen 14 und 92 Jahren bezüglich Verteilung und Intensität von klimakterischen Beschwerden mithilfe der Menopause Rating Scale (MRS-II) untersucht. Lediglich die Symptome Hitzewallungen und Schweissausbrüche zeigten einen Prävalenzgipfel in der Altersperiode 50 bis 59 Jahre. Alle anderen somatischen und psychischen Symptome zeigten eine Prävalenzzunahme mit dem Alter. Signifikante Prädiktoren für die Ausprägung klimakterischer Beschwerden waren: Lebensregion, Alter, grundsätzliche psychische Belastung, somatische Symptome, Depressivität, Stress, Fatigue und Partnerschaft. Die Autoren zogen folgende Schlüsse: 1. Nur das Symptom Hitzewallungen sei
klimakteriumsspezifisch (d.h. auf den Östrogenabfall zurückzuführen). 2. Andere im MRS-II erfasste Symptome seien nicht hormonell verursacht, sondern müssten soziodemografischen und anderen individuellen Einflussfaktoren zugeordnet werden. 3. Die geringere Intensität klimakterischer Beschwerden bei deutschen Frauen im internationalen Vergleich zeige, dass ihr Beschwerdedruck kleiner sei, sodass 4. die Verschreibungspraxis von Hormonen zurückhaltender erfolgen sollte.
Kommentar
Die Studie weist aufgrund ihres Charakters (Querschnittstudie, d.h. einmalige Symptomerhebung per Fragebogen) Schwächen auf. Notwendige Informa-
tionen über die Teilnehmerinnen wie beispielsweise Vorerkrankungen, Anwendung von Medikamenten, Zyklusanamnese und Hormonserumwerte zur Einordnung des reproduktiven Stadiums fehlen. Ein Rückschluss auf den kausalen Zusammenhang eines Symptoms mit einer hormonellen Lebensphase ist daher nicht zulässig und eine Ableitung von Therapieempfehlungen nicht möglich. So haben zum Beispiel prospektive Longitudinalstudien (Penn Ovarian Aging Study; Harvard Study of Mood and Cycles; Study of Women Across the Nation; Melbourne Women’s Mid-Life Health Project) (1–8) einen klaren Zusammenhang zwischen menopausalem Übergang und Depression gezeigt. Ein Rückschluss von der Prävalenz eines Symptoms auf den Beschwerdedruck ist ebenso falsch und irreführend. Ganz im Gegenteil kann die niedrigere Symptomprävalenz bei deutschen Frauen in den Wechseljahren als bessere ärztliche Versorgungssituation im Vergleich zum Umland interpretiert werden – und eine unzureichende Versorgung bei älteren Frauen nahelegen!
Fazit: Das vorschnelle und nicht belegte Absprechen der Existenz des Klimakterischen Syndroms infolge der hormonellen Umstellung in den Wechseljahren und stattdessen die «Psychosomatisierung» werden der Realität von Frauen nicht gerecht und stellen aus feministischer Sicht vielmehr einen Rückschritt dar. Man muss sich daher fragen, warum die Medien einer wenig aussagekräftigen Studie so viel Aufmerksamkeit widmen!? I
Kommentierte Studie: Weidner K, Richter J, Bittner A, Stöbel-Richter Y, Brähler E.: Klimakterische Beschwerden über die Lebensspanne? Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage in der deutschen Allgemeinbevölkerung. Psychother Psych Med 2012; 62: 266–275.
PD Dr. med. Petra Stute Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin Universitätsklinik für Frauenheilkunde Inselspital 3010 Bern E-Mail: petra.stute@insel.ch
Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel: keine.
Referenzen: 1. Dennerstein L, Lehert P, Burger H, Dudley E.: Mood and the menopausal transition. J Nerv Ment Dis 1999; 187(11): 685–691. 2. Dennerstein L, Dudley EC, Hopper JL, Guthrie JR, Burger HG.: A prospective population-based study of menopausal symptoms. Obstet Gynecol 2000; 96(3): 351–358. 3. Freeman EW, Sammel MD, Liu L, et al.: Hormones and menopausal status as predictors of depression in women in transition to menopause. Arch Gen Psychiatry. 2004; 61(1): 62–70. 4. Dennerstein L, Guthrie JR, Clark M, et al.: A population-based study of depressed mood in middle-aged, Australian-born women. Menopause 2004; 11(5): 563–568. 5. Freeman EW, Sammel MD, Lin H, Nelson DB.: Associations of hormones and menopausal status with depressed mood in women with no history of depression. Arch Gen Psychiatry 2006; 63(4): 375–382. 6. Cohen LS1, Soares CN, Vitonis AF, et al.: Risk for new onset of depression during the menopausal transition: the Harvard study of moods and cycles. Arch Gen Psychiatry 2006; 63(4): 385–390. 7. Bromberger JT, Matthews KA, Schott LL, et al.: Depressive symptoms during the menopausal transition: the Study of Women’s Health Across the Nation (SWAN). J Affect Disord 2007; 103(1–3): 267–272. 8. Ryan J1, Burger HG, Szoeke C, Lehert P, et al.: A prospective study of the association between endogenous hormones and depressive symptoms in postmenopausal women. Menopause 2009; 16(3): 509–517.
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