Transkript
Update: «Primary Therapy of Early Breast Cancer»
14th St. Gallen International Breast Cancer Conference, Wien, März 2015
Operative Radikalität in der Diskussion
Fragestellungen im Kontext heutiger multimodaler Therapiekonzepte
Die Chirurgie des Mammakarzinoms entwickelt sich weiter in Richtung weniger invasiver Verfahren – Brusterhaltung und Wächterlymphknotendissektion gelten als Standard der operativen Therapie. Vermeidung von Mastektomie und Axilladissektion gelingt im interdisziplinären Kontext multimodaler Therapiekonzepte.
MICHAEL GNANT
In den letzten Jahrzehnten hat sich die Chirurgie des Mammakarzinoms deutlich weiterentwickelt – im multimodalen Kontext der interdisziplinären Behandlung bei Brustkrebs wahrscheinlich am deutlichsten von allen Disziplinen.
Multimodale brusterhaltende Verfahren im heutigen Standard
Während noch vor 30 Jahren die Amputation der Brust (als modifiziert radikale Mastektomie) sowie die axilläre Lymphknotendissektion als Standardvorgehen weltweit geübt wurden, sind heute gerade diese beiden operativen Verfahren nur noch wenigen spezifischen Behandlungssituationen vorbehalten. Die Standardtherapie des Primums besteht heute eindeutig in brusterhaltenden Operationsverfahren (inklusive Onkoplastik und Sofortrekonstruktion); in Bezug auf die Therapie der Axilla hat die Sentinellymphadenektomie in den letzten 10 Jahren einen Siegeszug als neuer «Standard of Care» hinter sich. Gleichzeitig werden multimodale lokaltherapeutische Verfahren häufig auch nach medikamentöser
Merkpunkte
I Brusterhaltendes Operieren und Wächterlymphknotendissektion sind anzustrebender Standard in der Chirurgie des Mammakarzinoms.
I Der benötigte Resektionsrand beim brusterhaltenden Operieren ist «no ink on tumor».
I Unter bestimmten Bedingungen kann auch bei positivem Wächterlymphknoten die Axilladissektion vermieden werden.
I Die Extrapolation lokaltherapeutischer Studienergebnisse auf andere Patientinnengruppen muss vorsichtig und in streng interdisziplinärer Konzeption erfolgen.
Vorbehandlung eingesetzt, insbesondere in Behandlungssituationen, in denen früher die Brusterhaltung nicht denkbar gewesen wäre. Zur schon länger geübten präoperativen Tumorverkleinerung mittels zytostatischer Therapie kommen heute vor allem zielgerichtete Therapien, insbesondere beim HER2/neuüberexprimierenden Mammakarzinom, aber auch Kombinationen neuer «pathway-drugs» mit endokriner Therapie beim hormonrezeptorpositiven luminalen Brustkrebs.
Mastektomie gehäuft viel zu früh und zu unkritisch
Im Gegensatz zum Hinausschieben der Grenzen des Möglichen in der operativen Brusterhaltung durch interdisziplinäre Vorbehandlung und moderne chirurgische Techniken zeigen sich allerdings auch unerwünschte Trends wie die (unnötigerweise) steigende Mastektomierate in manchen Ländern. Dies wird nicht zuletzt durch den steigenden unkritischen Einsatz von präoperativen Magnetresonanztomografien samt den damit verbundenen vermeintlichen Multizentrizitätsbefunden verursacht. Weitere Ursache ist die zu beobachtende unkritische Anwendung von Sofortrekonstruktionen in operativ herausfordernden oder grenzwertigen Brusterhaltungssituationen, manchmal auch ohne sachlichen Grund, nur unter dem Titel des «Patientinnenwunsches». Damit wird die seit Langem ausreichend belegte Evidenz konterkariert, dass die korrekt durchgeführte Brusterhaltung «unsicherer» ist als die Amputation. Gleiches gilt für die nach heutiger Evidenzlage eigentlich vermeidbaren Nachresektionen sowie für fraglich notwendige grosse onkoplastische Prozeduren unter dem Vorwand der «Radikalitätserhöhung».
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Update: «Primary Therapy of Early Breast Cancer»
14th St. Gallen International Breast Cancer Conference, Wien, März 2015
Das Radikalitätsprinzip im Wandel
Das Radikalitätsprinzip in der Brustchirurgie ist operativ-methodisch eindeutig einem klaren Wandel unterworfen: Letztlich muss sich heute jede lokaltherapeutische Massnahme und so auch die Chirurgie daran messen lassen, ob ein verbessertes Gesamtergebnis durch scheinbar erhöhte operative Radikalität entsteht. Dies kann entweder in einer Verbesserung des Überlebens oder in einer verbesserten lokalen Kontrolle gegeben sein. Anhand aktueller Daten, die an der erstmals in Wien stattfindenden traditionellen St.-Gallen-Brustkrebskonferenz 2015 sowohl im wissenschaftlichen Teil dieses höchstrangigen onkologischen Meetings in Europa zusammengefasst als auch bei den populären Abstimmungen des Konsensuspanels eindrucksvoll reflektiert wurden (1), muss der Standard der Brustchirurgie neu definiert werden:
Resektionsrand: «No ink on tumor» – evidenzbasierter Konsens Zahlreiche Untersuchungen haben sich in der brustchirurgischen Literatur in den letzten Jahren mit dem optimalen Resektionsabstand beschäftigt. In der Zusammenschau dieser Daten ist nun eindeutig festzustellen, dass das Prinzip «no ink on tumor» als evidenzbasierter Konsensus zu bezeichnen ist (2), zumal grössere Resektionsabstände weder die lokale Kontrolle noch das langfristige Gesamtoutcome verbessern. Die Diskussion, ob 1 oder 2 oder 3 mm der richtige Resektionsrand wäre, gehört damit der Vergangenheit an. Dieser revolutionäre Wandel in der Betrachtung des Resektionsrandes ist aufgrund der vorliegenden Daten keinesfalls als Abkehr vom tumorchirurgischen Grundprinzip der radikalen Entfernung zu verstehen. Dieses besteht weiterhin; letztlich ist aber klar geworden, dass die korrekte und nachgewiesene Entfernung des Tumors selbst (im Sinne von «no tumor on ink») ausreichend ist. Darüber hinausgehende chirurgische Bemühungen, allenfalls sogar zusätzliche Operationen, erzeugen nur unnötig schlechte kosmetische Ergebnisse durch ein übergrosses Resektionsausmass; sie führen dabei nicht zu einer weiteren Ergebnisverbesserung der Chirurgie. Das gilt auch nach neoadjuvanter Therapie – hier hat sich die Resektion an den «neuen» und nicht an den vorbestehenden Tumorausdehnungen zu orientieren.
Detaillierte Bestrahlungsstrategie hat grösste Bedeutung Noch drastischer entwickelten sich im gleichen Zeitraum die Standards der Chirurgie der axillären Lymphknoten. Ist bei negativen Wächterlymphknoten nun schon länger der Verzicht auf vervollständigte axilläre Lymphadenektomie als neuer opera-
tiver Standard definiert, so ist durch Studien wie ACOSOG – Z0011 (3) oder AMAROS (4) ein Verzicht auf axilläre Lymphadenektomie selbst bei einzelnen positiven Wächterlymphknoten mittlerweile als mögliches Behandlungskonzept akzeptiert. Zu dieser Frage muss aber eindeutig festgestellt werden, dass aufgrund kritisierbarer Einzelaspekte der Protokolle und ihrer Durchführung – wie Operationsund Bestrahlungstechniken – in den erwähnten Studien und deshalb auch darüber hinaus in einer allenfalls erneuerten klinischen Routinepraxis vor allem der gewählten detaillierten Bestrahlungsstrategie grösste Bedeutung zukommt (5). Die korrekte Inklusion tangentialer Behandlungsfelder nach brusterhaltender Operation ist eine interdisziplinäre Herausforderung, die von jedem lokaltherapeutischen Team von Diagnostikern, RadiologInnen, PathologInnen, ChirurgInnen und StrahlentherapeutInnen unter Einbeziehung der in Aussicht gestellten medikamentösen Therapiekonzepte jedenfalls lokal in jedem Zentrum standardisiert werden sollte. Vor einer generellen unkritischen Extrapolation einzelner revolutionärer Studienergebnisse auf andere Patientensubgruppen muss eindringlich gewarnt werden.
Aufgaben in der Weiterentwicklung lokaltherapeutischer Standards
Eine gewisse Ernüchterung ist bei vielen ExpertInnen des lokaltherapeutischen Fachgebietes hinsichtlich des Umstands zu spüren, dass trotz einzelner diesbezüglich positiver Studienergebnisse die biologische Komponente in der Bewertung lokaltherapeutischer Verfahren noch ganz am Anfang zu stehen scheint. Es wird bei der Weiterentwicklung chirurgischer und strahlentherapeutischer Standards – unter Einbezug der zunehmend populären onkoplastischen oder gar sofortrekonstruktiven Techniken nach Mastektomie – besonders wichtig sein, das Augenmerk auf eine erhöhte Wissenschaftlichkeit und eine systematische Erfassung zu lenken. Auch ist aus Sicht des Verfassers das Zurückdrängen der Chirurgie bei gleichzeitiger Eskalation strahlentherapeutischer Prinzipien (Radiotherapie der Axilla anstelle schonender Standarddissektion nach positivem Sentinellymphknoten) durchaus mit Vorsicht zu interpretieren, da gerade die Langzeittoxizität der Strahlentherapie von den derzeitigen Beobachtungszeiträumen der vorhandenen wissenschaftlichen Evidenz nicht umfasst wird (10 Jahre und mehr).
Fazit
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass das Radikalitätsprinzip in der Brustchirurgie einem merkbaren Wandel unterliegt: Dieser hat durch immer weniger belastende Operationsverfahren letztlich einen deutlichen Benefit für die Patientinnen gebracht.
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Update: «Primary Therapy of Early Breast Cancer»
14th St. Gallen International Breast Cancer Conference, Wien, März 2015
Die Prinzipien der radikalen Tumorentfernung sowie
das Gebot zur strikt interdisziplinären Behandlungs-
planung dürfen durch diese Beobachtung jedoch
keinesfalls kompromittiert werden, wie auch in der
diesjährigen St.-Gallen-Konsensuskonferenz umfas-
send bestätigt wurde.
I
Univ. Prof. Dr. med. Michael Gnant, FACS Vorstand der Universitätsklinik für Chirurgie Leiter Brustgesundheitszentrum Wien Medizinische Universität Wien A-1090 Wien E-Mail: michael.gnant@meduniwien.ac.at
Quellen: 1. Coates AS, Winer EP, Goldhirsch A, et al.: Tailoring therapies – improving the management of early breast cancer: St Gallen International Expert Consensus on the Primary Therapy of Early Breast Cancer 2015. Ann Oncol 2015 [submitted]. 2. Houssami N, Macaskill P, Marinovich ML, Morrow M.: The association of surgical margins and local recurrence in women with early-stage invasive breast cancer treated with breast-conserving therapy: a meta-analysis. Ann Surg Oncol 2014; 21: 717. 3. Giuliano AE, Hunt KK, Ballman KV, et al.: Axillary dissection vs no axillary dissection in women with invasive breast cancer and sentinel node metastasis: a randomized clinical trial. JAMA 2011; 305: 589. 4. Donker M, van Tienhoven G, Straver ME, et al.: Radiotherapy or surgery of the axilla after a positive sentinel node in breast cancer (EORTC 10981-22023 AMAROS): a randomised, multicentre, open-label, phase 3 non-inferiority trial. Lancet Oncol 2014; 15: 1303. 5. Jagsi R, Chadha M, Moni J, et al.: Radiation field design in the ACOSOG Z0011 (Alliance) Trial. J Clin Oncol. 2014; 32: 3600–06.
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