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Kongressbericht
30th Anniversary Congress der European Association of Urology (EAU), Madrid, 20. bis 24. März 2015
Überaktive Blase (OAB)
Gute Langzeitergebnisse mit Botulinumtoxin A
Der diesjährige Kongress der europäischen urologischen Gesellschaft (EAU) bot seinen Teilnehmern wieder ein anspruchsvolles Fortbildungsprogramm und vielfäl-
botulinumtoxin A (100 U) versus Plazebo verglichen, wurden für eine Analyse der Schwere der Inkontinenz in Bezug auf
tige Ergebnisse wissenschaftlicher Studien, die sich hauptsächlich um onkologisch- das Therapieansprechen analysiert (3). In
urologische Themen drehten. Zur Therapie der überaktiven Blase wurden vor allem
die Studien wurden 1105 OAB-Patienten eingeschlossen, die inadäquat auf ≥ 1
Studien zu Langzeitbeobachtungen mit Botulinumtoxin A präsentiert.
Anticholinergikum ansprachen. Marcus
Drake, Bristol/UK, und Kollegen unter-
schieden Patienten nach Harninkonti-
Therapieerfolg bei idiopathischer OAB
Auch eine italienische Studie beschäftigte sich mit den Langzeitergebnissen von wiederholten Onabotulinumtoxin-A-In-
nenzepisoden pro Tag in drei Gruppen: ≤ 2 (n = 188), > 2 bis ≤ 5 (n = 435) und > 5 (n = 482).
Intravesikales Botulinumtoxin A wird als jektionen (100 Units; U) bei der refrak- Ausgewertet wurden die Änderung der
effektive Therapie bei Patienten mit tären idiopathischen OAB. Marilena UI-Episoden/Tag zwischen Baseline und
überaktiver Blase (OAB) eingesetzt. In ei- Gubbiotti, Perugia, und Kollegen werte- Woche 12, die Reduktion der UI-Episo-
ner retrospektiven Studie zur Behand- ten die Daten von 59 weiblichen und 4 den/Tag um ≥ 50% respektive um 100%,
lung der idiopathischen OAB (iOAB) mit männlichen Patienten mit iOAB aus, die patientenberichteter Therapieerfolg und
Botulinumtoxin A untersuchten Tom von 2000 bis 2014 in diese prospektive die Sicherheit.
Marcelissen und Kollegen die Langzeit- Studie eingeschlossen wurden. Das me- Durchschnittlich wurden in den drei
compliance bei Patientinnen des Atrium diane Alter der Patienten betrug bei ers- Gruppen 7,7 versus 7,5 versus 10,4 Drang-
Medisch Centrum, Heerlen/Niederlande ter Injektion 54 Jahre. Im Median wur- episoden pro Tag angegeben. Die Re-
(1). In die Analyse wurden Patientinnen den 3 Injektionen (1–10) in einem Intervall duktion der Drangepisoden war in allen
mit iOAB aufgenommen, die zwischen von median 7 Monaten (4–12) gegeben. drei Gruppen unter Botulinumtherapie
2004 und 2014 mit 200 Einheiten Onabo- Die Miktionsfrequenz reduzierte sich substanziell und stieg mit steigender
tulinumtoxin A behandelt und über we- tagsüber von 10,6 auf 4,5 Episoden und Schwere der Inkontinzenz an (-2,7 bis
nigstens 5 Jahre ab der ersten Injektion nachts von 2,4 auf 0,7 Episoden. Diese -3,8).
nachbeobachtet wurden. Den Frauen Verbesserung blieb bei allen Patienten Unabhänging von der Schwere der In-
wurde nahegelegt, einen intermittieren- über die Beobachtungszeit konstant. kontinenz war auch der Anteil der Patien-
den Selbstkatheterismus anzuwenden, Keiner der Patienten wendete nach In- ten mit Reduktion der UI-Episoden/Tag
wenn vor Botulinumbehandlung die jektion intermittierenden Selbstkathete- um ≥ 50% respektive um 100% konsis-
Harnreste nach Blasenentleerung 150 ml rismus an.
tent höher unter Botulinumtherapie ver-
überstiegen. Das mediane Alter der in die Studie eingeschlossenen 128 Patientinnen betrug 67 Jahre. 88% klagten vor Beginn der Therapie über Harninkonti-
Onabotulinumtoxin A bei OAB jeden Schweregrads wirksam
glichen mit Plazebo (≥ 50% Reduktion: 56,6–66,5% vs. 27,3–34,1% der Patienten; 100% Reduktion: 17,5–41,4% vs. 3,3–20,2% der Patienten).
nenz (UI), 67% dieser Patientinnen über Die Daten von zwei Phase-III-Studien Signifikant mehr Patienten im Botulinum-
eine begleitende Stressharninkontinenz. (NCT00910845, NCT00910520), die Ona- toxin-Arm berichteten von einem Thera-
Von den Patientinnen waren 30% zur Zeit
der Auswertung noch unter Therapie.
Von den 70%, die die Therapie abgebro- Tabelle:
chen hatten, zeigten 27% einen nicht zu- Therapieerfolg von intravesikalem Botulinumtoxin A bei Patientin-
friedenstellenden Effekt und 43% Tolerabilitätsprobleme. Die meisten dieser Patientinnen brachen die Therapie nach
nen mit iOAB. Nicht kumulative Ergebnisse pro Jahr, in dem die Therapie begonnen wurde (mod. nach Marcelissen T et al.)
der ersten (79%) oder zweiten Injektion Jahr
Anzahl (n) Therapieerfolg
Therapieversagen Therapie
(19%) ab (vgl. Tabelle). Da die Erfolgsra-
nicht toleriert
ten mit der Zeit besser wurden, scheint 2004
32
5 (16%)
12
15
ein Lerneffekt in der Anwendung der Behandlung stattzufinden. Bei insgesamt 23% der Patienten war die Anwendung von intermittierendem Selbstkatheterismus zumindest zeitweilig notwendig.
2005 2006 2007 2008 2009
23 31 13 19 10
3 (13%) 10 (32%) 5 (38%) 10 (53%) 5 (50%)
9 7 2 4 1
11 14 6 5 4
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Kongressbericht
30th Anniversary Congress der European Association of Urology (EAU), Madrid, 20. bis 24. März 2015
pieerfolg, ebenfalls unabhängig von der Schwere der Inkontinenz vor Therapiebeginn (insgesamt 61,8 vs. 28,0%). An Nebenwirkungen traten am häufigsten Harnwegsinfektionen und Dysurie auf. Harnwegsinfektionen wurden bei Patienten mit > 5 UI-Episoden vor Therapiebeginn in beiden Studienarmen häufiger beobachtet, wobei in dieser Subgruppe eine erhöhte Anzahl älterer Patienten (verglichen mit den Subgruppen mit geringerer Schwere der Harninkontinenz) zu finden war. Patienten, die eine der beiden Phase-IIIStudien vollendet hatten, konnten in eine 3-jährige Erweiterungsstudie aufgenommen werden. Dirk De Ridder, UZ Leuven/Belgien, und Kollegen zeigten finale Ergebnisse dieser Erweitungsstudie, in der die Langzeitwirksamkeit und -sicherheit von Onabotulinumtoxin A geprüft wurden. Die Patienten wurden nach Notwendigkeit behandelt und entsprechend nach Anzahl benötigter Injektionen in Subgruppen ausgewertet: 105 Patienten erhielten eine Injektion, 118 Patienten zwei Injektionen, 117 drei Injektionen, 83 vier, 46 fünf und 33 Patienten sechs Infusionen. Etwa 90% der eingeschlossenen Patienten waren Frauen. Insgesamt wurden 543 Patienten in die Erweiterungsstudie eingeschlossen, von denen 51,2% die Studie beendeten. Die Gründe zum Abbrechen der Therapie waren selten die Nebenwirkungen (5,3%) oder die Ineffektivität der Therapie (2,8%), sondern hauptsächlich andere Gründe, die nichts mit der Therapie selbst zu tun hatten. Die
Dauer der Wirksamkeit stieg bei den Patienten in der Erweiterungsstudie an oder blieb gleich. Unabhängig von der Anzahl der notwendigen Injektionen berichtete eine konsistent hohe Anzahl (70,0–93,5%) der Patienten von einer «Besserung» oder «guten Verbesserung» der Beschwerden. Die Drangepisoden reduzierten sich um 3,1 bis 4,4 Episoden über alle Subgruppen. Harnwegsinfektionen waren auch in der Langzeitanwendung/-beobachtung die häufigsten Nebenwirkungen. Es wurden keine Änderungen des Sicherheitsprofils über einen längeren Zeitraum und keine neuen Sicherheitssignale gesehen.
OAB-Symptome steigern Unzufriedenheit nach TVT-Operation
Ein erneutes Auftreten von OAB-Symptomen stellten Helena Bock und Kollegen vom Kaiser-Franz-Josef-Spital, Wien/ Österreich, nach 10-jähriger Nachbeobachtung nach Einsetzen eines spannungsfreien Vaginalbandes (TVT) zur Behandlung von Frauen mit Harninkontinenz fest. 139 Patientinnen, die zwischen 1999 und 2004 operiert wurden, wurden in die Analyse aufgenommen. Die Patientinnen waren zur Zeit der Operation durchschnittlich 63 Jahre alt und litten an reiner Stressharninkontinenz (63,3%) oder an einer gemischten Form der Harninkontinenz (24,5%). 10,8% der Patientinnen waren aufgrund der Harninkontinenz bereits ein zweites Mal operiert worden. Vor Einsetzen der TVT klagten 62% der Patientinnen über Harndrang, was nach
zwei Jahren Nachbeobachtung auf 18% gesunken war und danach wieder auf 32% (5 Jahre) und 41% (10 Jahre) anstieg. Die Stressharninkontinenz war bei 95,7% der Patientinnen auch nach 10 Jahren kontrolliert. Dennoch waren 10 Jahre nach der Operation nur 62,6% der Patientinnen mit dem Ergebnis der Operation zufrieden. Prädiktive Faktoren für einen nicht zufriedenstellenden Therapieerfolg waren die gemischte Harninkontinenz sowie Harndrang und Nykturie vor Einsatz der TVT. Die Autoren folgerten aus ihren Ergebnissen, dass mit der TVT bei Patientinnen mit Harninkontinenz eine sehr gute Wirksamkeit erzielt wird, die Entwicklung von Symptomen der OAB aber zur Unzufriedenheit beiträgt. I
Ine Schmale
Referenzen: Marcelissen T et al.: Long-term follow-up of intravesical botulinum toxin-A injections in women with idiopathic overactive bladder syndrome. EAU 2015, Posterpräsentation, Abstr. #150. Gubbiotti M et al.: Long-term results of repeated onabotulinumtoxin-A intradetrusor injections for refractory overactive bladder. EAU 2015, Posterpräsentation, Abstr. #161. Drake M et al.: Onabotulinum A improves the symptoms of urgency and incontinence and provides treatment benefit in patients with overactive bladder regardless of incontinence severity at baseline. EAU 2015, Posterpräsentation, Abstr. #148. De Ridder D et al.: Durable duration of effect and positive treatment response with long-term onabotulinumtoxin A treatment in patients with over-active bladder syndrome: Final results of 3.5 years study. EAU 2015, Posterpräsentation, Abstr. #149. Bock I et al.: 10 years follow-up after tension-free vaginal tapes for the treatment of female stress urinary incontinence: High rate of cure yet a re-occurence of OAB-symptoms. EAU 2015, Posterpräsentation, Abstr. #65.
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