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SCHWERPUNKT
Thrombophilie in Schwangerschaft und Wochenbett
Eine Übersicht
Thrombophilien sind assoziiert mit einer erhöhten Neigung zu venösen Thromboembolien (VTE) und mit einem erhöhten Risiko für Schwangerschaftskomplikationen. Heutige Labortests können jedoch nur einen Teil der Thrombophilien erkennen. Im folgenden Artikel stellen wir den aktuellen Wissensstand zum Screening und Management von Thrombophilien in der Schwangerschaft und im Wochenbett dar.
MICHAEL NAGLER,1 DANIEL SURBEK,2 ANNE ANGELILLO-SCHERRER1
1 Universitätsklinik für Hämatologie und Hämatologisches Zentrallabor, Bern 2 Universitätsklinik für Frauenheilkunde, Bern
Basierend auf aktuellen, evidenzbasierten Guidelines werden im vorliegenden Artikel insbesondere die Indikationen zur Bestimmung von Laborparametern und das Management von Patientinnen in Schwangerschaft und Wochenbett diskutiert. Wir diskutieren ausserdem den Nutzen von Thrombophilieparametern hinsichtlich Schwangerschaftskomplikationen.
Aktueller Stand des Wissens
Eine «Thrombophilie» ist definiert als eine angeborene oder erworbene Störung der Hämostase, welche mit einer Neigung zu Thromboembolien verbunden ist. In der Regel sind hierbei venöse Thromboembolien (VTE) gemeint. Bereits im Jahr 1855
Merkpunkte
I Bei stattgehabten Schwangerschaftskomplikationen sollte weder eine Abklärung auf Thrombophilie noch eine Behandlung mit Antikoagulanzien/ Antiaggreganzien durchgeführt werden. Ausnahme: Verdacht auf Antiphospholipidsyndrom.*
I Die Abschätzung des Risikos venöser Thromboembolien erfolgt primär nach klinischen Kriterien und erst in zweiter Linie nach Laborparametern.
I Bei Patienten mit erhöhtem Risiko für venöse Thromboembolien sollte ein monatliches klinisches Monitoring durchgeführt werden, um Symptome venöser Thromboembolien frühzeitig zu erfassen und eine entsprechende Diagnostik rasch einzuleiten. Zudem sollte die Entwicklung der klinischen Risikofaktoren verfolgt werden. Bei Patienten mit therapeutischer Antikoagulation sollten monatlich die Anti-Xa-Werte zur Wirksamkeitskontrolle bestimmt werden.
I Ein routinemässiges Monitoring des Thromboserisikos mit TAT-KomplexWerten oder D-Dimeren wird nicht mehr empfohlen.
*Klinische Kriterien: (1) Unerklärtes Absterben eines Fetus (≥ 10. SSW) mit normaler Morphologie, oder (2) ≥ 3 unerklärte Spontanaborte vor der 10. SSW, oder (3) frühzeitige Geburt (< 34. SSW) eines morphologisch unauffälligen Neugeborenen aufgrund von: (3a) Eklampsie/schwere Präeklampsie, oder (3b) nachgewiesene Plazentainsuffizienz
schlug Rudolf Virchow drei mögliche Ursachen vor: eine veränderte Zusammensetzung des Blutes, ein gestörter Blutfluss und/oder Abnormitäten der Gefässwände (1). Obwohl epidemiologische Studien eine grosse Anzahl an Risikofaktoren identifizieren konnten (2), sind die meisten Faktoren nicht hinreichend für die Entwicklung einer VTE. Bei etwa einem Drittel der Patienten mit VTE liegt keine labormässige Thrombophilie vor, und viele Patienten mit Thrombophilie entwickeln nie eine VTE (3). Daher werden Thrombophilien heutzutage als Erkrankungen multifaktorieller Ursache angesehen, und aktuelle Guidelines verweisen auf klinische Risikofaktoren als wichtigste Entscheidungskriterien bei der Risikoabschätzung (4–8). Jedoch wird die labormässige Thrombophilieabklärung in speziellen Situationen in die Beurteilung miteinbezogen.
Indikationen zur Bestimmung der labormässigen Thrombophilieparameter
Obwohl die Abschätzung des individuellen Risikos für VTE in der Regel nach klinischen Kriterien erfolgt (siehe unten), können die Ergebnisse der labormässigen Thrombophilieabklärung in speziellen Situationen in die Beurteilung miteinbezogen werden. Einen Überblick über das mit einzelnen Faktoren verbundene Risiko gibt Tabelle 1 (9–11). Es ist jedoch zu beachten, dass ein Patientenmanagement basierend auf Thrombophilie-Laborparametern nicht durch klinische Studien belegt ist. Zudem besteht bei einzelnen Faktoren eine grosse Unsicherheit in der Risikoeinschätzung aufgrund limitierter klinischer Daten. Aktuelle Guidelines empfehlen eine Thrombophilieabklärung nur in wenigen Situationen. Diese sind in Tabelle 2 dargestellt (4–8).
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SCHWERPUNKT
Tabelle 1:
Thromboembolisches Risiko verschiedener Thrombophilieparameter
«Low risk»-Thrombophilie Heterozygote Faktor-V-Leiden-Mutation Heterozygote Prothrombingen-Mutation Hoher Faktor VIII
* Ausmass nicht genau definiert, mindestens um 30% erniedrigt
«High risk»-Thrombophilie Ausgeprägter Antithrombinmangel* Homozygote Faktor-V-Leiden-Mutation Homozygote Prothrombingen-Mutation Kombinierte, heterozygote Mutation für Faktor-V-Leiden und Prothrombingen Multiple Defekte Ausgeprägter Protein-S-Mangel* Ausgeprägter Protein-C-Mangel* Dysfibrinogenämie Antiphospholipidsyndrom
Tabelle 2:
Indikationen zur Bestimmung der Thrombophilieparameter entsprechend aktuellen Guidelines
Klinische Situation
Bestimmung von
Thrombophilieparametern
Schwangere mit stattgehabter idiopathischer VTE
Keine Testung
Schwangere mit stattgehabter provozierter VTE aufgrund:
(a) postoperative/oder nach schwerem Trauma (major trauma)
Keine Testung
(b) nicht chirurgischen, reversiblen Risikofaktors
Keine Testung
Asymptomatische Schwangere mit:
(a) stark positiver Familienanamnese (≥ 2 Verwandte 1. Grades mit idiopathischer VTE) Keine Testung
(b) mässiger familiäre Belastung (keine Verwandte 1. Grades oder
Keine Testung
1 Verwandte 1. Grades und Thrombophilie)
(c) Thrombophilie und unauffällige Familienanamnese
Keine Testung
(d) Familienanamnese mit «High risk»-Thrombophilie
Testung
Stattgehabte Schwangerschaftskomplikationen
Keine Testung für
hereditäre Thrombophilie
Testung für
Antiphospholipidsyndrom,
wenn die Klinik suggestiv ist
Assistierte Befruchtung
Keine Testung
Ovarielles Hyperstimulationssyndrom
Keine Testung
Schwangere mit klinischen Risikofaktoren
Keine Testung
In einzelnen Situationen kann die Bestimmung sinnvoll oder wünschenswert sein. Der häufigste Grund im klinischen Alltag ist der Wunsch der Patienten nach Klärung der Ursache von stattgehabten VTE. Ein weiterer Grund könnte eine Konstellation sein, welche nur unzureichend durch Guidelines abgedeckt ist. Eine Empfehlung zur labormässigen Testung besteht im Fall vermuteter oder bestätigter High-Risk-Thrombophilien, beispielsweise bei stark ausgeprägter Familienanamnese. Eine weitere wichtige Ausnahme ist ein vermutetes Antiphospholipid-Syndrom (APS). Das ist eine Hochrisikosituation nicht nur für venöse und arterielle Thromboembolien, sondern auch für bestimmte Schwangerschaftskomplikationen. Da es häufig mit einem systemischen Lupus-Erythematodes (SLE) assoziiert ist, muss bei entsprechenden Symptomen daran gedacht werden. Das APS ist mit den folgen-
den Schwangerschaftskomplikationen assoziiert: I drei oder mehrere konsekutive Spontanaborte
ohne erkennbare Ursache vor der 10. SSW oder I mindestens einem unerklärten intrauterinen Frucht-
tod jenseits der 10. Schwangerschaftswoche mit normaler fetaler Morphologie oder I einer oder mehreren Frühgeburten eines «morphologisch normalen» Neugeborenen vor der 34. Gestationswoche wegen Eklampsie oder schwerer Präeklampsie oder nachgewiesener Plazentainsuffizienz. In jedem Fall sollte die Thrombophilieabklärung in einem spezialisierten Zentrum erfolgen, welche eine sorgfältige Interpretation im Kontext der klinischen Risikofaktoren ermöglicht.
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SCHWERPUNKT
Tabelle 3:
Klinische Risikofaktoren für VTE in der Schwangerschaft/Postpartumperiode
(angepasst nach Royal College of Obstetricians and Gynaecologists [7])
Risikofaktoren Familienanamnese für VTE Begleiterkrankungen
Herz- oder Lungenerkrankungen SLE Tumorerkrankungen systemische entzündliche Erkrankungen nepritische Syndrome Sichelzellerkrankung i.v.-Drogenabusus Alter > 35 Jahre Adipositas (BMI ≥ 30 kg/m2) Multipara (≥ 3. Geburt) Raucher Deutliche Varikosis Präeklampsie Hyperemesis gravidarum mit Dehydratation Hyperstimulationssyndrom Mehrlingsschwangerschaft Assistierte Befruchtung Sectio caesarea (insbesondere notfallmässig) Verzögerte Geburt (> 24 Stunden) Postpartale Blutung Systemische Infektion Immobilisierung Chirurgische Interventionen (prä-/postpartal)
Kriterien
Behandlung
≥ 3 Faktoren
Prä- und postpartal: prophylaktische Antikoagulation
< 3 Faktoren
Keine Antikoagulation, Monitoring in der Schwangerschaft
Risikoabschätzung im Hinblick auf venöse Thromboembolien
Der formale Prozess der Risikoabschätzung dient der systematischen Beurteilung des Risikos venöser Thromboembolien. Er ist damit Entscheidungsgrundlage für die Managementstrategie. Mit Bezug auf aktuelle Richtlinien sollten in erster Linie klinische Risikofaktoren miteinbezogen werden und erst in zweiter Linie labormässige Faktoren. Ausnahmen zu diesem Vorgehen wurden oben diskutiert. Zwei verschiedene Instrumente werden zur Risikoabschätzung eingesetzt. Zum einen existiert eine Liste klinischer Risikofaktoren des Royal College of Obstetricians and Gynaecologists (Tabelle 3). Wenn mindestens drei dieser Faktoren vorhanden sind, wird eine medikamentöse prophylaktische Antikoagulation (sowohl prä- als auch postpartal) empfohlen. Wenn weniger als drei Faktoren vorliegen, sollte keine Prophylaxe eingesetzt, aber im Rahmen des klinischen Monitorings sollten regelmässig die Risikofaktoren überprüft werden. Zum anderen sollten bei Frauen mit stattgehabter VTE oder mit VTE in der Familienanmnese die Kriterien der Tabelle 4 verwendet werden. Hier wird die Risikoabschätzung entsprechend der Art der VTE und allenfalls durchgeführten Laboruntersuchungen aufgezeigt. Es finden sich weiterhin Empfehlungen zum prä- und postpartalen Ma-
nagement. Entsprechend dem Risikoprofil wird entweder ein reines klinisches Monitoring empfohlen oder eine medikamentöse Prophylaxe mit Antikoagulation in prophylaktischer Dosierung.
Klinisches Monitoring in der Schwangerschaft
Bei Patienten mit einem erhöhten Risiko für VTE wird empfohlen, ein klinisches Monitoring in der Schwangerschaft durchzuführen. Dieses sollte so früh wie möglich beginnen und etwa monatlich bis zur Geburt erfolgen. Während der ersten Konsultation wird das Risiko für VTE beurteilt und ein Entscheid gefällt für (a) ein reines Monitoring oder (b) eine medikamentöse Prophylaxe. Die Beurteilungskriterien dazu sind weiter oben und in den Tabellen 3 und 4 dargestellt. Der wichtigste Inhalt des Monitorings ist die Erfassung möglicher Symptome für venöse Thromboembolien, insbesondere für tiefe Beinvenenthrombosen. Bei Vorliegen von Symptomen sollte schnellstmöglich die entsprechende Diagnostik eingeleitet werden. Aufgrund der häufig schwangerschaftsbedingt erhöhten D-Dimere wird dafür in aller Regel direkt eine Duplexsonografie empfohlen. Zudem sollten die Schwangeren angeleitet werden, auf entsprechende Symptome zu achten und sich frühzeitig zu melden.
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SCHWERPUNKT
Tabelle 4:
Schwangerschaftsmanagement nach Anamnese und Vorliegen einer Thrombophilie
Risikofaktoren «Low risk»-Thrombophilie* Keine VTE in der Anamnese
Präpartal Monitoring
VTE in der Familienanamnese (Angehörige 1. Grades mit VTE) Stattgehabte, einmalige VTE ohne dauerhafte Antikoagulation Stattgehabte, mehrfache VTE ohne dauerhafte Antikoagulation Stattgehabte, mehrfache VTE mit dauerhafter Antikoagulation «High risk»-Thrombophilie* Keine VTE in der Anamnese
VTE in der Familienanamnese (Angehörige 1. Grades mit VTE) Stattgehabte, einmalige VTE ohne dauerhafte Antikoagulation Stattgehabte, mehrfache VTE ohne dauerhafte Antikoagulation Stattgehabte, mehrfache VTE mit dauerhafter Antikoagulation Keine Thrombophilie VTE in der Familienanamnese (Angehörige 1. Grades mit VTE)
Monitoring
Prophylaktische Antikoagulation oder intermediäre Dosis+ Antikoagulation mit prophylaktischer, intermediärer oder therapeutischer Dosis+ Therapeutische Antikoagulation+
Monitoring oder prophylaktische Antikoagulation Prophylaktische Antikoagulation oder intermediäre Dosis+ Antikoagulation mit prophylaktischer, intermediärer oder therapeutischer Dosis+ Antikoagulation mit prophylaktischer, intermediärer oder therapeutischer Dosis+ Therapeutische Antikoagulation+
Monitoring
Stattgehabte, provozierte VTE (Risikofaktor nicht mehr vorliegend) Stattgehabte VTE in Schwangerschaft oder unter Östrogenen Stattgehabte, idiopathische VTE ohne dauerhafte Antikoagulation Stattgehabte, mehrfache VTE ohne dauerhafte Antikoagulation Stattgehabte, mehrfache VTE mit dauerhafter Antikoagulation Antiphospholipid-Syndrom (APS)°
Schwangerschaftskomplikationen (kein APS; mit oder ohne Thrombophilie) Risiko für Präeklampsie
Monitoring
Prophylaktische Antikoagulation+
Prophylaktische Antikoagulation+
Antikoagulation mit prophylaktischer, intermediärer oder therapeutischer Dosis+ Therapeutische Antikoagulation+
Prophylaktische Dosis Antikoagulation (alternativ intermediäre Dosis) und Aspirin 100 mg Keine Massnahmen
Aspirin 100 mg ab 2. Trimenon
* Definition «Low risk»- und «High risk»-Thrombophilie siehe Tabelle 1. + Behandlungsschema Antikoagulation in der Schwangerschaft siehe Tabelle 5. # Behandlung für 6 Wochen postpartal ° klinische Kriterien siehe oben
Postpartal#
Monitoring (alternativ bei zusätzlichen Risikofaktoren: prophylaktische Antikoagulation) Prophylaktische Antikoagulation+
Prophylaktische Antikoagulation oder intermediäre Dosis+ Antikoagulation mit prophylaktischer, intermediärer oder therapeutischer Dosis+ Therapeutische Antikoagulation+
Prophylaktische Antikoagulation+
Prophylaktische Antikoagulation
Antikoagulation mit prophylaktischer, intermediärer oder therapeutischer Dosis+ Antikoagulation mit prophylaktischer, intermediärer oder therapeutischer Dosis+ Therapeutische Antikoagulation+
Monitoring (alternativ bei zusätzlichen Risikofaktoren: prophylaktische Antikoagulation) Prophylaktische Antikoagulation+
Prophylaktische Antikoagulation+
Prophylaktische Antikoagulation+
Antikoagulation mit prophylaktischer, intermediärer oder therapeutischer Dosis+ Therapeutische Antikoagulation+
Intermediäre Dosis Antikoagulation (alternativ prophylaktische Dosis)
Keine Massnahmen
Keine Massnahmen
Ein weiterer Inhalt des Monitorings ist die Erfassung und die Verlaufsbeobachtung der klinischen Risikofaktoren. Bei Überschreiten eines kritischen Risikos kann auch im Verlauf der Schwangerschaft eine medikamentöse Prophylaxe eingeleitet werden. Bei Patienten mit medikamentöser Prophylaxe sollte bei jeder Konsultation die Verträglichkeit der Behandlung überprüft werden. Hierbei sollte vor allem auf (übermässige) Hautreaktionen geachtet werden. Eine Kontrolle der Thrombozyten im Hinblick auf eine he-
parininduzierte Thrombozytopenie (HIT) wird aufgrund der extrem niedrigen Inzidenz in der Schwangerschaft und der geringen Chance, eine solche nach 5 bis 10 Tagen zu erfassen, nicht empfohlen. Die Patienten sollten sich bei Auftreten von thromboembolischen Ereignissen jedoch sofort melden. Es wird empfohlen, das Monitoring an spezialisierten Zentren mit dem entsprechenden Patientenaufkommen durchführen zu lassen.
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SCHWERPUNKT
Tabelle 5:
Behandlungsschema für eine Antikoagulation in der Schwangerschaft
Schema Prophylaktische Antikoagulation
Intermediäre Dosis Therapeutische Antikoagulation
Niedermolekulare Heparine Dalteparin (Fragmin®) 5000 E 1 x tgl. s.c.+
Unfraktioniertes Heparin # 5000–10 000 E 12-stündlich s.c.
Enoxaparin (Clexane®) 40 mg 1 x tgl. s.c.°
1. Trimenon: 5000–7500 E s.c. 12-stündlich s.c.
2. Trimenon: 7500–10 000 E s.c. 12-stündlich s.c.
3. Trimenon: 10 000 E s.c. 12-stündlich s.c.,
es sei denn, die aPTT ist verlängert
Dalteparin (Fragmin®) 10 000 E 1 x tgl. s.c.
Enoxaparin (Clexane®) 80 mg 1 x tgl. s.c.
Dalteparin (Fragmin®) 200 E/kg 1 x tgl. s.c.$#
10 000 E oder mehr 12-stündlich s.c. mit dem
Enoxaparin (Clexane®) 1 mg/kg 2 x tgl. s.c.
Ziel einer aPTT im therapeutischen Bereich
(1,5 bis 2,5 x Ausgangswert) oder anti-Xa
Empfehlung: etwa monatliche Bestimmung
0,3 bis 0,6 E/ml 6 Stunden nach Applikation
des Anti-Xa-Spiegels (Ziel im Peak 4 h nach
zweimaliger Applikation per 24 h: 0,6–1,0 E/ml;
nach einmaliger Applikation per 24 h: 1,0–2,0 E/ml)
# Alternative bei niereninsuffizienten Patienten oder in anderen Spezialsituationen + bei Patienten > 100 kg: 7500 E 1 x tgl. s.c. ° bei Patienten > 100 kg: 60mg 1 x tgl. s.c. $ alternativ zweimal tägliche Dosis 100 E/kg # Wechsel auf zweimal tägliche Applikation in 36. SSW empfohlen * etwa monatliche Bestimmung des Anti-Xa-Spiegels empfohlen (Ziel im Peak 4 h nach zweimaliger Applikation per 24 h: 0,6–1,0 E/ml;
nach einmaliger Applikation per 24 h: 1,0–2,0 E/ml)
Antikoagulation in der Schwangerschaft
In verschiedenen Situationen ist eine Antikoagulation in der Schwangerschaft nötig. Nicht nur die Prophylaxe von VTE stellt eine Indikation dar, sondern insbesondere die Therapie der VTE. Im Gegensatz zu Nichtschwangeren ergeben sich hier einige Besonderheiten: Zum einen sind Vitamin-K-Antagonisten (Marcoumar®; Sintrom® etc.) aufgrund der teratogenen Nebenwirkungen kontraindiziert (WarfarinEmbryopathie), zum anderen sind die neuen Antikoagulanzien für Schwangere nicht zugelassen und sollten dringend vermieden werden. Mit den niedermolekularen Heparinen stehen wirksame und gut verträgliche Medikamente zur Verfügung. In dieser Situation liegen damit viele Erfahrungen vor, sodass mehrere Zulassungsbehörden die Limitatio im Hinblick auf die Schwangerschaft aufgehoben haben. Für die Schweiz ist Dalteparin (Fragmin®) in dieser Situation zugelassen und sollte daher das Medikament der ersten Wahl sein. Bei Unverträglichkeit kann auch auf Enoxaparin (Clexane®) gewechselt werden (zurzeit noch off label). Falls eine Unverträglichkeit auf alle niedermolekularen Heparine besteht, kann ebenfalls Fondaparinux (Arixtra®) diskutiert werden (ebenfalls off label use) (12). Unfraktionierte Heparine kommen nur bei besonders hohem Blutungsrisiko und/oder ausgeprägter Niereninsuffizienz zum Einsatz. Einen Überblick über Medikamente, Dosis und Applikation gibt Tabelle 5 (4–8). Für die Prophylaxe von VTE wird in den meisten Fällen eine prophylaktische Dosierung empfohlen. In einzelnen Situationen (Ta-
belle 4) ist alternativ jedoch auch eine intermediäre oder sogar therapeutische Dosis möglich. In der therapeutischen Antikoagulation wird die Dosis entsprechend dem Gewicht angepasst. Bei prophylaktischer Dosis muss das nur bei extremen Abweichungen beachtet werden. Aufgrund der Praktikabilität wird in der Schwangerschaft in der Regel eine einmal tägliche Dosierung empfohlen. Bei Unsicherheit im Hinblick auf Sicherheit oder Wirksamkeit kann jedoch auch auf eine zweimal tägliche Gabe gewechselt werden. Im Hinblick auf die Geburt wird empfohlen, auf eine zweimal tägliche Dosis zu wechseln (z.B. in der 36. Schwangerschaftswoche). Im Fall der therapeutischen Antikoagulation kann nach Ablauf eines Monats entschieden werden, die Dosis zu reduzieren (z.B. bei vorliegenden oder befürchteten Blutungskomplikationen). In diesem Fall empfehlen wir Dalteparin (ca. 150 E/kg KG) und Enoxaparin (ca. 1,5 mg/kg KG). Eine etwa monatliche Bestimmung der Anti-Xa-Werte ist zur Evaluation der Wirksamkeit empfohlen. Bei einer zweimal täglichen therapeutischen Gabe sollten Anti-Xa-Werte zwischen 0,6 und 1,0 E/ml angestrebt werden, bei einmal täglicher Gabe zwischen 1,0 und 2,0 E/ml (Spitzen-Spiegel etwa 2 Stunden nach Applikation). In der Schwangerschaft empfiehlt man eine Behandlungsdauer von 3 bis 6 Monaten, mindestens aber bis 6 Wochen postpartal. Anschliessend sollten das Risiko beurteilt und die Indikation für eine dauerhafte Antikoagulation überprüft werden. Aktuelle Richtlinien empfehlen, eine Antikoagulation in der Schwangerschaft von einem erfahrenen Zentrum durchführen zu lassen.
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SCHWERPUNKT
Thrombophilien und Schwangerschaftskomplikationen
Eine Reihe von Fall-Kontroll-Studien berichtete über
eine Assoziation von Schwangerschaftskomplikatio-
nen und genetischen Thrombophilien (13). Es wurde
vermutet, dass (Mikro-)Thrombosierungen bei der
Trophoblastinvasion die Ursache dieses Phänomens
sind. Diese Beobachtungen resultierten in deutlich
vermehrten Laboruntersuchungen und prophylakti-
scher Antikoagulation bei Patientinnen mit habituel-
ler Abortneigung. Später durchgeführte, prospektive
Kohortenstudien stellten diese Assoziation infrage
(14). Darüber hinaus wurden mehrere randomisierte,
klinische Studien durchgeführt, um die Effektivität
von Antikoagulation mit niedermolekularen Hepari-
nen und von Thrombozytenaggregationshemmung
mit Aspirin im Hinblick auf habituelle Aborte zu un-
tersuchen (15). Eine Reduktion habitueller Aborte
konnte in diesen Untersuchungen nicht gezeigt wer-
den. Aktuelle internationale Guidelines empfehlen in
dieser Situation weder die Bestimmung von Throm-
bophilieparametern noch eine Antikoagulations-
behandlung.
Die Ausnahme von dieser Regel ist das Antiphos-
pholipid-Syndrom. In diesem Fall ist die Assoziation
mit Schwangerschaftskomplikationen gut dokumen-
tiert (siehe oben). Bei Verdacht auf ein Antiphospho-
lipid-Syndrom sollte daher sowohl eine Bestimmung
der entsprechenden Laborparameter durchgeführt
werden als auch – bei Bestätigung – eine Behand-
lung mit Low-dose-Aspirin und niedermolekularen
Heparinen.
I
Quellen: 1. Bagot CN, Arya R.: Virchow and his triad: a question of attribution. Br J Haematol 2008; 143(2): 180–90. 2. Lijfering WM, Rosendaal FR, Cannegieter SC.: Risk factors for venous thrombosis – current understanding from an epidemiological point of view. Br J Haematol 2010; 149(6): 824–33. 3. Kyrle PA, Rosendaal FR, Eichinger S.: Risk assessment for recurrent venous thrombosis. Lancet 2010; 376(9757): 2032–39. 4. American College of Gynecologists: Inherited thrombophilias in pregnancy. Obstet Gynecol 2013; 122(3): 706–17. 5. Bates SM et al.: VTE, thrombophilia, antithrombotic therapy, and pregnancy: Antithrombotic Therapy and Prevention of Thrombosis, 9th ed: American College of Chest Physicians Evidence-Based Clinical Practice Guidelines. Chest 2012; 141 (2 Suppl): e691S–736S. 6. Europ. Soc. Cardiol.: ESC Guidelines on the management of cardiovascular diseases during pregnancy: the Task Force on the Management of Cardiovascular Diseases during Pregnancy of the European Society of Cardiology (ESC). Eur Heart J 2011; 32(24): 3147–97. 7. Royal College Obetr Gynecol.: Reducing the Risk of Thrombosis and Embolism During Pregnancy and the Puerperium. Green-top-Guideline 2009: No. 37. 8. McLintock C et al.: Recommendations for the diagnosis and treatment of deep venous thrombosis and pulmonary embolism in pregnancy and the postpartum period. Aust N Z J Obstet Gynaecol 2012; 52(1): 14–22. 9. Middeldorp S.: Is thrombophilia testing useful? Hematol Am Soc Hematol Educ Program 2011; 2011: 150–55. 10. Marchiori A et al.: The risk of recurrent venous thromboembolism among heterozygous carriers of factor V Leiden or prothrombin G20210A mutation. A systematic review of prospective studies. Haematologica 2007; 92(8): 1107–14. 11. Eichinger S et al.: Risk assessment of recurrence in patients with unprovoked deep vein thrombosis or pulmonary embolism: the Vienna prediction model. Circulation 2010; 121(14): 1630–36. 12. Nagler M, Haslauer M, Wuillemin WA.: Fondaparinux – data on efficacy and safety in special situations. Thromb Research 2012; 129: 407–17. 13. Kovalevsky G et al.: Evaluation of the association between hereditary thrombophilias and recurrent pregnancy loss: a meta-analysis. Arch Intern Med 2004; 164(5): 558–63. 14. Rodger MA et al.: Is thrombophilia associated with placenta-mediated pregnancy complications? A prospective cohort study. J Thromb Haemost 2014; 12(4): 469–78. 15. Kaandorp SP et al.: Aspirin plus heparin or aspirin alone in women with recurrent miscarriage. N Engl J Med 2010; 362(17): 1586–96.
Dr. med. Michael Nagler, PhD E-Mail: michael.nagler@insel.ch und
sowie
Prof. Dr. med. Anne Angelillo-Scherrer E-Mail: anne.angelillo-scherrer@insel.ch Beide: Universitätsklinik für Hämatologie und Hämatologisches Zentrallabor Inselspital/Universitätsspital 3010 Bern
Prof. Dr. med. Daniel Surbek Geburtshilfe und Feto-maternale Medizin Universitätsklinik für Frauenheilkunde Inselspital/Universitätsspital 3010 Bern E-Mail: daniel.surbek@insel.ch
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